Altmeier, Scheuer, Klöckner, Schwesig: Greenpeace veröffentlicht Schwarzbuch der politischen Klimaschutz-Bremser

Report stellt 31 Politiker:innen vor, die nach Ansicht von Greenpeace Klimaschutz-Maßnahmen verzögern // Umweltorganisationen sehen das Energiewende-Profil der SPD geschärft // Klimapolitische Neuaufstellung der Union ungewiss

von Daniela Becker
7 Minuten
Ölraffinerie in Corpus Christi, Texas.

Die Umweltorganisation Greenpeace untersucht im Schwarzbuch „Wir haben verhindert" die Klimapolitik der Großen Koalition unter Angela Merkel. Der Report stellt 31 Politiker:innen vor, die nach Ansicht der Organisation Klimaschutz-Maßnahmen verzögert haben. Die überwiegende Mehrheit sind Unionsmitglieder. Umweltverbände bewerten das Wahlprogramm der CDU/CSU deutlich schlechter als das der SPD.

Die große Koalition unter Kanzlerin Angela Merkel hat erst kürzlich vom höchsten deutschen Gericht attestiert bekommen, dass ihre bisherige Klimapolitik Freiheitsrechte junger Menschen verletzt. Doch an wem genau liegt die zaudernde Klimapolitik eigentlich? Die Umweltorganisation Greenpeace hat in einem Schwarzbuch mit dem Titel „Wir haben verhindert einen „großen Kreis relevanter Politiker:innen von Union und SPD“ ausgewählt, die nach ihrer Meinung beim Klimaschutz besonders stark bremsen.

Geht es nach dem Urteil von Greenpeace, sind eindeutig Politiker:innen von CDU und CSU für die desolaten Klimaergebnisse verantwortlich. Nur drei der insgesamt 31 Porträtierten sind von der SPD.

Hart ins Gericht geht der Report mit Kanzlerin Angela Merkel. Greenpeace betont die Diskrepanz zwischen der Rolle, die Merkel auf internationaler Ebene einerseits für den Klimaschutz gespielt hat, etwa beim Zustandekommen des Paris-Vertrags, und andererseits der deutschen Klimabilanz.

Sie habe zwar manches Mal mitgeholfen, den Klimaschutz in Europa grundsätzlich voranzubringen, wie zuletzt in 2020, als der europäische Rat eine Anhebung des EU Klimaziels für 2030 beschloss. Wenn aber vitale Interessen betroffen gewesen seien, habe sich die Klimakanzlerin flugs in eine Autokanzlerin verwandelt. Ohne Rücksicht auf den Klimaschutz habe sich Merkel vor den „Karren der Industrielobby spannen lassen“ und die Interessen der heimischen Autokonzerne in Brüssel vertreten, wenn es galt, Emissionsgrenzwerte aufzuweichen. Sie konnte „in letzter Minute Kompromisse umwerfen, wenn die Energie- oder Autoindustrie interveniert hat“, zitiert Greenpeace einen anonymen Teilnehmer an Brüsseler Verhandlungsrunden.

Merkels Wirtschaftsminister Peter Altmaier gibt Greenpeace den wenig schmeichelhaften Titel „Energiewende-Abwürger", den designierten Kanzlerkandidaten und Ministerpräsidenten von NRW Armin Laschet nennt sie einen „treuen Freund der Kohleindustrie“, der bereit sei, für Kohleabbau „ganze Dörfer dem Erdboden gleichzumachen“.

Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) firmiert in dem Report unter dem Begriff „Problem-Minister“, der sich in seiner politischen Laufbahn „gegen so ziemlich jede Maßnahme ausgesprochen habe, die dem Klimaschutz zugute kommen würde. Scheuer warnte vor verbesserten EU-Klimazielen, er sprach sich gegen eine höhere Dieselsteuer ebenso wie gegen CO2-Steuer aus.

Klöckner: Klientelpolitik für intensive Tierhaltung

Als weiteres Mitglied des Merkel-Kabinetts, das beim Klimaschutz eher verhindert als geholfen hat, identifiziert Greenpeace Agrarministerin Julia Klöckner (CDU). Sie betreibe „klare Klientelpolitik für die Landwirte aus den Regionen mit der intensivsten Tierhaltung“, die besonders hohe Treibhausgasemissionen verursacht. Klöckner sei verantwortlich dafür, dass der Agrarsektor nach wie vor mehr Teil des Problems als Teil der Lösung sei.

Als einzige Klimaschutz-Bremse der SPD taucht unter dieser ersten Kategorie Spitzenpolitiker:innen aufgrund ihres vehementen Einsatzes für den Fortbau der umstrittenen Erdgas-Pipeline Nordstream2 Manuela Schwesig auf, die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern.

In der zweiten Kategorie fasst Greenpeace unter dem Begriff „Hardliner” jene Politiker zusammen, die aus Sicht der Organisation insbesondere hinter den Kulissen gegen eine Energiewende agierten. Allen voran Carsten Linnemann, der Vorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftsunion, (CDU), den Greenpeace als den einflussreichste Klima-Hardliner der Union benennt. Er bezeichnete demnach den Ausbau der Erneuerbaren Energien als „Planwirtschaft“ und einen schnellen Kohleausstieg als „Weg in den Blackout“. Desweiteren CDU-Staatssekretär Thomas Bareiß sowie der inzwischen über die Masken-Affäre gestolperte Joachim Pfeiffer (CDU), bis April wirtschafts- und energiepolitischer Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion. Die Autorinnen Susanne Götze und Annika Joeres schreiben in ihrem Sachbuch „Die Klimaschmutzlobby„, die Abgeordneten Linnemann, Bareiß und Pfeiffer seien im Bundestag hinter vorgehaltener Hand das „Bermudadreieck der Energiewende “ genannt worden. Der Grund: Die Dreier-Konstellation habe jahrelang jeden Fortschritt in Sachen Energiewende verhindert.

Christoph Ploß, den Greenpeace ebenfalls als Hardliner identifiziert, zählt die Organisation zu einer Riege jüngerer Politiker in der Union, die sich „als moderne Klimaschützer“ inszenierten. Während sie vordergründig für einen modernen Konservatismus werben würden, zögen sie im Hintergrund jedoch die Fäden, „um Klimaschutz und Energiewende auszubremsen“. Sie setzen dabei einseitig auf Hochglanz-Technologien wie Wasserstoff und synthetische Kraftstoffe, die „viel kosten, aber im Kampf gegen die Klimakrise in den nächsten Jahren nur eine begrenzte Rolle spielen können.“ Der Trick laut Greenpeace: Sie sprechen viel von Markt und internationalen Lösungen, um konkrete Gesetze in Deutschland zu verhindern.

Klimawandel-Leugner und „Braunkohle-Fürsten”

Weniger subtil agiert der Umweltorganisation zufolge die vierte Kategorie: die „klimaskeptischen Querschießer:innen". Darunter Arnold Vaatz (CDU; „Der provozierende Querdenker"), der als Mitglied der Fraktionsspitze qua Amt zu den Wortführern der Union gehört. Sylvia Pantel (CDU), Dietlind Tiemann (CDU) und Veronika Bellmann, sind alle Teil des Berliner Kreis der Union, dessen klimapolitisches Positionspapier eine „solitäre Rolle des Treibhauseffekts“ bestreitet und in der Klimaforschung eine „moralische Erpressung“ sieht.

In der fünften Kategorie sind sogenannte „Braunkohle-Fürsten" zusammengefasst, die sich vor allem dafür politisch einsetzen, die Rolle der Kohle im Energiemix zu verteidigen und sich dem Strukturwandel entgegenzustellen. Namentlich nennt Greenpeace unter anderen Klaus-Peter Schulze (CDU; „der Lausitzer Braunkohle-Freund"), Ulrich Freese (SPD; „Der Cottbuser Gewerkschaftsfunktionär") und Andreas Lämmel (CDU). Die Fridays-for-Future-Bewegung diffamierte Lämmel als „Klimahysteriewelle aus New York.“ Die Braunkohle sieht Lämmel einer „Hexenjagd“ ausgesetzt.

Greenpeace sieht SPD auf neuem Kurs

Die SPD schneidet in der Bewertung von Greenpeace insgesamt deutlich besser ab als die Union. Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) habe sich bemüht, ihre Kolleg:innen am Kabinettstisch zu mehr Klimaschutz zu treiben. Von den SPD-geführten Nordländern Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Hamburg und Niedersachsen kommen immer wieder bundespolitische Impulse für den Ausbau der Windkraft. „Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die SPD den Kohleausstieg hinausgezögert hat. Das späte Ausstiegsdatum 2038 trägt auch eine sozialdemokratische Handschrift." Dennoch habe der nun beschlossene Kohleausstieg die Sozialdemokraten sichtlich „befreit“. Das Bundestagswahlprogramm lese sich klimapolitisch „erstaunlich fortschrittlich“, so die Greenpeace-Bewertung.

Allerdings: Der neue ökologische Weg der Sozialdemokratie stehe noch längst nicht fest. Wie bereit die SPD sei, werde sich wohl im Verkehrssektor entscheiden. Schließlich gehe „um nicht weniger als die Neuerfindung der Autoindustrie mit hunderttausenden Arbeitsplätzen und einem hohem gewerkschaftlichen Organisationsgrad. Hier liege Potenzial „für eine neuerlich irrlichternde SPD”.

Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt die Wahlprogramm-Analyse des WWF: „Die Sozialdemokraten haben ihr klimapolitisches Profil an wichtigen Punkten geschärft”, heißt es dort. Das zeige der starke Fokus auf den schnellen Ausbau von Sonne, Wind und Geothermie als nachhaltige erneuerbare Energien und der dazugehörigen Infrastrukturen, ebenso wie die Beteiligung der Bürger:innen an der Energiewende vor Ort samt Zukunftspakt für verbindliche Ausbauziele. In anderen Bereichen sei das Programm allerdings zu wenig konkret: Trotz Bekenntnis zur Zukunft des elektrischen Antriebs fehlen etwa klare Aussagen zum notwendigen Auslaufen des Verbrenners, so der WWF. Vor allem aber verpasse die SPD das Potenzial des European Green Deal als europäische Nachhaltigkeitsstrategie in ihrem Programm für die erfolgreiche sozialökologische Transformation Deutschlands und der europäischen Partner gewinnbringend zu nutzen.

Wissenschaftler:innen des Reiner-Lemoine-Instituts, einer gemeinnützigen Forschungseinrichtung, die sich mit der Transformation des Energiesystems beschäftigt, würdigen das SPD-Programm als in Hinblick auf Klimaschutz und Energiepolitik als „durchaus ambitioniert und anspruchsvoll”. Allerdings fehle es oft an konkreten Maßnahmen oder präzisen Vorschlägen, wie die Ziele erreicht werden sollen. Es werde daher nicht erkennbar, ob die SPD sich bei einer Regierungsbildung „proaktiv für Maßnahmen einsetzen" würde. Gleichwohl ließen die Ziele im Wahlprogramm vermuten, dass die SPD „zumindest anschlussfähig ist und sich progressiveren Forderungen nicht per se entgegenstellen würde”, so das Fazit.

Klimapolitische Neuaufstellung der Union ungewiss

Ob den Unionsparteien ein klimapolitischer Aufbruch unter dem neuen Parteivorsitzenden Armin Laschet gelinge, sei derzeit völlig ungewiss, urteilt Greenpeace. Die Gelegenheit für eine Neuaufstellung sei zwar gerade günstig wie nie. Die als wesentliche Bremser identifizierten Abgeordneten Georg Nüßlein (CSU), Joachim Pfeiffer (CDU), und Axel Fischer (CDU) würden dem neuen Bundestag nicht mehr angehören. Sie stolperten über Korruptionsskandale angefangen von Maskengeschäften über auffällige Nebentätigkeiten und Gefälligkeiten für den Ölstaat Aserbaidschan.

Von einem Neustart ist bislang bei der Union wenig zu spüren. In dem von den Unionsparteien vorgestellten Wahlprogramm bekräftigen diese zwar ihre Unterstützung ehrgeiziger Klimaziele. Doch selbst Heinrich Strößenreuther, Gründer der Klimaunion, die sich innerhalb der CDU für mehr Klimaschutz einsetzt, sagt zum Wahlprogramm: „In Summe hätten wir uns sicherlich mehr gewünscht.” Weniger diplomatisch formuliert schreibt Greenpeace, das Wahlprogramm der Unionsparteien habe klimapolitisch „selbst niedrige Erwartungen enttäuscht”. Es beschränke sich weitgehend auf ferne Zielsetzungen und die vage Hoffnungen auf marktwirtschaftliche Instrumente. Der WWF urteilt: Trotz des Bekenntnisses zu den Pariser Klimazielen fehle dem Wahlprogramm der Union eine klare Strategie für den klimafreundlichen Umbau der Wirtschaft und Gesellschaft.

Selbst die Flutkatastrophe im Ahrtal scheint bei der CDU/CSU kein kollektives Umdenken auszulösen. Der Einlassung des Bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU), der Ausstieg aus der Kohle müsse zügiger vonstatten gehen, widersprach Sachsens Regierungschef Michael Kretschmer (CDU) – im Greenpeace-Report der „Rückwärtsgewandte aus Sachsen" – genannt, umgehend.

Armin Laschet sagte dazu im ZDF-Sommerinterview, dass er zwar glaube, dass der Ausstieg aufgrund des CO2-Preises schneller gehen werde. Gleichzeitig beharrte Laschet darauf, dass die Politik bei der Entscheidung bleiben sollte, einen Ausstieg bis spätestens 2038 festzulegen: „Politik müsse verlässlich sein”. Autorin Anja Mayer schreibt in einer Analyse für die Zeit: „Klar wird an diesem Abend im ZDF: Armin Laschet kommuniziert noch immer keine klare klimapolitische Position.”

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