„Alle Zutaten für einen Paris-Moment liegen auf dem Tisch“

Der Weltnaturgipfel ist beendet. Bringt er die Wende in der globalen Öko-Krise? Wir haben Unterhändler, Politiker und Wissenschaftler befragt

vom Recherche-Kollektiv Countdown Natur:
9 Minuten
Blick in den riesigen Konferenzsaal und die Leinwand, auf der die Videobotschaft von UNDP-Chef Achim Steiner zu sehen ist.

Kopenhagen und Paris – In der Klimapolitik stehen diese beiden Städtenamen stellvertretend für Hochs und Tiefs der jahrzehntelangen internationalen Verhandlungen im Kampf gegen die Erderwärmung. Bei der Weltklimakonferenz in Kopenhagen scheiterte die Staatengemeinschaft 2009 bei dem Versuch, weltweit verbindliche Regeln und Ziele zur Begrenzung des Temperaturanstiegs zu beschließen. Erst sechs Jahre später sollte dies in der französischen Hauptstadt mit der Verabschiedung des Pariser Abkommens gelingen.

In der Zwillingskrise, dem Verlust der globalen biologischen Vielfalt steht der „Paris“-Moment noch bevor. Die Verhandlungen über ein neues globales Rahmenabkommen zum Schutz und zur nachhaltigen und gerechten Nutzung der Natur sind festgefahren. Wenige Monate vor der geplanten Verabschiedung beim zweiten Teil der Weltnaturkonferenz im April sollte der einwöchige Eröffnungsgipfel im chinesischen Kunming eine neue Dynamik entfachen und den weiteren Verhandlungen Rückenwind geben. Ist dies gelungen?

Begibt sich die Weltgemeinschaft beim Versuch, das biologische Netz des Lebens – Arten, Lebensräume und ganze Ökosysteme – zu retten, in den kommenden Monaten auf eine Reise nach Paris oder ist sie auf dem Weg nach Kopenhagen?

Diese Fragen haben wir nach Abschluss des ersten Teils des Weltbiodiversitätsgipfels an wichtige Akteure der Verhandlungen, an Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Wissenschaft und Umweltbewegung gestellt. Hier sind ihre Antworten.

Basile van Havre, Francis Ogwal und Elizabeth Maruma Mrema auf einem Podium
Basile van Havre muss nun gemeinsam mit Francis Ogwal (vorn im Bild) die Ergebnisse des ersten Teils des Gipfels in einen neuen Entwurf für einen globalen Naturschutzvertrag gießen.

Nicht besonders sexy, aber wirkungsvoll: Der Kunming-Moment

Basile van Havre, Ko-Vorsitzender der OEWG-Arbeitsgruppe, die den Text für das neue Rahmenabkommen erarbeitet

Das ist schwer zu sagen: Alle Elemente für einen Paris-Moment liegen auf dem Tisch: ein realistischer, aber ehrgeiziger Zielvorschlag, Finanzierungsverpflichtungen, die Einbeziehung des Privatsektors und mehr. Viele Parteien drängen auf hohe Ziele. Der entscheidende Punkt wird sein, wie wir den Erfolg definieren werden: Reicht es aus, sich mit Landnutzungsänderungen zu befassen, oder sollte das Rahmenabkommen alle Ursachen für den Verlust der biologischen Vielfalt angehen? Werden wir unrealistische Ziele anstreben oder uns mit einem praktikablen Plan begnügen, der auch umgesetzt werden kann? Ich bin zuversichtlich, dass alle Beteiligten die Fakten – wissenschaftliche Erkenntnisse, ökonomische Aspekte, die soziale Realität und mehr – sorgfältig prüfen werden, und wir einen Plan vorlegen können, der vielleicht nicht besonders sexy aussieht, aber zu echten Ergebnissen führt. Das wäre dann der „Kunming"-Moment. (Das ganze Interview in Kürze bei RiffReporter).

Steiner auf einem Podium der Vereinten Nationen
Achim Steiner, Chef des UN-Entwicklungsprogramms UNDP, sieht Die Welt eher auf dem Weg nach Paris als nach Kopenhagen.

Bewusstsein über Wert der Natur hat extrem zugenommen

Achim Steiner: Chef des UN-Entwicklungsprogramms UNDP

Wir sind auf dem Weg nach Paris, nicht nach Kopenhagen. In den vergangenen zwei oder drei Jahren hat die Erkenntnis zugenommen, dass die Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen auch für die zukünftige wirtschaftliche Entwicklung absolut zentral ist. Das gilt für eine breite Öffentlichkeit bei uns, aber ganz deutlich auch für die Entwicklungsländer. Diese Erkenntnis hat extrem an Fahrt gewonnen. Auch die Kunming-Erklärung von mehr als 100 Staaten ist ebenso ein positives Signal wie die Ankündigung von Präsident Xi Jinping für das Gastgeberland China, sich auch finanziell mit einem neuen Fonds einzubringen oder das starke Auftreten der High Ambition Coalition, unter deren Schirm sich mittlerweile rund 70 Länder zu ehrgeizigen Zielen bekannt haben. Das sind Fortschritte, die aus der Sicht eines Naturschützers natürlich zu wenige und zu kleine Schritte sind. Aber es sind weitaus größere Schritte als sie in den Jahren zuvor gegangen wurden. Wir gehen also deutlich stärker in Richtung Paris als Kopenhagen. Aber wir müssen sehen, was am Ende verabschiedet wird. (Das ganze Interview in Kürze bei RiffReporter).

Schulze mit einer Papp-Biene in der Hand
„Noch viel Arbeit zu tun“: Bundesumweltministerin Svenja Schulze sieht in Kunming einen guten Anfang gemacht.

Biodiversitätsschutz ist auf der Polit-Agenda angekommen

Svenja Schulze, SPD, Bundesumweltministerin

Die Konferenz in Kunming war ein guter Auftakt für die Verhandlungen, die vor uns liegen. Die Richtung stimmt, aber die nächsten Schritte müssen konkreter werden. Ziel ist, dass die Weltgemeinschaft im Mai eine konkrete und anspruchsvolle globale Vereinbarung für die Natur und ihre Vielfalt beschließt. Nach Jahrzehnten der Naturzerstörung müssen wir global ein Jahrzehnt der Wiederherstellung der Natur einläuten. Immer mehr Staaten stimmen darin überein, dass es nicht ausreicht, schöne Ziele zu setzen – wir brauchen auch eine wirksame Erfolgskontrolle. Dafür werben besonders Deutschland und die EU. Sehr viele Ministerinnen und Minister und auch Staats- und Regierungschefs haben am Konferenz-Auftakt teilgenommen. Das zeigt: Auch die Schwester der Weltklimakonferenz, die Weltnaturkonferenz, ist oben angekommen auf der internationalen politischen Agenda.

Weit entfernt von ambitionierten Abkommen

Steffi Lemke Bundestagsabgeordnete Bündnis90/Die Grünen, Parlamentarische Geschäftsführerin und Sprecherin für Naturschutzpolitik

Es war wichtig, dass diese erste virtuelle Konferenz nun stattgefunden hat. Von einem dringend benötigten und ambitionierten Abschluss der Verhandlungen sind wir aber noch weit entfernt. Es braucht weiterhin mehr Verbindlichkeit und eine stärkere internationale Finanzierung. Für ein wegweisendes Abkommen wird die neue Bundesregierung hier noch einen gewichtigen Beitrag leisten müssen.

Porträtfoto
Sieht Kunming als guten Auftakt: Katrin-Böhning-Gaese

Katrin Böhning-Gaese, Direktorin Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum (SBiK-F) und Trägerin des Deutschen Umweltpreises 2021:

Die Kunming-Erklärung war ein guter Auftakt der Verhandlungen. Die Erklärung gibt ein sehr hohes Ambitionsniveau vor, die Bewertung der dramatischen Situation der Biodiversität und die übergeordneten Ziele stimmen. Jetzt wird es darauf ankommen, bis April oder Mai nächsten Jahres konkrete Ziele zu erarbeiten, die ambitioniert, meßbar und nachprüfbar sind. Besonders wichtig ist, die Förderung der Biodiversität über alle Ressorts hinweg zu einer Gemeinschaftsaufgabe zu erklären und auch die Wirtschaft und Finanzwelt in die Verantwortung zu nehmen.

In Kunming wurden nur Peanuts auf den Tisch gelegt

Georg Schwede, Europa-Repräsentant der Campaign for Nature

Ob die COP15 zu einem Kopenhagen-Moment für die Biodiversität wird, hängt jetzt von zwei Schlüsselfaktoren ab. Zum einen muss es in weniger als sechs Monaten gelingen die vielen schönen Worte von Kunming in belastbare Vereinbarungen mit konkreten Zahlen zu übersetzen, wie der Verpflichtung mindestens 30 Prozent der Land- und Meeresflächen bis 2030 unter Schutz zu stellen. Zum anderen wird es, ähnlich wie beim Pariser Klimaschutzabkommen, von entscheidender Bedeutung sein, dass die entwickelten Länder ihrer moralischen und historischen Verantwortung gerecht werden und mindestens 80 Milliarden an zusätzlichen finanziellen Mittel für den internationalen Biodiversitätsschutz mobilisieren. Schauen wir uns die „Peanuts“ an, die jetzt in Kunming auf den Tisch gelegt wurden, zeigt der Weg zur Zeit deutlich mehr nach Kopenhagen als nach Paris.

Untauglicher Versuch gegen den ökologischen Kollaps

Nicola Uhde, BUND-Expertin für globale Biodiversitätspolitik

Die Weltgemeinschaft ist derzeit leider sehr weit entfernt von einem ambitionierten Biodiversitätsabkommen. Der jetzige Entwurf taugt nicht dazu, den ökologischen Kollaps abzuwenden, vor dem der Weltbiodiversitätsrat eindringlich warnt. Die neuen Ziele und Maßnahmen dürfen auf keinen Fall schwächer ausfallen als die Ziele, die 2010 in Japan verabschiedet wurden. Leider beobachten wir hier in wesentlichen Punkten eher das Gegenteil, zum Beispiel beim Stopp der umweltschädlichen Subventionen. Diese spielen jedoch eine entscheidende Rolle bei der Zerstörung von Lebensräumen und beim Artensterben.

Für einen Paris-Moment muss noch deutlich nachgelegt werden

Magdalene Trapp, NABU-Referentin für Biodiversitätspolitik

Ein Aufbruch vergleichbar mit Paris ist das zu diesem Zeitpunkt noch nicht, aber die Hoffnung wurde geweckt, dass es das noch werden könnte. Dafür müssten sich die Ambitionen, die in den Statements der Regierungsvertreter*innen in den letzten Tagen zu hören waren, in den weiteren Verhandlungen widerspiegeln und vor allem in konkreten politischen Entscheidungen und Handlungen münden. Der erste Entwurf greift weiterhin zu kurz um das Artensterben zu stoppen und die Biodiversität auf einen Pfad der Erholung zu bringen. Für einen „Paris-Moment“ muss in den kommenden Verhandlungen noch deutlich nachgelegt werden: Es braucht messbare Ziele, gute Indikatoren für die Erfolgskontrolle und verbindliche Maßnahmen zur Umsetzung.

Biologische Vielfalt braucht politische Priorität

Florian Titze, Experte für Biodiversität und internationale Politik beim WWF Deutschland

Die Konferenz hat Aufmerksamkeit erzeugt und wichtige Signale gesetzt. Biologische Vielfalt braucht mehr politische Priorität. Doch noch sind das bloß große Worte. Erst der zweite Teil der COP15 im April wird zeigen, ob sich die Staaten auch konkret auf die nötigen Maßnahmen einigen können, die wir für den Erhalt der biologischen Vielfalt brauchen. Von einem Aufbruch-Moment à la Paris sind wir noch weit entfernt. Für ein erfolgreiches Abkommen brauchen wir eine noch mutigere Politik, mehr Verständnis über die Dringlichkeit und das Ausmaß der nötigen Maßnahmen sowie mehr finanzielle Ressourcen. Für die neue Bundesregierung wird das gleich zu Beginn eine der wichtigsten Aufgaben werden.

Staaten noch nicht bereit, zum Kern des Problems vorzudringen

Raphael Weyland, Büroleiter NABU in Brüssel

Die CBD-Vertragsstaaten sind jenseits der Beschwörung, wie wichtig ein ambitioniertes Abkommen insgesamt ist, offenbar (noch) nicht bereit, zu dem Kern des Problems vorzustoßen: Jeder völkerrechtliche Text – egal ob man ihn Vereinbarung, Vertrag oder Framework nennt – ist nur so gut wie der Ansatz, der ihm zugrunde liegt. Bisher scheinen die Vertragsstaaten noch nicht bereit, die „essentialia negotii“, den Mindestinhalt, niederzuschreiben, und sich damit konkret zu verpflichten, zur Adressierung der Biodiversitätskrise selbst konkrete und nach einheitlichem Schema gemessene “Action Targets" zu erfüllen und hierüber regelmäßig zu berichten und bei Verfehlung der Ziele individuell nachzusteuern, und auch gemeinsam für ein Ambitionsanheben einzutreten. wenn das Gesamtziel verfehlt wird.

„Nur mit öffentlichem Druck kommen wir zu einem Paris-Moment“

Ariel Brunner, Senior Head of Policy, BirdLife Europa und Zentralasien

Diese erste Verhandlungsrunde ist per se positiv, da sie dazu beiträgt, den Schwung aufrechtzuerhalten. Es zeichnet sich ein Konsens über wichtige Ziele ab, wie eine „Umkehrung des Rückgangs“ statt nur eines „Aufhaltens" des Artensterbens, das Thema 30 Prozent der Erde als Schutzgebiete auszuweisen und die erneute Verpflichtung zur Abschaffung perverser Subventionen. Aber alles ist noch offen. Es ist enttäuschend, dass einige der strittigsten Fragen bisher umgangen wurden: Wie sieht der Umsetzungsrahmen aus? Wird er rechtsverbindlich oder nicht? Wie werden die nötigen Mittel und die Unterstützung für die am stärksten gefährdeten Länder mobilisiert? Wir brauchen in den kommenden Monaten einen großen Druck der öffentlichen Meinung, wenn wir zu einem „Abkommen nach Art von Paris“ kommen wollen. Entscheidend ist, dass wir zu einem rechtsverbindlichen und wirksam durchsetzbaren Abkommen kommen. Die Texte, die derzeit auf dem Tisch liegen, lassen immer noch einen schwachen „Rahmen“ vermuten, dem es an Biss fehlen würde und den die Regierungen ungestraft ignorieren könnten.

Im Projekt „Countdown Natur“ berichten wir mit Blick auf den UN-Naturschutzgipfel über die Gefahren für die biologische Vielfalt und Lösungen zu ihrem Schutz. Die Recherchen zu diesem Beitrag wurden von der Hering Stiftung Natur und Mensch gefördert. Sie können weitere Recherchen mit einem Abonnement unterstützen.

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