Mehr als 100 Regierungen sagen Unterstützung für Weltnaturschutzabkommen zu

Die Verabschiedung der „Kunming-Erklärung“ soll den stockenden Verhandlungen neues Leben einhauchen

vom Recherche-Kollektiv Countdown Natur:
7 Minuten
Blick in den Konferenzsaal in Kunming

Mehr als 100 Staaten haben sich in einer gemeinsamen Erklärung auf das Ziel verständigt, den Schutz der biologischen Vielfalt in das Zentrum ihrer Politik zu stellen und innerhalb der nächsten zehn Jahre das Artensterben auf dem Planeten zu stoppen.

Die beim Weltnaturgipfel im chinesischen Kunming verabschiedete Erklärung soll den stockenden Verhandlungen über ein weltweit gültiges Rahmenabkommen zum Schutz und der nachhaltigen Nutzung der Natur Rückenwind geben, die bis zum Frühjahr abgeschlossen werden sollen. Anders als in einem ersten Entwurf für das Abkommen werden in der Kunming-Erklärung aber keine konkreten Ziele festgelegt. Umweltverbände und Unterhändler des Vertrags bewerteten die Erklärung dennoch positiv.

Staaten verpflichten sich auf eine „ökologische Zivilisation“

Unter dem Titel "Ökologische Zivilisation: Aufbau einer gemeinsamen Zukunft für alles Leben auf der Erde“ bekennen sich Minister und Delegationsleiter der über 100 in Kunming vertretenen Regierungen dazu, „die Entwicklung, Verabschiedung und Umsetzung eines wirksamen globalen Rahmens für die biologische Vielfalt für die Zeit nach 2020 sicherzustellen“.

Die Erklärung führt Schlüsselelemente für ein erfolgreiches Abkommen auf, über deren konkrete Ausgestaltung in den Verhandlungen noch heftig gerungen wird. So verpflichten sich die Staaten darauf, die Interessen der Bewahrung der biologischen Vielfalt über die einzelnen Ressortgrenzen hinaus in alle Entscheidungsprozesse ihrer Regierungen zu berücksichtigen, umweltschädliche Subventionen in der Landwirtschaft abzuschaffen oder naturverträglich neu auszurichten und das internationale Umweltrecht zu stärken.

Den Unterhändlern des Abkommens werden in der Erklärung einige – allerdings vage formulierten – Leitlinien vorgegeben. So müsse in dem Abkommen „geeignete Mechanismen für die Überwachung, Berichterstattung und Überprüfung“ enthalten sein, damit der derzeitige Verlust der biologischen Vielfalt bis 2030 gestoppt und auf einen Pfad der Erholung gebracht werden könne.

„Kunming-Erklärung“ soll Verhandlungen neuen Schwung geben

Über den Text für das Rahmenabkommen wird seit fast drei Jahren gerungen. Es hat angesichts der größten menschengemachten Aussterbewelle in der Erdgeschichte im Kampf gegen das Artensterben und den Verlust von Lebensräumen eine ähnliche Bedeutung wie das Pariser Klimaabkommen für den Kampf gegen die Erderhitzung. Einer Analyse des Weltbiodiversitätsrates IPBES zufolge könnte in den nächsten Jahrzehnten jede achte Tier- oder Pflanzenart auf der Erde menschlichem Tun zum Opfer fallen.


Die Verabschiedung der Kunming-Erklärung ist der wichtigste Punkt des noch bis Freitag laufenden ersten Teils der Vertragsstaatenkonferenz der Konvention über biologische Vielfalt (CBD-COP15). Von ihr erhoffen sich die Staaten, die ein möglichst ambitioniertes Schutzniveau durchsetzen wollen, eine neue Dynamik in den festgefahrenen Verhandlungen.

„Zehn Schritte nach vorn“

CBD-Generalsekretärin Elizabeth Maruma Mrema zeigte sich zufrieden mit dem Wortlaut der Erklärung. Er sei ein deutlicher Hinweis auf die weltweite Unterstützung für ehrgeizige Ziele. „Wenn sich dieser auch im verabschiedeten Rahmenabkommen spiegelt, sind wir zehn Schritte nach vorn gegangen“, sagte sie vor Journalisten in Kunming. Allerdings wird in der Erklärung, über deren Wortlaut Regierungen hinter den Kulissen seit August gerungen haben, die von einigen Ländern vorgeschlagene Formulierung „ehrgeiziger Ziele“ nicht verwendet.

Stattdessen ist von einem „wirksamen“ Abkommen die Rede. Auch bei einem der wichtigsten Streitpunkte vermeiden die Staaten eine Festlegung – der Forderung nach Unterschutzstellung von 30 Prozent der Land- und Meeresflächen der Erde. Während der erste Entwurf für das Abkommen diese Selbstverpflichtung enthält, nehmen die Unterzeichner der „Kunming-Erklärung“ das Eintreten der Vereinten Nationen und zahlreicher Länder für dieses Schutzziel lediglich „zur Kenntnis“.

Auf der Haben-Seite verbuchen die Befürworter eines ambitionierten Naturschutzes dagegen, dass in der Erklärung die Notwendigkeit wirksamer Überwachungs- und Umsetzungsmechanismen erwähnt wird. „Wir haben aus den Fehlern des letzten Strategischen Plans gelernt“, zeigte sich Mrema überzeugt. Die 2010 im Vorgängerabkommen angepeilten Ziele für die Bewahrung der Natur hatte die Weltgemeinschaft sämtlich verfehlt. Maßgeblich wird dafür ein zu schwaches System von Kontrolle bei der Umsetzung verantwortlich gemacht.

Eine künstlerische seed wall in Kunming
Kunst am Rande der Vertragsstaatenkonferenz soll daran erinnern, worum es geht: den Schutz der Natur

Umweltverbände sehen einen Schritt in die richtige Richtung

Auch Bundesumweltministerin Svenja Schulze hatte in ihrem Beitrag beim Gipfel die Bedeutung nicht allein von Zielen, sondern einer wirksamen Überprüfung ihrer Umsetzung betont. „Das neue Rahmenabkommen zur Artenvielfalt muss wirksamere und entschiedenere Mechanismen zur Umsetzung auf allen Ebenen beinhalten“, sagte sie. Es müsse sichergestellt werden, dass keines der Ziele ein leeres Versprechen bleibe. EU-Umweltkommissar Virginijus Sinkevičius nannte die Erklärung einen „guten Startpunkt für weitere Diskussionen auf dem Weg zu einem starken Abkommen“.

Umweltverbände bewerteten die Erklärung positiv. „Die Deklaration schlägt den richtigen Ton für die nächsten Verhandlungsrunden an und setzt ein gutes, allerdings vages Ambitionsniveau“, sagt etwa Florian Titze, der beim WWF Deutschland für Biodiversität und internationale Politik zuständig ist. Wichtig sei das Anerkenntnis, dass eine breite Palette von Maßnahmen nötig sei, um den Verlust der biologischen Vielfalt zu stoppen. „Es braucht nicht nur mehr Schutzgebiete und großflächige Renaturierung, sondern auch die Transformation unserer Wirtschafts- und Finanzsysteme, die weltweit stark zur Zerstörung der Natur beitragen.“

Leichte Fortschritte in der Finanzierungsfrage


Bei dem virtuellen Treffen von Staats- und Regierungschefs sowie Ministern und Vertretern internationaler Organisationen auf dem Gipfel wurden auch über die Verabschiedung der Erklärung hinaus Fortschritte auf dem Weg zu einem Abkommen erzielt. Vor allem im am stärksten umstrittenen Thema der Finanzierung des künftigen Naturschutzes gab es neue Initiativen. Chinas Präsident Xi Jinping kündigte die Einrichtung eines Kunming-Biodiversitätsfonds an, mit dem der Naturschutz in Entwicklungsländern gefördert werden soll. Auch die japanische Regierung stockte ihren Japanischen Biodiversitätsfonds um rund 15 Millionen Euro auf.

Während des Treffens kündigte die Globale Umweltfazilität in Zusammenarbeit mit den Entwicklungs- und Umweltprogrammen der Vereinten Nationen an, den Regierungen der Entwicklungsländer finanzielle Unterstützung zu gewähren, um unmittelbar nach der Verabschiedung des Rahmenabkommens mit seiner Umsetzung beginnen zu können.

Die Europäische Union bekräftigte ihre Ankündigung, ihre Finanzierung für Naturschutz in den Entwicklungsländern auf etwa sechs Milliarden Euro zu verdoppeln. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sagte zu, dass 30 Prozent der Klimamittel für die biologische Vielfalt verwendet werden sollen. Die britische Regierung bekräftigte ähnliche Pläne.

Umweltverbände fordern von neuer Bundesregierung Milliarden für Naturschutz

Auch auf Seiten privater Finanzinstitutionen gab es Zusagen. Eine Koalition von Finanzinstituten mit einem Vermögen von 12 Billionen Euro verpflichtete sich, die biologische Vielfalt durch ihre Aktivitäten und Investitionen zu schützen und Weltbank-Präsident David Malpass kündigte an, die Mittel für sogenannte naturbasierte Methoden (NBS) aufzustocken. NBS bezeichnet den Ansatz, über den Schutz besonders kohlenstoffhaltiger Lebensräume wie Wäldern und Mooren gleichzeitig die Artenvielfalt zu bewahren und den Ausstoß von Treibhausgasen zu verhindern. Malpass versicherte, die Weltbank-Gruppe habe ihre Finanzierungsrichtlinien und die Investmentpolitik inzwischen so angepasst, dass sie den Zielen des Biodiversitätsschutzes und des naturbasierten Klimaschutzes gerecht würden.

In Deutschland fordert ein Bündnis von Umweltverbänden von der Bundesregierung die Aufstockung der Finanzhilfen für die internationale Biodiversitätsförderung auf zwei Milliarden Euro pro Jahr.. Die Naturschutzinitiative Campaign for Nature hält sogar mindestens sechs Milliarden Euro jährlich für angemessen – das wäre eine Verzwölffachung der bisherigen Zusagen von 500 Millionen Euro pro Jahr.

Die klaffende Finanzlücke bleibt aber immens. Nach Schätzungen liegt der jährliche Finanzbedarf bei 700 Milliarden Euro. Im ersten Entwurf für das neue Abkommen sind jährliche Zahlungen aller Industriestaaten an die Entwicklungsländer für den Erhalt der Natur von 200 Milliarden Dollar vorgesehen.

Im Projekt „Countdown Natur“ berichten wir mit Blick auf den UN-Naturschutzgipfel über die Gefahren für die biologische Vielfalt und Lösungen zu ihrem Schutz. Die Recherchen zu diesem Beitrag wurden von der Hering Stiftung Natur und Mensch gefördert. Sie können weitere Recherchen mit einem Abonnement unterstützen.

VGWort Pixel