Kolumbiens Indigene setzen auf Honig statt Goldfieber am Amazonas
Indigene im kolumbianischen Amazonasbecken suchen Auswege aus dem zerstörerischen Goldfieber. Tourismus und einheimische Bienen schützen die Natur und den Seelenfrieden. So könnte eine neue Bioökonomie aussehen.
Ungeschützt steht Fabio Pérez inmitten eines Bienenschwarms. Seelenruhig hebt der Amazonasimker den Deckel von einem der vielen Bienenkörbe, die unter Urwaldriesen stehen. Es ist noch früh an einem feuchten Morgen in der kolumbianischen Amazonasprovinz Guainía. Der Boden gibt bei jedem Schritt unter den Gummistiefeln nach und versprüht einen erdigen, würzigen Geruch. Nebelschwaden wabern. Es ist Regenzeit.
Fahrt durch legendäre Wasser
Eine Stunde dauert die Bootsfahrt von der einzigen Stadt der Provinz, Inírida, hierher in das Dorf Morocco der Koripako.
Es ist Regenzeit, und die Flüsse sind um zehn, 15 Meter angeschwollen. Die letzte halbe Stunde navigiert der Bootsmann deshalb durch ein Labyrinth aus Baumwipfeln. In der Trockenzeit kann man von Inírida nach Morocco laufen oder das Motorrad nehmen. In der Regenzeit sind 85 Prozent der Provinz überflutet. „Land der vielen Wasser“ heißt Guainía übersetzt.
Bis heute kommt man nur per Flugzeug oder Boot nach Inírida. Rundherum, im Grenzgebiet zwischen Kolumbien und Venezuela, das schon Alexander von Humboldt einst bereiste, liegen einige der beeindruckendsten Flüsse Südamerikas: Guaviare, Atabapo, Rio Negro, Meta und Orinoco.
Die stachellosen Wildbienen sind kaum erforscht
Die Bienen sind schon unterwegs. Sie müssen die Zeit zwischen den Regenschauern nutzen und Nektar sammeln. Denn jetzt, zu Beginn der Regenzeit, blühen besonders viele Pflanzen und sprenkeln die vielen Grünschattierungen des Regenwalds mit weißen, rosafarbenen und gelben Tupfern.
In jedem Bienenstock leben 2500 Bienen. Doch ihre Stöcke sind winzig wie Puppenhäuschen, und ihr Surren ist viel leiser als das unserer Honigbienen. Die Melipona, die stachellose Wildbiene, ist nicht einmal halb so groß wie ihre europäische Schwester Apis Mellifera.
Es gibt rund 120 verschiedene Melipona-Arten, vier davon hält Pérez. Die Wissenschaft weiß noch recht wenig über sie – wie generell über die Fauna und Flora am Amazonas.
Helikopter in den Haaren
Die Melipona-Bienen sind nicht aggressiv, aber neugierig – und plötzlich wird klar, warum der Imker so kurze Haare trägt. Die kleinen Helikopter – wohl angezogen von Duftresten des Haarshampoos – verfangen sich in den Haaren der Touristïnnen, die Pérez an diesem Morgen besuchen: ein junges Ehepaar aus Medellín, zwei ehemalige Lehrerinnen aus Pereira, eine Beamtin, eine junge Entwicklungshelferin aus der Hauptstadt Bogotá.
Pérez lacht. „Nicht in Panik verfallen“, rät er. Man könne die Bienen sanft mit zwei Fingern aus den Haaren ziehen. Das ist erst einmal etwas ungewohnt, denn welcher Stadtmensch fasst schon freiwillig mit der bloßen Hand Bienen an. Aber es funktioniert.
Wie man Wildbienen zähmt
In dem Bienenkorb sind kleine, ockerfarbene Kraterlandschaften und wächserne Amphoren zu sehen. Sie sind gefüllt mit einer hellgeben, wässrigen Flüssigkeit, auf einigen haben sich Bläschen gebildet. Der Honig der Wildbienen ist flüssiger, hat einen niedrigeren pH-Wert und fermentiert. Je nach Bienenart und Jahreszeit schmeckt er einmal blumiger, einmal würziger, einmal süßer.
„Wir haben schon früher wilden Honig aus Bäumen gesammelt, aber dabei haben wir oft aus Unwissen die Kolonien zerstört“, erzählt Pérez. Das würde ihm jetzt nicht mehr passieren, seit er im Kurs für Bienenhaltung gelernt hat, wie man die Wildbienen sachgerecht umsiedelt.
Ehrfürchtig lauscht die Reisegruppe den Erklärungen des 39-Jährigen von der Ethnie Koripako. Die Bienen, ergänzt er, seien für ihn eine Erleuchtung gewesen. Früher habe er es gemacht wie alle anderen in seinem Dorf. Er habe sich Geld verdient, indem er für die Weißen das besorgt habe, was sie wollten – Kautschuk, Felle, Zierfische und in den letzten Jahren hauptsächlich Gold.
Tauchen nach Gold zwischen Kaimanen
Pérez arbeitete auf einer Balsa, einem der Goldgräberschiffe, die den Flussgrund aufwühlen und in dem Schlamm nach Gold suchen. Er tauchte ab in die unsichtbaren Tiefen des Flusses, mit einer Schnorchelmaske und einem Gartenschlauch, in den ein Kompagnon oben auf dem Schiff Sauerstoff einfüllte. Es ist ein gefährlicher Job. Im dunklen Flusswasser voller Kaimane verliert man leicht die Orientierung. „Nein, da runter will ich nicht mehr“, sagt er. „Jetzt habe ich die Bienen, und das ist viel besser, denn ich schütze die Biodiversität und zerstöre nicht unsere Lebensgrundlage.“
Zähe Überzeugungsarbeit im Regenwald
Die Bienen sind Teil eines Projekts der Umweltschutzorganisation Aroma Verde, geleitet von zwei Biologïnnen, Fernando Carrillo und Ligia Ospina. Sie kamen vor elf Jahren für einen Forschungsaufenthalt aus Bogotá nach Inírida und sind bis heute geblieben.
Auf der Suche nach nachhaltigen wirtschaftlichen Alternativen für die hauptsächlich indigene Bevölkerung der Region studierten sie die Bienen, und 2015 unterstützte die Schweizer Ricola-Foundation die Idee. Für den Pilotversuch ausgewählt wurde die Gemeinde La Ceiba, aus der Fabio Pérez kommt.
Doch Entwicklungsprozesse im Regenwald sind zähe Überzeugungsarbeit, wie die beiden Wissenschaftlerïnnen erfahren mussten: „Drei Jahre hat es gebraucht, bis die Indigenen von der Idee überzeugt waren und sich die Grundkenntnisse angeeignet hatten“, erzählt Ospina. Wissenschaftlich begleitet wird das Projekt von der Universität von Pamplona, die es zur Erforschung der Melipona-Bienen nutzt.
Tourismus-Boom nach dem Friedensvertrag
Teil des Projekts war von Anfang an der Tourismus. Der begann so richtig nach der Unterzeichnung des Friedensabkommens zwischen Staat und Farc-Guerilla im Jahr 2016 – also fast zeitgleich mit dem Projekt. Mittlerweile buchen rund 1500 Personen pro Jahr eine Tour bei Aroma Verde.
Ein Abstecher zu einem indigenen Imker gehört fest zu den zwischen drei und sechs Tage dauernden Touren. Dort lernen die Besucherïnnen nicht nur die Bienen kennen, sondern auch den Alltag in einem indigenen Dorf, können 130 Milliliter des seltenen Honigs für umgerechnet knapp acht Euro erwerben oder Kunsthandwerk, das die Frauen aus Palmfasern herstellen. Die Bienen sind auch Anreiz zum Umweltschutz: Eine Produktionseinheit Bienen benötigt 1250 Hektar intakten Urwald im Umkreis zur Honigproduktion, sagt Ospina.
Der Imker will sein Wissen teilen
„6, 50 Euro des Reisepakets fließen pro Besucher automatisch ins Bienenprojekt“, erläutert Ospina. Das entspricht dem Gegenwert von 72 Bienen. „2000 Bienen bilden eine Kolonie, 50 davon braucht man, um eine Produktionseinheit in einem Dorf zu finanzieren, von der fünf Familien leben können“ rechnet Ospina vor.
Wenn das Geld für eine solche Einheit zusammenkommt, halbieren die Ursprungsimker in La Ceiba ihre Kolonien und werden dafür entlohnt. Morocco ist der erste Ableger des Projekts. Pérez hofft, dass es noch viele mehr werden. „Ich bin bereit und teile jederzeit gerne mein Wissen mit anderen“, sagt er.
Der Artikel erschien in einer leicht abgeänderten Fassung am 13.7.2023 im Berliner Tagesspiegel