Kolumbiens Indigene setzen auf Honig statt Goldfieber am Amazonas

Indigene im kolumbianischen Amazonasbecken suchen Auswege aus dem zerstörerischen Goldfieber. Tourismus und einheimische Bienen schützen die Natur und den Seelenfrieden. So könnte eine neue Bioökonomie aussehen.

vom Recherche-Kollektiv Südamerika+Reporterinnen:
7 Minuten
Eine indigene Führerin mit dem Rücken zur Kamera und dem Blick auf die Tafelberge. Tief unten der Inirida-Fluss.

Ungeschützt steht Fabio Pérez inmitten eines Bienenschwarms. Seelenruhig hebt der Amazonasimker den Deckel von einem der vielen Bienenkörbe, die unter Urwaldriesen stehen. Es ist noch früh an einem feuchten Morgen in der kolumbianischen Amazonasprovinz Guainía. Der Boden gibt bei jedem Schritt unter den Gummistiefeln nach und versprüht einen erdigen, würzigen Geruch. Nebelschwaden wabern. Es ist Regenzeit.

Bäume und die Überreste einer Ruine spiegeln sich im Flusswasser.
Der Atabapo-Fluss an der Grenze von Kolumbien und Venezuela wirkt wie ein Spiegel

Fahrt durch legendäre Wasser

Eine Stunde dauert die Bootsfahrt von der einzigen Stadt der Provinz, Inírida, hierher in das Dorf Morocco der Koripako.

Es ist Regenzeit, und die Flüsse sind um zehn, 15 Meter angeschwollen. Die letzte halbe Stunde navigiert der Bootsmann deshalb durch ein Labyrinth aus Baumwipfeln. In der Trockenzeit kann man von Inírida nach Morocco laufen oder das Motorrad nehmen. In der Regenzeit sind 85 Prozent der Provinz überflutet. „Land der vielen Wasser“ heißt Guainía übersetzt.

Bis heute kommt man nur per Flugzeug oder Boot nach Inírida. Rundherum, im Grenzgebiet zwischen Kolumbien und Venezuela, das schon Alexander von Humboldt einst bereiste, liegen einige der beeindruckendsten Flüsse Südamerikas: Guaviare, Atabapo, Rio Negro, Meta und Orinoco.

Dunkelrot-orangen-rosafarbene Wolken, die sich im Fluss spiegeln, im Vordergrund ein halb gesunkenes Holzboot.
Sonnenaufgang am Orinoco-Fluss, den einst Humboldt bereiste.
Fabio Pérez im blauen Shirt steht umgeben von Briefkasten-ähnlichen Bienenstöcken im Urwald.
Fabio Pérez bei den Bienenstöcken der Gemeinde Morocco.

Die stachellosen Wildbienen sind kaum erforscht

Die Bienen sind schon unterwegs. Sie müssen die Zeit zwischen den Regenschauern nutzen und Nektar sammeln. Denn jetzt, zu Beginn der Regenzeit, blühen besonders viele Pflanzen und sprenkeln die vielen Grünschattierungen des Regenwalds mit weißen, rosafarbenen und gelben Tupfern.

In jedem Bienenstock leben 2500 Bienen. Doch ihre Stöcke sind winzig wie Puppenhäuschen, und ihr Surren ist viel leiser als das unserer Honigbienen. Die Melipona, die stachellose Wildbiene, ist nicht einmal halb so groß wie ihre europäische Schwester Apis Mellifera.

Es gibt rund 120 verschiedene Melipona-Arten, vier davon hält Pérez. Die Wissenschaft weiß noch recht wenig über sie – wie generell über die Fauna und Flora am Amazonas.

Ein türkis gestrichener Holzkasten mit einem kleinen Einflugsloch, davor krabbelt eine Wildbiene.
Eine stachellose Wildbiene sitzt am Eingang des Bienenstocks.

Helikopter in den Haaren

Die Melipona-Bienen sind nicht aggressiv, aber neugierig – und plötzlich wird klar, warum der Imker so kurze Haare trägt. Die kleinen Helikopter – wohl angezogen von Duftresten des Haarshampoos – verfangen sich in den Haaren der Touristïnnen, die Pérez an diesem Morgen besuchen: ein junges Ehepaar aus Medellín, zwei ehemalige Lehrerinnen aus Pereira, eine Beamtin, eine junge Entwicklungshelferin aus der Hauptstadt Bogotá.

Pérez lacht. „Nicht in Panik verfallen“, rät er. Man könne die Bienen sanft mit zwei Fingern aus den Haaren ziehen. Das ist erst einmal etwas ungewohnt, denn welcher Stadtmensch fasst schon freiwillig mit der bloßen Hand Bienen an. Aber es funktioniert.

Fabio Pérez öffnet einen Bienenstock, zwei Touristïnnen schauen ihm zu.
Fabio Pérez und Besucherïnnen in der indigenen Gemeinde Morocco.

Wie man Wildbienen zähmt

In dem Bienenkorb sind kleine, ockerfarbene Kraterlandschaften und wächserne Amphoren zu sehen. Sie sind gefüllt mit einer hellgeben, wässrigen Flüssigkeit, auf einigen haben sich Bläschen gebildet. Der Honig der Wildbienen ist flüssiger, hat einen niedrigeren pH-Wert und fermentiert. Je nach Bienenart und Jahreszeit schmeckt er einmal blumiger, einmal würziger, einmal süßer.

„Wir haben schon früher wilden Honig aus Bäumen gesammelt, aber dabei haben wir oft aus Unwissen die Kolonien zerstört“, erzählt Pérez. Das würde ihm jetzt nicht mehr passieren, seit er im Kurs für Bienenhaltung gelernt hat, wie man die Wildbienen sachgerecht umsiedelt.

Ehrfürchtig lauscht die Reisegruppe den Erklärungen des 39-Jährigen von der Ethnie Koripako. Die Bienen, ergänzt er, seien für ihn eine Erleuchtung gewesen. Früher habe er es gemacht wie alle anderen in seinem Dorf. Er habe sich Geld verdient, indem er für die Weißen das besorgt habe, was sie wollten – Kautschuk, Felle, Zierfische und in den letzten Jahren hauptsächlich Gold.

Zwei orange-ockerfarbene kugelförmige Blüten in einer Savanne.
Die Inirida-Blume (Schoenocephalium), die in Guainía heimisch ist.
Ein rosa blühender Busch, im Hintergrund ein für die Region typischer Tafelberg.
In der Regenzeit blühen die Bäume in der kolumbianischen Amazonasprovinz Guainía besonders schön.
Eine zarte weissgelbe Blüte, im Hintergrund Tafelberge.
Eine blühende Mandevilla vor den Cerros de Mavicure, den Tafelbergen Guanías.
Eine Hütte auf einer Dschungellichtung im Morgenlicht.
Ein indigenes Dorf in Guainía am frühen Morgen.

Tauchen nach Gold zwischen Kaimanen

Pérez arbeitete auf einer Balsa, einem der Goldgräberschiffe, die den Flussgrund aufwühlen und in dem Schlamm nach Gold suchen. Er tauchte ab in die unsichtbaren Tiefen des Flusses, mit einer Schnorchelmaske und einem Gartenschlauch, in den ein Kompagnon oben auf dem Schiff Sauerstoff einfüllte. Es ist ein gefährlicher Job. Im dunklen Flusswasser voller Kaimane verliert man leicht die Orientierung. „Nein, da runter will ich nicht mehr“, sagt er. „Jetzt habe ich die Bienen, und das ist viel besser, denn ich schütze die Biodiversität und zerstöre nicht unsere Lebensgrundlage.“

Eine junge Frau im roten Shirt lehnt an einer Balustrade und lacht.
Biologin Ligia Ospina von Aroma Verde erklärt den Besucherïnnen das Projekt.
Eine Gruppe Wanderer auf sandigem Boden, dahinter ein Tafelberg.
Die Touristengruppe von Aroma Verde wandert zwischen den Tafelbergen.

Zähe Überzeugungsarbeit im Regenwald

Die Bienen sind Teil eines Projekts der Umweltschutzorganisation Aroma Verde, geleitet von zwei Biologïnnen, Fernando Carrillo und Ligia Ospina. Sie kamen vor elf Jahren für einen Forschungsaufenthalt aus Bogotá nach Inírida und sind bis heute geblieben.

Auf der Suche nach nachhaltigen wirtschaftlichen Alternativen für die hauptsächlich indigene Bevölkerung der Region studierten sie die Bienen, und 2015 unterstützte die Schweizer Ricola-Foundation die Idee. Für den Pilotversuch ausgewählt wurde die Gemeinde La Ceiba, aus der Fabio Pérez kommt.

Doch Entwicklungsprozesse im Regenwald sind zähe Überzeugungsarbeit, wie die beiden Wissenschaftlerïnnen erfahren mussten: „Drei Jahre hat es gebraucht, bis die Indigenen von der Idee überzeugt waren und sich die Grundkenntnisse angeeignet hatten“, erzählt Ospina. Wissenschaftlich begleitet wird das Projekt von der Universität von Pamplona, die es zur Erforschung der Melipona-Bienen nutzt.

Ein geöffneter Melipona-Bienenstock gibt Einblick in eine ockerfarbene Kraterlandschaft.
Ein geöffneter Melipona-Bienenstock sieht aus wie eine winzige Kraterlandschaft.

Tourismus-Boom nach dem Friedensvertrag

Teil des Projekts war von Anfang an der Tourismus. Der begann so richtig nach der Unterzeichnung des Friedensabkommens zwischen Staat und Farc-Guerilla im Jahr 2016 – also fast zeitgleich mit dem Projekt. Mittlerweile buchen rund 1500 Personen pro Jahr eine Tour bei Aroma Verde.

Ein Abstecher zu einem indigenen Imker gehört fest zu den zwischen drei und sechs Tage dauernden Touren. Dort lernen die Besucherïnnen nicht nur die Bienen kennen, sondern auch den Alltag in einem indigenen Dorf, können 130 Milliliter des seltenen Honigs für umgerechnet knapp acht Euro erwerben oder Kunsthandwerk, das die Frauen aus Palmfasern herstellen. Die Bienen sind auch Anreiz zum Umweltschutz: Eine Produktionseinheit Bienen benötigt 1250 Hektar intakten Urwald im Umkreis zur Honigproduktion, sagt Ospina.

Zwei kleine Gläser mit goldenem Honig gefüllt.
Zwei unterschiedliche Sorten Melipona-Honig aus dem kolumbianischen Regenwald.
Indigene Frauen in Morocco verkaufen Honig und Kunsthandwerk.
Für die indigenen Frauen bieten der Verkauf von Honig und Kunsthandwerk neue Verdienstmöglichkeiten.

Der Imker will sein Wissen teilen

„6, 50 Euro des Reisepakets fließen pro Besucher automatisch ins Bienenprojekt“, erläutert Ospina. Das entspricht dem Gegenwert von 72 Bienen. „2000 Bienen bilden eine Kolonie, 50 davon braucht man, um eine Produktionseinheit in einem Dorf zu finanzieren, von der fünf Familien leben können“ rechnet Ospina vor.

Wenn das Geld für eine solche Einheit zusammenkommt, halbieren die Ursprungsimker in La Ceiba ihre Kolonien und werden dafür entlohnt. Morocco ist der erste Ableger des Projekts. Pérez hofft, dass es noch viele mehr werden. „Ich bin bereit und teile jederzeit gerne mein Wissen mit anderen“, sagt er.

Der Artikel erschien in einer leicht abgeänderten Fassung am 13.7.2023 im Berliner Tagesspiegel

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