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Gefährliche Überholmanöver: Die meisten Autofahrenden missachten den Mindestabstand zu Radfahrenden
Viel zu knapp überholt – und dann stehen wir nebeneinander an der Ampel
Zu enge Überholmanöver sind für Radfahrende stressig und gefährlich. Studien belegen: Die Mehrheit der Autofahrenden unterschreitet den gesetzlichen Mindestabstand. Oft gewinnen sie dadurch nicht einmal Zeit. Die Mobilitätskolumne.

Es beginnt mit einem Brummen, manchmal auch mit einem Aufheulen direkt hinter mir. Sofort schlägt mein Herz schneller, meine Schultern spannen sich an, meine Hände krampfen sich um die Lenkstange, ich checke noch schnell die Strecke vor mir auf Bodenunebenheiten – und dann preschen auch schon 1.500 Kilo Stahl viel zu nah an mir vorbei.
Oft genug quietschen gleich darauf Bremsen, und ich stehe Sekunden später neben demselben Auto vor einer Ampel, die schon vor dem Überholmanöver rot gezeigt hat. Das Manöver war also vollkommen unnötig, für mich aber stressig und gefährlich.
Das Gesetz schreibt innerorts 1,5 Meter Abstand vor
Illegal war es sowieso: Autofahrer*innen müssen in Deutschland und Österreich beim Überholen von Radfahrenden im Ort 1,5 Meter Abstand halten, außerorts von 2 Metern. In Deutschland gilt das seit 2020, in Österreich seit 2022.
Aber die Mehrzahl der Autofahrenden überholt viel zu knapp. Das ist nicht nur mein Eindruck, sondern durch diverse Studien belegt.
Ein besonders absurdes Beispiel findet man in Wien in der Berggasse: eine stark abschüssige Einbahnstraße, in der Tempo 30 gilt. Mit dem Rad muss ich dort spätestens ab der Mitte bremsen, um das Tempolimit einzuhalten. Und: Wer oben in die Berggasse einfährt, sieht die Ampel unten auf Rot springen.
In der Berggasse Radfahrende zu überholen, ist gleich doppelt illegal: erstens, weil der Platz nicht reicht, und zweitens, weil man dafür viel schneller fahren muss als erlaubt. Außerdem ist es völlig sinnlos, weil die Ampel ohnehin auf Rot steht. Trotzdem werde ich sogar auf dieser Straße regelmäßig viel zu knapp überholt oder – wenn ich, um das zu verhindern, in der Mitte fahre – angehupt und beschimpft.
Warum diese Ungeduld beim Anblick eines Fahrrads?
Wenn ich dann mit rasendem Puls meinen Weg fortsetze, frage ich mich oft: Echt jetzt? War das nötig? Stehen Autofahrer*innen wirklich so gern an roten Ampeln herum, dass sie für ein paar Extra-Sekunden dieses Vergnügens bereit sind, gleich zwei Gesetze zu übertreten und mein Leben zu riskieren?
Oder, mit ruhigerem Puls am Schreibtisch sitzend formuliert: Warum tun sich viele Autofahrende so schwer damit, Radfahrende sicher und legal zu überholen? Warum werden sie so ungeduldig, sobald ein Fahrrad vor ihnen fährt?
Manchmal dient knappes Überholen dazu, der Person am Rad Angst einzujagen, sie dafür zu „bestrafen“, dass sie „im Weg war“. Es gibt dafür einen Begriff, nämlich „Punishment Pass“, und es handelt sich um eine strafrechtlich relevante Nötigung.
Dann gibt es Autofahrer*innen, die nicht wissen, dass ein Mindest-Überholabstand existiert. Hier sind die Behörden gefragt: Sie müssen durch Kampagnen mehr Bewusstsein bei Autofahrenden schaffen; die Polizei muss durch Kontrollen klarmachen, dass Gesetze zum Schutz verletzlicher Verkehrsteilnehmer*innen mehr sind als nur schöne Worte auf geduldigem Papier.
Wie wenn ein Zug am Bahnhof durchfährt
Und dann gibt es jene Autofahrenden, die den Mindestabstand nicht einhalten, weil sie seinen Sinn nicht einsehen, nicht wissen, wie es sich anfühlt, zu knapp überholt zu werden, oder nicht einschätzen können, wo „zu knapp“ beginnt.
Wie also fühlt es sich an? Eine Studie des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) hat ergeben, dass die Kräfte, die beim Überholen auf Radfahrende wirken, mit den Kräften einer Zugdurchfahrt auf einem Bahnsteig vergleichbar sind.
Und was ist der richtige Abstand? Die Daumenregel lautet: Fahren Sie zum Überholen so weit links, als wäre das da vor Ihnen ein Auto. Reicht der Platz dafür nicht aus, warten Sie, bis mehr Platz vorhanden ist.
Am nötigen Überholabstand ändert sich auch nichts, wenn die Person auf dem Rad für Ihr Gefühl zu weit mittig fährt. Das tut sie vermutlich – und zwar zu Recht –, um ausreichend Abstand zu parkenden Autos zu halten. Nur so können Radfahrende sich wirksam vor Dooring schützen, also davor, dass jemand sie zu Sturz bringt, indem er unachtsam die Tür eines parkenden Autos aufreißt.
Und wenn Sie beim Hinterherzuckeln trotzdem Ungeduld in sich aufsteigen spüren? Dann fragen Sie sich, ob Sie genauso ungeduldig sind, wenn vor Ihnen ein Auto einparkt oder darauf wartet, links abbiegen zu können.
Dieser Text gehört zu einer regelmäßigen Kolumne des Recherche-Kollektivs Busy Streets. Weitere Mobilitätskolumnen finden sie hier.