Wie Sport wirkt

Wer sich zeitlebens viel bewegt, ist epigenetisch anders. Muskelzellen prägen sich durch Sport in Richtung Gesundheit um.

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Eine Läuferin trainiert für den Marathonlauf. Ihr Gesicht ist nicht zu sehen. Hinter ihr geht die Sonne auf.

Heute schon gelaufen? Oder wenigstens mit dem Fahrrad zur Arbeit gefahren? Wenn nicht, sollten Sie sich für den Abend vielleicht noch schnell mit Freunden zum Kicken im Park verabreden oder ins Fitness-Studio gehen. Laut Statistik werden Menschen, die ihr Leben lang aktiv waren und viel Sport gemacht haben, im Alter seltener und später krank. Ihr Risiko für Stoffwechselstörungen wie Typ-2-Diabetes oder Herz-Kreislauf-Leiden wie Herzinfarkt und Schlaganfall ist deutlich kleiner. Selbst vor Altersdemenz scheint regelmäßiger Sport ein Stück weit zu schützen. Er hält uns vermutlich einfach länger jung.

All das ist längst bekannt und konnte in vielen großen epidemiologischen Studien immer wieder bestätigt werden. Nicht umsonst empfiehlt so gut wie jedes Präventionsprogramm neben einer ausgewogenen Ernährung und ausreichend Schlaf vor allem: Sport, Sport, Sport.

Sehr viel weniger konnte die Wissenschaft bisher jedoch darüber herausfinden, wie es dem täglichen Schinden und Überwinden überhaupt gelingt, uns widerstandsfähiger zu machen. Welche molekularbiologischen Prozesse stößt es an, wenn ich immer wieder meine zehn Kilometer-Runde laufe, das Skiff beschleunige, in die Pedale trete, Gewichte stemme oder mich beim Fußball verausgabe? Was passiert in meinem tiefsten Innersten, in den Kernen meiner 30 Billionen Zellen, in denen mein Zellstoffwechsel gesteuert wird?


Grundlagenforschung ist teuer, aber wichtig

Studien, die vom Lebensstil ausgelöste Veränderungen unserer Physiologie ergründen, sind sehr teuer – und folglich fast immer klein. Das reduziert ihre medizinische Aussagekraft, macht sie aber keinesfalls überflüssig. Denn auf einer anderen Ebene bereichert die Grundlagenforschung unser Wissen über funktionale Zusammenhänge.

Bei der Aufklärung biomedizinischer Prozesse reicht es eben nicht, den Körper und die Zellen wie bei epidemiologischen Beobachtungen als schwarze Box zu betrachten. Man kann sich nicht immer damit zufrieden geben, eine reine Korrelation zwischen Eingang (zum Beispiel Sport) und Ausgang (verlangsamtes Altern) festzustellen. In einigen solcher kostspieligen Untersuchungen messen Forscher mit Hilfe moderner Apparate, welche Gene in bestimmten Zellen aktiv sind, sie messen die Proteine, die die Zellen gerade erzeugen oder sie lesen aus, in welchem epigenetischen Programm sich die Zelle zur Zeit befindet. Epigenetische Programme legen fest, welche Gene die Zelle überhaupt benutzen kann und welche nicht – in welchem Modus sie sozusagen arbeitet.

Jetzt gelang es Wissenschaftlern aus Dänemark und den USA, die schwarze Box zwischen Sport und Alterung genau an diesem Punkt ein wenig heller auszuleuchten. Birgitte Regenberg und Kolleg*innen erfassten die epigenetischen Spuren, die lebenslanger Sport in Muskelzellen hinterlässt (Quellenangaben im Anhang).

Die neue Studie ist die aktuellste in einer Reihe gut gemachter und clever angelegter Untersuchungen. Sie haben zwar sämtlich geringe Probandenzahlen, aber erlauben ähnliche Schlussfolgerungen: Menschen, die regelmäßig Sport treiben, wechseln epigenetisch in ein anderes Programm. Das hält sie länger jung. Und es verringert die Gefahr für eine Reihe so genannter Alters- und Zivilisationskrankheiten.

16 Männer im Alter zwischen 60 und 65 Jahren wurden untersucht

Veröffentlicht wurde die neue Arbeit im angesehenen Fachblatt Scientific Reports. Hauptautorin Regenberg ist Biologin an der Universität Kopenhagen. Sie betrachtete mit ihrem Team und Kolleg*innen aus dem US-amerikanischen Stanford Muskelzellen von 16 Männern im Alter zwischen 60 und 65 Jahren. Die Personen waren ähnlich schwer und groß, aber die eine Hälfte war immer schon Bewegungsmuffel gewesen, während die andere zeitlebens Sport getrieben hatte.

Der Vergleich des Gewebes in den kleinen Stanzproben zeigte überdeutlich, welche Spuren der jeweilige Lebensstil in den Muskeln der Menschen hinterlassen hatte. An 714 Abschnitten des Erbguts, die die Aktivität benachbarter Gene steuern – so genannten Promotoren – entdeckten die Forscher epigenetische Abweichungen: Bei den Unsportlichen waren diese Promotoren signifikant stärker methyliert, das heißt, Enzyme hatten dort mehr Methylgruppen, bestehend aus einem Kohlenstoff- und drei Wasserstoffatomen, angelagert. Vermutlich hat die aktive Lebensweise der anderen Studienteilnehmer die Zellen immer wieder dazu angeregt, an diesen Stellen Methylgruppen zu entfernen. Fachleute sprechen von einer Demethylierung.

Vier Senioren unterhalten sich nach dem Sport.
Sport macht nicht nur zufrieden, auf Dauer verändert er auch die Regulation unserer Gene. Das fand jetzt ein dänisch-US-amerikanisches Forscherteam bei 60– bis 65-jährigen Probanden heraus.

Das hat in der Regel zur Folge, dass benachbarte Gene leichter abgelesen werden können und das von ihnen kodierte Protein auch häufiger in der Zelle zu finden ist. Diesen Punkt konnten Regenberg und Kolleg*innen tatsächlich für einige der insgesamt 745 von den Promotoren kontrollierten Gene bestätigen. Doch damit nicht genug: Unter den epigenetisch freigeschalteten Genen waren einige, die für Proteine kodieren, die den Zellstoffwechsel in eine positive, gesunderhaltende Wirkung verändern. Auch wenn hier streng genommen nur eine Korrelation gemessen worden ist, so spricht doch vieles dafür, dass diese Veränderungen mitverantwortlich dafür sind, dass Sport uns Gutes tut.

Die Veränderungen schützen vor Diabetes und oxidativem Stress

Unter den Genen, die bei den Sportmuffeln epigenetisch anders reguliert werden als bei den bewegungsfreudigen Menschen, enthalten einige den Bauplan für Enzyme, die die Empfindlichkeit für das Hormon Insulin erhöhen oder in den Zuckerstoffwechsel eingreifen. Beides dürfte ein Stück weit vor Diabetes schützen. Andere leichter aktivierbare und dadurch auch häufiger aktivierte Gene helfen den Zellen im Kampf gegen schädlichen oxidativen Stress, der vor allem bei starken Belastungen entsteht. Oder sie fördern den Muskelaufbau, was zum Beispiel erklären könnte, wieso Menschen, die immer schon viel Sport getrieben haben, ihre Muskeln auch im Alter schneller und effektiver reaktivieren können.

„Zusammenfassend präsentieren wir in unserer Studie eine Gen-Signatur von 745 Genen, die zumindest in der Muskulatur älterer Männer durch deren lebenslange physische Aktivität epigenetisch reguliert wurden“, schreiben die Autor*innen. Anders ausgedrückt belauschen Regenberg und Co exakt das, was der bekannte, in Boston forschende deutschstämmige Stammzellforscher Rudolf Jaenisch schon vor Jahren als „das Gespräch zwischen Erbe und Umwelt“ bezeichnet hat: das permanente, unentwirrbare Wechselspiel zwischen äußeren Einflüssen und Lebensstilfaktoren und der Epigenetik.

Die Umwelt – in diesem Fall der Sport – zwingt den Zellstoffwechsel zu einer Reaktion, worauf die Zelle epigenetisch antwortet und ihr Genaktivierbarkeitsmuster verändert. Dadurch kann sie in Zukunft besser auf ähnliche Umweltreize reagieren. Die unter anderem beim Sport entstehende Milchsäure (Laktat) bindet sogar direkt an Proteine neben der DNA und verändert so den epigenetischen Code.

Epigenetische Strukturen reagieren schon nach 20 Minuten

Wie rasch und flexibel sich die epigenetischen Strukturen an und neben den Genen bei angehenden Sportler*innen verändern, zeigten Forscher*innen um Juleen Zierath vom schwedischen Karolinska-Institut schon im Jahr 2012. Ein 20-minütiges Training auf einem Fahrrad-Ergometer reicht demnach für den gezielten Abbau von Methylgruppen an der DNA in den beteiligten Muskelzellen aus.

Die Epigenetiker entnahmen den gesunden aber untrainierten Probanden vor und nach dem Training winzige Muskelproben. Am Energiestoffwechsel beteiligte und zuvor stumm geschaltete Gene – wer es genau wissen will: PPAR-δ, PGC-1α und andere – waren danach wegen einer plötzlichen Demethylierung an ihren Kontrollregion leichter ablesbar. Dieser Effekt war umso stärker, je intensiver die Testpersonen in die Pedale traten. Die Methylierung anderer Gene blieb dagegen unverändert.

Ähnlich schnell reagieren unsere epigenetischen Schalter übrigens auch auf Stresssituationen. In Blutzellen kann man schon zehn Minuten nach einem speziellen Stresstest epigenetische Veränderungen messen. Diese sind allerdings weitere 80 Minuten später verschwunden oder sogar ins Gegenteil verkehrt, das heißt, wo zuvor vermehrt Methylgruppen angebaut waren, ist deren Zahl plötzlich vermindert.

Kurzfristige Einflüsse wie Sport oder Stress programmieren unsere Zellen also vermutlich nicht dauerhaft um. Halten die Reize aber länger an und kehren sie zudem häufig zurück, scheinen die Zellen ihre epigenetischen Veränderungen irgendwann „regelrecht einzufrieren“, wie es der Basler Epigenetiker Renato Paro formuliert.

Sechs Monate Sport verändern Fett- und Muskelzellen

Dafür spricht nicht nur die neue dänisch-US-amerikanische Studie. Schon im Jahr 2013 zeigte ein anderes schwedisches Forscher*innenteam von der Universität Lund, dass ein sechsmonatiges Sportprogramm die Epigenetik von Fettzellen grundlegend umbaut. Die Schweden verordneten 23 unsportlichen Männern ein sechsmonatiges Trainingsprogramm. Dann verglichen sie epigenetische Schalter in Fettzellen, die vor und nach dem Zeitraum entnommen worden waren. Ein Unterschied fand sich an 7.663 Genen, darunter 18, deren Aktivität bekanntermaßen das Übergewichtsrisiko beeinflusst und 21, die schon länger mit Typ-2-Diabetes in Verbindung gebracht werden.

Grafische Darstellung einer methylierten DNA
Hintergrund-Info Epigenetik: Die Epigenetik erforscht Strukturen auf- oder neben den Genen, die Zellen weitervererben, ohne dass sich der Text des Erbgutmoleküls DNA selbst wandelt. Die bekannteste epigenetische Struktur sind an die DNA angelagerte Methylgruppen, CH-3 (siehe die abgebildete Grafik, die gleichzeitig auch das Symbolbild der Koralle Erbe&Umwelt ist). Mit Hilfe dieser DNA-Methylierung wird in aller Regel das Ablesen eines Gens erschwert oder verhindert. Als zweites wichtiges epigenetisches System gilt der so genannte Histon-Code: Dabei verändert die Zelle durch viele verschiedene Arten von Anhängseln die Struktur der Histonproteine. Um diese Proteine ist die DNA in regelmäßigen Abständen aufgewickelt. Ändern sie ihre Eigenschaften, ändert sich auch die Fähigkeit der Zelle, die benachbarten Gene zu aktivieren. Epigenetische Strukturen sind also wie Schalter oder Dimmer, die Teile des Erbguts aktivierbarer machen und andere mehr oder weniger ruhig stellen. Sie helfen Organismen, vergleichsweise kurzfristig mit bleibenden Veränderungen auf neue Anforderungen aus der Umwelt und des Lebensstils – Ernährung, Stress, Bewegung, soziale Kontakte – zu reagieren.

Die eleganteste und inzwischen auch bekannteste aller Untersuchungen dieser Art ist aber jene von Maléne Lindholm und Kolleg*innen. Wie die neueste Studie wurde auch sie am Stockholmer Karolinska-Institut durchgeführt. Eine Hauptrolle spielen hier ein paar eigenartige Trainingsfahrräder. Erneut waren es 23 untrainierte Probanden, dieses Mal aber junge Frauen und Männer, die ganz im Dienst der Wissenschaft auf diesen Ergometern drei Monate lang ihre Beinmuskulatur stärkten. Das Besondere: Die Geräte hatten nur eine Kurbel. Die angehenden Sportler*innen, die immerhin vier Mal pro Woche eine Dreiviertelstunde auf den Ergometern schwitzten, radelten einbeinig. Welches Bein sie trainierten, war zuvor ausgelost worden. Das andere blieb ungeübt.

Das Training blieb natürlich nicht ohne Effekt. Die Muskulatur am trainierten Bein veränderte sich rein äußerlich, und auch der Stoffwechsel von Zellen an diesem Bein stellte sich um. Verantwortlich waren auch hier epigenetische Strukturen, die für neue Genaktivierbarkeitsmuster in den Zellen sorgten. Das heißt, der Satz an Genen, der den Zellen zur Verfügung stand, hatte sich gewandelt. Dadurch verwandelten sich sozusagen einst schlappe, untrainierte Muskelfasern in Kraft und Energie strotzende, effizient arbeitende Bündel, wie man sie von umfassend trainierten Athleten kennt.

Radeln mit einem Bein – für die Wissenschaft

Was die Studie berühmt machte, war der Einsatz der einkurbeligen Ergometer. Sie sorgen für eine statistisch saubere und wenig fehleranfällige Art der Ergebniskontrolle. Die Effekte zeigten sich, wie bereits erwähnt, nur in den trainierten Beinen. Die Epigenetik der untrainierten Beine, obgleich selbstverständlich genetisch identisch und allen Umwelteinflüssen außer dem Training in gleichem Maße ausgesetzt, blieb praktisch unverändert.

Im Detail entdeckten Lindholm und ihr Team an knapp 5.000 Stellen des Erbguts Unterschiede zwischen dem trainierten und dem untrainierten Zustand. Der DNA-Code war natürlich unbeeinflusst. Aber seine epigenetische Gebrauchsanweisung hatte sich umgekrempelt. Die Forscher schauten sich schließlich die 800 deutlichsten systematischen Veränderungen genauer an. Besonders häufig betraf die Umprogrammierung so genannte Enhancer – Verstärker-Elemente, die die Aktivierbarkeit benachbarter Gene und Gen-Gruppen verbessern.

Kein Wunder, dass sich in den Zellen der Einbein-Fahrradfahrer auch die Gen-Aktivität gewandelt hatte. Der Zellstoffwechsel war ein anderer geworden. Das erklärt natürlich auch, warum das dreimonatige Training den Probanden einen völlig anderen Fitnesszustand verpasst hatte. Exakt 4.076 Gene wurden im Muskel des trainierten Beins mehr oder weniger stark abgelesen als im untrainierten Bein oder im gleichen Bein vor dem Training. Das ist immerhin ein knappes Fünftel aller Gene, die wir Menschen überhaupt besitzen. Selbstverständlich waren darunter auch einige, von denen man längst wusste, dass sie wichtig für die Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit der Muskelzellen sind – aber auch eine Menge weniger gut untersuchter Gene, deren Funktion man noch nicht so genau kennt.

Nun fütterten die Forscher*innen ihre Computer mit den Daten und berechneten, welche Netzwerke jene Gene miteinander knüpften, deren Aktivierbarkeit das Training verändert hatte. Dabei zeigte sich: Gemeinsam kümmern sie sich um Dinge wie den Muskelfaseraufbau, den Zell-Energiehaushalt, den Kohlenhydratstoffwechsel oder die Bildung von Fettgewebe, das als Energiespeicher dient. Maléne Lindholm war entsprechend begeistert: „Mit so etwas einfachem wie Sport können wir so viele verschiedene Gene für unsere Gesundheit aktivieren.“

Alle Studien zeigen: Sport wirkt!

Was damals natürlich auch eine Menge Skeptiker auf den Plan rief, ist nun dank der neuen Daten aus Kopenhagen und Stanford einmal mehr bestätigt worden. Auch wenn die Aussagekraft jeder einzelnen dieser mittlerweile recht zahlreichen Studien überschaubar bleibt, so bestätigen sie das zugrunde liegende Prinzip doch immer wieder: Sport wirkt. Und vermutlich wirkt er auch deshalb, weil er unsere Epigenetik verändert.

Mir persönlich reicht das ehrlich gesagt bereits als Motivation: Ich mache jetzt eine Arbeitspause und gehe erstmal laufen.

Quellen und Buchtipp:

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