„Wir könnten vermutlich zehn Jurist:innen mit Abmahnungen beschäftigen“
Wie Verbraucherschützer bei „Faktencheck Gesundheitswerbung“ gegen dubiose Gesundheitsprodukte vorgehen

Ein Nahrungsergänzungsmittel, das Schutz vor Covid-19 verspricht. Ein Wundermittel gegen Arthrose: Das Netz ist voll mit dubiosen Angeboten, die für Verbraucher:innen oft schwer zu durchschauen sind. „Faktencheck-Gesundheitswerbung“, ein Projekt der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen, geht dagegen mit Aufklärung und rechtlichen Mitteln vor.
Was das Projekt konkret tut und auf welche Hindernisse das Team dabei stößt, hat uns Projektleiterin Tanja Wolf erzählt.

Bei Plan G verweisen wir auf Internet-Seiten mit verlässlichen Gesundheitsinformationen. „Faktencheck Gesundheitswerbung“ ist eine gute Ergänzung, denn ihr warnt konkret vor falschen oder gefährlichen Gesundheitsinformationen. Was versteht ihr genau darunter?
Wir orientieren uns dabei an der Definition, die MedWatch und die Bertelsmann-Stiftung aufgestellt haben: Eine Gesundheitsinformation kann dann als gefährlich angesehen werden, wenn sie vermutlich ein Verhalten auslöst, das einen Schaden anrichten kann. Solche Schäden können körperlicher oder finanzieller Art sein. Teilweise sind die Auswirkungen erheblich. Außerdem kann dadurch ein Vertrauensverlust in die wissenschaftsbasierte Medizin entstehen.
Solche gefährlichen Gesundheitsinformationen und Produkte kursieren aktuell oft im Zusammenhang mit dem Coronavirus und Covid-19. Welche dubiosen Angebote sind euch da untergekommen?
Häufig ist es Vitamin D, das in der Pandemie sehr gehypet wurde, und alles, was angeblich das Immunsystem stärkt. Das sind oft Nahrungsergänzungsmittel. Im Spiel waren auch Mundspülungen und das seit Jahren nicht auszurottende MMS, also Chlorbleiche. MedWatch hat berichtet, dass es in diesem Zusammenhang Todesfälle in Argentinien gegeben hat, die Staatsanwaltschaft ermittelt. Leider konnten wir bisher gegen die Werbung nichts ausrichten.
Ist es rechtlich erlaubt, dass solche Produkte mit dem Schutz vor Covid-19 werben?
Nein, denn Covid-19 ist eine meldepflichtige Krankheit und darauf dürfen sich laut Heilmittelwerbegesetz die Werbeaussagen für Arzneimittel und Medizinprodukte gegenüber Verbraucher:innen überhaupt nicht beziehen. Da es sich häufig um Nahrungsergänzungsmittel handelt, sind da die Grenzen für die Werbung ohnehin schon sehr eng. Denn für Nahrungsergänzungsmittel darf nur mit gesundheitsbezogenen Aussagen geworben werden, die sich auf normale Körperfunktionen beziehen, also zum Beispiel „unterstützt die normale Funktion des Immunsystems“. Nicht erlaubt ist „stärkt das Immunsystem“. Das ist festgelegt in der europäischen Health-Claims-Verordnung und trotzdem wird dagegen häufig verstoßen.
Wir haben einen Hersteller abgemahnt, der ein angeblich immunstärkendes Nahrungsergänzungsmittel damit beworben hatte, dass man dann unbeschwert die Enkelkinder treffen könne. Das war noch, bevor die Covid-19-Impfungen flächendeckend verfügbar waren.
Wer bietet solche dubiosen Produkte an?
Da findet sich eine ganze Bandbreite: Wir haben große internationale und nationale Firmen ebenso abgemahnt wie kleine Hersteller von Nischenprodukten. Auch manche niedergelassene Ärzte verstoßen gegen die Werberegeln, außerdem tummeln sich selbsternannte Gesundheits-Gurus im Netz, die gar keine medizinische Ausbildung haben, aber teilweise mit sehr starken Aussagen werben, die medizinisch auch meist völlig unbelegt sind.
Bei welchen Krankheiten außer Covid-19 seht ihr sehr viele falsche oder gefährliche Gesundheitsinformationen im Netz?
Das ist breit gefächert: Es gibt vieles für das allgemeine Wohlbefinden, rund um „Detox“, es gibt aber auch immer wieder Fälle, wo es um Krebs geht. Das halten wir für sehr gefährlich, weil dann schwerkranke Menschen möglicherweise eine wirksame Therapie unterlassen und sich Heilmitteln zuwenden, die ihnen überhaupt nicht helfen. Das kann fatal sein.
Manchmal macht es den Eindruck, dass dubiose Produkte auch gezielt für solche Erkrankungen beworben werden, für die die wissenschaftsbasierte Medizin noch kein Heilmittel gefunden hat, zum Beispiel Arthrose.
Ja, da suchen die Menschen nach etwas, was ihnen vielleicht doch irgendwie hilft. Für solche Krankheiten wird viel Werbung gemacht. Gerade bei Arthrose findet sich Werbung für dubiose Produkte häufig in den gedruckten Medien. Das berücksichtigen wir manchmal auch, aber eigentlich kümmern wir uns um die Digitalwerbung.
Wie sieht es aus, wenn die Verbraucherzentrale Abmahnungen verschickt?
Als Verbraucherzentrale dürfen wir zum Beispiel Verstöße gegen das Heilmittelwerbegesetz abmahnen. Die Abmahnung ist ein außergerichtliches Verfahren, wir listen also auf, welche Werbeaussagen unserer Ansicht nach nicht zulässig sind und fordern den Anbieter auf, diese Aussagen zu unterlassen. Dazu muss er die Abmahnung unterschreiben. Verstößt er anschließend weiter dagegen, müsste er eine Vertragsstrafe zahlen. Falls Anbieter nicht unterschreiben, können wir klagen.
Passiert das häufig?
Es gibt immer wieder Firmen, die die Abmahnung nicht unterschreiben: Entweder, weil sie meinen, im Recht zu sein, oder weil sie teilweise einen Rechtsstreit in Kauf nehmen. Sie wissen, dass die rechtliche Durchsetzung dauert, so lange können sie die Werbung weiter schalten. Das ist oft ein knallhartes Geschäft: Einige Anbieter rechnen zwar damit, abgemahnt zu werden. Aber sie kalkulieren: Was kostet mich ein Verstoß? Was verdiene ich bis dahin mit dem Produkt, wenn ich die Werbung trotzdem schalte? Und wenn eine mutmaßlich irreführende Werbung durch jahrelange Rechtsstreitigkeiten ungehindert in der Welt bleiben kann, fällt ihre Bilanz meist positiv aus.
Was passiert, wenn solche Anbieter im Ausland sitzen?
Das ist für uns immer das Schwierigste, weil wir dann mit unseren rechtlichen Mitteln nicht weiterkommen und andere Institutionen oder Behörden kontaktieren müssen. Die entscheiden aber natürlich nach ihrem Ermessen. Manchmal bekommen wir eine Rückmeldung, manchmal auch nicht. Es ärgert uns sehr, dass die Landesgrenzen ein großes Hindernis sind.

Gibt es noch mehr Hindernisse?
Ja, zum Beispiel wie und ob hiesige Behörden das Recht durchsetzen. Wir kontaktieren häufig die Gesundheitsämter, die Landesmedienanstalten oder die Kammern der Ärzte oder Zahnärzte. Und meistens ist es dann so, dass erst einmal Zuständigkeiten von A nach B geschoben werden. Dann passiert oft nicht so richtig effektiv etwas, obwohl die Behörden eigentlich Instrumente haben, mit denen sie zugunsten von Verbraucher:innen und Patient:innen vorgehen könnten.
Das liegt vermutlich nicht unbedingt an den einzelnen Personen in den Behörden, sondern auch am System: Es ist sehr dezentral organisiert, in manchen Bundesländern sind die Kommunen zuständig, in manchen sind Landesbehörden zuständig. Und wir müssen immer wieder neu herausfinden, an wen man sich überhaupt wenden muss, gerade bei Gesundheitsämtern. Bei den Ärztekammern begegnet uns tatsächlich manchmal wirklich eine Abwehrhaltung. Das ist aus unserer Sicht ein großes Problem.
Seht ihr auch Lücken in rechtlichen Regelungen?
Unserer Einschätzung nach gibt es die bei der Werbung für Arzneimittel, Medizinprodukte und Nahrungsergänzungsmittel. Dafür gelten verschiedene Regeln, aber für viele Menschen ist der Unterschied nicht klar. Wenn ich zum Beispiel vor der Tagesschau Werbung für ein Reizdarmprodukt sehe, dann wirkt das wie ein Arzneimittel. Ist es aber rechtlich betrachtet nicht. Die meisten Zuschauer:innen wissen nicht, dass es ein Medizinprodukt ist, für das andere Regeln gelten. Sie gehen vermutlich davon aus: In Deutschland ist eigentlich alles gut geregelt, das Mittel hat dann bestimmt in vielen Studien seine Wirkung nachgewiesen. In Wirklichkeit darf der Anbieter bei Medizinprodukten mit Krankheitsbezug werben, muss aber nicht die gleichen strengen Studiennachweise vorlegen wie bei einem Arzneimittel.
Die Werbevorschriften müssten verschärft werden, sodass auch für durchschnittlich informierte Verbraucher:innen deutlich wird: Ein Medizinprodukt ist kein Arzneimittel und der Anspruch an die Wirkungsnachweise ist geringer. Dafür bräuchte es aber den politischen Willen.
Könnt ihr nur Angebote für Produkte abmahnen oder auch Seiten, die irreführende Gesundheitsinformationen enthalten, ohne für konkrete Produkte zu werben?
Unser Schwerpunkt sind Produkte mit Gesundheitsbezug, wir brauchen eine geschäftliche Handlung, die wir abmahnen können. Allgemeine Gesundheitsinformationen ohne Produktbezug sind dagegen in der Regel von der Meinungsfreiheit gedeckt. Wir können aber auch Ärzt:innen abmahnen, wenn sie eine unzulässige Produktwerbung betreiben oder gegen verbraucherschützendes Berufsrecht verstoßen. Wir kümmern uns auch um mangelhafte Aufklärung, etwa bei IGe-Leistungen.
Wir könnten in unserem Projekt zehn Jurist:innen mit Abmahnungen beschäftigen und die hätten vermutlich jahrelang zu tun. Leider können wir nicht alle dubiosen Angebote aus dem Netz holen. Wir wollen aber ein Bewusstsein für die Problematik schaffen, sowohl bei der Ärzteschaft als auch bei anderen Anbietern. Und natürlich bei Verbraucher:innen. Teilweise ist das wohl auch schon passiert: Wir erhalten über unser Kontaktformular viele Hinweise auf Seiten mit fragwürdiger Werbung, auch manches, was wir selbst gar nicht unbedingt gefunden hätten.
Wie können Verbraucher:innen gefährliche Gesundheitsinformationen im Netz erkennen?
Das ist in der Tat sehr schwer, weil viele Webseiten sehr professionell und seriös aussehen. Und Webseiten mit schlechter Gesundheitsinformation führen ja teilweise auch Studien an. Verbraucher:innen können oft nicht erkennen, dass das keine aussagekräftigen Studien sind oder die Studien verzerrt wiedergegeben werden.
Man sollte auf jeden Fall mehrere Quellen konsultieren und sich anschauen: Wer steht im Impressum? Es sollte erkennbar sein: Wer steht dahinter und mit welchem Interesse wird die Website betrieben? Und sobald konkrete Produkte beworben oder sogar zum Kauf verlinkt werden, sollte man die Finger davon lassen. Auch eine ausländische Postfachadresse oder Phantasienamen sind ein Warnzeichen. Wir haben dazu auf unserer Website auch einige Tipps und Checklisten.