„Überlebenshilfe für die Erde“: Scholz kündigt Milliarden für globalen Naturschutz an

Der Bundeskanzler legt Bekenntnis zu weitreichendem Welt-Naturschutzabkommen ab und lässt mit Finanzzusage Hoffnung auf Bewegung in den Verhandlungen keimen

vom Recherche-Kollektiv Countdown Natur:
6 Minuten
Scholz vor dem Flugzeug auf dem Rollfeld

Deutschland stockt seine finanzielle Unterstützung für den weltweiten Naturschutz kräftig auf. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) kündigte am Rande der UN-Generalversammlung am Dienstag (Ortszeit) in New York an, die Bundesregierung werde ihre bisherigen Hilfen für Entwicklungsländer beim Schutz von Arten und Ökosystemen bis spätestens 2025 auf 1,5 Milliarden Euro pro Jahr erhöhen. Das entspricht im Durchschnitt der letzten Jahre etwa einer Verdoppelung der Finanzmittel für die internationale Entwicklungszusammenarbeit im Bereich des Biodiversitätsschutzes.

Scholz warb zugleich für die Verabschiedung eines ambitionierten internationalen Abkommens zum Schutz von Tier- und Pflanzenarten sowie ihrer Lebensräume beim bevorstehenden Weltnaturgipfel. „Die Weltbiodiversitätskonferenz im Dezember muss ein Wendepunkt für unsere Naturschutzbemühungen sein“, forderte der Kanzler. Die Finanzzusage könnte den stockenden Schlussverhandlungen für das Abkommen neuen Schub geben.

Kanzler setzt auf Klimaschutz mit der Natur

Scholz warb für eine enge Verknüpfung von Natur- und Klimaschutz, wie sie auch der Weltklimarat IPCC und der Weltbiodiversitätsrat IPBES in einem gemeinsamen Bericht empfohlen haben. Er bekräftigte, Deutschland werde wie auf dem G7-Gipfel in Elmau im Juni angekündigt, sein internationales Klimabudget bis spätestens 2025 auf sechs Milliarden Euro aufstocken. „Als Teil dessen werden wir auch die Mittel für die biologische Vielfalt auf 1,5 Milliarden Euro pro Jahr erhöhen“, fügte er hinzu.

Der Kanzler äußerte sich in einer aufgezeichneten Videobotschaft bei einer Veranstaltung von Staats- und Regierungschefs am Rande der 77. UN-Generalversammlung. Zuletzt hatte die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel 2008 eine ähnlich deutliche Steigerung der Investitionen in den internationalen Naturschutz verkündet und jährliche Zahlungen für den Erhalt von Lebensräumen und Arten in Entwicklungsländern von 500 Millionen Euro zugesagt.

Tatsächlich waren in den vergangenen Jahren aber bereits Summen in einer Größenordnung von etwa 800 Millionen Euro pro Jahr etwa für den Erhalt ökologisch besonders wertvoller Schutzgebiete oder für Projekte zur Renaturierung gestörter Ökosysteme beispielsweise in Afrika und Lateinamerika geflossen. Im Corona-Jahr 2021 waren es sogar 1,1 Milliarden Euro. Deutschland ist damit einer der größten Geldgeber des internationalen Biodiversitätsschutzes.

Vögel sind an die Wand des UN-Versammlungssaals projiziert.
Mit einer Projektion wurde am Montag in der UN-Generalversammlung an die Bedeutung der Biodiversität erinnert.

Zugleich treibt die Nachfrage nach Rohstoffen wie Holz und Produkten wie Soja, Palmöl und Rindfleisch aus Deutschland und anderen entwickelten Ländern aber die anhaltende Umweltzerstörung im Süden weiter an. Umweltverbände hatten deshalb eine Aufstockung der jährlichen Zahlungen für den Naturschutz im globalen Süden auf kurzfristig zwei Milliarden Euro pro Jahr und auf acht Milliarden im Laufe der Legislaturperiode gefordert.

Der Herzschlag des Planeten wird mit jeder Art, die für immer ausstirbt, schwächer.

Bundeskanzler Olaf Scholz

Als internationale Biodiversitätsfinanzierung gelten Hilfen an Entwicklungsländer beispielsweise für die Aufforstung zerstörter tropischer Wälder nach ökologischen Kriterien oder die Erhaltung wertvoller Lebensräume wie Savannen oder Feuchtgebiete. Auch Hilfen für die Entwicklung ökologischer Landbaumethoden wie Agroforstwirtschaft sowie Bildungs- und Forschungsprojekte zum Erhalt der Biodiversität zählen dazu. Dem Schutz von Lebensräumen in den Ländern der Südhalbkugel kommt eine besondere Bedeutung zu, weil sich dort noch großflächig Hotspots der Artenvielfalt erhalten haben, während der natürliche Reichtum in den entwickelten Ländern des Nordens vielfach auf kleine Reste zusammengeschrumpft ist.

Scholz wirbt für Lemkes Programm zu „natürlichem Klimaschutz"

Nicht nur international mache die Bundesregierung ihre Hausaufgaben und erarbeite deshalb gerade einen Aktionsplan für naturbasierte Lösungen für Klima und Biodiversität, betonte der Kanzler. Unter den Begriff der naturbasierten Lösungen fallen Schutz- und Renaturierungsmaßnahmen für Ökosysteme, die sowohl dem Klima- wie dem Naturschutz zugute kommen, indem sie gleichzeitig große Mengen an Kohlenstoff binden und als artenreiche Lebensräume das Überleben von Tier- und Pflanzenarten unterstützen.

Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) hat vor kurzem dazu den Entwurf ihres Aktionsprogramms Natürlicher Klimaschutz vorgestellt. Bis 2026 will die Bundesregierung dafür in mehr als 50 Einzelprojekten vier Milliarden Euro zur Verfügung stellen.

Guterres spricht am UN-Redepult
Ein verlässlicher Mahner gegen das Artensterben: UN-Generalsekretär Antonio Guterres spricht vor den Vereinten Nationen.

Kanzler: UN-Gipfel in Montreal muss Wendepunkt werden

Scholz warb für die Verabschiedung eines ambitionierten Weltnaturabkommens beim Vertragsstaatengipfel der Konvention über biologische Vielfalt (CBD-COP15), der im Dezember in Montreal stattfindet. Die Erde brauche dringend Überlebenshilfe, sagte der Kanzler. „Ihre Lungen – unsere Natur, Wälder und Ozeane – versagen, ihr Herzschlag wird mit jeder Art, die für immer ausstirbt, schwächer.“ Dieselbe Menschheit, die den Planeten an den Rand der Überlebensfähigkeit getrieben habe, könne sich zusammenschließen, um den Trend umzukehren und die Natur zu schützen, appellierte Scholz.

„Der Weltnaturgipfel im Dezember muss ein Wendepunkt für unsere Naturschutzbemühungen sein“, forderte der Kanzler. Konkret bekräftigte er die Unterstützung Deutschlands für das Ziel, künftig jeweils 30 Prozent der Land- und Meeresflächen der Erde unter wirksamen Schutz zu stellen.

Drohnenfoto eines Moores
Wiedervernässte Moore speichern und reinigen Trinkwasser.

Bei der Vertragsstaatenkonferenz soll im Dezember im kanadischen Montreal ein neues Weltnaturschutzankommen verabschiedet werden, das den Wendepunkt im Kampf gegen Artenschwund und die Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen auf der Erde einleiten soll.

Naturschützer und Regierungen mit einer ambitionierten Agenda erhoffen sich von dem zweiwöchtigen Gipfel ein „Paris-Abkommen für die Natur“. Allerdings gibt es trotz jahrelanger Verhandlungen auch wenige Monate vor Beginn des Gipfels in kaum einem der zentralen Streitpunkte eine Einigung unter den 190 Mitgliedstaaten des UN-Abkommens. Der Streit um die Finanzierung des globalen Naturschutzes ist eine der bis zuletzt am heftigsten umstrittenen Fragen. Vor allem die noch sehr artenreichen südlichen Regionen der Erde bestehen darauf, für den Verzicht auf eine weitere Ausbeutung beispielsweise des Amazonas-Regenwaldes entschädigt zu werden.

Im Entwurf für das Abkommen wird der jährliche Bedarf global auf 700 Milliarden Dollar beziffert. Dem stehen bisher Ausgaben von weniger als 140 Milliarden Dollar gegenüber.

Naturschützer reagieren erfreut

Umwelt- und Naturschutzverbände begrüßten die Ankündigung des Kanzlers. Sie sei ein „wichtiges Zeichen zum richtigen Zeitpunkt“, sagte der Europachef der Campaign for Nature, Georg Schwede. Scholz sende auch den anderen Staaten ein Signal, dass es trotz der wirtschaftlichen Krise wichtig sei, jetzt in den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen zu investieren. Ein Wermutstropfen sei allerdings, dass die Mittel aus dem Klimatopf kommen sollen.

Auch Greenpeace äußerte die Hoffnung auf einen Schub für die Montreal-Verhandlungen. „Die zugesagten 1,5 Milliarden Euro jährlich geben Hoffnung für erfolgreiche Verhandlungen im Dezember, denn die fehlende Finanzierungszusage war bei den bisherigen Diskussionen der Hemmschuh für Fortschritte im Verhandlungstext“, sagte Greenpeace-Biodiversitäts-Koordinator Thilo Maack in einer ersten Reaktion. „Die anderen G7-Staaten sollten sich ein Beispiel nehmen und vergleichbare Summen auf den Tisch legen, denn Geld für den Naturschutz wird genauso dringend gebraucht wie für Maßnahmen gegen die Klimaerhitzung – beide Krisen lassen sich nur gemeinsam lösen.“

WWF-Vorstand Christoph Heinrich nannte die Zusage Deutschlands eine Hoffnung gebende Voraussetzung dafür, dass gemeinsam mit entsprechenden Verpflichtungen weiterer Industriestaaten in Montreal ein ambitionierter Vertrag zum Erhalt der biologischen Vielfalt verabschiedet werden könne. „Den riesigen globalen Herausforderungen und den hohen Erwartungen der Staatengemeinschaft an Deutschland wird dieser Beitrag aber dauerhaft nicht genügen.“

Im Projekt „Countdown Natur“ berichten wir mit Blick auf den UN-Naturschutzgipfel über die Gefahren für die biologische Vielfalt und Lösungen zu ihrem Schutz. Die Recherchen zu diesem Beitrag wurden von der Hering Stiftung Natur und Mensch gefördert. Sie können weitere Recherchen mit einem Abonnement unterstützen.

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