Tunesiens Oasen sind genauso im Stress wie das Wirtschaftsmodell hinter ihrer Nutzung

Was kostet ein Kilo Datteln wirklich – und wer zahlt die Rechnung?

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Dattelpalmen stehen in der Wüste

Sechs bis sieben Stunden dauert die Fahrt von der tunesischen Hauptstadt nach Kebili, einer verschlafenen Kleinstadt im Süden des Landes. Je weiter südlich man sich bewegt, desto trockener wird die Landschaft. Die letzten zwei Stunden führt eine einspurige Landstraße durch gelblich-staubige Ebenen, nur in der Ferne erheben sich ein paar Hügel. Hin und wieder kann man kleine grüne Tupfer in der Landschaft erahnen: Oasen. Je näher man der Stadt und dem gleichnamigen Verwaltungsbezirk kommt, desto häufiger werden diese. Rechts und links der Landstraße gehen unbefestigte Feldwege ab, die dorthin führen.

Einstöckige, einfache Häuser dominieren das Bild der 40 000-Einwohner-Stadt Kebili. Viele sind in die Jahre gekommen; der weiße Putz hält Hitze und Sandstürmen nicht lange stand. Große Neubauten oder schicke Einfamilienhäuser sucht man hier vergebens. Man sieht Kebili nicht an, dass die umliegende Region Nefzawa ein Zentrum der Dattelproduktion ist; 24 Prozent der weltweiten Umsätze mit den Früchten werden hier generiert. Tunesien hat mit den Dattelexporten 2018 770 Millionen Dinar (rund 244 Millionen Euro) erwirtschaftet, ein Plus von mehr als einem Drittel im Vergleich zum Vorjahr. Mehr als die Hälfte der Früchte werden nach Europa exportiert.

Doch von den Profiten kommt in der Region nur ein verschwindend geringer Anteil an. Mehr noch: Die Klimakrise, intensive Landwirtschaft und ökonomische Strukturen, die ihren Ursprung in der Kolonialzeit haben, führen zu einer zunehmenden Ausbeutung der natürlichen Ressourcen. Gleichzeitig wird es immer schwieriger, Alternativen zum Dattelanbau zu finden. Die Region steht vor einem über Jahrzehnte gewachsenen Dilemma.


Wasser steht am Boden einer Oase zwischen den Dattelpalmen.
Bei der traditionellen Bewässerung werden große Mengen Wasser durch die Oase geleitet, das dort versickert. So bilden die Dattelpalmen tiefe Wurzeln aus, die den Baum stabilisieren. So können die Datteln den starken Schirokko-Winden standhalten.
Ein junger Mann klettert in den Wipfel einer Dattelpalme
Der Dattelanbau ist zeitintensive und gefährliche Handarbeit. Um die Palmen zu bestäuben und die Früchte zu ernten, steigen die Arbeiter meist barfuß auf die Palmen.

Monokultur statt traditioneller Etagenwirtschaft

In der Region von Nefzawa liegen 60 Prozent der Oasen-Anbauflächen des Landes; rund ein Drittel der arbeitenden Bevölkerung ist dort in der Landwirtschaft tätig. Traditionell sind Oasen ein ausgeklügeltes System, das in sogenannten Etagen bewirtschaftet wird. Ganz unten, in der Boden-„Etage“, werden Gemüse und Kräuter angebaut. Je nach Saison sind das zum Beispiel Bohnen, Karotten oder Petersilie. Die zweite Etage bilden Obstbäume, die dritte dann die Dattelpalmen selbst. Auch einige Ziegen und Schafe werden manchmal in den Parzellen gehalten, wo sie das Unkraut abweiden.

Die verschiedenen Etagen garantierten den Bewohnern lange Zeit nicht nur den Lebensunterhalt und ganzjährige Versorgung mit Lebensmitteln, sie schufen auch ein einzigartiges Mikroklima, mit dem die Feuchtigkeit im Boden gehalten wurde. So konnte trotz des trockenen, heißen Wüstenklimas mit äußerst geringen Wasservorkommen Landwirtschaft betrieben werden.

Doch von der traditionellen Wirtschaftsform zur Selbstversorgung ist heute nicht mehr viel übrig. Die Etagenwirtschaft findet man in der Region immer seltener, dafür immer häufiger Plantagen in Monokultur. Im Verlauf des vergangenen Jahrhunderts wurde die Dattelindustrie als strategisch wichtiger Wirtschaftszweig von nationaler Bedeutung entdeckt – mit fatalen Folgen für die Region, wie eine neue Studie verschiedener tunesischer Nichtregierungsorganisationen nahelegt. Sie hat die Verbindung zwischen der Ausbeutung der Wasserressourcen und der Devisen-orientierten Exportpolitik analysiert.

Historisches Foto der Oase von Kebili. Die Wasserquelle bildet einen kleinen See, im Hintergrund sind Palmen zu sehen.
Früher reichte das Grundwasser in der Oase von Kebili aus, um den Verbrauch von Bevölkerung und Landwirtschaft zu stillen.
Historisches Foto: Tunesische Familie besorgt sich ihren Wasservorrat an einer Quelle in der Oase von Kebili. Ein Esel trägt Wasserkanister, mehrere Personen sitzen am Rand der Quelle.
Die Quelle in der Oase von Kebili war früher zentral für das Leben der Bevölkerung.
Ein trockenes Flussbett ist mit Müll übersäht.
Heute sind die Quellen in den Oasen ausgetrocknet und oft verschmutzt
Kühlturm, an dessen Außenseiten Wasser hinunterfließt.
Das Wasser, das aus tieferen Schichten gepumpt wird, um den Wasserbedarf der Region zu stillen, muss erst abgekühlt werden, bevor es in der Landwirtschaft genutzt wird.

Früher gab es mehr als 200 Dattelsorten, heute dominiert die Deglet Ennour

Die Sorte Deglet Ennour macht heute 80 Prozent der exportierten Datteln aus; auf 95 Prozent der in den letzten fünf Jahren neu angelegten Plantagen wird sie angebaut. Dabei gab es früher in Tunesien mehr als 200 verschiedene Dattelsorten, jede mit eigenen Charakteristika und Erntezeiten. „Einige sind heute wahrscheinlich ausgestorben“, fürchtet Nabila Kadri. Bei anderen gäbe es teilweise nur noch einzelne Palmen an verschiedenen Orten.

Erste Tendenzen, besonders auf die Deglet Ennour zu setzen, gab es schon zur Zeit der französischen Kolonialherrschaft. Mit Beginn des 20. Jahrhunderts begannen die Kolonialherren, Palmenplantagen außerhalb der traditionellen Oasen anzulegen und Brunnen zu bohren. Damit sollten einerseits die nomadischen Bewohner der Region sesshaft gemacht werden, andererseits begann damit die Exportwirtschaft in die Hauptstadt Tunis und nach Frankreich.

Zwei wichtige Ergebnisse der kolonialen Landwirtschaft hält Zoé Vernin fest, Hauptautorin der Studie tunesischer NGOs: „Zum einen die beginnende Austrocknung der sprudelnden Wasserquellen unter dem Einfluss der Bohrungen, zum anderen die Anfänge eines Monokultur-Systems zu Spekulationszwecken.“

Die koloniale Landwirtschaftspolitik der Franzosen wurde vom tunesischen Staat fortgesetzt, nachdem das Land 1956 seine Unabhängigkeit erlangt hatte. Das geschah oft auf dem Rücken der Bewohner, denen in der Diktatur bis zur Revolution 2011 die Hände gebunden waren.

Ein Strunk mit gelblich schimmernden Datteln
Die Deglet Ennour ist das wichtigste Produkt der Region.
Ein Mann und eine Frau halten einen gerade geernteten Strunk mit Datteln in der Hand.
Viele Familien leben in der Region von Kebili von den Datteln

Kaum Profite für die lokale Bevölkerung

Diese Verschiebung der Reife hätte nicht nur einen Einfluss auf das für den Verkauf so wichtige Aussehen, das Aroma und die Textur der Datteln, sie würde, befürchtet Chaira, auch die Zusammensetzung von Zucker, Proteinen und Antioxidantien der Früchte verändern. Die Kälte des Herbsts und Winters habe entscheidenden Einfluss auf den Reifungsprozess. Nabila Kadri bestätigt das: Nur in den Bergoasen an der algerischen Grenze, wo noch heute im Dezember geerntet wird, sei die Qualität vergleichbar mit der jener Früchte, die noch vor 15 Jahren in den Oasen in der Wüste heranreiften.

Durch die Strategie, im Nefzawa alleine auf Datteln für den Export zu setzen, leidet jedoch nicht nur die Umwelt. Auch die lokale Bevölkerung zieht den Kürzeren gegenüber den Exporteuren. Denn die Profite aus der ressourcenfressenden Monokultur kommen in der Region kaum an. Ernte, Transformation, Großhandel und Export sind fest in der Hand einiger weniger Geschäftleute, die de facto ein Monopol auf die Dattelwirtschaft haben – und die fast ausnahmslos aus dem reichen Norden des Landes kommen.

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Sarah Mersch


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