Szenario 2030: So lebendig können Nord- und Ostsee wieder werden, wenn wir sie wirklich schützen

Überfischung, Lärm, Mikroplastik: Vieles bedroht die Tierwelt der Nord- und Ostsee. Doch wie kann eine Wende bis 2030 gelingen? Wir begleiten Menschen, die sich für den Schutz der Meere einsetzen.

vom Recherche-Kollektiv Countdown Natur:
12 Minuten
Felsenmakrele, die zwischen Miesmuscheln rumkrabbelt

Nehmen wir an, es träte ein überraschender Fall ein: Die deutsche Politik setzt ihre Versprechen aus den UN-Gipfeln zu Klima- und Naturschutz bis zum Jahr 2030 auch wirklich konsequent um. Wie würde Deutschland dann aussehen, was wäre anders, wie würde sich unser neuer Alltag gestalten? In der Reihe „Szenario 2030“ beschreiben wir, was eine ökologische Zukunft konkret bedeuten kann – auf Grundlage aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse. Das erste Szenario handelte von der Landwirtschaft, das zweite von Energieerzeugung, das dritte von weltweiten Schutzgebieten.

Im vierten Szenario geht es darum, wie es 2030 um Nord- und Ostsee stehen kann. Wir haben dazu Menschen gefragt, die sich für deren Schutz einsetzen – auf politischer Ebene, in der Forschung oder durch das Anlegen künstlicher Riffe. Auf Grundlage ihrer Antworten haben wir eine Zeitreise ins Jahr 2030 entworfen – ein fiktives Szenario, wie sich diese Menschen ganz real eine positive Zukunft vorstellen.

WO SICH VOR ACHT JAHREN vor allem Algen und Quallen verbreiteten, blüht heute ein kleines Paradies: Seesterne krabbeln am Gestein entlang, Dorsche verstecken sich zwischen Rotalgen und ein kleines Seepferdchen schwimmt seinem Elterntier hinterher. Aus toten Zonen sind bunte Habitate geworden und auf sandigen Böden künstliche Riffe entstanden. Dorsch, Hering und Seelachs füllen wieder die Netze der Fischerinnen und Fischer.

Meer und Watt begegnen sich im goldenen Licht der Abendsonne.
Weltnaturnaturerbe Wattenmeer: Die Elbmündung bei Niedrigwasser.

Wie kam es zu solch einem Umschwung in Nord- und Ostsee?

Eine Tauchexkursion in die Ostsee, im Juli 2030. Thomas Mohr möchte sein Riff inspizieren. Als Mitarbeiter der Landesforschungsanstalt für Landwirtschaft und Fischerei Mecklenburg-Vorpommern hat er auf eine Methode gesetzt, die früher vielen noch als gewagtes Experiment mit zweifelhaftem Nutzen galt. Während Touristen in einer verglasten Gondel auf die Meereswelt blicken, taucht Mohr hinab zu seinem Lebenswerk: dem Riff Nienhagen, acht Kilometer westlich von Warnemünde in zwölf Meter Tiefe gelegen. 2003 zunächst von dem Projektleiter als reine Forschungsplattform errichtet, hat es sich im Laufe der Jahre immer mehr zu einer Touristenattraktion entwickelt.

Ein kurzer Atemzug durch das Luftventil, ein kräftiger Flossenschlag – und weiter schwimmt der 73-Jährige in die Tiefe. Das grünliche Wasser wirbelt auf. Meerforellen, Sandaale und Dorsche suchen zwischen pyramidenförmigen Betonklötzen und aufgeschütteten Steinen nach Schutz. Der Dorsch galt 2022 noch als so überfischt, dass es verboten war ihn in der westlichen Ostsee zu fangen. Mittlerweile hat sich die Population erholt.

Plötzlich nimmt die Strömung zu. Mohr muss sich an einem Seil festhalten, um nicht fortgerissen zu werden. Unter ihm filtern die Lebewesen des Riffs das Wasser. Vielerorts haben Miesmuscheln bereits dichte Teppiche gebildet. An anderen Stellen ist noch der graue Untergrund des Betonklotzes zu sehen – vor allem dort, wo Enten den Bewuchs kahlgefressen haben. Auch Seesterne krabbeln über den Meeresgrund. Mohr sieht dem Wimmeln zufrieden zu: Das Leben hier im Riff hat sich erholt.

Ein Taucher im grünlichen Wasser befestigt Eisenkette an Miesmuschelbank
Thomas Mohr auf Tauchgang im Riff

Viel Fisch durch viel Meeresschutz

Thomas Mohr hatte ursprünglich nicht geplant, Fische zu schützen. „Ich wollte welche fangen“, sagt er, als er an jenem Julitag 2030 wieder aus dem Wasser steigt. Routiniert legt er seine Taucherbrille und das Luftventil ab. Um ihn herum auf der gelben Arbeitsplattform, die wie eine Bohrinsel aus dem Wasser ragt, laufen Menschen hin und her. Hobbytaucher ziehen sich gerade für ihren Ausflug um.

Mohr freut sich über die Touristen, auch weil sie dem Projekt Aufmerksamkeit und Einnahmen verschaffen. Doch beides, sagt er, sei nur ein angenehmer Nebeneffekt: Der Hauptzweck des neuen Tauchreviers ist die Bewahrung und Wiederbelebung der Meeresfauna.

Miesmuschel unter Wasser neben anderen Miesmuscheln
Miesmuscheln reinigen das Wasser am Riff

Wie wichtig diese Aufgabe auch für die Fischereiwirtschaft ist, war ihm noch nicht klar, als er 1983 seine Ausbildung zum Diplomingenieur für Fangtechnik absolvierte. Wer viele Fische fangen will, muss Methoden entwickeln, sie möglichst effektiv aus dem Meer zu holen – so dachte nicht nur er; es war die herrschende Lehrmeinung in der gesamten Fischereibranche. Doch es dauerte nicht lange, bis Mohr erkannte: „So, wie wir fischen, zerstören wir die Ozeane.“ Er beschloss, einen anderen Weg einzuschlagen: die Lebensräume zu stärken, auf den die Fische in ihrer Entwicklung angewiesen sind. Und so ihre Populationen zu erhalten und wieder zu vermehren.

Zunächst half er bis 2002, die Meerforelle wieder in Mecklenburg-Vorpommern anzusiedeln. Parallel dazu wurde er in das Riffprojekt eingebunden, das seit 1994 vom Rostocker Institut für Landwirtschaft und Fischerei und der Landesforschungsanstalt für Landwirtschaft und Fischerei Mecklenburg-Vorpommern entwickelt wurde.

Basstölpel sind elegante, große Vögel mit cremefarbenem Federkleid und einem orangefarbenen Kopf. Ein Paar bei der Balz reibt Hälse und Schnäbel aneinander.
Basstölpel gehören zu den vielen Besonderheiten der Vogelwelt von Helgoland.

Ein Biotop entsteht

Gemeinsam mit Betoningenieuren entwarf Mohr das Grundgerüst des Riffs, koordinierte die Arbeiten daran, beriet sich mit einem Bewuchsmeister, der die passenden Pflanzen auswählte. Nach und nach wurden Betonklötze, Seile und Natursteine im Riff versenkt. Auf knapp 50.000 Quadratmetern entstand ein Biotop – eines, das auch dem bedrohten Dorsch Schutz bieten würde, so Mohrs Hoffnung

Doch damit sich diese Hoffnung erfüllte und die Ostsee mehr geschützt werden konnte, brauchte es mehrere Entscheidungen. Sie fielen im Jahr 2024. Die Populationen von Hering, Dorsch und anderen Fischarten standen am Rand des Zusammenbruchs, verursacht durch ein zerstörerisches Fischereimanagement, das auf immer größere Schiffe und immer stärkere Motoren setzte, und auf Schleppnetze, die sich zehn Zentimeter tief in den Meeresboden gruben.

Einige Meeresbiologen und Fachleute für Fischereiwissenschaft sprachen sich für ein mehrjähriges Fangverbot aus, um den Beständen Zeit zur Erholung zu geben. Der Deutsche Fischerei-Verband hielt dagegen. Er betonte, dass ein komplettes Fangverbot „nicht zielführend“ sei. Stattdessen empfahl er, Managementpläne, die alle drei Säulen der Nachhaltigkeit berücksichtigen, aufzustellen und mit moderaten Fangquoten einen Wiederaufbau zu ermöglichen.

Das Umdenken macht eine Umweltschützerin optimistisch

Wie Thomas Mohr hat auch Nadja Ziebarth die Erholung des Meeres aus nächster Nähe miterlebt. Als Leiterin der Meeresschutzbüros der Umweltorganisation BUND in Bremen hat sie in den 2020er Jahren alle Kontroversen mit ausgefochten und bei vielen der Lösungen mitgewirkt.

Wenn Ziebarth ein paar Jahre zurückdenkt, wird ihr noch immer ganz schwindelig von der Fülle der Umweltprobleme von damals.

Es hat sich viel geändert seit damals, als nach dem Weltnaturschutzgipfel der Vereinten Nationen ab 2023 endlich ernst gemacht wurde mit dem Meeresschutz. Der Plastikmüll wurde reduziert, für Wasserorganismen schädliche Pestizide verboten, der Einsatz von Gülle und Kunstdünger in der Landwirtschaft stark zurückgefahren – auch dank entschlossener Durchsetzung der EU-Nitratrichtlinie. Dadurch, sagt die Meeresschutzexpertin, seien die Nährstoffe, die sich noch Anfang des Jahrzehnts in die Meere ergossen, deutlich reduziert worden.

Die Effekte der Schutzmaßnahmen zeigen sich schon jetzt, wenige Jahre nach ihrer Einführung: Badende können plötzlich jederzeit wieder ihre Füße im Wasser sehen, das tiefer einfallende Sonnenlicht lässt Seegraswiesen sprießen. Diese bieten den Fischen Schutz.

Fischschutz als Klimaschutz

Neben Seepferdchen, Seenadeln und anderen Meereslebewesen sind auch Heringe, Sprotten oder Makrelen in die deutschen Meere zurückgekehrt. Denn in der Fischerei hält sich der Sinneswandel für echt und dauerhaft. Fischfang und Naturschutz werden nicht mehr gegeneinander ausgespielt. Als die Fischerinnen und Fischer selbst erleben konnten, wie die Meeresschutzgebiete dazu beitragen, dass die Populationen und Fangmengen wieder wachsen, hat sich das alte Gegeneinander in Luft aufgelöst.

Inzwischen, sagt Ziebarth stolz, würden Fische sogar als Mittel des Klimaschutzes gesehen, denn sie können erhebliche Mengen CO2 im Meer binden – vorausgesetzt, ihre Populationen sind groß genug und nicht durch Überfischung und Verschmutzung bedroht.

Für Ziebarth ist klar: Selbst mit moderaten Fangquoten hätten vor allem die Ostseefischer spätestens ab 2030 gar keinen Fisch mehr aus dem Meer holen können. Das, sagt sie, hätte vor allem kleinere Betriebe, bei denen nur ein, zwei Fischer rausfahren und die Tiere einzeln aus den Netzen holen, in den Ruin getrieben. „Durch den zeitweiligen Verzicht haben sie zumindest eine Überlebenschance bekommen”, sagt die Umweltschützerin

Dass die Konflikte zwischen Naturschutz und Windenergienutzung deutlich weniger geworden sind, erleichtert die Umweltschützerin ebenso. „Was haben wir für Pseudodebatten geführt”, sagt sie.

Ziebarth weiß aber auch, welche großen Aufgaben es noch gibt: „Pestizide, Nährstoffe, Mikroplastik – wie haben die Meere als das Endlager unserer Gesellschaft behandelt“, sagt sie. Es braucht noch Zeit, bis alles in den ursprünglichen Zustand zurückkehrt. Frisches Seegras, das einen wichtigen Lebensraum für die Meeresbewohner darstellt, wächst zum Beispiel bisher nur im flachen Wasser. Tiefer dringt das Licht noch nicht vor. „Bis man wie früher zehn Meter tief sehen kann, braucht es vermutlich noch zehn Jahre”, sagt Ziebarth.

Was Trottellummen mit der Energiewende zu tun haben

Die Wende in der Fischerei war ein wichtiger, vielleicht sogar der entscheidende Beitrag, um die deutschen Biodiversitätsziele zu erreichen. Aber auch andere Interessengruppen mussten erhebliche, zum Teil schmerzhafte Kompromisse zugunsten der Natur eingehen. Darunter auch eine Branche, die zwar weniger die Ressourcen der Meere nutzt, aber wie kaum ein anderer Wirtschaftszweig deren Flächen beansprucht: die Windkraftindustrie.

So wie wir fischen, zerstören wir die Ozeane.

Thomas Mohr

Besonders zeigt sich das rund 300 Kilometer vom Riff Nienhagen entfernt, mitten in der Nordsee: auf Helgoland. Wellen fluten die Strände oder brechen sich an den roten Sandsteinfelsen, die bis zu 60 Meter aus dem Wasser ragen. In den Nischen und auf den schmalen Vorsprüngen der Felsen brüten 2030 Tausende von Trottellummen, sowie auch Basstölpel.

Früher erkannte man deren Nester schon von weitem, weil sie auffallend bunt aussahen: Die Vögel verarbeiteten darin zahlreiche Plastikteile wie Schnüre von Fischernetzen oder Verpackungsteile. Seit die Plastikvermüllung der Meere eingedämmt worden ist, sind die Nester der Basstölpel wieder grün-braun statt gelb-hellblau – die Vögel errichten sie, wie früher, aus Algen.

Windkraftanlagen im Meer, im Vordergrund ein Serviceboot.
Der Offshore-Windpark „Nordsee 1“ vor der ostfriesischen Insel Spiekeroog in Niedersachsen.

Vor allem die Flugrouten der Vögel haben sich verändert. Statt etwa wie vor acht Jahren innerhalb eines Tages über hundert Kilometer nach Dänemark zu fliegen, fischen die Tiere nun in den Gewässern rund um Helgoland. Zum einen, weil sie dort, dank reduzierter Fangquoten, wieder reichlich Futter finden. Aber es gibt noch einen anderen Grund, weshalb die Tagesflugstrecken der meisten Seevögel sich deutlich reduziert haben: Sie fliegen weniger weite Umwege.

Auch diese Entwicklung geht auf eine richtungsweisende Entscheidung einige Jahre zuvor zurück.

Wie viel Windkraft brauchen wir?

Im Januar 2022 stellte die Bundesregierung ihre Pläne vor, die Windkraft massiv auszubauen – vor allem auf See. Zu dieser Zeit wurden knapp acht Gigawatt „offshore“ erzeugt; diese Menge sollte, laut Zielvorgabe, bis 2040 auf 40 Gigawatt vervierfacht werden.

Die Pläne der Regierung stießen bei Meeresschützern auf teils heftige Kritik – vor allem bei jenen, die sich um die vielfach bedrohten, seit Jahren dramatisch sinkenden Seevogelpopulationen sorgten. Forschungen zeigten schon damals: Manche Vögel meiden Flächen mit viel Windkraft. Wichtige Habitate gehen für die Tiere verloren.

Die Nordsee schien wie ein endloses Meer, das noch für allerlei Zwecke gebraucht werden konnte. Tatsächlich wurde schon viel der Fläche genutzt. Allein in der Deutschen Bucht, einem der meistbefahrenen Schiffsreviere der Welt, schoben sich jährlich 120.000 Schiffe durchs Wasser. Gefischt wurde flächendeckend, und auch die Bundesmarine konnte das Seegebiet für ihre Manöver nutzen – einschließlich Sprengungen und Schießübungen. Und diese Meere sollten nun auch noch auf 30 Prozent ihrer Fläche mit Windparks bebaut werden – zumindest laut Schätzungen von Umweltverbänden.

Hätte die Bundesregierung an ihren Plänen festgehalten, so befürchteten Forschende, wären die Meere noch voller geworden. Und somit wichtiger Lebensraum für die Trottellumme verloren gegangen.

Blick in die Weite über die sehr hohen roten Klippen und das offene Meer.
Die berühmten roten Klippen von Helgoland

Offshore-Anlagen nur fernab der Schutzgebiete

Im Frühjahr 2022 stießen die Bedenken der Meeresschützerinnen und -schützer noch vielfach auf Unverständnis. Viele Menschen aus der Windkraftbranche, aber auch aus dem Klimaschutz waren anderer Ansicht: Was zählten schon ein paar tote Meeresvögel angesichts der Menschheitsaufgabe, die Klimakatastrophe aufzuhalten? Musste man im Angesicht dieser Katastrophe den Ausbau der Windkraft nicht mit allen Mitteln forcieren – koste es, was es wolle?

Konsequenter Naturschutz kommt auch dem Klima zugute.

Nadja Ziebarth

Die Einwände der Meeresschützerïnnen brachten schließlich auch die windkraftbegeisterten Ministerïnnen zum Nachdenken. Zusammen initiierten sie einen intensiven Dialog, in dessen Verlauf Vertreterïnnen von Politik und Windkraftbranche gemeinsam mit Forschenden ein Konzept für eine naturverträgliche Energiewende entwickelten.

Heute, 2030, produzieren Offshore-Windparks in Nord- und Ostsee 15 Gigawatt an Strom. Alle Anlagen wurden abseits von Schutzgebieten errichtet, und in ausreichendem Abstand zu ihnen. Die neuen Anlagen sollen weder Vogelflugrouten blockieren, noch zu übermäßiger Lärmbelastung für die Schweinswale führen, die sich anhand von Schallwellen im Meer orientieren.

Die Suche nach solch naturverträglichen Standorten war und ist schwierig – ein ständiges Ringen zwischen Ökologie und Ökonomie, das vor allem durch die Energiekrise 2022 verschärft wurde. Im Laufe der vergangenen Jahre zeichnete sich immer mehr ab, dass die Bundesregierung ihre Ausbauziele für Offshore-Windkraft zurückschrauben musste, sollte den Tieren von Nord- und Ostsee noch ausreichend ungestörter Lebensraum bleiben.

Doch Wirtschafts- und Umweltministerium fanden andere Wege, die Vorgaben des Pariser Klimaschutzabkommens zu erfüllen. Sie setzten unter anderem vermehrt auf den Ausbau der Photovoltaik, auf eine konsequente Verkehrswende und den energetischen Umbau des Wohnungsbestands. Die Energiewende, die 2022 noch wie eine ferne Fiktion erschien, ist mittlerweile Realität: Deutschland ist nicht nur fast unabhängig von Kohle und Gas, sondern hat auch den Pro-Kopf-Ressourcenverbrauch auf ein nachhaltiges Maß reduziert.

Die Meeresfauna erholt sich

Helgoland, Sommer 2030: Schwärme von Lummen und Basstölpeln tauchen vor der Küste nach Fischen, Eiderenten schaukeln auf dem Wasser und Kegelrobben fläzen sich am Strand der Düne. Viele Arten haben sich erholt. Nach manchen hält sich trotz erheblichen Schutz der Biodiversität vergeblich Ausschau: Die Dreizehenmöwe etwa lässt sich nur noch selten auf Helgoland blicken. Sie hat sich durch die nach wie vor steigenden Temperaturen in nördlichere Gewässer zurückgezogen.

Älterer Mann auf einem Boot auf dem Meer, im Hintergrund eine gelbe Plattform, die aus dem Wasser ragt
Thomas Mohr bei der Forschungsstation des Riffs Nienhagen – in der Jetztzeit, versteht sich.

Zur selben Zeit in Nienhagen an der Ostsee: Thomas Mohr bereitet alles für eine weitere Tauchexkursion zu den drei neuen Riffs vor, die seine Mitarbeitenden seit 2022 errichtet haben. Er hätte gern noch selbst daran mitgebaut, aber die Planungen waren nicht abgeschlossen, als er 2023 in Rente ging. Umweltbehörden, aber auch Meeresschützerïnnen hatten immer wieder Bedenken erhoben: Künstliche Riffe sind ein erheblicher Eingriff in die Natur; sie sollten daher nur dort errichtet werden, wo der Meeresboden nachweislich zerstört ist. Aber genau dieser Nachweis ließ sich lange kaum führen, weil der Boden der Ostsee weitgehend unbekanntes Terrain war; die jahrzehntelangen Verwüstungen durch Grundschleppnetze – zerstörte Seegraswiesen, verschleppte Steine – waren kaum dokumentiert.

Mohrs ehemalige Mitarbeitende haben das mittlerweile nachgeholt; sie haben in vielen Tauchgängen den Meeresboden mit Fotos und Videoaufnahmen kartiert. Und schließlich Standorte gefunden, an denen die Riffe für maximale Belebung sorgen konnten. Heute lernen dort Hobbytaucherinnen und -taucher Flora und Fauna kennen, Schulklassen führen mit Unterwasserkameras Experimente durch. Und Dorsch, Hering oder Makrele finden zwischen Natursteinen und Betonklötzen reichlich Versteckmöglichkeiten.

Mohr ist zufrieden: „Endlich kann ich genießen, was ich dort sehen kann“, sagt er nach dem Tauchgang. Während seiner Rente hat er viel Zeit, um sich die Flora und Fauna anzuschauen. Danach schlendert er durch die Fußgängerzone in Warnemünde zu einem Fischrestaurant. Früher wurden dort viel Fischarten aus weiter Ferne wie der afrikanische Viktoriabarsch serviert. Jetzt, acht Jahre nach dem Fischereiverbot, kann Mohr dort endlich wieder ein Filet vom heimischen Ostseedorsch genießen.

Im Projekt „Countdown Natur“ berichten wir mit Blick auf den UN-Naturschutzgipfel über die Gefahren für die biologische Vielfalt und Lösungen zu ihrem Schutz. Die Recherchen zu diesem Beitrag wurden von der Hering Stiftung Natur und Mensch gefördert. Sie können weitere Recherchen mit einem Abonnement unterstützen.

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