Grüne und Umweltverbände fordern Offensive für mehr Naturschutz

Milliarden aus dem Klimafonds sollen helfen, Klimawandel und Artensterben gemeinsam zu stoppen. Kritik von Union, SPD und FDP

vom Recherche-Kollektiv Countdown Natur:
6 Minuten
Eine Morgenstimmung im Moor

Umweltverbände und die Grünen im Bundestag fordern eine rasche und weitreichende Verzahnung von Natur- und Klimaschutz. Im Zentrum dabei: Naturbasierte Lösungen – also der Schutz und die Renaturierung von Lebensräumen wie Mooren und naturnahen Wäldern, die Kohlenstoff speichern und zugleich wertvolle Lebensräume sind. Für Deutschland sieht eine Studie des Naturschutzbundes (Nabu) ein großes Potenzial an Flächen, auf denen naturbasierte Lösungen verwirklicht werden könnten.

Grüne wollen Milliardenbetrag aus dem Energiewende-Fonds für für Naturschutz

Die Grünen legten im Bundestag nun einen Antrag vor, nach dem künftig zehn Prozent der Mittel aus dem Energie- und Klimafonds des Bundes zur Renaturierung von Gebieten eingesetzt werden sollen, die sowohl ökologisch besonders wertvoll sind als auch als Kohlenstoffspeicher zum Klimaschutz beitragen.

„Wir wollen damit massive Investitionen zum Schutz der Natur auslösen und die chronische Unterfinanzierung des Naturschutzes beenden“, sagte die naturschutzpolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Steffi Lemke, in der Debatte. „Die Zuspitzung von Klimakrise und Arten-Aussterben erfordert einen radikal anderen Umgang mit unserer Natur“, begründete sie den Vorstoß. Der Energie- und Klimafonds (EKF) war 2011 von der Bundesregierung mit dem Ziel eingerichtet worden, die Umsetzung der Energiewende voranzutreiben. Im laufenden Haushaltsjahr würden 10 Prozent rund 2,6 Milliarden Euro bedeuten. „Das wäre ein echter Paradigmenwechsel in der Naturschutzpolitik in Deutschland“, sagte Lemke.

Ein Luftfoto eines großen Grünlandstücks mit Wald und Schilfabschnitten
Feuchtgrünland gehört zu den wertvollsten Lebensräumen in Deutschland. Sein Erhalt dient gleichzeitig dem Klimaschutz.

Im Zentrum der Förderung durch das vorgeschlagene „Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz“ sollen artenreiche und klimawirksame Ökosysteme stehen wie Moore, Seegraswiesen, Auen und naturnahe Wälder. Dadurch soll es auch gelingen, wieder mehr Wasser in der Landschaft zu halten – eine entscheidende Voraussetzung für die Widerstandsfähigkeit von Ökosystemen in Zeiten des Klimawandels.

Die Grünen verweisen in ihrem Antrag auf die völkerrechtlich bindenden Verpflichtungen, die Deutschland zum Schutz des Klimas, der Artenvielfalt und der Ökosysteme eingegangen ist, darunter die Konvention über biologische Vielfalt (CBD) und die EU-Biodiversitätsstrategie.

Wie alle anderen Länder auch, hat Deutschland bislang sämtliche Naturschutzziele gerissen, international wie national. Im Herbst wollen die Vertragsstaaten beim Weltbiodiversitätsgipfel im chinesischen Kunming neue Ziele für die kommenden zehn Jahre setzen. Der Verhandlungsprozess läuft allerdings schleppend. Auch die Europäische Union will noch in diesem Herbst verbindliche Ziele für die Renaturierung von Lebensräumen beschließen.

Das Programm soll ein „Gamechanger“ für den Naturschutz in Deutschland sein

Es sei politisch nicht mehr hinnehmbar, immer neue schöne Ziele zu setzen und in einigen Jahren erneut feststellen zu müssen, dass kein einziges erreicht worden sei, sagte Lemke. Das vorgeschlagene Programm habe das Potenzial, einen grundlegenden Wandel hin zu einer gemeinsamen Bekämpfung von Klimawandel und Artensterben zu erreichen.

Zu den Forderungen gehört neben der Finanzierung der Natur- und Klimaschutzmaßnahmen auch die Schaffung eines verbindlichen Rechtsrahmens für die Umsetzung von Nature-Based Solutions. Darin solle die Beachtung des Ökosystemansatzes zur zentrale Voraussetzung für die Anerkennung als naturbasierte Lösung festgeschrieben werden und „eine Bewahrung bzw. Wiederherstellung natürlicher Ökosysteme unter Wahrung von Indigenen- und Landrechten in den Mittelpunkt rücken“. Gleichzeitig müssten nur vermeintlich ökologische Maßnahmen wie sowie Offsetting, CO2-Anrechnung und Geoengineering ausgeschlossen werden.

Auch Wissenschaftlerïnnen warnen seit langem davor, dass einige Initiativen, die sich als naturbasierte Lösungen bezeichnen, dies nur vortäuschen. “Das NbS-Konzept wurde vereinnahmt, um die unveränderte Nutzung fossiler Brennstoffe zu entschuldigen, und speziell das Pflanzen von Bäumen wurde als „Patentlösung“ für den Klimawandel überbewertet”, kritisiert beispielsweise die Nature-based Solution Initiative aus Oxford. Solche Projekte lenken nach Einschätzung der Oxford-Initiative von der Notwendigkeit der Dekarbonisierung der Energiesysteme ab und ignorierten die Bedeutung anderer Ökosysteme als Wald ebenso wie die vielfach nachteilige Auswirkungen auf lokale Gemeinschaften und die Biodiversität.

Vertreter der anderen Fraktionen attestierten dem Grünen-Vorstoß in weiten Teilen die bestehenden Probleme richtig zu analysieren, kritisierten es gleichwohl als praxisfern oder nicht sozial ausgewogen genug. Der CDU-Abgeordnete Klaus-Peter Schulze sagte, die Finanzierungsforderug von zehn Prozent des Energie- und Klimafonds sei unrealistisch, weil die Mittel auch beispielsweise für die Entwicklung von Technologien wie Wasserstoffnutzung genutzt werden müssten.

Der SPD-Umweltpolitiker Carsten Träger kritisierte, zu viel aus dem Fonds zu finanzieren, müsse zu einer Anhebung der CO2-Preise führen und könne ärmere Bevölkerungsschichten belasten. Der FDP-Politiker Lukas Köhler nannte den Antrag nicht mehr als einen schlecht gemachten Debattenbeitrag.

Ein Luftbild. Es zeigt einen Kanal im Havelländischen Luch in Brandenburg mit herbstlicher Färbung der umgebenden niedrigen Pflanzen
Immer noch wird, selbst in Naturschutzgebieten, Wasser im großen Stil aus den Ökosystemen abgeführt.

Naturschutzverbände fürchten Scheitern der Moorschutz-Strategie

Auch ein Zusammenschluss zahlreicher Umwelt- und Naturschutzinitiativen meldete sich mit Blick auf naturbasierte Lösungen zu Wort und warnte, die im Koalitionsvertrag vereinbarte Moorschutzstrategie des Bundes drohe am Widerstand des Bundeslandwirtschaftsministeriums zu scheitern.

Damit stünde neben dem Insektenschutzgesetz ein weiteres wichtiges Umweltvorhaben der Koalition auf der Kippe.

In einem Brief an Kanzleramtschef Helge Braun fordern mehr als 20 Verbände, die Strategie endlich umzusetzen. „Leider müssen wir aber feststellen, dass selbst die aus unserer Sicht nicht ausreichend ambitionierte Vorlage des Bundesumweltministeriums trotz insgesamt breiter Zustimmung nicht von allen Ressorts mitgetragen wird“, kritisieren sie mit Blick auf das Landwirtschaftsressort von Julia Klöckner (CDU).

„Entwässerte Moore sind alleine für sieben Prozent der deutschen Treibhausgasemissionen verantwortlich und damit gleichauf mit dem jährlichen Flugverkehr in Deutschland“, schreiben sie. Es sei daher allerhöchste Zeit, dem Moorschutz mehr Priorität einzuräumen. „Wir fordern die Bundesregierung eindringlich auf, ihr Versprechen im Koalitionsvertrag einzuhalten und zeitnah eine Moorschutzstrategie zu verabschieden, die mit den Zielen des novellierten Klimaschutzgesetzes übereinstimmt“, sagte der Geschäftsführer des Dachverbands der Umweltorganisationen DNR, Florian Schöne.

„Um die Pariser Klimaziele und weitere übergeordnete Umweltziele zu erreichen, brauchen wir engagierten und schnellen Moorschutz – in Deutschland, Europa und weltweit“, sagte Jan Peters, Geschäftsführer der Michael Succow Stiftung. Deutschland müsse seiner Verantwortung als größter Emittent von Treibhausgasen aus Mooren in der EU dringend nachkommen.

Studie sieht ein Fünftel Deutschlands geeignet für gemeinsamen Klima- und Naturschutz

Im gerade von der Bundesregierung beschlossenen Klimaschutzgesetz mit verschärften Zielen für 2030 ist erstmals auch der Landnutzungs- und Forstsektor („LULUCF“) mit eigenen Zielvorgaben benannt. Dabei spielen Moore als größte Emissionsquelle eine zentrale Rolle. Auch im Klimaschutzplan 2050 und im Klimaaktionsprogramm 2030 der Bundesregierung ist der Moorschutz als wichtiger Beitrag zum Klimaschutz verankert.

Unterzeichnet haben den Brief auch unter anderem BUND, Nabu, WWF, Deutsche Umwelthilfe und die EuroNatur Stiftung.

Einer vom Naturschutzbund Nabu in Auftrag gegebenen Studie zufolge wären mehr als 20 Prozent der Fläche Deutschland für naturbasierte Lösungen geeignet – etwa die Hälfte davon Wälder. Auch rund 9.300 Quadratkilometer Moorböden – entsprechend 2,6 Prozent der Landesfläche – 3.700 Quadratkilometer Auen und knapp 25.000 Quadratkilometer Grünland sollten bevorzugt bei Renaturierungen berücksichtigt werden, fordert der Verband.

Dies sei ein enormer Hebel, um Klimakrise und Artensterben gemeinsam anzugehen, sagte Nabu-Präsident Jörg-Andreas Krüger bei der Vorstellung der Studie. Im Zuge der EU-Vorgaben müssen mindestens 15 Prozent der Landes- und Meeresfläche für Renaturierungsprojekte vorgesehen werden.

„Sowohl die künftigen EU-Renaturierungsziele als auch die vom Bundesverfassungsgerichts eingeforderten höheren Klimaschutzziele nehmen Bund und Länder in die Pflicht, sich zeitnah mit dem Thema zu befassen “, sagte die Nabu-Biodiversitätsexpertin Magdalene Trapp zur Dringlichkeit des Themas.

Im Projekt „Countdown Natur“ berichten wir mit Blick auf den UN-Naturschutzgipfel über die Gefahren für die biologische Vielfalt und Lösungen zu ihrem Schutz. Die Recherchen zu diesem Beitrag wurden von der Hering Stiftung Natur und Mensch gefördert. Sie können weitere Recherchen mit einem Abonnement unterstützen.

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