Warum Klimaschutz zu einer sozialen Bewegung werden muss

Wie es gelingen kann, die Kraft der ganzen Gesellschaft für die Transformation zu nutzen – ein Kommentar

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Stark verfremdete Aufnahme von einem Klimastreik-Marsch. In der Mitte hält eine Frau ein Plakat hoch, auf dem steht: Nun mutet mir endlich was zu!

Klimaschutz braucht eine soziale Bewegung, um bisherige Strukturen und Gewohnheiten aktiv und mutwillig in Richtung Nachhaltigkeit zu verändern. Beim Blick in die Gesellschaft kann man bereits viele Kondensationskeime dafür erkennen. Da sind natürlich Fridays for Future und deren Partner-Organisationen sowie andere Protestgruppen. Aber wer genauer hinschaut, erkennt schnell, dass sich längst sehr viele Menschen mit verschiedenstem Hintergrund für eine ehrgeizige Politik engagieren oder danach rufen und mehr als bereit sind, zu handeln und miteinander Koalitionen zu bilden.

Als sich Rosa Parks weigerte, in Montgomery/Alabama für einen weißen Bus-Passagier aufzustehen; als sich Bauern und Studentinnen in Whyl und Brokdorf vor der Polizei und den Wasserwerfern auf die Straße setzten, da schrieben sie Geschichte. Sie waren und empfanden sich als Teil einer sozialen Bewegung, die für Gerechtigkeit und Vernunft eintrat und bessere Entscheidungen ihres Staates forderte. Die Mittel der Wahl waren öffentlicher Protest und gewaltloser Widerstand – auf den Weg über die Parteien und Parlamente allein wollten sich die Menschen nicht verlassen.

Beim Civil Rights Movement der USA und der Anti-AKW-Bewegung in Deutschland führte das schließlich dazu, dass die Politik den offenen Rassismus der Institutionen bekämpfte (auch wenn gerade dort noch viel zu tun bleibt) und den deutschen Ausstieg aus der Nukleartechnik beschloss. Die offensichtlichen Rückschläge nehmen den Erfolgen nichts von ihrer Bedeutung.

Gesellschaft in einem dynamischen Wandel

Es liegt deshalb nahe, dass auch der Klimaschutz von einer solchen sozialen Bewegung beschleunigt werden kann. Sie müsste alle Stimmen einbinden, die nach Transformation rufen. Von dort muss sie dynamisch wachsen, so dass immer mehr Menschen mitmachen, die immer mehr Bereiche verändern wollen. In der Klimabewegung ist nicht nur Platz für Personen, die im übertragenen Sinne Blumen im Haar tragen, sondern auch für Firmenchefinnen, soziale Entrepeneure, Wissenschaftlerinnen, kühl kalkulierende Strategen, Finanzfachleute, Ärztinnen und Therapeuten, Facharbeiter und Künstlerinnen, Konservative wie Progressive. Es sind Leute dabei, die die Welt retten wollen, einfach das Richtige tun oder Geld verdienen – oder alles auf einmal.

Das klingt zunächst wie ein – womöglich naiver, sicherlich angreifbarer – politischer Tagtraum. Aber er beruht auf der Analyse bisheriger Trends und Entwicklungen. Zurzeit versuchen wir doch, die nicht-lineare Veränderung des natürlichen Lebensraums in der Klimakrise mittels einer linearen (und zu langsamen) Reform des Energiesystems zu bekämpfen. So schreiben wir aber lediglich die alte Lebensweise mit neuer Technologie fort. Wir brauchen auf der Haben-Seite unserer politischen Bilanz dringend nicht-linearen Wandel: eine dynamisch wachsende soziale Bewegung. Damit haben wir viel zu gewinnen, vor allem ein besseres, gesünderes, gerechteres Leben.

Die Notwendigkeit einer „sozialen Bewegung Klimaschutz“ ergibt sich auch aus der intensiven Beschäftigung mit der Klimakommunikation. Sie ist in vielerlei Hinsicht ein bisher übersehener Schlüsselfaktor im Kampf gegen die Klimakrise, und das Handbuch, das ich in Zusammenarbeit mit klimafakten.de veröffentlicht habe, führt wissenschaftliche Grundlagen und Handwerk zusammen (https://klimakommunikation.klimafakten.de). Das Interesse, damit in die Breite zu gehen und immer mehr Menschen aus ihrer abwartenden Haltung zum Klimaschutz herauszulösen, ist groß.

Fasst man diese Kommunikation eng, will sie Menschen vom jeweiligen Ziel oder Zweck zum Beispiel einer Kampagne überzeugen und vom Wissen zum Handeln führen. Aber wenn man weiterdenkt, dann werden Menschen immer wieder mit solchen Kampagnen und Methoden in ihrer Breite und Vielfalt in Berührung kommen. So verstärken sich die Inhalte, Zwecke und Ziele gegenseitig, formen sich zu einem größeren Ganzen, ordnen sich ein in eine – eben – soziale Bewegung. Sie fasst zusammen und flankiert, was wir heute schon an vielen Stellen in der Gesellschaft sehen: immer weiter in Richtung einer Transformation zu gehen.

Kerngedanke ist, dass Menschen sich nicht mehr als passive Objekte, sondern zunehmend als aktive Subjekte der Klimapolitik erleben, die im Rahmen und zur Wahrung der eigenen Werte handeln. Sie werden zu Fordernden, die auch alle Ebenen der Politik zu ehrgeizigen, effizienten und empathischen Schritten drängen. Diese müssen Hindernisse beseitigen, Rahmen setzen und individuelle wie strukturelle Entscheidungen erleichtern.

Wertvoll, vereint und zahlreich, entschlossen

Für soziale Bewegungen hat der Soziologe Charles Tilly die Abkürzung WUNC geprägt: worthy, united, numerous und committed. Mitglieder der Bewegung müssen nach außen zeigen, dass ihr Ziel großen Wert für die Gesellschaft hat, dass sie viele und untereinander einig sind und sich den neuen Ideen verpflichtet fühlen. Das W und das C setzen dabei sogenannte prefigurative politics voraus, ein Vorwegnehmen der Ziele der Bewegung im eigenen Leben und Umgang miteinander – auch und gerade, wenn es unter den noch herrschenden Bedingungen schwierig und unbequem ist.

Das bedeutet nicht, Klimaschutz allein ins Privatleben von Menschen oder in die Initiative einzelner Firmen und anderer Organisationen zu verlagern. Wir können die Klimakrise nicht „an der Supermarktkasse“ lösen, das ist wahr. Und der oft genannte Gegenpol „an der Wahlurne“ ist zwar wichtig, aber nicht ausreichend. Es braucht die Politik mit ihrer Macht, Regeln zu setzen, aber auch die Zivilgesellschaft, die einfach mal anfängt und auf Fortschritt drängt. Menschen sollten mehr Einfluss und mehr Gelegenheit haben, Inseln der Zukunft in der Gegenwart zu erschaffen und dann Anderen stolz das Rezept zu erklären.

Solche Veränderungen, das zeigen psychologische Studien, weiten den Blick und lenken ihn auf immer mehr Felder, auf denen Veränderung nötig und möglich ist. Die Politik muss das begleiten, Ziele und Rahmen setzen, konkrete Maßnahmen anstoßen, Wege vorzeichnen, den Bürger:innen etwas abverlangen. „Mutet uns etwas zu“, fordern schon manche auf Demonstrationen, und das heißt oft auch: „Traut uns etwas zu.“ Daraus folgt schon: Der Staat handelt nicht für die Menschen, sondern mit ihnen.

Dazu gehört gerade in einer reichen Nation in Mitteleuropa internationale Verantwortung. Ein Industrieland bleiben zu wollen, dürfen wir nicht nur damit begründen, dass wir so unseren Wohlstand auf nachhaltige Weise sichern. Im Sinne etwa der Doughnut Economy nach Kate Raworth müssen wir im Norden dafür sorgen, selbst nicht länger die Decke der planetaren Grenzen zu sprengen. Und mit ebensolchem Einsatz dafür arbeiten, dass Menschen im globalen Süden sicheren Halt auf dem Fundament eines menschenwürdigen Lebens erreichen.

Politik muss betonen, dass es um ein neues, besseres Leben für alle geht. Sie kann ihre Initiativen und Beschlüsse in das Leitbild einer „sozialen Bewegung Klimaschutz“ einweben und für gemeinsamen Aufbruch werben. Das könnte mit einer Blut-Schweiß-Tränen-Rede beginnen. Oder, noch besser, mit einer Regierungserklärung, die öffnet und nach vorne weist wie einst Willy Brandts „Mehr Demokratie wagen“. Eine Erzählung von der Zukunft, die Menschen Verantwortung gibt und zugleich Ehrgeiz abverlangt. Olaf Scholz’ Vorgabe „Mehr Fortschritt wagen“ ist da leider noch zu kurz gesprungen.

Die soziale Bewegung ist eine Folge von Klimakommunikation

Diese Gedanken ergeben sich aus dem „Handbuch Klimakommunikation“, an dem ich seit langem arbeite. Es ist sukzessive online erschienen; inzwischen sind alle 21 Kapitel plus Einleitung und Nachwort veröffentlicht. Sie enthalten viele Elemente dieses Aufbruchs. Einige der Grundsätze aus den Kapiteln:

  • Die Klimakrise ist ein wicked problem, ein vertracktes Problem, dessen soziale, wirtschaftliche und technische Aspekte sich ständig gegenseitig beeinflussen. Lösungsansätze werden nicht allein vom Widerstand irgendwelcher „bösen Mächte“ verhindert oder von einer Flut von fake news und manipulierten, pseudowissenschaftlichen Argumenten gebremst. Diese sind ein Symptom des Problems, nicht seine Ursache.
  • Es genügt nicht, Menschen klare Informationen über den Klimawandel, seine Ursachen und Folgen zu geben. Oder ihnen Angst zu machen. Menschen müssen erkennen, wie sie selbst etwas dazu beitragen können, die Zerstörung der Lebensgrundlagen zu begrenzen und vielleicht zu stoppen. Erst dann entwickeln sie eine Offenheit für Fakten und Handlungswissen; sie sind also Folge, nicht Voraussetzung solcher Einsicht.
  • Lösungsansätze müssen effektiv und attraktiv sein, und den grundlegenden Werten der Menschen entsprechen. Sie sollten Gemeinschaft schaffen, neue Aspekte von Identität stiften, Stolz auf das Erreichte auslösen.
  • Welcher Ansatz der richtige ist, wer zu einer Zielgruppe wie spricht, bedarf eines genauen Zuschnitts. Angesichts der Dimensionen der Klimakrise müssen dabei praktisch alle politischen Strömungen diejenige Lösungen verfolgen und in der Debatte verfechten, die in das eigene Selbstbild passen. Dabei spielen Geschichten, Bilder, Metaphern und sprachliche Assoziation (Framing) sowie Gefühle eine wichtige Rolle.
  • Es ist entscheidend, der bisherigen Rhetorik vom Einsparen, Reduzieren (und dem schnell mitgehörten individuellen Verzichten) sprachliche Motive vom gemeinsamen Gestalten einer besseren Zukunft, von Aufbruch, Gelegenheit und Transformation entgegenzustellen. Passives Ertragen muss aktivem Mitmachen weichen.

All das spricht dafür, dass der Aufbruch in eine neue, klimafreundliche Zeit zu einem gesellschaftlichen Projekt werden muss. Corona-Pandemie und der russische Überfall auf die Ukraine mit den ausgelösten Sorgen um die Energieversorgung und die Sicherheit des eigenen Landes haben diesen Aufbruch nicht gerade erleichtert. Sie dürfen aber nicht zur Illusion führen, dass die Transformation unserer Lebensweise unnötig geworden ist oder auch nur nennenswert aufgeschoben werden darf. Beide Krise zeigen oder haben gezeigt, dass diese Gesellschaft zu entschlossenem, solidarischen Handeln mit breiter Unterstützung aus (fast) allen Schichten fähig und bereit ist – wenn die Aufgabe klar genug definiert und als worthy anerkannt ist. Dann sind die übrigen Elemente von Charles Tillys WUNC-Konzept ebenfalls in Reichweite.

Es ist an der Zeit, das Ziel offen zu definieren und strategisch und empathisch zu verfolgen. Der Klimaschutz muss eine nationale wie internationale soziale Bewegung werden, die sich auch als solche versteht. ◀

Zum Weiterlesen bei „KlimaSocial“ und „Klima wandeln“:

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