„Unerbittlicher Kampf um das 1,5-Grad-Limit“ – nach der Klima-COP überwiegt die Enttäuschung

Die mageren Ergebnisse des UN-Klimagipfels in Ägypten machen es fraglicher denn je, ob die Menschheit den Kampf um eine erträgliche Begrenzung des Klimawandels gewinnen kann. Die Reaktionen auf die Konferenz in Ägypten fallen überwiegend negativ aus

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Junge Menschen halten ein Schild mit der Aufschrift „Defend 1,5 Grad“ in die Höhe.

Nach der Weltklimakonferenz COP27 in Ägypten ist ungewisser als jemals zuvor, ob es der Staatengemeinschaft gelingen wird, die Erderwärmung auf unter 1,5 Grad Celsius im Vergleich zur vorindustriellen Zeit zu begrenzen und damit die allerschlimmsten Folgen des Klimawandels abzuwenden, etwa ständige Extremwetter sowie Knappheit an Lebensmitteln und nutzbarem Wasser.

Dem Konferenzbeschluss zufolge müssten, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen, die globalen Emissionen an Kohlendioxid (CO2) bis zum Jahr 2030 um 43 Prozent gegenüber 2019 sinken. Bisher sind die Emissionen trotz 30 Jahren internationaler Klimapolitik aber nur in Zeiten schwerer Wirtschaftskrisen kurzzeitig um jeweils wenige Prozent zurückgegangen. Zuletzt war dies während der Corona-Pandemie und zuvor während der Weltfinanzkrise 2008/09 der Fall. Im Trend sind die Emissionen aber in den vergangenen Jahrzehnten trotz aller Warnungen und Versprechen kontinuierlich auf heute knapp 37 Milliarden Tonnen pro Jahr gestiegen. Für 2022 wird ein weiterer Anstieg gegenüber dem Vorjahr um ein Prozent vorhergesagt.

Kein Arbeitsplan, um das 1,5-Grad-Ziel zu halten

Die Abschlußdeklaration der COP27 beschreibt zwar, dass „tiefe und nachhaltige” sowie „beschleunigte” Anstrengungen nötig sind, um das 1,5-Grad-Ziel noch zu erreichen. Dazu wird erstmals auch konkret der Ausstieg aus der Nutzung von Kohle zur Stromerzeugung genannt. Doch dem Gipfel gelang keine Einigung darauf, wie diese Anstrengungen in nur sieben Jahren umgesetzt werden sollen und welche Pflichten die 200 Mitgliedsstaaten der UN-Klimakonvention dabei übernehmen.

Beide Männer schauen sich direkt ins Gesicht, Michael hat den Zeigefinger erhoben.
Die EU wurde auf der COP27 mit dem Vorwurf konfrontiert, besserwisserisch und wenig zuverlässig zu sein – Ratspräsident Charles Michel mit UN-Generalsekretär António Guterres (r.).

Die bisher abgegebenen Selbstverpflichtungen von Staaten werden nach Analysen des UN-Umweltprogramms zu einer Erderwärmung zwischen 2,4 und 2,8 Grad Celsius führen. Ein solcher Temperaturanstieg hätte der Klimaforschung zufolge weltweit unumkehrbar katastrophale Folgen. Der Gipfel erbrachte keine substantiellen neuen Selbstverpflichtungen, um die für das 1,5-Grad-Limit nötige CO2-Reduktion zu erreichen. Schon der Klimagipfel 2021 in Glasgow hatte dies nicht vermocht und die Aufgabe deshalb an den diesjährigen Gipfel übertragen.

UN-Generalsekretär: Emissionsminderung nicht wirklich adressiert

Der wesentliche Erfolg der COP27 besteht darin, einen Fonds zu etablieren, um ärmere Länder später für Schäden durch den Klimawandel zu entschädigen. Hintergrund ist, dass Extremwetterereignisse, die früher als Naturkatastrophen galten, zunehmend ursächlich mit der menschgemachten Erderwärmung in Verbindung gebracht werden können. Dazu gehört zum Beispiel die weiträumige Überschwemmung von Pakistan in diesem Jahr, die nach Analysen von Klimaforschern durch die Erderwärmung um 50 Prozent wahrscheinlicher geworden ist. Betroffene ärmere Länder haben die Erderwärmung selbst aber kaum mitverursacht. Der Fonds für „Verluste und Schäden” soll hier einen Mechanismus zur Entschädigung schaffen Grundlegende Eckpunkte des Konzepts wie der Kreis der Berechtigten und die einzuzahlenden Summen sind aber noch unklar. Sie sollen nun von einer Arbeitsgruppe ausgehandelt werden.

Das mangelnde Ergebnis der Weltklimakonferenz COP27 bei der Senkung von Emissionen ist weltweit mit Kritik und teilweise mit Bestürzung aufgenommen worden. UN-Generalssekretär António Guterres begrüßte die Einigung auf einen Entschädigungsfonds als „wichtigen Schritt hin zu Gerechtigkeit”. Er kritisierte aber scharf das Fehlen einer Einigung zur CO2-Reduktion.

„Wir müssen die Emissionen jetzt drastisch reduzieren – und das ist ein Thema, das auf dieser COP nicht adressiert wurde”, erklärte Guterres in einer Videobotschaft. Die Welt müsse noch einen „riesigen Sprung in ihren Klimaambitionen machen” und ihre Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen beenden, indem sie „massiv” in erneuerbare Energien investiere. Der UN-Chef betonte auch die Notwendigkeit, dass die Industriestaaten die seit langem versprochenen 100 Milliarden Dollar pro Jahr an Entwicklungsländer auszahlen, mit denen diese eine umweltfreundliche Energieversorgung aufbauen sollen.

Bundesregierung spricht von gezielter Blockade

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) erklärte gemeinsam mit den Ministerien für Wirtschaft und Klimaschutz, Umwelt und Entwicklung, die auf der COP27 beschlossenen Schritte zur Minderung der Emissionen „reichen in Anbetracht der dramatischen Auswirkungen, welche die Klimakrise bereits heute hat bei weitem nicht aus.” Die Lücke zum 1,5-Grad-Ziel stehe „weiter klaffend offen”. Einige Staaten hätten jeden Versuch blockiert, diese Lücke ein Stück zu schließen, kritisieren die Bundesministerien. Vor allem ölproduzierende Staaten hatten Versuche abgewehrt, klarere Vereinbarungen über die CO2-Reduktion zu treffen. Zwischenzeitlich stand sogar ein Vorschlag zur Diskussion, eine weitere Verschärfung nationaler Minderungsziele vor 2030 zu verbieten.

Für den deutschlandweit mitgliederstärksten Umweltverband erklärte der NABU-Präsident Jörg-Andreas Krüger, es sei zunehmend unwahrscheinlich, dass das 2015 beim Klimagipfel von Paris verbindlich beschlossene 1,5-Grad-Limit noch zu halten sei. „Die Staaten konnten und wollten sich nicht auf einen belastbaren und verbindlichen Ausstiegspfad aus der fossilen Energie einigen”, kritisierte Krüger. Deutschland habe sich „mit seiner aktuellen Gas-Einkaufstour als schlechtes Vorbild präsentiert”. Damit zielte der NABU-Präsident auch auf den von Umweltschützern kritisierten Plan der Bundesregierung, den Senegal bei der Erschließung von Erdgasvorkommen vor dessen Küste zu unterstützen und das Gas in Deutschland einzusetzen.

In einer Halle stehen Tische in einem riesigen Viereck, in der Mitte Bildschirme. Delegierte sitzen an den Tischen.
Globales Forum: Delegierte von Staaten bei Beratungen über Grundsatzfragen.

Als „kleinen Lichtblick” wertete Krüger den Beschluss der COP27, die Rolle von Ökosystemen beim Klimaschutz anzuerkennen. Im Abschlussdokument heißt es dazu an drei Stellen, dass etwa Wälder und Küstenlebensräume wichtige Beiträge zum Klimaschutz leisten könnten. Auf der Klimakonferenz hatten Wissenschaftler neue Daten vorgestellt, denen zufolge das 1,5-Grad-Ziel nicht ohne einen konsequenten Schutz aller Moore erreicht werden könne. Das erhoffte Signal des Aufbruchs in Richtung der Weltnaturkonferenz in Montreal sende diese Klimakonferenz jedoch nicht, monierte der NABU-Präsident.

Klimaforscher Edenhofer: „Uns läuft die Zeit davon“

Der Klimaforscher Mojib Latif vom Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung stellte als Reaktion auf die Ergebnisse der COP27 den Sinn weiterer Klimakonferenzen grundlegend infrage. Dort sei nur ein Minimalkonsens möglich, der nicht ausreiche. Klimakonferenzen seien inzwischen zu Wirtschaftsverhandlungen degeneriert, kritisierte Latif im DLF. Es brauche stattdessen eine „Koalition der Willigen”, die beim Klimaschutz vorangehe. Deutschland und die EU seien hier in der Verantwortung.

Auch Ottmar Edenhofer, Direktor und Chefökonom des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung sowie Direktor des Mercator Research Institute on Global Commons, äußerte im ZDF Zweifel am Format: „Uns läuft die Zeit davon und wir können es uns nicht erlauben, dass wir also bei jeder Klimakonferenz mit Hoffnungen starten, es käme der große Durchbruch und dann endet das Ganze doch wieder mit einer Enttäuschung.“

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erklärte, die EU werde bei der CO2-Reduktion „Kurs halten, insbesondere durch den europäischen Grünen Deal und REPowerEU”. Es sei von entscheidender Bedeutung, dass die Ziele des Übereinkommens von Paris in Reichweite blieben. Allerdings war die EU auf dem Klimagipfel auch massiv in der Kritik gestanden und teils international isoliert. Entwicklungsländer der Gruppe G77 brachten mangelndes Vertrauen in die Zusagen der EU zum Ausdruck.

Eine besonders scharfe Kritik der Gipfelergebnisse kam vom Vorsitzenden der vorangegangenen Klimakonferenz COP26 in Glasgow. Der konservative britische Politiker Alok Sharma beklagte, dass „diejenigen von uns, die nach Ägypten gekommen sind, um die 1,5°C-Grenze einzuhalten (…) unerbittlich kämpfen mussten, um die Linie zu halten.” Sharma listete Verpflichtungen auf, die in Ägypten abgeschwächt wurden oder verloren gingen, etwa ein Emissionsmaximum vor 2025, konkrete Maßnahmen zum Ausstieg aus der Kohle und eine Verpflichtung zum schrittweisen Ausstieg aus allen fossilen Brennstoffen.

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