Anthropozän im Kino: Der Steinbruch unseres Tuns
Der Film „The Human Epoch“ zeigt in eindrücklichen Bildern von Edward Burtynsky, warum die neue geologische Epoche längst begonnen hat
Der Geologe Jan Zalasiewics hat vor zwölf Jahren ein faszinierendes Buch geschrieben: In „Die Erde nach uns“ stellt er sich einen Planeten vor, auf dem es keine Menschen mehr gibt und fragt, was von uns bleiben wird; wie wir als Spezies in die Erdgeschichte eingehen werden. Es hätte ein trockenes Buch über Gesteinsschichten und Plattenbewegungen werden können, aber Jan Zalasiewics tut etwas Bestechendes: Er nimmt den Blick von Außerirdischen ein, die in 100 Millionen Jahren auf dem Planeten landen und sich einen Reim machen müssen auf die Spuren dieser vergangenen Zivilisation, die sie entdecken.
Die distanzierte Perspektive auf unsere in Erdzeitalter-Dimensionen so nichtige und doch so mächtige Spezies macht das Buch so eindringlich: Sollte unsere 10.000 Jahre alte Zivilisation bald enden, wir hätten den Planeten doch nachhaltig verändert – und uns wahrscheinlich durch die von uns ausgelösten klimatischen Veränderungen die Lebensgrundlagen genommen. So jedenfalls malt es sich Jan Zalasiewics aus, der nicht nur Professor im britischen Leicester, sondern auch der Vorsitzender der Anthropocene Working Group ist.
Nicht nur der Blick von oben herab
Es ist ein vergleichbarer Perspektivwechsel, der den Film „Epoche des Menschen“ – der seit 10. September in deutschen Kinos läuft – so machtvoll nachwirken lässt. Seine Macher Jennifer Baichwal, Nicholas de Pencier und Erward Burtynsky haben dafür auf sechs Kontinenten Orte besucht, an denen sich die Eingriffe des Menschen besonders eindrucksvoll zeigen lassen.
Immer wieder entfernt sich die Kamera von den konkreten Orten und Protagonisten, steigt in Hubschaubern und an Drohnen in die Luft, bis man als Zuschauer sieht, was auch ein Raumschiff von Außerirdischen im Anflug sähe. Man blickt auf diese aufgerissene, ausgeweidete, verbrannte, durchlöcherte Erdoberfläche und fragt sich, was das bloß für eine Spezies ist, die sich mit solcher Vehemenz an ihrem Heimatplaneten zu schaffen macht.
Es ist schwer zu sagen, was eindrücklicher ist: Die Kamerafahrt am Marmorsteinbruch im italienischen Carrara, die zuerst ganz nah zeigt, wie ein Bulldozer sich mit einem mächtigen Stück Stein abmüht, sich dann aber immer weiter vom Steinbruch entfernt – so weit, dass man als Zuschauer dessen ungeheuerliche Ausmaße kaum mehr glauben mag. Oder der Flug über die endlosen, in der Nacht leuchtenden Ölraffinerien in Houston/Texas, der über die Phosphatminen in Florida oder jener über den Tagebau Garzweiler in Nordrhein-Westfalen.
Zwischen Terraforming und Technofossilien
Bliebe der Film die ganze Zeit auf Abstand, er wäre eine verstörende, kühle Bestandsaufnahme unseres Tuns. Immer wieder aber ist er auch ganz nah bei den Menschen: Bei den Bewohnern von Norilsk in Russland, einer Stadt am Polarkreis, in der ein riesiges Stahlwerk für Arbeitsplätze sorgt. Bei dem Chinesen, dessen Arbeitsplatz seit 20 Jahren ein Betonwall ist, der ständig erweitert wird und ein Ölfeld vor Überschwemmungen schützen soll. Bei dem Fahrer des Schaufelradbaggers im Tagebau Garzweiler, dem größten Fahrzeug dieser Art weltweit, wie er erzählt.
Aus dieser Nähe betrachtet, sind die Maschinen und Fabriken nicht mehr Werkzeuge jenes gigantischen Umbaus, den der Mensch, ohne es zu beabsichtigen, begonnen hat. Sie sind schlicht der Ort, an dem man Arbeit findet, ein Auskommen, Kollegen. So hält der Film eine gute Balance zwischen dem durchaus emphatischen Blick auf die Menschen und einer fast wissenschaftlichen Sachlichkeit.
Die sechs Kapitel heißen „Terraforming“, „Technofossilien“ oder „Anthroturbation“ und greifen damit die Kategorien jener Anthropocene Working Group auf, der Jan Zalasiewics vorsteht: eine Gruppe von Wissenschaftlern, die herausfindet, ob es im geologischen Sinn seine Berechtigung hätte, ein neues Erdzeitalter namens Anthropozän auszurufen.
Inzwischen ist der Begriff mehr noch als aus dem geologischen aus dem kulturellen Diskurs nicht mehr wegzudenken. Zu gut lässt sich unter ihm das Unbehagen subsumieren, das uns angesichts unseres Tuns erfasst hat. Es häufen sich Bücher, Filme und Kunstwerke, die dem nachspüren.
Einsicht ist der Anfang von Veränderung
Doch „Die Epoche des Menschen“ hängt sich nicht an einen Trend. Das Spannungsverhältnis von Mensch und Umwelt ist so etwas wie das Lebensthema des Kanadiers Edward Burtynsky, der Regie geführt hat. Bei einer Vorführung des Films im vergangenen November erzählte der 65-Jährige, dessen Fotografien unter anderem vom Guggenheim-Museum in New York angekauft wurden, er habe gewusst, dass der Zeitgeist seine Arbeit eines Tages einholen würde.
Dass er recht behalten hatte, habe er gewusst, als das Magazin National Geographic ihn im Jahr 2008 mit einer Reportage zum Thema „Anthropozän“ beauftragte: Die Bilder, die sie wollten, seien exakt die gewesen, die er seit Jahren machte. Fotograf ist Burtynsky immer noch, der Film ist Teil des multimedialen „Anthropocene Project“, zu dem auch eine Fotoausstellung gehört. Zurzeit ist sie in Malmö zu sehen.
Wie die Fotografien lässt der Film die Bilder für sich sprechen, nur sparsam ist Text darübergelegt. Am Ende erlauben sich die Filmemacher dann doch eine Botschaft. Die ordentlich aufeinander geschichteten, später brennenden Elefanten-Stoßzähne, mit denen der Film etwas verrätselt beginnt, sind noch einmal zu sehen und entpuppen sich – warum, soll nicht verraten werden – als Signal der Hoffnung. Dazu der Sprecher: „Zu erkennen, wie dominant wir sind, ist der Anfang von Veränderung“.