Forscher: Landwirtschaft und Versiegelung verstärken Überschwemmungen, nicht Biber und Naturschutz
Der baden-württembergische Landwirtschaftsminister Peter Hauk (CDU) hat Flussrenaturierungen, Bibern und Radwegen eine Mitschuld an den jüngsten Überschwemmungen gegeben. Führende Gewässerforscher bezeichnen das als „unhaltbar“. Auch die Umweltministerin des Landes, Thekla Walker, widerspricht vehement
Die Behauptung des baden-württembergischen Agrarministers Peter Hauk (CDU), Naturschutzmaßnahmen hätten die Überschwemmungen in Süddeutschland verschärft, während die Landwirtschaft keine Mitverantwortung trage, sind bei Wissenschaftlern und bei der Umweltministerin des Landes auf scharfe Kritik gestoßen. Bei einer Pressekonferenz in Stuttgart hatte Hauk gesagt: „Die Landwirtschaft ist auch bei der Bewältigung der Klimafolgen nicht das Problem, sondern Teil der Lösung.“
Stattdessen nannte er Naturschutzmaßnahmen, sogenannte Bannwälder, das Vorkommen des Bibers und den Bau von Radschnellwegen als Faktoren, die die jüngsten Überschwemmungen verstärkt hätten. Hauk forderte: „Wir müssen die Renaturierung von Gewässern in hochwassergefährdeten Gebieten auf den Prüfstand stellen.“ Bibern warf er vor, durch ihren Dammbau Flächen zu verkleinern, die in der Landschaft Wasser zurückhalten. Bei Radwegen geht es ihm um die dafür nötige Flächenversiegelung.
Führende deutsche Gewässer- und Hochwasserforscher widersprechen nun diesen Behauptungen. Ziel von Renaturierungen in Flussauen sei es, dass Wasser in der Landschaft zurückgehalten werde, um Hochwassern entgegenzuwirken. Der Biber könne beim Hochwasserschutz ganz im Gegenteil hilfreich sein, und der Bau von Radwegen habe höchstens lokale Effekte, während für andere Zwecke viel größere Flächen versiegelt würden. Vielmehr gelte es, die bisherige Flächennutzung für Landwirtschaft und Infrastruktur zu überdenken.
Bund und Länder beraten derzeit über Konsequenzen aus den jüngsten Überschwemmungen in Süddeutschland. In der Klimaforschung herrscht Einigkeit, dass Starkregen in Zukunft häufiger werden, weil eine wärmere Atmosphäre mehr Wasser aufnehmen, transportieren und als Niederschlag abgeben kann. Deshalb ist es wichtig, wie sich Wassermengen in der Landschaft ausbreiten oder abtransportiert werden. Je mehr Wasser auf einen Schlag talabwärts fließt, desto größer ist das Risiko, dass Ortschaften überschwemmt werden.
Biber „eher Opfer als Täter“
Dietrich Borchardt, Leiter des Themenbereichs „Wasserressourcen und Umwelt“ am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ), nannte Hauks Schuldzuweisung an den Naturschutz „ein fragwürdiges Argument und meines Erachtens unhaltbar“. Nach aktuellen Schätzungen seien in Deutschland rund 80 Prozent der natürlichen Überflutungsflächen entlang der Fließgewässer durch Entwässerungen, Eindeichungen, Abflussregulierungen und andere Maßnahmen verloren gegangen. Von den verbliebenen Resten seien nur noch 9 Prozent „sehr gering“ oder „gering verändert“, rund 60 Prozent „stark“ oder „sehr stark“.
Das Problem sei, dass Versuche, verloren gegangene Überflutungsflächen zu reaktivieren, bisher nur auf sehr kleinen Flächen stattfänden und „in der Summe einfach nicht bedeutend genug“ seien, urteilte Borchardt. Der Wissenschaftler berät die Bundesregierung und die Vereinten Nationen bei Strategien für den Umgang mit Wasserressourcen. Den Biber stufte Borchardt „eher als Opfer, denn als Täter“ ein, da seine Burgen aus Stämmen und Ästen bei Hochwasser genauso weggeschwemmt werden könnten wie menschliche Infrastruktur.
Julian Hofmann, Forschungsgruppenleiter Hochwasservorhersage & Frühwarnung am Institut für Wasserbau und Wasserwirtschaft der RWTH Aachen, erklärte, die von Hauk genannten Faktoren könnten zwar „in spezifischen lokalisierten Fällen Auswirkungen auf die Wasserführung haben“. Jedoch seien sie „im allgemeinen wissenschaftlichen Konsens nicht die Hauptgründe für flächendeckende Überschwemmungen“. Vielmehr stünden dabei „veränderte Landnutzungen, urbane Entwicklungen und klimatische Veränderungen“ im Vordergrund.
Naturnahe Wälder speichern mehr Wasser als Monokulturen
Christian Albert, Professor für Landschaftsplanung und Ökosystemleistungen an der Leibniz-Universität Hannover, sagte, ihm lägen keine wissenschaftlichen Belege vor, nach denen die vom baden-württembergischen Agrarminister genannten Maßnahmen ursächlich wären: „Im Gegenteil, Naturschutzmaßnahmen, Biber in kleineren Bächen und Flussrenaturierungen sind im allgemeinen stark förderlich für die Wasserretention.“ Wald helfe grundsätzlich dabei, Wasser zurückzuhalten, unabhängig vom Anteil an Totholz. Laubwald wirke dabei besser als Nadelwald. Eine Versiegelung von Flächen durch Radschnellwege auf Waldwegen nannte Albert „vernachlässigbar, insbesondere da das Wasser ja weiterhin seitlich versickert“.
Sonja Jähnig, Abteilungsleiterin am Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei in Berlin, sagte, bei den von Hauk genannten Zusammenhängen könne „man ja wirklich nur staunen“. Sie widersprach der Einschätzung, dass Bannwälder – also Naturwaldreservate, in denen die natürlich ablaufenden Prozesse geschützt sind – Hochwasser verstärken könnten. „Die Wasserspeicherkapazität in Mischwäldern ist höher als in Monokultur-Plantagenwäldern“, betonte sie.
Wissenschaftler fordern hingegen, landwirtschaftliche Praktiken zu hinterfragen. Vor allem den hohen Anteil von Ackerbau in Flusstälern beurteilen Forscherinnen wie Jähnig kritisch. Um Ackerbau zu ermöglichen, wurden Flüsse begradigt. Weite Flächen in Flusstäler werden fortlaufend drainiert, das Wasser wird über Gräben abgeführt. „Die Begradigungen und engen Eindeichungen der Vergangenheit haben verengte Flüsse geschaffen, in denen leicht gefährliches Hochwasser entsteht“, sagt Jähnig. Zudem verdichteten die großen Landwirtschaftsmaschinen auf Ackerflächen den Boden so stark, dass Wasser nur schlecht versickere. In Flussauen verträglich sei eine Nutzung als extensives Grünland, also zur Beweidung und um Heu als Futtermittel zu erzeugen.
„Flüsse brauchen mehr Raum zum Mäandrieren“
Landschaftsplaner Christian Albert sagte, in Bach- und Flusstälern gehe es für den Hochwasserschutz darum, den Flüssen wieder mehr Raum zum Mäandrieren zu geben und große Auenflächen auszuweisen, durch die Hochwasser fließen und dort versickern kann. Zudem sei es sinnvoll, „frühere und bestehenden Moore wieder zu vernässen und neue Feuchtgebiete anzulegen“. Solche Maßnahmen sieht auch das EU-Renaturierungsgesetz vor, das die Umweltminister der 27 Mitgliedsstaaten Mitte Juni verabschiedet haben. Es wird jedoch von Agrarpolitikern und dem Deutschen Bauernverband stark kritisiert, weil es die heutige landwirtschaftliche Flächennutzung infrage stellt.
Auf Nachfrage zu der Kritik antwortete das baden-württembergische Agrarministerium mit der Darstellung allgemeiner Zusammenhänge, etwa dass Grünland eine anerkannte große Bedeutung beim Hochwasserschutz habe und 40 Prozent der Agrarfläche in Baden-Württemberg ausmache. Die gute landwirtschaftliche Praxis stehe dem Hochwasserschutz nicht entgegen. Die Landwirtschaft tue viel für die Allgemeinheit, es könne deshalb nicht sein, „dass sie weiterhin wertvolle Produktionsflächen verliert“, die zur Erzeugung von Lebensmitteln, Futter oder Weideflächen dienten. Daher habe der Minister vorgeschlagen, dass Landwirte dafür gefördert werden sollten, Flächen für die Wasserrückhaltung bereitzustellen.
Umweltministerin: Hauk „will Naturschutzvorhaben schleifen“
Im Kontrast zu der einseitigen Schuldzuweisung an den Naturschutz bei der Pressekonferenz heißt es in der Stellungnahme, es sei „so wichtig wie nie zuvor, dass Naturschutz, Landwirtschaft und Hochwasserschutz Hand in Hand gehen“. Fragen nach wissenschaftlich fundierten Belegen für die Behauptungen von Agrarminister Hauk zur Rolle von Naturschutzmaßnahmen, Bibervorkommen und Radwegen ließ das Ministerium unbeantwortet.
Das von der Grünen-Politikerin Thekla Walker geführte baden-württembergische Umweltministerium reagierte mit scharfer Kritik auf die Äußerungen Hauks. „In seinem Eifer, die Hochwasserereignisse dem Naturschutz anzulasten, verkennt Herr Minister Hauk die tatsächlichen Zusammenhänge“, erklärte das Ministerium auf Anfrage. Die Schaffung sogenannter Retentionsflächen nutze gleichermaßen der Hochwasservorsorge und der Artenvielfalt. Biberdämme pufferten den Abfluss von Wasser und leiteten es bei Starkregen in die angrenzende Landschaft um. „Das Wasser hat dort länger Zeit ins Erdreich einzudringen und dort zu versickern, was häufig zu einem positiven Effekt bei der natürlichen Regenrückhaltung führt.“ Es gelange dann weniger Wasser über das Gewässerbett hinweg in Siedlungen, woraus in vielen Fällen ein positiver Einfluss des Bibers auf den Hochwasserschutz resultiert.
Es gebe zudem keinerlei Belege, dass Bannwälder den Hochwasserschutz gefährden: „Im Gegenteil, gesunde und widerstandsfähige Waldökosysteme können einen wichtigen Beitrag zur Abmilderung der Folgen des Klimawandels leisten.“ Auch Totholz in Wäldern trage zur Speicherung von Wasser im Ökosystem bei. „Es drängt sich der Eindruck auf, dass das Hochwasser genutzt werden soll, um etwa in der Landwirtschaft ungeliebte Naturschutzvorgaben zu schleifen“, kritisierte das Umweltministerium.