UN-Unterhändler für globalen Naturschutz bewertet Weltnaturkonferenz positiv

„Die Zutaten für einen Paris-Moment liegen auf dem Tisch“ – Interview mit Basile van Havre über die Aussichten auf ein starkes Naturschutzabkommen

vom Recherche-Kollektiv Countdown Natur:
5 Minuten
van Havre auf einem Podium auf seinen Kollegen Ogwal blickend

Es soll Korallenriffe vor dem Aus bewahren, die weltweit verbliebenen Regenwälder schützen und in Europa die Agrarlandschaft wiederbeleben: Das sogenannte Kunming-Abkommen wird, wenn alles klappt, für den globalen Naturschutz eine ähnliche Bedeutung bekommen wie das Paris-Abkommen für den Klimaschutz. Verpackt in juristische Formulierungen soll es einen Weg weisen, wie die Staaten der Erde die Vielfalt des Lebens bewahren statt weiter ein Massenaussterben von erdgeschichtlichen Dimensionen einzuleiten.

Für das Zustandekommen dieses Abkommens spielt Basile van Havre eine Schlüsselrolle. Mit seinem Kollegen Francis Ogwal leitet er die Arbeiten am Text für das Abkommen, das beim zweiten Teil der Weltnaturkonferenz im Mai 2022 im chinesischen Kunming verabschiedet werden soll.

Ogwal und van Havre müssen dazu die zum Teil diametral auseinander liegenden Positionen von fast 200 Staaten unter einen Hut bringen und unterschriftsreif ausformulieren. Der kanadische Umweltdiplomat ist damit einer der gegenwärtig wichtigsten Akteure im weltweiten Naturschutz. Wir haben mit ihm über seine Einschätzung des ersten Teils des Weltnaturgipfels gesprochen, der vom 11. bis 15. Oktober in Kunming stattfand.

Der erste Teil des Kunming-Gipfels sollte erklärtermaßen neuen Schwung in die festgefahrenen Verhandlungen über ein neues Rahmenabkommen zum globalen Naturschutz bringen. Ist das gelungen?

Basile van Havre: Wir haben auf jeden Fall starke Botschaften von vielen Staats- und Regierungschefs gehört. Es ist bemerkenswert, dass sich beispielsweise der russische Präsident Wladimir Putin zum ersten Mal deutlich positioniert hat mit Blick auf den Schutz von Lebensräumen und bedrohten Arten. In seiner Ansprache hat er beteuert, dass Russland dazu entschlossen handeln wolle. Auch der chinesische Präsident Xi Jinping hat einige wichtige Hinweise mit Blick auf eine ökologische Transformation und zum globalen Handel, zu sozialer Gerechtigkeit und zu Rechtsstaatlichkeit gegeben. Und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat ein Ziel für die Wiederherstellung von Ökosystemen vorgeschlagen, das sogar noch ehrgeiziger ist als das, was wir im ersten Entwurf für das globale Rahmenabkommen vorschlagen. Das sind nur einige Beispiele.

Ich bin zuversichtlich, dass wir jetzt alle Elemente für einen starken Rahmen auf dem Tisch haben. Und die Argumente der Wissenschaft für die vorgeschlagenen Maßnahmen und Ziele werden mit der Zeit immer stärker.

War diese mit Reden und Roundtable-Runden vollgepackte Woche ein Meilenstein für die konkrete weitere Arbeit am finalen Abkommen?

Wir haben in dieser Woche eine Menge gelernt! Denn auch abgesehen von den ganz großen schlagzeilenträchtigen Themen und Überschriften sind für uns Verhandlungsführer die vielen „kleinen“ Informationen sehr nützlich.

Viel Unterstützung dafür, 30 Prozent der Erde zu schützen

Die Erklärung von Kunming enthält im Gegensatz zu Ihrem ersten Entwurf keine zahlenmäßigen Zielvorgaben, aber sie setzt einige „Leitplanken“. Deutet sie auf die Bereitschaft der internationalen Gemeinschaft hin, ein starkes Abkommen zu erzielen?

Eine Erklärung ist etwas anderes als ein Verhandlungsentwurf. Eine Erklärung wird schnell ausgehandelt und lange bevor die Schlussverhandlungen stattfinden verabschiedet. Deshalb war es zu erwarten, dass einige Länder zögern, numerische Aspekte in eine solche Erklärung aufzunehmen. In gewisser Weise überrascht mich der Inhalt der Erklärung also nicht. Andererseits deuten die starken Formulierungen zu dem Ziel, jeweils 30 Prozent der Landfläche und der Meere unter Schutz zu stellen, auf die Entschlossenheit der High Ambition Coalition hin – jener Gruppe aus rund 70 Staaten, die sich dafür und insgesamt für weitreichende Ziele einsetzen.

Wenn Sie nach dem Ende des ersten Teils des Gipfels Bilanz ziehen und einen Ausblick wagen sollten: Werden wir am Ende im kommenden Jahr ein weitreichendes Abkommen zum globalen Naturschutz haben?

Ich bin zuversichtlich, dass wir jetzt alle Elemente für einen starken Rahmen auf dem Tisch haben. Und die Argumente der Wissenschaft für die vorgeschlagenen Maßnahmen und Ziele werden mit der Zeit immer stärker.

Werden wir unrealistische Ziele anstreben oder uns mit einem praktikablen Plan begnügen, der auch umgesetzt werden kann?

Was stimmt sie so optimistisch?

Wir haben in Kunming einige sehr wichtige finanzielle Zusagen gesehen. Sie decken zwar noch nicht den ganzen Bedarf, sind aber hoch genug, um Diskussionen über ehrgeizige Ziele in Gang zu setzen. Zum Beispiel haben sich Tausend Unternehmen mit einem Umsatz von fast fünf Billionen Dollar zu Maßnahmen für die Natur verpflichtet. Mehr als 80 Finanzinstitute, die zusammen Werte über zwölf Billionen Euro verwalten, fordern uns zu entschlossenem Handeln auf und verpflichten sich selbst, mit ihren Investitionen den Schutz und die Wiederherstellung der biologischen Vielfalt zu fördern.

Nicht sexy, aber wirkungsvoll: Statt Paris ein „Kunming-Moment“

In der Klimapolitik stehen die Namen der Gastgeberstädte zweier Gipfeltreffen für Scheitern oder Erfolg. In Kopenhagen versagte die Staatengemeinschaft 2009 beim Versuch, verbindliche Klimaziele zu setzen. In Frankreich gelang sechs Jahre später der Durchbruch mit dem Pariser Abkommen. Ist die Weltgemeinschaft beim Versuch, das biologische Netz des Lebens – Arten, Lebensräume und ganze Ökosysteme – zu retten, auf der Reise nach Paris oder auf dem Weg nach Kopenhagen?

Das ist schwer zu sagen. Alle Zutaten für einen Paris-Moment liegen auf dem Tisch: ein realistischer, aber ehrgeiziger Zielvorschlag, Finanzierungsverpflichtungen, die Einbeziehung des Privatsektors und mehr. Viele Parteien drängen auf hohe Ziele.

Was wird ausschlaggebend sein?

Der entscheidende Punkt wird sein, wie wir den Erfolg definieren werden: Reicht es aus, sich mit Landnutzungsänderungen zu befassen, oder sollte das Rahmenabkommen alle Ursachen für den Verlust der biologischen Vielfalt angehen? Werden wir unrealistische Ziele anstreben oder uns mit einem praktikablen Plan begnügen, der auch umgesetzt werden kann? Ich bin zuversichtlich, dass alle Beteiligten die Fakten – wissenschaftliche Erkenntnisse, ökonomische Aspekte, die soziale Realität und mehr – sorgfältig prüfen werden, und wir einen Plan vorlegen können, der vielleicht nicht besonders sexy aussieht, aber zu echten Ergebnissen führt. Das wäre dann der „Kunming"-Moment.

Wie geht es jetzt weiter?

Mit all den Ergebnissen begeben sich mein Kollege als Ko-Vorsitzender der zuständigen Arbeitsgruppe, Francis Ogwal, und ich jetzt an die Arbeit, ein „Reflexionspapier“ zu schreiben, das wir Anfang Dezember vorlegen wollen und in dem wir versuchen, die mehr als 700 Kommentare zusammenzufassen, die wir zum ersten Entwurf erhalten haben. Wir werden einige Lösungsansätze vorschlagen, die bei unserem persönlichen Verhandlungstreffen im Januar in Genf aufgegriffen werden können.

Im Projekt „Countdown Natur“ berichten wir mit Blick auf den UN-Naturschutzgipfel über die Gefahren für die biologische Vielfalt und Lösungen zu ihrem Schutz. Die Recherchen zu diesem Beitrag wurden von der Hering Stiftung Natur und Mensch gefördert. Sie können weitere Recherchen mit einem Abonnement unterstützen.

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