Ukraine-Krieg gefährdet die historische nationale Saatgutsammlung

Wissenschaftler sind alarmiert: Die nationale Saatgutbank der Ukraine in Charkiw könnte zum Opfer des Krieges werden. Ein Großteil der Bestände ist noch nicht gesichert und könnte für immer verloren gehen.

vom Recherche-Kollektiv die ZukunftsReporter:
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Symbolbild von Weizen in der Ukraine vor blauem Himmel.

Der Krieg in der Ukraine bedroht nicht nur die Menschen vor Ort, sondern auch wissenschaftliche Schätze. Konkret geht es um die Sicherung der landwirtschaftlichen Vielfalt. Ein internationales Expertenteam bemüht sich derzeit um die Rettung der nationalen Saatgutbank der Ukraine. Diese bedeutende Sammlung im Jurjew-Institut für Pflanzenbau in Charkiw enthält mehr als 100.000 Saatgutmuster. Einige der Bestände seien einzigartig, sagt Stefan Schmitz. „Falls sie zerstört werden, sind diese Pflanzen unwiederbringlich von der Erde verschwunden, wenn keine Sicherheitskopien in anderen Saatgutbanken hinterlegt wurden“, ergänzt der geschäftsführende Direktor des globalen Treuhandfonds für Nutzpflanzenvielfalt (Crop Trust).

„Das Land baut auf großen Flächen bedeutende Nutzpflanzen wie Weizen, Raps, Sonnenblumen und Gerste an und hält eine ungeheure Sortenvielfalt mit großer genetischer Bandbreite in der nationalen Saatgutbank bereit“, erklärt Schmitz. Die Ukraine ist seit Jahrtausenden eine Kornkammer, früher für die Region, heute für die ganze Welt. „Da kann man sich vorstellen, wie vielfältig das ist, was im Laufe der Zeit an Saatgut gesammelt und deponiert wurde“, erklärt Stefan Schmitz.

Bericht über Zerstörung der Saatgutbank falsch

Dieser botanische Schatz ist nun gefährdet. Im Mai dieses Jahres gab es bereits erste Berichte, die ukrainische Saatgutbank sei durch ein Feuer nach einem russischen Angriff zerstört worden. Entsprechende Videos kursierten im Netz. Ein Expertenteam der Welternährungsorganisation FAO, verschiedener europäischer Forschungs- und Regierungseinrichtungen und des Crop Trust untersuchte die Lage vor Ort. „Es stellte sich heraus, dass es sich glücklicherweise nicht um die nationale Saatgutbank in Charkiw handelte, sondern dass durch den Angriff eine Agrarforschungsstation in der Nähe der Stadt zerstört wurde, zudem wurden Versuchsfelder in Mitleidenschaft gezogen“, sagt Stefan Schmitz. Dennoch habe ihn das Geschehen sehr beunruhigt. „Man kann eine Saatgutbank nicht komplett gegen militärische Angriffe schützen.“

Warum sind Saatgutbanken wertvoll?

Welcher Verlust für die Wissenschaft eintreten könnte, wird in der Öffentlichkeit unterschätzt. Die globale Bedeutung von Saatgutbanken wie derjenigen in Charkiw ist kaum bekannt. Die Sammlungen sichern vor allen Dingen den Samen alter Sorten, die häufig seit Jahrzehnten in der Landwirtschaft nicht mehr angebaut werden. Die Genbanken beinhalten aber auch viele Wildformen heutiger Kulturpflanzen. Sie setzen ihre Schwerpunkte meistens auf die Klimaregion, in der die Forschungsstätten liegen.

Deutschland besitzt eine Sammlung in der Genbank am Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK). Die ältesten Bestände in Gatersleben stammen aus den 1920er Jahren. Diese alten Landsorten wurden beispielsweise vom österreichischen Naturforscher Erwin Mayr bei Forschungsreisen in den Alpen zusammengetragen.

Bis zur Decke ragt das Regal in einem Kühlraum der Genbank in Gatersleben. Im Regal stehen tausende Glasbehälter mit Saatgutmustern.
In Gatersleben werden die Saatgutmuster in Regalräumen bei minus 18 Grad aufbewahrt.
In der Genbank in Gatersleben hat jedes Saatgutmuster ein eigenes Glas. Zu sehen sind die Saaten, aber auch Beutel mit Trocknungshilfen, damit sich das Saatgut länger hält.
Im jedem Glas ein Unikat. Die Saatgutbank in Gatersleben enthält mehr als 150.000 Muster, die in Kühlräumen gelagert werden.
Wissenschaftler überprüfen die Keimfähigkeit des Saatguts. Die Saat liegt auf getränkten Filterpapieren, ein Teil treibt bereits aus..
Wissenschaftler überprüfen, ob das Saatgut noch keimfähig ist. Diese Test findet regelmäßig statt, Ist die Keimquote nicht hoch genug, wird das Saatgut im Gewächshaus gesät und das frische Saatgut der Pflanzen geerntet und eingelagert.
Die Türen zu den Lagerräumen des Saatguttresors auf Spitzbergen sind vereist. Sie befinden sich in einer Permafrostregion.
Der Saatguttresor liegt im Permafrost. Die Türen werden so selten geöffnet, dass sie langsam vereisen.
Der Saatguttresor ist einfach eingerichtet. Regale gefüllt mit Plastikboxen stehen in einem Lagerraum.
Im inneren des Saatguttresors auf Spitzbergen. Die Saatgutproben lagern in Plastikkisten im Permafrost.
in einfachen grauen Plastikkisten lagert das Saatgut des  Internationalen Zentrums für Agrarforschung in Trockengebieten (ICARDA)
Das Internationale Zentrum für Agrarforschung in Trockengebieten (ICARDA) hat Saatgutmuster in Spitzbergen eingelagert. Das Forschungsinstitut wurde im Bürgerkrieg zerstört, das Saatgut konnte gerettet werden.