Könnten wir die erste Generation sein, die eine bessere Welt hinterlässt?
Hannah Ritchie wagt in ihrem Buch „Hoffnung für Verzweifelte“ einen anderen Blick auf die Zahlen, mit denen wir die Klimakrise messen – und findet dabei viele Argumente für Hoffnung. Reicht das?
Stellen Sie sich eine Person vor, die jeden Tag in Plastik verpackte Fertiggerichte in ihrer Mikrowelle erhitzt. Würden Sie diesen Menschen als umweltbewusst bezeichnen?
Die Nachhaltigkeitsforscherin Hannah Ritchie schreibt in ihrem Buch „Not the End of the World“ (auf Deutsch „Hoffnung für Verzweifelte“):
Die Person, von der Hannah Ritchie hier spricht, ist sie selbst. Sie fühlt sich wie eine Umweltsünderin, weil sie in einer Großstadt lebt und selten selbst kocht. Sie weiß jedoch, dass ihr Gefühl trügt, weil ihre Mikrowelle wenig Strom verbraucht und die Plastikverpackung das Essen länger haltbar macht, also Lebensmittelverschwendung reduziert.
Von ihrem schlechten Gefühl erzählt die Autorin erst ganz am Ende des Buches und stellt damit alles, was sie zuvor in acht Kapiteln im Detail erklärt, in einen persönlichen Kontext. Damit unterstreicht sie eine der Botschaften ihres Buches: Auch Menschen, deren Alltag nicht dem gängigen Bild eines klimabewussten Lebens entspricht, können unterm Strich überraschend effektiv Klimaschutz betreiben – ohne dass es ihnen bewusst ist. Unser Blick auf die Klimakrise könnte deshalb optimistischer sein als er es meistens ist, findet sie.
Ritchies Blick auf eine Krise, die wie keine andere zuvor die Lebensgrundlage der meisten Menschen, Tiere und Pflanzen bedroht, provoziert. Die größte Provokation des Buches liegt darin, dass die Autorin behauptet, wir könnten die erste Generation sein, die ihren Kindern eine bessere Welt hinterlässt. Ich frage mich: Hat sie etwa das Problem nicht verstanden? Oder will sie es kleinreden?
Verharmlost Ritchie die Klimakrise?
Viele Menschen gehen davon aus, dass die Welt wegen des Klimawandels dem Untergang geweiht ist. Hannah Ritchie bezieht sich dabei auf Umfragen, die zeigen: Vor allem junge Menschen zwischen 16 und 25 Jahren stimmen Aussagen zu, wie „Die Menschheit ist verloren“, oder „Ich zögere, Kinder zu bekommen“. Diese Sätze erinnern die 31-Jährige an ihre eigenen Überzeugungen in diesem Alter. „Während meiner Studienzeit strengte ich mich an, die Nachrichten zu verfolgen, weil ich informiert bleiben wollte über den Status der Welt. Überall gab es Naturkatastrophen, Dürren und Gesichter hungriger Menschen, “ erinnert sie sich. „Mehr Menschen schienen zu sterben als jemals zuvor, mehr Menschen in Armut zu leben, mehr Kinder zu verhungern.“
Während ihrer Studienzeit festigte sich diese Sicht auf die Welt weiter. Diese Überzeugungen belasteten sie so sehr, dass sie sogar überlegte, umzusatteln und den Umweltwissenschaften den Rücken zu kehren.
In dieser Lebensphase sah sie einen Vortrag von Hans Rosling, dem Gründer von Our World in Data. Dieses Projekt versucht mithilfe von Datenanalysen langfristige Trends, die im schnelllebigen Nachrichtenjournalismus oft untergehen, bekannter zu machen. Das vom (inzwischen verstorbenen) Mathematiker Hans Rosling gegründete und von seinem Sohn, dem Ökonomen Max Rosling, geleitete Projekt bringt seit 2011 der Welt die Daten der Weltbank, der UNO und anderer offizieller Stellen näher. Hannah Ritchie lernte, dass die Welt in einem viel besseren Zustand war, als sie dachte. Rosling zufolge sogar in einem besseren als jemals zuvor, wenn man sich zum Beispiel Kindersterblichkeit und Armut ansah.
Es ist wichtig zu wissen, dass Hannah Ritchies Buch in dieser Tradition steht. Aussagen, die sich wie Provokationen lesen, bekommen so einen anderen Dreh. Sie möchte, dass wir mehr auf die langfristigen Entwicklungen schauen und daraus begründete Hoffnung ableiten. Auch, weil sie selbst erfahren hat, wie viel Schaden Endzeitstimmung anrichten kann. Dabei stellt sie unmissverständlich klar: „Ich bin keine Klimawandel-Leugnerin oder -Verharmloserin!“. Ihr Anliegen ist ein anderes:
Erste statt Letzte Generation?
Ritchie bezieht sich mit ihrem Optimismus-Begriff auf den Ökonomen Paul Romer. Er unterscheidet zwischen dem sogenannten selbstzufriedenen und dem vorbehaltlichen Optimismus. Sie zitiert ihn so: „Selbstzufriedener Optimismus ist wie das Gefühl eines Kindes, das sich auf ein Geschenk freut. Vorbehaltlicher Optimismus ist wie das Gefühl eines Kindes, das über den Bau eines Baumhauses nachdenkt.“ Die zweite Form ist ein Nährboden für Hoffnung. So kann auch das Kind, das Lust hat, ein Baumhaus zu bauen, Hoffnung haben: „Wenn ich Holz und Nägel finde und ein paar Kinder überzeugen kann, mitzuhelfen, bekommen wir sicher etwas sehr Cooles hin.“
Ritchie versucht mit ihrem Buch Gründe für diese Form von Optimismus zu liefern. Sie glaubt, dass wir die erste Generation der modernen Menschheitsgeschichte sein könnten, die die Umwelt in einem besseren Zustand an die nächste Generation übergibt und die es schaffen kann, wirklich nachhaltig zu leben.
Dafür, meint sie, muss man sich auf die Bereiche Luftverschmutzung, Erderwärmung, Entwaldung, Ernährung, Biodiversitätskrise, Plastik in den Ozeanen und Überfischung konzentrieren. Ritchies These: Für sie gibt es jeweils bereits einzelne Lösungen, die mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen. So multiplizieren sich über kurz oder lang die Effekte jeder einzelnen Lösung. Wenn wir aufhören fossile Energieträger zu verbrennen, ist das nicht nur gut fürs Klima. So lässt sich auch die Luftverschmutzung reduzieren, an der jährlich Millionen Menschen weltweit sterben. Das, was wir essen, entscheidet nicht nur darüber wie stark sich die Erde erhitzt, sondern auch wie viel Wald verloren geht und wie sich die Biodiversität in bestimmten Biotopen entwickelt.
Um die Erste Generation zu werden, müssen wir viele Dinge gleichzeitig tun und unterschiedliche Lösungen vorantreiben. Die Lösungen liegen nicht entweder in Technologie oder Renaturierung, und nicht entweder in Bekämpfung der Erderhitzung oder in Anpassung an eine wärmere Erde – sie liegt im Sowohl – Als auch. Um diesen Grundsatz zu akzeptieren, brauchen wir Toleranz gegenüber (vermeintlichen) Widersprüchen.
Ritchie meint, wir dürften nicht den Fehler machen, zu glauben, katastrophale Zukunftsszenarien beschrieben unsere tatsächliche Zukunft. Richtig sei, dass wir uns massiv anstrengen müssten, um die Katastrophe abzuwenden. Wie groß diese Anstrengung sein muss, zeige ein Blick in die Geschichte. Ritchie sagt: „Was wir vorhaben, ist zuvor noch nie gelungen.“
Welche Rolle spielen die Daten?
Wenn man sich die Entwicklung des CO2-Ausstoßes über einen längeren Zeitraum anschaut, kann man glauben, die Welt kommt nicht vom Fleck. Selbst wenn sich alle Länder an ihre bisher beschlossenen Klimaschutzmaßnahmen hielten (was sie nicht tun), landen wir bei circa 2, 1 Grad Erhitzung im Jahr 2100. Schon jetzt häufen sich Berichte über Überschwemmungen, Dürren, Erdrutsche und Waldbrände, die viele Menschen töten und die Existenzgrundlage von noch mehr zerstören. Auch, wer nicht direkt von diesen Extremereignissen betroffen ist, spürt etwa, dass die Welt heißer wird. Die weltweite Durchschnittstemperatur lag in den vergangenen zwölf Monaten bereits über der Marke von 1, 5 Grad. Das alles zeigt zweifellos: Die Erde ist in einem besorgniserregenden Zustand.
Doch Ritchie führt in ihrem Buch Beispiele an, die eine andere Geschichte erzählen, zum Beispiel diese:
- Der Pro-Kopf-Ausstoß von CO2 sinkt seit 2012. Damals betrug er 4, 9 Tonnen pro Person pro Jahr. Seitdem fällt dieser Wert langsam, aktuell liegt er bei 4, 7 Tonnen. Die Emissionen stiegen zwischen 1960 und 1980 stark an und dann wieder in den zwanzig Jahren nach 1990. Aber zwischen 2018 und 2023 war der Anstieg nur noch moderat. Dafür ist nicht allein die Pandemie verantwortlich. Hannah Ritchie weist auf ein Muster hin: Beide Trends deuten an, dass wir den Gipfel der globalen CO2-Emissionen demnächst erreichen. Denn wenn der Pro-Kopf-Wert sinkt, während die Anzahl der Köpfe weiter steigt, wird auch der Gesamtwert sinken – die Frage ist nur: wann?
- Die Generation von Ritchies Großeltern stieß etwa doppelt so viel CO2 aus wie Ritchies Generation. Hannah Ritchies eigener Lebensstil ist unterm Strich klimafreundlicher als der ihrer Großeltern. Und das ist fast ausschließlich auf den technologischen Fortschritt zurückzuführen. Heute erzeugt jede Energieinheit, die wir verbrauchen circa 25 Prozent weniger CO2 als in den 1960er Jahren. Dank doppelt verglaster Fenster, LED-Lampen und energiesparender Kühlschränke, um nur einige zu nennen.
- In Deutschland stieg das Bruttoinlandsprodukt seit 1990 um 50 Prozent. Im gleichen Zeitraum sanken die CO2-Emissionen um ein Drittel – sowohl pro Kopf als auch bezogen auf den Gesamtkonsum. Das heißt: CO2-Ausstoß und wirtschaftliche Entwicklung sind nicht mehr direkt gekoppelt.
Welche Hoffnung ist begründet, welche falsch?
Die Autorin betont in ihrem Buch: Reiche Länder trugen und tragen am meisten zum CO2-Ausstoß bei. Doch sie werden auch die Treiber des Wandels hin zu erneuerbaren und klimaschonenden Energien sein. Innerhalb von zehn Jahren entwickelten sich Photovoltaik und Wind von den teuersten zu den billigsten Energien. Das heißt: Auch weniger wohlhabende Länder werden sie nun verstärkt ausbauen – einfach, weil sie am wenigsten kosten.
Hannah Ritchie versucht solche Entwicklungen in den Vordergrund zu stellen. Trotzdem können alle Trends, die optimistisch stimmen, nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Aufgabe riesig ist und die Zeit knapp. Wenn Ritchie schreibt, die Zukunft liege in effektivem Klimaschutz (also auf technologiebasierten Lösungen und Effizienzsteigerung von Landwirtschaft und Ressourcenverbrauch) verkennt sie die Bedeutung von sozialen und psychologischen Dynamiken, die mit der Transformation verbunden sind. Wir sehen nicht erst seit den Debatten ums Heizungsgesetz und das Verbrenneraus, dass viele Menschen Veränderungen ablehnen – aus unterschiedlichen Gründen.
Ein weiterer Kritikpunkt an dem Buch: Es fehlt eine ernsthafte Abwägung der Vor- und Nachteile klimafreundlicher Lösungen. Auch sie können wichtige Nachteile haben, die zumindest thematisiert werden sollten, wenn man den Anspruch hat, die größeren Zusammenhänge anzuschauen. Gerade für die von Ritchie propagierten technologischen Lösungen sind viele Rohstoffe nötig, deren Abbau Menschen- und Umweltrechte verletzen. So ist ihr in Plastik verpacktes Essen eben doch ein Problem, weil bei der Plastikherstellung enorme Treibhausgasmengen entstehen. Außerdem stellt Ritchie in ihrem Buch die wirtschaftliche Wachstumsmaxime nicht infrage und ignoriert die Diskussion um planetare Grenzen. Das Buch wirkt deshalb in Teilen naiv.
Der Eindruck entsteht auch deshalb, weil die Autorin geopolitische Dynamiken ignoriert, die sich nicht zuletzt aus den verflochtenen Interessen von öl- und gasfördernden Unternehmen und Staaten speisen. Deren Führungskräfte und Regierungschefs sind den nötigen Veränderungen gegenüber noch weniger aufgeschlossen als Konsument:innen und Bürger:innen. Des Weiteren kommen Kipppunkte im Buch nicht vor. Dabei sehen wir bereits jetzt, dass sich die Klimaveränderungen beschleunigen, ohne dass Wissenschaftler:innen genau verstehen, warum das passiert. Das heißt: Die Zeit läuft uns davon. Daran können auch noch so viele hoffnungsvoll stimmende langfristige Entwicklungen nichts ändern. Wenn substanzielle Veränderungen zu lange brauchen, schafft die angestoßene Klimaveränderung längst Tatsachen.
Das Buch erzählt also nicht die ganze Geschichte.
Fazit
Hannah Ritchie leistet dennoch einen wichtigen Beitrag zur Debatte. Sie konzentriert sich auf eine Geschichte, die zu selten erzählt wird: Wir haben schon ein gutes Stück des Weges hin zu einer nachhaltigen Lebensweise geschafft – selbst dann, wenn es sich im Alltag anders anfühlt. Das ist ein Grund, optimistischer zu sein, als wir es oft sind. Im besten Fall stärkt Ritchie so die Klimaresilienz ihrer Leser:innen – vielleicht auch jene ganzer Gesellschaften. Denn Hoffnung und Optimismus sind ein wichtiger Motor, notwendige Veränderungen anzugehen.
Ritchie hat Recht, wenn sie am Ende des Buches schreibt:
Was die Autorin in ihrem Buch nicht erwähnt: Wir brauchen dafür auch den Pessimismus. Wir dürfen die Worst-Case-Szenarien nicht aus den Augen verlieren und die Realitäten nicht verdrängen. Wir brauchen die Warnungen von Menschen, die unermüdlich darauf hinweisen, wie schlecht es um die Natur und das Klima steht. Wissenschaftler:innen und Aktivist:innen leisten einen unverzichtbaren Beitrag, wenn es uns wirklich ernst ist mit der Aufgabe, die erste Generation zu werden, die die Welt in einem besseren Zustand hinterlässt als wir sie vorgefunden haben.
Disclaimer: Ich habe die englische Ausgabe gelesen. Die Zitate sind eigene Übersetzungen. Ich habe für diese Buchbesprechung keine Zuwendungen von Verlagen oder anderen erhalten.