Wie gut ist das neue Nationale Gesundheitsportal?

Von positiven Ansätzen, deutlichen Lücken und offensichtlichen Baustellen

vom Recherche-Kollektiv Plan G:
12 Minuten
Eine Person sitzt am Tisch und tippt auf einem Laptop.

Eine Stelle im Netz, an der verlässliche Gesundheitsinformationen gebündelt und übersichtlich zu finden sind: Das will das Nationale Gesundheitsportal, das im September 2020 gestartet ist. Wie gut das bisher gelingt, haben wir uns angesehen.

Gute Gesundheitsinformationen sind im Netz oft weit verstreut und Suchmaschinen helfen oft nicht, sie zügig zu finden [1].

Das ist ein Problem für alle, die gute Gesundheitsentscheidungen treffen wollen, denn verlässliche Informationen sind der erste Schritt dazu. Bereits seit vielen Jahr(zehnt)en steht deshalb eine Idee im Raum: Ein Nationales Gesundheitsportal als zentrale Anlaufstelle für verlässliche Informationen zu Krankheiten, Behandlungen und dem Gesundheitssystem, wie es sie bereits in einigen Ländern gibt [2]. 2017 hatte das Bundesgesundheitsministerium (BMG) das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) beauftragt, das Konzept dafür zu erstellen [3].

Anfang September 2020 war es in Deutschland so weit: Eine erste Version des Nationalen Gesundheitsportals ist unter https://gesund.bund.de/ online gegangen und soll fortlaufend erweitert werden – wenn auch in etwas anderer Form, als es das IQWiG-Konzept vorsah. Gleich ist allerdings der formulierte Anspruch: Das Portal will objektive, verständliche und verlässliche Gesundheitsinformationen bieten, damit die Nutzer:innen gute Gesundheitsentscheidungen treffen können [4].

Ist das Portal in dieser Hinsicht für dich eine gute Hilfe? Was es derzeit leistet und was dafür aber noch fehlt, haben wir uns einmal genauer angesehen.

Wie das Portal aufgebaut ist

Die derzeitigen Inhalte sind in fünf Menüpunkte gegliedert:

  • Krankheiten: Hier gibt es Informationen zu verschiedenen Erkrankungen, wie sie entstehen, erkannt und behandelt werden.
  • Gesund leben: In diesem Abschnitt geht es um Ernährung und Bewegung, Gesundheit für verschiedene Altersgruppen, Themen wie Sucht und Gesundheit am Arbeitsplatz.
  • Pflege: Unter diesem Menüpunkt lassen sich Infos zur Pflegeversicherung, Ansprüchen und Leistungen abrufen.
  • Gesundheit Digital: Hier werden Themen wie die elektronische Patientenakte und andere Konzepte rund um eine digitale Gesundheitsversorgung behandelt.
  • Service: Nutzer:innen finden hier Hinweise auf weiterführende Beratungsangebote, Patientenrechte, eine Suche nach Ärzt:innen und Krankenhäusern sowie Hilfen zum Entschlüsseln des ICD-Codes, der etwa auf Krankschreibungen (Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen) verwendet wird.

Positiv fällt das moderne Design des Portals auf, das neben Text auch Infografiken und einige Videos enthält. Du kannst dir Artikel merken und dann auf einem Merkzettel wieder ansehen. Einiges wurde auch für die Barrierefreiheit getan. So gibt es etwa eine Vorlesefunktion, Infos zum Inhalt und zur Navigation gibt es in Gebärdensprache und der Menüpunkt „Über uns“ ist auch in leichter Sprache zugänglich.

Wenn du einen schnellen Überblick willst, wird dir vermutlich gefallen, dass die einzelnen Texte gut gegliedert sind und mit einer kurzen Zusammenfassung starten.

Der Screenshot zeigt die Navigationsleiste auf der Website des Nationalen Gesundheitsportals unter gesund.bund.de.
Der Screenshot zeigt die Navigationsleiste auf der Website des Nationalen Gesundheitsportals unter gesund.bund.de.

Wie die Inhalte entstehen

Herausgeber des Nationalen Gesundheitsportals ist das BMG, das das Portal finanziert. Die Redaktion ist jedoch bei einer Digital-Agentur angesiedelt, die sowohl für die Inhalte als auch für die technische Umsetzung des Portals verantwortlich ist.

Die Inhalte auf der Seite entstehen derzeit zum Teil in Zusammenarbeit mit sogenannten Content-Partnern, genannt sind das IQWiG, konkret mit seinem Portal für Gesundheitsinformationen gesundheitsinformation.de, der Krebsinformationsdienst (KID) sowie das Robert Koch-Institut (RKI). Als weiterer Kooperationspartner wird die Weiße Liste für die Arzt- und Krankenhaussuche aufgeführt.

Andere Beiträge auf der Seite werden dagegen durch die Redaktion erstellt und teilweise durch medizinische Fachgesellschaften gegengeprüft.

Ob es zukünftig weitere Content-Partner gibt und – falls ja – wie diese ausgewählt werden? Da wollte sich das BMG auf Nachfrage derzeit nicht festlegen. Falls die Zusammenarbeit mit anderen Anbietern verlässlicher Gesundheitsinformationen nicht ausgebaut werden sollte, wäre das unserer Einschätzung nach verschenktes Potenzial – denn davon gibt es noch einige, von denen wir dir einige bei Plan G bereits vorgestellt haben.

Wie gut erfüllt das Portal die Kriterien verlässlicher Gesundheitsinformationen?

Eine gute Grundlage: Das Portal ist werbefrei, die Texte verweisen auf Quellen aus der wissenschaftlichen Literatur und enthalten Angaben zum Stand der Information. Auf der Seite zur Qualitätssicherung findet sich der Hinweis, dass Texte spätestens alle drei Jahre auf Aktualität überprüft werden und dass sie sich an der Guten Praxis Gesundheitsinformation orientieren. Das sind einige wichtige Kriterien für gute Gesundheitsinformationen, die wir bereits beschrieben haben.

Die Abbildung zeigt das Titelblatt des Positionspapiers „Gute Praxis Gesundheitsinformation“, das das Netzwerk Evidenzbasierte Medizin herausgegeben hat.
Die Gute Praxis Gesundheitsinformation ist ein Positionspapier des Netzwerks Evidenzbasierte Medizin.

Wir haben das BMG auch nach dem Umgang mit Interessenkonflikten gefragt. Der Antwort zufolge waren Erklärungen zu Interessenkonflikten Teil der Ausschreibung, vertragliche Regelungen innerhalb der beauftragten Agentur sollen Interessenkonflikte der beteiligten Redakteur:innen ausschließen. Das Ministerium hat diese Frage also durchaus auf dem Schirm. Keine Antwort haben wir dagegen auf die Frage erhalten, wie Interessenkonflikte der an der Prüfung der Inhalte beteiligten Expert:innen oder der Fachgesellschaften selbst reguliert werden. Das wäre aber auch hier wichtig, denn auch die Einschätzung von Expert:innen kann durch andere Faktoren verzerrt werden.

Soweit zu den äußeren Bedingungen des Portals, die überwiegend einen guten Eindruck machen – aber wie gut sind die Inhalte? Eine wichtige Voraussetzung dafür ist die Qualitätssicherung beim Prozess der Erstellung von Gesundheitsinformationen.

Nach Auskunft des BMG dient ein Redaktionsleitfaden zur Qualitätssicherung der redaktionellen Texte. Zur Zeit ist der Redaktionsleitfaden ein internes Papier, das aber „bald“ auch auf der Portal-Website veröffentlicht werden soll. Das wäre gut, denn dann kannst du dir einen Eindruck davon verschaffen, welche Aspekte bei der Erstellung der Informationen beachtet werden.

Mit dem IQWiG und dem KID hat das Portal Content-Partner engagiert, die über ein Methodenhandbuch verfügen und bei denen die Beiträge bereits qualitätsgesichert sind. Allerdings fließen diese Texte nicht 1:1 ins Nationale Gesundheitsportal ein, sondern dort werden speziell bearbeitete Fassungen veröffentlicht.

Wir haben beim IQWiG und beim KID nachgefragt, wie die Zusammenarbeit konkret aussieht. Danach sind die Texte in enger inhaltlicher Abstimmung mit der Redaktion entstanden und die jeweiligen Institutionen haben die Endfassungen freigegeben. Klaus Koch von gesundheitsinformation.de bestätigt: „Wir übernehmen für die vom IQWiG stammenden Texte auch die inhaltliche Gewähr.“

Im IQWiG-Konzept war ursprünglich vorgesehen, dass die Texte der Content-Partner automatisiert in das Portal einfließen. Nach Einschätzung von Klaus Koch hätte das den Vorteil, „dass sich auf dem Portal zuverlässig und ohne gesonderten Aufwand jeweils die aktuellen Versionen befinden“. Aber der derzeitigen Lösung mit Portal-eigenen Fassungen kann er positive Seiten abgewinnen: „Für den Start hat das derzeitige Vorgehen den Vorteil, einen einheitlichen Stil schneller zu erreichen.“ Auch für die Suchmaschinenoptimierung sei es günstig, weil sich so doppelte Inhalte vermeiden lassen, die von Suchmaschinen oft abgestraft werden.

Das sind eigentlich gute Voraussetzungen – aber ist das auch eine Garantie dafür, dass mit den Informationen auf dem Portal tatsächlich gute Gesundheitsentscheidungen möglich sind?

Tiefgehend – oder in die Breite?

Dazu haben wir uns einige ausgewählte Texte im Menüpunkt Krankheiten genauer angesehen. Unser Eindruck: Die grundlegenden Texte zur Krankheitsentstehung, Beschwerden und Diagnostik sind in der Regel kompakt, aber meist völlig ausreichend. Dünn ist es dagegen noch an vielen Stellen, wenn es um Nutzen und Risiken von Behandlungen geht – was aber oft den Kern von Gesundheitsentscheidungen betrifft. Oft ist dann auf weiterführende Seiten bei den Content-Partnern verlinkt, aber nicht immer.

Beispiel erhöhte Cholesterinwerte: Im Vergleich zur ursprünglichen IQWiG-Seite zum gleichen Thema fehlen Hinweise, in welchen Konstellationen die erhöhten Blutwerte tatsächlich behandlungsbedürftig sind, um etwa einen Herzinfarkt zu vermeiden. Leider wird nicht auf die entsprechende Seite von gesundheitsinformation.de verlinkt. Ebenso fehlt eine Verlinkung auf die Seite, die ausführlich über Nutzen und Risiken von Behandlungsmöglichkeiten, besonders von Statinen informiert. Das ist schade, denn diese Informationen wären für informierte Entscheidungen wichtig und könnten leicht nur einen Mausklick entfernt sein.

Sicherlich wäre auch die Arbeitsteilung der Content-Partner und die Auswahl der Verlinkungen im Detail noch zu diskutieren: Hat doch das IQWiG im Auftrag des gemeinsamen Bundesausschusses qualitätsgesicherte und nutzergetestete Informationsbroschüren mit Entscheidungshilfen für die organisierten Programme zur Krebsfrüherkennung erstellt, die der KID auf seinen Seiten auch verlinkt. Du musst beim Nationalen Gesundheitsportal aber beispielsweise zum Thema Brustkrebs-Früherkennung erst durch mehrere Seiten scrollen und auf diverse Links klicken, bevor du auf diese kompakten Informationen stößt.

Teils sind diese Schwierigkeiten sicherlich der derzeitigen Ausbaustufe des Portals zuzuschreiben, wie Klaus Koch bestätigt: „Das Konzept, in welcher Tiefe und Breite Inhalte auf dem Portal zu finden sein sollen oder wie auf die Angebote der beteiligten Partner verlinkt wird, muss noch vervollständigt werden.“ Dabei seien aber auch Aspekte des Webdesigns sowie die Bedürfnisse der Nutzer:innen zu berücksichtigen.

Susanne Weg-Remers vom KID weist auf Nachfrage auf das grundsätzliche Dilemma hin zwischen notwendiger Detailtiefe und allgemeinverständlichen Texten. Allerdings benennt sie auch ein grundlegendes Problem: „Um auch Menschen anzusprechen, die nicht gerne lange Texte lesen, hatten wir die Vorgabe, dass die Texte zu den verschiedenen Krankheiten in der ersten Ausbaustufe jeweils max. 20.000 Zeichen umfassen sollten. Das ist eigentlich zu wenig, gerade bei komplexen Erkrankungen wie Krebs.“ Pro Abschnitt sei es auch nur möglich gewesen, einen einzigen Link vorzuschlagen. „Ziel muss es jetzt sein, mit einem intelligenten inhaltlichen Konzept beim weiteren Ausbau des Portals Möglichkeiten zu schaffen, wichtige Aspekte auch in der Tiefe darzustellen.“

So verständlich die Fokussierung auf kompakten Informationen auch sein mag: Die Entscheidung zur Schwerpunkt-Setzung ist an einigen Stellen unserer Einschätzung nach nicht gut nachzuvollziehen. So werden Erkrankungen wie Beulenpest oder Lungenpest in eigenen ausführlichen Beiträgen dargestellt – aber vermutlich wirst du damit eher sehr selten konfrontiert sein. Gleichzeitig wird aber bei Hintergrundinformationen gespart, in denen für so häufig verordnete Arzneimittel wie Statinen die Größenordnung der schützenden Wirkung auf Herz und Kreislauf für die verschiedenen Risikogruppen diskutiert werden könnte. Da ist es schon wesentlich wahrscheinlicher, dass du oder jemand von deinen Angehörigen sich zukünftig mit dieser Frage beschäftigen musst. Und dann wäre es doch auch gut, wenn du im Nationalen Gesundheitsportal Details dazu finden könntest.

Darstellung von Unsicherheit

Überarbeitungsbedarf gibt es unserer Meinung nach an manchen Stellen auch noch hinsichtlich der Frage, wie eigentlich Unsicherheit von wissenschaftlichen Erkenntnissen dargestellt wird – gerade wenn Kompaktheit angestrebt wird.

Ausschnitt aus dem Text zu Hodenkrebs auf dem Nationalen Gesundheitsportal unter https://gesund.bund.de/hodenkrebs#frueherkennung (Abruf 27.10.2020)
Ausschnitt aus dem Text zu Hodenkrebs auf dem Nationalen Gesundheitsportal unter https://gesund.bund.de/hodenkrebs#frueherkennung (Abruf 27.10.2020)

So heißt es etwa zum Thema Früherkennung von Hodenkrebs „Fachleute empfehlen Jungen ab der Pubertät und Männern, ihre Hoden regelmäßig selbst zu untersuchen“, verlinkt wird dann auf eine Website der Deutschen Gesellschaft für Urologie. Was allerdings nicht erwähnt wird: Dass der Nutzen des Selbstabtastens noch nie in Studien untersucht wurde. Daraus lässt sich umgekehrt natürlich nicht automatisch ableiten, dass es keinen Nutzen gibt. Allerdings ist es bislang unklar, in welchem Verhältnis möglicher Nutzen (zum Beispiel verhinderte Todesfälle durch Hodenkrebs) und möglicher Schaden (zum Beispiel unnötige Untersuchungen, Gewebeentnahmen, Operationen) stehen [11].

Das könnte man jetzt als Haarspalterei abtun, allerdings wirbt das Nationale Gesundheitsportal damit, informierte Entscheidungen zu ermöglichen. Braucht es dafür aber nicht eine gewisse Detailtiefe, gerade zu dem was wir wissen und dem, was wir bisher nur hoffen können?

Gut möglich, dass unterschiedliche Menschen hier zu verschiedenen Einschätzungen kommen. Deshalb ist es eine gute Sache, dass zukünftig wohl Analysen zu den Interessen der Nutzer:innen durchgeführt werden sollen – so heißt es auf der Website, was das BMG auch bestätigt. Bleibt zu hoffen, dass dann auch eventuelle Wünsche an einen höheren Detailgrad der Informationen berücksichtigt werden. An vielen Stellen ließe sich das möglicherweise schon dadurch bewerkstelligen, mehr Links einzufügen.

Wie gut funktioniert die Qualitätssicherung im Detail?

Bei der Prüfung der Inhalte fallen Stellen auf, bei denen es mit der Qualitätssicherung bisher offenbar noch nicht so richtig funktioniert. So heißt es etwa bei dem Text zur medikamentösen Behandlung von Covid-19 über das zugelassene Medikament Remdesivir: „Remdesivir scheint die Sterblichkeit zu senken.“ Laut Fußzeile wurde diese Information am 28.08.2020 durch das Robert Koch-Institut geprüft.

Der Screenshot stammt aus einem Text im Nationalen Gesundheitsportal unter https://gesund.bund.de/covid-19#behandlung (Abruf am 26.10.2020).
Der Screenshot stammt aus einem Text im Nationalen Gesundheitsportal unter https://gesund.bund.de/covid-19#behandlung (Abruf am 26.10.2020).

Die Zulassung vom Remdesivir [5] beruht jedoch hauptsächlich auf einer Studie, in der Remdesivir für bestimmte (nicht für alle) Patientengruppen die Zeit zur Verbesserung des Gesundheitszustandes (Krankenhausentlassung oder keine zusätzliche Sauerstoffgabe mehr erforderlich) etwas verringert hat. Weil die Zulassung auf einer Zwischenauswertung der Studie beruht, muss der Anbieter zudem noch weitere Daten nachliefern – die Zulassung wurde nur unter dieser Auflage ausgesprochen. Die Fachinformation, also die offiziellen Informationen für Ärzt:innen, erwähnt keine Verringerung der Sterblichkeit. Auch in den im Gesundheitsportal verlinkten Quellen des Robert Koch-Instituts konnten wir keine Aussagen dazu finden.

Eine qualitativ hochwertige systematische Übersichtsarbeit [6], die zum Zeitpunkt der Erstellung der Information im Nationalen Gesundheitsportal vorlag, fand basierend auf zwei veröffentlichten randomisierten kontrollierten Studien keinen signifikanten Effekt von Remdesivir auf die Sterblichkeit. Dort heißt es explizit:

Moderate certainty exists that remdesivir reduces both time to symptom resolution and duration of mechanical ventilation, but it remains uncertain whether remdesivir has any effect on mortality and other outcomes important to patients.

Bestätigt wird diese Einschätzung durch den inzwischen veröffentlichten Abschlussbericht der Zulassungsstudie [7] sowie die als Preprint publizierte Zwischenauswertung der großen WHO-Solidarity-Studie [8], die keinen eindeutigen Nutzen hinsichtlich der Sterblichkeit belegen können. Weitere Studien mit Remdesivir bei Covid-19 laufen derzeit noch und können die Einschätzung vermutlich in beide Richtungen verändern. Ob Remdesivir die Sterblichkeit senkt, ist also im besten Fall unsicher.

Ist dann – selbst wenn die Behandlungsoptionen bei Covid-19 aus Platzgründen nur ganz knapp erwähnt werden sollen – Satz „Remdesivir scheint die Sterblichkeit zu senken“ tatsächlich derjenige, der die beste verfügbare Evidenz zum angegebenen Zeitpunkt am besten wiedergibt?

Das haben wir das BMG ebenfalls gefragt. Die Antwort: „Wir nehmen Ihren Hinweis gerne auf und werten diesen in Zusammenarbeit mit dem RKI zeitnah aus.“ Positiv ist zu bewerten, dass Kritik konstruktiv aufgenommen wird. Allerdings hätte die Kritik vielleicht bei etwas mehr Sorgfalt von vornherein vermieden werden können.

Politisch wirklich neutral?

Im IQWiG-Konzept war die Unabhängigkeit des Trägers des Nationalen Gesundheitsportals eine wichtige Eigenschaft. Unabhängigkeit bezieht sich auf kommerzielle Interessen – das ist hier erfüllt, da das Portal ausschließlich durch öffentliche Gelder finanziert wird und werbefrei ist. Ein zweiter Aspekt ist die politische Unabhängigkeit – die ist durch die Trägerschaft des BMG im Zweifel nicht gegeben.

Welche Auswirkungen hat das? Im Nationalen Gesundheitsportal schlägt sich unserer Einschätzung nach in den Texten zu digitalen Gesundheitsanwendungen und der elektronischen Patientenakte durch, dass sich Bundesgesundheitsminister Spahn in den letzten Jahren sehr für Digitalisierungsprojekte im Gesundheitswesen eingesetzt hat und dafür wirbt, die Projekte „mit Zuversicht und guter Laune“ voranzubringen [9].

Da wundert es dann nicht, dass in den Texten zur elektronischen Patientenakte etwa der Hinweis fehlt, dass es im ersten Jahr nicht möglich sein wird, ausgewählte Daten gezielt für bestimmte Gruppen von Ärzt:innen oder Therapeut:innen freizugegeben (feingranularer Zugriff). Auch die Kritik des Bundesdatenschutzbeauftragten, etwa zur Sicherheit der Nutzer-Authentifizierung, wird mit keiner Silbe erwähnt [10].

Das BMG weist den Vorwurf, es werde politische Kommunikation betrieben, jedoch von sich: „Es wird explizit darauf hingewiesen, dass die Nutzung der ePA freiwillig ist und der Patient bestimmt, ob er sie nutzen möchte.“

Unserer Einschätzung nach ist es für eine informierte Entscheidung für oder gegen die Nutzung der elektronischen Patientenakte jedoch nötig, nicht nur die Vorteile zu kennen, sondern auch mögliche Nachteile, gerade beim Datenschutz, abschätzen zu können. Das ermöglichen die vorliegenden Informationen derzeit nicht.

Fazit

Das neue Nationale Gesundheitsportal ist ein Schritt in die richtige Richtung mit vielen positiven Ansätzen. Gut aufgehoben bist du hier, wenn du vor allem einen schnellen Überblick suchst.

Allerdings muss das Portal an einigen Stellen noch deutlich überarbeitet werden. Derzeit ist das Nationale Gesundheitsportal noch nicht der ganz große Wurf, als den es Bundesgesundheitsminister Spahn in der Pressemitteilung zum Launch angekündigt hat. So stößt du vermutlich an die Grenzen, wenn du mehr Details für konkrete Entscheidungen brauchst.

Wir werden beobachten, wie sich die offensichtlichen Baustellen weiterentwickeln. Für tiefgründigere Informationen empfehlen wir dir daher nach wie vor, lieber auf die Original-Anbieter von verlässlichen Gesundheitsinformationen zurückzugreifen.

Zum Weiterlesen

[1] Bislang gab es bereits einige Initiativen, um zumindest in Ansätzen die Sichtbarkeit zu erhöhen: Etwa durch eine Bündelung von Angeboten, wie es etwa gesundheitsinformation.de und medizin-transparent in der App MedBusters gemacht haben. Eine Sammlung verlässlicher Quellen hat das Deutsche Netzwerk Gesundheitskompetenz erstellt. Auch der Reiseführer zu guten deutschsprachigen Angeboten, den wir bei Plan G erstellt haben, gehört dazu.

[2] Wie nationale Gesundheitsportale in anderen Ländern funktionieren, beschreibt eine Blog-Serie der Bertelsmann-Stiftung.

[3] Das IQWiG-Konzept für ein Nationales Gesundheitsportal wurde 2018 veröffentlicht.

[4] Die Ziele und Ansprüche des Nationalen Gesundheitsportal sind in einer Pressemitteilung des Bundesministerium für Gesundheit anlässlich des Portalstarts formuliert.

[5] Auf der Seite der europäischen Arzneimittelagentur EMA sind die Bewertungen veröffentlicht, die zur EU-Zulassung von Remdesivir geführt haben.

[6] Die systematische Übersichtsarbeit wird in regelmäßigen Abständen aktualisiert: Siemeniuk R et al. Drug treatments for covid-19: living systematic review and network meta-analysis. BMJ 2020;370:m2980

[7] Beigel J et al. Remdesivir for the Treatment of Covid-19 — Final Report. NEJM, Online 08.10.2020

[8] WHO Solidarity Trial Consortium (15.10.2020): Repurposed antiviral drugs for COVID-19; interim WHO SOLIDARITY trial results. medRxiv.

[9] So formuliert in einer veröffentlichten Rede zur Verabschiedung des Patientendatenschutzgesetzes im Bundestag, das die gesetzliche Grundlage für die elektronische Patientenakte bildet.

[10] BfDI zu Folgen der Gesetzgebung des PDSG (19.08.2020)

[11] IQWiG (2020) HTA-Bericht Hodenkrebs: Führt eine regelmäßige Früherkennungsuntersuchung für Männer ab 16 Jahren zu besseren Behandlungsergebnissen?

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