Mit den Augen der Schwerkraft

Wie Forscher das Klimasystem Erde aus dem All vermessen

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Künstlerische Darstellung von zwei Satelliten

Am 22. Mai soll die Mission GRACE-Follow-on mit einer Falcon-9-Rakete von der Vandenberg Air Force Base in Kalifornien abheben. Mit dem Nachfolgeprogramm der GRACE-Mission wollen die Forscher die Vermessung des Klimasystems Erde fortsetzen und präzisieren.

Mehr als fünfzehn Jahre hatten die beiden amerikanisch-deutschen Raumfahrzeuge im All Tom und Jerry gespielt und dabei das Schwerefeld der Erde so genau vermessen wie nie zuvor, bis das Satelliten-Duo Ende 2017 schließlich ausgedient hatte. „Ziel der GRACE-Mission war es, Schwerefeldvariationen auf monatlicher Basis zu messen, um daraus Rückschlüsse auf klimarelevante Fragestellungen abzuleiten, beispielsweise wie sich der globale Wasserkreislauf verändert oder wie Gletscher schmelzen“, sagt Frank Flechtner vom deutschen Geoforschungszentrum Potsdam (GFZ), der wissenschaftliche Leiter der Mission auf deutscher Seite. Zunächst auf fünf Jahre ausgelegt, haben die Satelliten von März 2002 bis Ende 2017 wesentlich länger durchgehalten als ursprünglich geplant. In dieser Zeit hat die GRACE-Mission den Wissenschaftlern eine Fülle an Daten beschert; mehr als 1700 Publikationen sind bisher daraus hervorgegangen.

Für ihre Beobachtungen mit den GRACE-Satelliten (Gravity Recovery And Climate Experiment) ebenso wie künftig mit GRACE-Follow-on machten sich die Forscher zunutze, dass Landmassen unterschiedlicher Dichte lokale Massenunterschiede im Untergrund und damit minimale Schwankungen im Schwerefeld des Planeten verursachen. Schon allein wegen der Erdrotation ist die Schwerebeschleunigung nicht überall auf dem Globus gleich. Zwischen den Polen und der Äquatorregion weicht sie um ein halbes Prozent ab. Unterschiede im Erdinneren und in der Topologie schlagen mit einigen zehn Millionstel des Mittelwerts deutlich weniger zu Buche. Noch einmal um den Faktor 1000 winziger sind jene Schwankungen, die durch eine unterschiedliche Zusammensetzung der Landmassen einschließlich des Wassergehalts zustande kommen und auf regionaler Skala und kurzfristig variieren. Dabei fällt beispielsweise ins Gewicht, ob in einer Gegend die Grundwasserspeicher gut aufgefüllt sind oder eine Dürrephase herrscht.

In einer Höhe von anfangs 500 Kilometern sind die beiden GRACE-Satelliten auf ihrer Umlaufbahn um die Erde praktisch im freien Fall hintereinander hergejagt. Während unter ihnen Ozeane, Eisschilde, flache Landmassen und Gebirge vorüberzogen, entfernte sich mal der erste Satellit ein wenig vom zweiten, wenn er über eine Region mit etwas erhöhtem Schwerefeld geriet und dadurch beschleunigt wurde; wenig später holte der zweite wieder auf. Eine Art Mikrowellenradar hat dabei den Abstand von rund 220 Kilometern zwischen den beiden Satelliten mit einer Genauigkeit von wenigen Mikrometern vermessen. Das entspricht etwa dem Zehntel der Dicke eines Haares.

Mit dieser Methode lassen sich auf der Erde regionale Unterschiede im Schwerefeld über wenige 100 Kilometer ertasten, die zudem auf einer monatlichen Zeitskala variieren. Für diese zeitlichen Veränderungen interessieren sich die Forscher ganz besonders, denn sie spiegeln die Verlagerung von Wassermassen wider, die eine wesentliche Rolle im Erdklimasystem übernehmen. Die Verteilung von gesteinsartiger Materie bleibt hingegen weitgehend über menschliche Zeiträume konstant (ausgenommen Veränderungen durch starke Erdbeben).

Dass der Meeresspiegel aufgrund der Erwärmung und des Abschmelzens der Polkappen ansteigt, war bereits zuvor bekannt. Aus den GRACE-Daten in Kombination mit anderen Höhenmessungen ergab sich aber ein stärkerer Meeresspiegelanstieg als zuvor angenommen, und es zeigte sich zudem, dass dieser vor allem regional deutlich variieren kann. Auch die Eisschilde schmolzen schneller als gedacht. Im Verlauf der GRACE-Messungen verschwanden in Grönland rund 270 Milliarden Tonnen Eis pro Jahr, in der Antarktis waren es 120 Milliarden Tonnen pro Jahr.

Doch die GRACE-Satelliten erfassten nicht nur Veränderungen im Wasserhaushalt an der Erdoberfläche. Indem das Satellitenduo auf winzige Veränderungen in der Schwerkraft reagierte, hat es quasi auch unter die Erdoberfläche geblickt und so Veränderungen im Gesamtwasserhaushalt inklusive des Grundwassers abgebildet. In Verbindung mit anderen Satellitendaten ergab sich ein dramatisches Bild: Ein Drittel der Grundwasserbecken weltweit werden zurzeit schneller geleert als sie wieder aufgefüllt werden können.

Zuvor waren Messungen zu Grundwasservorkommen nur lokal möglich. Einen Überblick gebe es dazu gerade in Entwicklungs- oder Schwellenländern kaum, schreibt der Hydrologe und Erdsystemwissenschaftler James Famiglietti vom Jet Propulsion Lab (JPL) der NASA in einem Kommentar der Fachzeitschrift Nature. Vor allem ermöglichten die GRACE-Messungen eine Überwachung des (Grund-)wasserhaushalts über Landesgrenzen hinweg. Dies ist bis heute auch politisch relevant, da die Gesetze und das Wassermanagement in den betreffenden Regionen aus einer Zeit stammen, als der Zusammenhang zwischen Grund- und Oberflächenwasser nicht oder nur kaum bekannt waren.

Für viele klimarelevante Veränderungen lassen sich allerdings nur dann statistisch signifikante Aussagen treffen, wenn die betreffenden Parameter über noch längere Zeiträume von einigen Dekaden erfasst werden. Daher haben die Wissenschaftler eine Nachfolgemission gebaut. Sie ist zunächst auf fünf Jahre ausgelegt, doch die Forscher hoffen, dass sie wie bereits GRACE deutlich länger durchhalten wird. Für GRACE-Follow-on hat die NASA ebenso wie bei der Vorgängermission die Satelliten in Deutschland (bei Airbus DS GmbH) gekauft und wird die Mission leiten. Den Missionsbetrieb gewährleisten das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt, beauftragt und finanziert durch das GFZ sowie das Jet Propulsion Laboratory (JPL). Die wissenschaftliche Auswertung wird das GFZ federführend gemeinsam mit dem JPL und dem Center for Space Research der University of Texas (UTCSR) durchführen.

Neben der Erdbeobachtung wird GRACE-Follow-on außerdem eine neuartige Technologie testen: ein Laserinterferometer, ähnlich wie die Forscher es bereits zur Detektion von Gravitationswellen vom Boden aus nutzen. In einigen Jahren wollen sie ein solches Instrument auch bei dem weltraumbasieren Gravitationswellenobservatorium LISA einsetzen. Ein Miniaturinterferometer, zusammengeschrumpft auf rund 40 Zentimeter, hat bereits seinen Testflug in der Schwerelosigkeit mit dem Satelliten LISA Pathfinder erfolgreich absolviert.

„Bei GRACE-Follow-on werden wir das erste Mal ein Laserinterferometer auf lange Distanz zwischen zwei Satelliten haben“, erläutert Gerhard Heinzel vom Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik. Zwar wird bei dem geplanten weltraumbasierten Gravitationswellen-Observatorium die Messdistanz mit 2,5 Millionen Kilometern zwischen den einzelnen Satelliten wesentlich größer sein als bei GRACE-Follow-on, so Heinzel. Dennoch würden sich viele technische Parameter ähneln. Damit wäre der bevorstehende Flug eines Laserinterferometers auf den beiden GRACE-Follow-on-Satelliten ein großer Schritt in Richtung LISA.

Langfristig werden die Forscher von dieser neuen Technologie auch für ihre Messungen zur Erdbeobachtung profitieren. Denn das Interferometer soll über eine Distanz von 220 Kilometern Variationen von etwa 80 Nanometer wahrnehmen und damit etwa dreißig Mal genauer messen als der bisher eingesetzte Mikrowellenradar. „Sollte das neuartige Laserinterferometer einwandfrei funktionieren, werden wir diese Messungen natürlich auch für die Erstellung unserer monatlichen Schwerefeldkarten benutzen“, sagt Flechtner. „Aber erst mal basiert alles auf der herkömmlichen Methode mit Mikrowelle". Die Laserinterferometrie wird aber in jedem Fall für künftige Erdbeobachtungsmissionen relevant sein.

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