Totimpfstoffe gegen Covid-19: Die Vorteile der Klassiker

Nach den mRNA- und Vektor-Impfstoffen kommen bald Ganz-Virus- oder Totimpfstoffe gegen Corona auf den Markt.

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Eine Hand hält eine Injektionsspritze, im Hintergrund eine Modellbild eines Coronavirus.

In den letzten Tagen war Fußball-Nationalspieler Joshua Kimmich einmal nicht wegen seiner Mittelfeld-Qualitäten im Gespräch. Für mediale Aufregung sorgte Kimmichs Statement, wohl noch so lange mit der Corona-Impfung zu warten, bis eine Immunisierung mit klassischen Vakzinen möglich sei.

Selbst Thomas Lingelbach, Chef der Firma Valneva findet diese Idee prinzipiell nicht gut. Dabei hat sein österreichisch-französisches Unternehmen einen solchen „klassischen“ Ganz-Virus-Impfstoff gegen Sars-CoV-2 entwickelt. „Ich ermutige jeden, nicht auf diesen Impfstoff zu warten“, sagte Lingelbach bereits im September . Bei Corona sei jede Impfung besser als keine.

Im Herbst und kommenden Winter wird die Ansteckungsgefahr für Ungeimpfte wohl so hoch sein wie nie zuvor. Bis dahin wird es mit der Zulassung der Valneva-Vakzine nicht mehr klappen. Aber sie ist auf einem guten Weg. Die Ergebnisse einer Phase-3-Studie in Großbritannien, die der Hersteller jetzt veröffentlichte, lassen im Vergleich zur AstraZeneca-Vakzine jedenfalls auf einiges hoffen: sowohl die Verträglichkeit als auch die Wirksamkeit gegen Corona seien besser beziehungsweise höher als bei dem Vektor-Impfstoff Vaxzevria. So steht es zumindest in der Pressemitteilung. Unabhängig begutachtete Daten gibt es noch nicht.

Wie unterscheiden sich klassische Totimpfstoffe von RNA- oder Vektorimpfstoffen? Warum könnten auch sie eine wichtige Rolle während oder nach der Pandemie spielen?

Wie sich RNA- und Totimpfstoffe unterscheiden

Totimpfstoffe basieren nicht auf RNA oder Vektoren, die die genetische Information für das Hüll-Protein des Virus in den Körper tragen. Der Impfstoff der Firma Valneva, VLA2001–301, enthält komplette Sars-CoV-2 Viren. Diese wurden im Labor in Zellkulturen vermehrt und mit einer Chemikalie (Propiolacton) inaktiviert. Dadurch geht von den Viren kein Infektionsrisiko mehr aus. Ihre Struktur bleibt aber weitgehend erhalten. Der Piks konfrontiert dann die Immunabwehr bei der Impfung mit den echten (aber nicht mehr vermehrungsfähigen) Erregern.

Viele bewährte Vakzinen sind Totimpfstoffe. Einige von ihnen enthalten den vollständigen, inaktivierten Erreger. Andere bestehen nur aus einzelnen Bausteinen des Virus oder Bakteriums wie zum Beispiel der Hepatitis-B-Impfstoff. Auch das Covid-19-Vakzin der US-Firma Novavax, das sich noch in der Testphase befindet, funktioniert nach diesem Prinzip. Es besteht aus dem Spike-Protein des Virus und einem Wirkverstärker. Die Wirksamkeit scheint hoch zu sein, noch ist das Präparat nicht zugelassen.

Der Vorteil von Ganz-Virus-Präparaten gegenüber solchen, die nur einzelne Bestandteile des Virus oder die genetische Information dafür enthalten: die Körperabwehr „sieht“ alle Komponenten der Erreger, reagiert auf breiterer Basis und sollte einen robusten Schutz bieten, selbst wenn sich eines der Viruseiweiße durch Mutationen verändert. Bei einem Ganz-Virus-Impfstoff mit Sars-CoV-2 greift die Abwehr nach dem Piks also nicht nur das äußere Hüll-Protein (Spike) an, sondern auch die im Inneren des Virus enthaltenen N- und M-Proteine. Ein weiterer Vorteil dieser Impfstoffgruppe im Vergleich zu den RNA-Neulingen ist ihre gute Lagerfähigkeit. Nachteile gibt es auch: die Herstellung ist (zeit)aufwändiger. Weil das Produkt ziemlich „clean“ ist und keine vermehrungsfähigen Viren enthält, gibt es weniger Alarmreize, um die Immunabwehr auf Trapp zu bringen. Deswegen fügen die Hersteller meist Wirkverstärker, so genannte Adjuvanzien zu.

Die Idee einen Totimpfstoff aus inaktivierten, kompletten Viren gegen Covid-19 einzusetzen, ist nicht neu. China beispielsweise setzt seit Beginn der Pandemie darauf. Drei der vier bisher verfügbaren Totimpfstoffe kommen aus China (zum Beispiel CoronaVac und BBIBP-CorV), einer aus Indien (Covaxin). In 22 Ländern, etwa in Brasilien, der Türkei, Chile und Indonesien, ist CoronaVac der chinesischen Firma Sinovac zugelassen und massenhaft verimpft worden. Die WHO empfiehlt diese Vakzine seit Juni 2021. Am 4. Mai startete auch die Europäische Arzneimittelagentur ein Rolling-Review-Verfahren für eine beschleunigte Zulassung von CoronaVac.

Aktuelle Studiendaten zum neuen Totimpfstoff

Valneva veröffentlichte am 18. Oktober erste Ergebnisse einer Studie, die im Dezember 2020 mit knapp 4700 Erwachsenen und Jugendlichen in Großbritannien gestartet war. Die Erwachsenen erhielten im Abstand von vier Wochen je zwei Impfdosen VLA2001 oder – zufällig ausgewählt – die AstraZeneca-Vakzine: An TeilnehmerInnen unter 30 Jahren verimpften die StudienärztInnen nur den Totimpfstoff. Zwei Wochen nach der zweiten Impfung lag der Spiegel an neutralisierenden Antikörpern im Blut der VLA-Geimpften höher als bei den TeilnehmerInnen, die Vaxzevria erhalten hatten. Außerdem aktivierte die neue Vakzine auch den zellulären Arm der Immunabwehr, die T-Zellen, die sich gegen verschiedene Bestandteile des Virus richten.

Die vom Hersteller herausgestellte Aktivierung der T-Zellen ist begrenzt. Der Totimpfstoff aktiviere zwar T-Zellen. Dabei handele es sich allerdings nicht um Killerzellen, die virusinfizierte Zellen direkt abtöten können – sondern „nur“ um solche, die einer anderen Gruppe von Immunzellen helfen, Antikörper zu produzieren, erklärt der Virologe Ulf Dittmer, Direktor des Instituts für Virologie am Uniklinikum Essen. „Im Gegensatz zum Vektorimpfstoff oder auch den RNA-Impfstoffen kann ein Totimpfstoff so gut wie keine cytotoxische T-Zell-Antwort (Killerzellen) auslösen“, sagt Dittmer. Die Hersteller solcher Präparate würden dieses Detail meist gerne verschweigen.

Für den Schutz vor einer Erkrankung scheint das erst einmal keine Rolle zu spielen. Die Anzahl von Covid-19-Fällen war in beiden Studiengruppen ähnlich, schwer erkrankte keiner. Dies bestätige, dass beide Impfstoffe auch vor der zirkulierenden Delta-Variante schützten, schlussfolgert das Ärzteblatt .

Die Vakzine schützt und ist offenbar verträglich. Die unerwünschten Impfreaktionen fielen bei dem neuen Präparat sogar etwas geringer aus als bei dem AstraZeneca-Präparat: gut 70 Prozent der Studienteilnehmer klagten etwa über Schmerzen an der Einstichstelle oder allgemeine körperliche Symptome wie Fieber oder Abgeschlagenheit, bei Vaxzevria waren es jeweils gut 90 Prozent.

Was die Experten sagen

Die Ganz-Virus-Vakzine aktiviere das Immunsystem in beeindruckender Weise, ohne eine (zu) starke Impfreaktion auszulösen, freut sich Adam Finn, Kinderarzt und Impfexperte an der Universität Bristol und Leiter der klinischen Studie. „Die Daten zur Immunogenität lassen vermuten, dass der Impfstoff mindestens genauso, wenn nicht gar effektiver ist als das Oxford-Vakzin (AstraZeneca/Vaxzevria)“, sagt Finn gegenüber dem „The Guardian“.

Aus den in Europa aktuell vier könnten dank Valneva bald fünf verfügbare Impfstoffe werden, mutmaßt der Virologe Otfried Kistner gegenüber dem österreichischen Fernsehsender „Puls24“. VLA2001 aktiviere alle Arme des Immunsystems, unterstütze die Gedächtnisantwort und ermögliche eine bessere Kreuzreaktion mit verwandten Viren.

Nicht ganz so euphorisch zeigt sich Ulf Dittmer. Der Valneva-Impfstoff müsse deutlich besser funktionieren als andere Vertreter dieser Impfstoffklasse. Das in China flächendeckend eingesetzte Präparat CoronaVac schütze zwar zu rund 60 Prozent vor einer Covid-19 Erkrankung. Aber verhindere eine Infektion eher selten – zu 10 bis 20 Prozent, wie Dittmer aus eigenen Quellen erfahren hat. Genau das sei in China jetzt ein Problem. „Die medizinischen Folgen einer Infektion lassen sich mit dem chinesischen Impfstoff zwar verringern, aber eine Pandemie eindämmen, kann man damit nicht“, sagt Dittmer.

Bisher gibt es allerdings nur wenig publizierte, klinische Daten zur Wirksamkeit der anderen Totimpfstoffe wie CoronaVac. Die veröffentlichten Zahlen fallen von Land zu Land unterschiedlich aus. In Brasilien schützt der Impfstoff zu rund 50 Prozent vor einer milden Covid-19 Erkrankung; in Indonesien zu 65 Prozent, in der Türkei zu 84 Prozent. In Chile, wo große Teile der Bevölkerung ebenfalls CoronaVac erhielten, waren 66% durch die Impfung vor einer milden Erkrankung geschützt; 88% vor einer Krankenhauseinweisung wegen Covid und 90% vor einer intensivmedizinischen Behandlung.

Im Gegensatz zu CoronaVac enthält der neue europäische Totimpfstoff nicht nur den Wirkverstärker Aluminium-Hydroxyd, sondern auch die Substanz „CpG 1018“. CpG aktiviert gezielt bestimmte Alarmglocken des Immunsystems und verstärkt die Schutzreaktion. Die Substanz hat sich im klinischen Einsatz bewährt und ist beispielsweise in einem bei uns zugelassenen Hepatitis-B-Impfstoff enthalten. „Ich hoffe, dass das Valneva-Präparat wegen des zusätzlichen Wirkverstärkers besser ist als das chinesische“, so Dittmer. „Die sehr guten Antikörperdaten lassen das vermuten.“ RNA-Impfstoffe kommen ohne Adjuvanzien aus, weil die Nukleinsäure-Moleküle aus denen sie bestehen, bereits ein starkes Alarmsignal für die Immunabwehr sind.

Wie es mit dem Totimpfstoff weitergeht

In Großbritannien hat Valneva bereits im August die Zulassung von VLA2001 beantragt. Ein Antrag bei der Europäischen Arzneimittelagentur soll demnächst folgen. Außerdem wird es Impfstudien mit 5– bis 12-Jährigen geben sowie mit erwachsenen, bereits vollständig Immunisierten, die den Totimpfstoff versuchsweise als Auffrischung bekommen. Der Impfexperte Otfried Kistner rechnet nicht damit, dass die Totimpfstoffe aus China in Europa Fuß fassen werden. Das Valneva-Produkt werde eine Sonderstellung einnehmen und womöglich nach der Pandemie eine wichtige Rolle spielen. Dann sei es vorteilhaft aus einem Repertoire verschiedener Vakzinen auswählen zu können, die sich miteinander vertrügen. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn ist optimistisch und hat schon einmal 11 Millionen Dosen von Valneva geordert.

Die Recherchen zu diesem Beitrag wurden über die Riff freie Medien gGmbH aus Mitteln der Klaus Tschira Stiftung gefördert.

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