Krebs-Früherkennung: Vorteile und Nachteile des Screenings kennen und abwägen

Ob Mammografie oder Darmspiegelung: Nicht immer nützt die Früherkennung und manchmal schadet sie auch. Für eine informierte Entscheidung ist es deshalb wichtig, Nutzen und Risiken zu kennen.

vom Recherche-Kollektiv Plan G:
13 Minuten
Eine Frau öffnet einen Umschlag mit den Ergebnissen einer Mammographie-Untersuchung.

Früherkennung von Krankheiten hört sich total plausibel an. Verspricht das doch eine effektivere Behandlung, also mehr Nutzen. Aber leider stimmt das nicht immer – und manchmal kann Früherkennung sogar schaden.

Die Frauenzeitschrift empfiehlt, dass du regelmäßig deine Brust abtasten solltest. Beim Hausarzt liegen im Wartezimmer Broschüren zum PSA-Test herum, mit dem sich Prostatakrebs früh erkennen lassen soll. Die Sprechstundenhilfe beim Augenarzt will dir unbedingt eine Früherkennung auf Grünen Star verkaufen. Und bei vielen solcher Screenings gibt es die Empfehlung, die Untersuchung in regelmäßigen Abständen wiederholen zu lassen, um ganz sicher zu gehen.

Kommt dir eine dieser Situationen bekannt vor? Kein Wunder: Denn kaum eine Faustregel zu medizinischen Tests hört sich so plausibel an wie „Früh erkannt ist immer besser“. Und nach diesem Motto begegnen dir im Medizin-Betrieb jede Menge Angebote zur Früherkennung bzw. zum Screening (das ist der englische Begriff dafür). Aber wie kannst du herausfinden, ob das Angebot wirklich sinnvoll ist? Und noch wichtiger: Ob du es in deiner Situation wirklich nutzen willst? Dieser Artikel will dir helfen, diese nicht ganz einfachen Fragen zu beantworten.

Bevor wir die Faustregel „Früher ist immer besser“ genauer unter die Lupe nehmen, noch vorab drei Klarstellungen:

Klarstellung 1: Der Begriff Früherkennung ist absichtlich gewählt – bitte nicht mit „Vorsorge“ verwechseln. Der Begriff Vorsorge suggeriert nämlich, dass es möglich ist, die betreffende Krankheit wirklich zu vermeiden, also dass sie gar nicht erst entsteht. Die meisten Tests, um die es hier geht, können aber im besten Fall eine Krankheit erkennen, die bereits vorhanden ist. Das ist ein großer Unterschied, der aber leider nicht allgemein bekannt ist. Das hat etwa eine Umfrage der Bertelsmann Stiftung und der BarmerGEK zur Brustkrebs-Früherkennung mit Hilfe der Mammografie gezeigt: So glaubten etwa 30 Prozent der befragten Frauen, dass sich durch die Teilnahme am Mammografie-Screening Brustkrebs verhindern lässt (was es nicht tut) [1].

Klarstellung 2: Früherkennung bezieht sich immer auf Menschen ohne konkrete Beschwerden. Wenn bestimmte Symptome auftreten, zum Beispiel unklare Blutungen, Beschwerden beim Wasserlassen oder ein Knoten in der Brust und du gehst damit zu deinem Arzt oder deiner Ärztin, ist das also keine Früherkennung, sondern ein Abklären von Beschwerden. Und was wir hier in diesem Artikel zur Früherkennung beschreiben, gilt nicht für solche Abklärungen.

Klarstellung 3: Bei der Bewertung von Untersuchungen zur Früherkennung nach den Kriterien der evidenzbasierten Medizin spielt es nicht nur eine Rolle, wie gut oder wie schlecht die Diagnostik ist und wie aussagekräftig die jeweiligen Befunde sind. Dazu konntest du ja bereits etwas im ersten Teil unserer Mini-Serie lesen. Bei Früherkennung ist es auch wichtig, was dann nach der Diagnose weiter passiert, sprich ob eine Therapie zur Verfügung steht und wie gut diese hilft. Bewertet wird also immer die gesamte Kette von Diagnostik bis Therapie, oder anders ausgedrückt: Nicht nur die Diagnostik, sondern auch die Konsequenzen, die sich daraus ergeben. Warum das auch sinnvoll ist, zeigen vielleicht zwei fiktive Extrem-Beispiele:

  • a) Die Früherkennung ermöglicht eine Diagnose, aber es gibt keine Therapie.
  • b) Die Früherkennung ermöglicht eine Diagnose, aber die Therapie ist so gut, dass sie in jedem Stadium der Erkrankungen alle Betroffenen heilt.

In beiden Fällen würde Früherkennung nicht so viel nützen. Das bedeutet auch: Wie viel die Früherkennung nützt, muss man sich jeweils im Einzelfall anschauen. Das betrifft verschiedene Diagnosemethoden, verschiedene Erkrankungen und auch verschiedene Risikogruppen.

Das Wichtigste in Kürze

Früherkennung ist eine komplexe Sache. Die schnelle Faustregel „Früh ist immer besser“ kann im Einzelfall stimmen, tut es aber nicht automatisch. Deshalb ist es wichtig, dass du dich für die konkrete Frage bei verlässlichen Quellen informierst, wie es mit Nutzen und Schaden aussieht. Denn nur dann kannst du eine informierte Entscheidung für oder gegen die Früherkennung treffen.

Früher ist immer besser

Die Grafik beschreibt ein Missverständnis bei diagnostischen Tests: Früherkennung ist nicht immer nützlich - und kann manchmal sogar schaden.
Früherkennung ist nicht immer nützlich - und kann manchmal sogar schaden.

Die Faustregel „Früher ist immer besser“ basiert im Wesentlichen auf drei Annahmen:

  1. Dass eine frühe Diagnose den Verlauf der Erkrankung günstig beeinflusst, weil
  2. so eine schnellere Therapie möglich ist und diese
  3. dann zu einem besseren Ergebnis führt.

Das Problem: Diese Verkettung glücklicher Umstände ist nicht bei jeder Früherkennungsuntersuchung gegeben. Und manchmal kann das Risiko für einen Schaden sogar größer sein als die Chance auf einen Nutzen [2].

Warum das so ist, wird vielleicht nachvollziehbarer, wenn wir uns das einmal am Beispiel Krebs-Früherkennung anhand von verschiedenen (fiktiven) Szenarien anschauen [3].

Szenario 1: Der Idealfall

Die Grafik beschreibt ein möglichers Szenario bei der Krebsfrüherkennung: Im Idealfall verlängert sie das Leben.
Wenn Krebsfrüherkennung funktioniert, kann sie das Leben verlängern.

Dieses Szenario ist das, was sich viele unter dem Begriff Früherkennung vorstellen: Ohne Früherkennung wird der Krebs erst dann erkannt, wenn er Beschwerden verursacht. Das ist aber dann so spät, dass keine Heilung mehr möglich ist – etwa wenn der Tumor bereits gestreut, also Metastasen gebildet hat. Mit der Früherkennung ist es aber möglich, bereits in einem frühen Krankheitsstadium zu behandeln, sodass der Tumor vollständig und langfristig verschwindet. Und die Betroffenen sterben dann irgendwann an Altersschwäche (oder anderen Erkrankungen). Die Früherkennung bedeutet in diesem Szenario gewonnene Lebensjahre.

Schönes Szenario. Hat nur ein Problem: Diese Vorstellung stimmt leider nicht immer mit der Realität überein. Denn Krebs ist nicht gleich Krebs und der Krankheitsverlauf kann stark variieren, sogar bei Tumoren, die im gleichen Organ oder Gewebe auftreten. Und dann kann die Wirklichkeit ganz anders aussehen. Zum Beispiel wie in Szenario 2 oder 3.

Szenario 2: Tumor wächst langsam

Die Grafik beschreibt ein mögliches Szenario bei der Krebsfrüherkennung: Die Früherkennung nützt manchmal nicht, wenn der Tumor nur langsam wächst und effektive Therapien verfügbar sind.
Wenn der Tumor nur langsam wächst und effektive Therapien verfügbar sind, ist der Nutzen von Krebsfrüherkennung nur begrenzt oder fehlt sogar ganz.

Manche Krebsarten wachsen nur sehr langsam. Und wenn es dann auch noch eine sehr wirksame Therapie gibt, ist eine Heilung möglicherweise auch noch in einem späten Stadium möglich, also wenn bereits Beschwerden auftreten. Im schlechtesten Fall hat die Früherkennung dann nur die Konsequenz, dass die Betroffenen länger mit ihrer Krebs-Diagnose leben müssen, aber nicht insgesamt länger leben. Anders ausgedrückt: Die Früherkennung verlängert dann nur die Krankheitszeit, aber nicht die Überlebenszeit.

Szenario 3: Tumor wächst schnell

Die Grafik beschreibt ein mögliches Szenario bei der Krebsfrüherkennung: Die Früherkennung nützt manchmal nicht, wenn der Tumor sehr schnell wächst und keine effektive Therapien verfügbar sind.
Ein mögliches Szenario bei der Krebsfrüherkennung: Die Früherkennung nützt manchmal nicht, wenn der Tumor sehr schnell wächst und keine effektive Therapien verfügbar sind.

Ein ähnliches Phänomen gibt es dann, wenn der Tumor sehr schnell wächst und/oder keine effektive Therapie zur Verfügung steht, wie hier in Szenario 3. Auch dann verlagert die Früherkennung nur den Zeitpunkt der Diagnose nach vorne, ohne dass sich die Lebenszeit insgesamt verlängert.

Szenario 4: Überdiagnosen

Die Grafik beschreibt ein mögliches Szenario bei der Krebsfrüherkennung: Wenn die Früherkennung Tumore entdeckt, die zu Lebzeiten sonst nicht aufgefallen wären und auch nicht hätten behandelt werden müssen, spricht man von Überdiagnosen.
Ein mögliches Szenario bei der Krebsfrüherkennung: Wenn die Früherkennung Tumore entdeckt, die zu Lebzeiten sonst nicht aufgefallen wären und auch nicht hätten behandelt werden müssen, spricht man von Überdiagnosen.

In den letzten Jahren wird von Fachleuten zunehmend diskutiert, dass Früherkennung in einigen Fällen auch ein ganz grundsätzliches Problem birgt: Überdiagnosen und die sich anschließenden Übertherapien. Überdiagnosen bei Krebs entstehen, wenn durch die Früherkennung Zellveränderungen entdeckt werden, die zu Lebzeiten der betroffenen Person nie Probleme gemacht hätten, deshalb auch nicht aufgefallen wären und das Leben nicht verkürzt hätten. Überdiagnosen sind also nicht das gleiche wie Fehldiagnosen (etwa wenn Ärzt*innen nicht ausreichend genau hinschauen) oder falsch-positive Befunde (die im Nachhinein korrigiert werden).

Leider kann man auf einer individuellen Ebene nicht herausfinden, ob es sich um eine Überdiagnose handelt oder nicht, sondern die Effekte lassen sich lediglich auf der Bevölkerungsebene nachweisen, also wenn man im Nachhinein die Daten vieler Menschen auswertet [4]. Da sich zum Zeitpunkt der Diagnose Überdiagnosen („Pseudo-Krankheiten“) und „echte“ Krankheiten nicht unterscheiden lassen, bekommen in der Regel alle Patient*innen eine Krebsbehandlung. Diejenigen mit einer Überdiagnose haben durch das Screening also keine Vorteile, sondern nur Nachteile.

Das Konzept von Überdiagnosen ist ein bisschen knifflig. Vielleicht hilft dieses Video noch zum Verständnis:

Exkurs: Was du über Screening-Studien wissen solltest

Welches der vier Szenarien auf eine bestimmte Früherkennungsuntersuchung zutrifft, lässt sich nicht theoretisch überlegen. Selbst Fachleute können das nur herausfinden, wenn es entsprechende gut gemachte Studien gibt, die die gesamte Kette von der Diagnostik bis hin zur Therapie untersuchen [3].

In den Studien wird dann im Idealfall alles das getestet, was für Menschen interessant ist, die sich für oder gegen eine Teilnahme an einer Früherkennungsuntersuchung entscheiden wollen. Das betrifft sowohl den Nutzen – also etwa Verlängerung des Lebens, weniger verstümmelnde Operationen, bessere Lebensqualität –, aber auch den möglichen Schaden, wie zum Beispiel Risiken durch die Diagnosemethode, etwa die Strahlenbelastung beim Mammografie-Screening oder das Risiko für Schäden an der Darmwand bei der Darmspiegelung zur Früherkennung von Darmkrebs.

Genauso sollte aber auch die psychische Belastung erfasst werden, die beispielsweise durch falsch-positive Befunde entsteht, die sich im Nachhinein als „Fehlalarm“ herausstellen. Auch Nebenwirkungen der Therapie müssen mitberücksichtigt werden.

Was bei Screening-Studien schief gehen kann

Allerdings ist nicht jede Studie zu einer Screening-Methode auch wirklich aussagekräftig. Und möglicherweise werden die Daten nicht ordentlich ausgewertet oder die Darstellung der Ergebnisse ist irreführend. Hier ein paar Beispiele:

Beispiel 1: Wenn ein Tumor langsam wächst und wenige oder keine Beschwerden verursacht, befindet er sich statistisch gesehen länger im Körper als ein schnell wachsender Tumor, der bereits nach kurzer Zeit auffällt. Langsam wachsende Tumore haben deshalb eine höhere Chance, durch ein Screening erfasst zu werden als schnell wachsende Tumore, die wegen der entstehenden Symptome auch zwischen zwei Screeninguntersuchungen auffallen können (so genannte Intervallkarzinome). Tumore, die in einem Screening entdeckt werden, haben deshalb in vielen Fällen eine günstigere Prognose. Dieses Phänomen kann dazu führen, dass die Effekte des Screenings überschätzt werden. Statistiker*innen bezeichnen das auch als „length-time bias“. Deshalb ist es wichtig, in Studien die Ergebnisse in der Screening-Gruppe mit denen einer nicht-gescreenten Kontrollgruppe zu vergleichen.

Beispiel 2: Die Ergebnisse in solchen Studien können durch systematische Unterschiede in diesen Gruppen verzerrt werden, also durch Unterschiede zwischen denjenigen, die an einer Früherkennung teilnehmen, und solchen, die darauf verzichten. So weiß man etwa, dass Menschen, die freiwillig an einem Screening teilnehmen, häufig stärker auf ihre Gesundheit bedacht sind als Nicht-Teilnehmer. Außerdem neigen sie auch dazu, Empfehlungen zu Lebensstil und Therapie besser zu befolgen. Das alles hat häufig Auswirkungen auf den weiteren Krankheitsverlauf. Deshalb sind für die Bewertung von Früherkennungsuntersuchungen Daten aus randomisierten kontrollierten Studien notwendig, die für faire und vergleichbare Ausgangsbedingungen in den Gruppen sorgen.

Beispiel 3: Wenn als Ergebnis einer Studie die Überlebenszeiten von Menschen mit und ohne Früherkennung nach der Diagnose verglichen werden, kann das ebenfalls in die Irre führen. Denn wie bereits oben beschrieben, kann die Früherkennung lediglich den Zeitpunkt der Diagnose nach vorne verlegen, ohne dass sich etwas an der Lebenszeit insgesamt verändert. Dieses Phänomen bezeichnen Statistiker*innen auch als „lead-time bias“. Es ist deshalb nicht sinnvoll, als Erfolg für das Screening zum Beispiel eine 5– oder 10-Jahres-Überlebensrate nach Diagnosestellung heranzuziehen. Aussagekräftig wären stattdessen Zahlen, wie sich die Sterblichkeit mit und ohne Früherkennung insgesamt über einen Zeitraum verändert, der für Gescreente und Nicht-Gescreente gleich lang ist.

Wenn diese Aspekte nicht beachtet werden, entsteht schnell Medizin-Murks, der Menschen mehr schadet als nützt. Einen besonderen spektakulären Fall zum Thema Früherkennung gab es in den 1980er Jahren in Japan. Hier kannst du dir die Geschichte dazu anhören:

Die „beste Waffe gegen Krebs“?

Wie so häufig lässt sich auch bei Früherkennung schon durch die Wortwahl in den entsprechenden Kampagnen beeinflussen, wie Menschen etwas wahrnehmen. Erinnere dich nochmal, warum es so wichtig ist, tatsächlich von Früherkennung und nicht von Vorsorge zu sprechen: Eine echte Vorsorge, also dass eine richtige Krebserkrankung verhindert wird, ist nur dann möglich, wenn tatsächliche Krebs-Vorstufen entfernt werden. Das ist allerdings nur bei einigen wenigen Früherkennungsuntersuchungen der Fall, etwa bei der Darmspiegelung. Und selbst dann gibt es keine Garantie dafür, dass sich nicht an anderer Stelle später doch ein Tumor entwickelt oder umgekehrt auch nicht dafür, dass sich aus der verdächtigen Stelle tatsächlich später Krebs entwickelt hätte [5].

Ein zweites Beispiel: Im Kontext von Früherkennung fällt häufig der Satz „Früherkennung rettet Leben“. Oder auch auf konkrete Menschen bezogen: „Die Früherkennung hat ihm/ihr das Leben gerettet.“ Hier gibt es gleich zwei Probleme: Zum einen lässt sich für einzelne Menschen nie mit Sicherheit voraussagen, wie sich in ihrem konkreten Fall die Erkrankung entwickelt hätte. Und zum anderen lässt sich daraus nichts Allgemeingültiges ableiten: Denn meistens sieht man dabei nicht diejenigen, die trotz der Früherkennung gestorben sind – etwa weil der Tumor so aggressiv war und/oder weil die Therapie nicht angeschlagen hat. Fachleute nennen das auch „survivorship bias“.

Und was bedeutet eigentlich genau „Früherkennung rettet Leben“? [6] Unsere Vermutung: Viele werden den Satz vermutlich im Sinne von Szenario 1 hören, also dass sie durch die Früherkennung insgesamt später sterben (im Fachjargon: dass die Gesamtsterblichkeit sinkt). Allerdings gibt es hierbei ein Problem: Genau das ist bisher für keine Früherkennungsuntersuchung bei Krebs nachgewiesen. Die positivsten Effekte, die bisher belegt sind, beziehen sich immer darauf, vorzeitige Todesfälle durch diese eine Krebsart zu verhindern (also zum Beispiel Todesfälle durch Brustkrebs, wenn es um das Mammografie-Screening geht).

Es ist also nicht belegt, dass die Krebsfrüherkennung das Leben insgesamt verlängert. Dafür könnte es einen ganz harmlosen Grund geben: Möglicherweise waren die bisherigen Studien einfach nicht groß genug, um einen Effekt auf die Gesamtsterblichkeit zu erfassen. Oder andere, häufigere Todesursachen – wie beispielsweise durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen – lassen auch diejenigen vorzeitig sterben, die durch die Früherkennung vor dem vorzeitigen Krebstod bewahrt wurden.

Wesentlich beunruhigender ist jedoch eine andere Interpretationsmöglichkeit: Dass mögliche negative Effekte von Diagnose und Therapie mögliche positive Effekte der Früherkennung auf die Gesamtsterblichkeit zunichte machen. Denkbar wäre das etwa in einem Fall, wenn eine Krebserkrankung zwar früh entdeckt und behandelt wird, die Betroffenen aber wegen massiver Nebenwirkungen durch die Therapie dennoch vorzeitig sterben.

Und noch ein letzter Punkt: Es kann auch einen großen Unterschied machen, wie der Nutzen einer Früherkennung beziffert wird. Vergleiche mal diese beiden Aussagen:

  1. Das Mammografie-Screening senkt die Brustkrebssterblichkeit bei Frauen ab 50 Jahren über einen Zeitraum von elf Jahren um 20 Prozent.
  2. Mit Mammografie-Screening sterben 4 von 1000 Frauen an Brustkrebs, ohne Screening sind es 5 von 1000 Frauen (gleiche Altersgruppe und Zeitspanne) [7].

Beide Aussagen sind rechnerisch gleichwertig, aber die erste klingt viel beeindruckender. Diesem Aspekt werden wir später noch einen eigenen Artikel widmen (Link folgt).

Was du für deine informierte Entscheidungen brauchst

Die Sache ist also ziemlich komplex. Wenn du dich in dieser unübersichtlichen Situation zurecht finden willst, brauchst du verlässliche Gesundheitsinformationen, die alle Aspekte verständlich aufbereiten – und zwar so, dass du nicht in die eine oder andere Richtung beeinflusst wirst, sondern deine eigenen Werte mit in die Entscheidung einbringen kannst. Für eine informierte Entscheidung brauchst du unter anderem Antworten auf diese Fragen [5]:

  • Wie hoch ist eigentlich mein Risiko für diese Erkrankung?
  • Mit welchem Nutzen kann ich durch die Früherkennung tatsächlich rechnen?
  • Welche unerwünschten Wirkungen muss ich in Kauf nehmen?
Die Grafik beschreibt die drei Fragen, die man sich stellen sollte, bevor man eine Früherkennungsuntersuchung in Anspruch nimmt.
Welche Fragen sollte man sich stellen, bevor man eine Früherkennungsuntersuchung in Anspruch nimmt?

Wenn du dich für eine Krebs-Früherkennungsuntersuchung interessierst, die in Deutschland im Rahmen eines Screeningprogramms [8] angeboten wird, gibt es inzwischen sehr gute Broschüren mit Entscheidungshilfen, in denen du alle wichtigen Informationen findest. Die bekommst du mit der Einladung zum Screening automatisch zugeschickt, alternativ findest du sie auch auf der Seite des Gemeinsamen Bundesausschusses [8] oder auf gesundheitsinformation.de [9]. Konkret betrifft das das Screening auf Darmkrebs (Stuhltest und Darmspiegelung), Screening auf Brustkrebs mit Mammografie und das Screening auf Gebärmutterhalskrebs (dieses Programm startet im Januar 2020).

In anderen Fällen kann es dir jedoch auch passieren, dass dir eine Früherkennungsuntersuchung als Selbstzahlerleistung (IGeL) angeboten wird. Dann findest du vielleicht auf der Seite des IGeL-Monitors die notwendigen Infos. Weitere nützliche und verlässliche Quellen zum Thema (Krebs-)Früherkennung findest du auch bei patienten-information.de [10] sowie beim Krebsinformationsdienst [11].

Quellen und weiterführende Links

[1] Dierks M-L, Schmacke N. Mammografie-Screening und informierte Entscheidung – mehr Fragen als Antworten. Newsletter Gesundheitsmonitor 1/2014

[2] Einige Beispiele aus der Geschichte kannst du in Kapitel 4 des Buchs „Wo ist der Beweis?“ nachlesen.

[3] Die Ideen für die Grafiken und die Hintergrund-Informationen stammen aus diesen beiden Publikationen: 1) Raffle A, Gray J A M. Screening Durchführung und Nutzen von Vorsorgeuntersuchungen, 1. Aufl., Huber, Bern, 2009 2) Koch K, Weymayr C. Kritik der Krebsfrüherkennung. Onkologe 2008; 14: 181–188

[4] Wie solche Studien aussehen, die Überdiagnosen nachweisen können, beschreibt die Seite zum Thema auf gesundheitsinformation.de.

[5] Noch ausführlicher lässt sich das Thema Vorsorge vs. Früherkennung auf einer Themenseite im IQWiG-Patientenportal gesundheitsinformation.de nachlesen.

[6] Die Überlegungen in diesem Abschnitt stammen aus dieser lesenswerten Analyse: Prasad V, Lenzer J, Newman D. Why cancer screening has never been shown to „save lives“—and what we can do about it. British Med J 2016; 352: h6080

[7] Die Zahlen sind einer Faktenbox des Harding-Centers für Risikokompetenz entnommen. Andere Entscheidungshilfen kommen u. a. wegen abweichenden Zeiträumen zu leicht unterschiedlichen Zahlen, die Größenordnung ist jedoch gleich.

[8] Was die Früherkennungsprogramme ausmacht und welche Informationen es dazu gibt, kannst du auf der Seite des Gemeinsamen Bundesausschusses nachlesen.

[9] Hier kannst du dir verschiedene Entscheidungshilfen des IQWiG herunterladen, darunter auch einige zur Krebsfrüherkennung (ganz nach unten scrollen).

[10] Auf dieser Seite bei patienten-information.de findest du Informationen zur Früherkennung von Krebs und anderen Erkrankungen.

[11] Auf dieser Seite informiert der Krebsinformationsdienst über Früherkennung.

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