Welche Therapie hilft am besten? Erfahrungen sind für die Bewertung von Behandlungen oft irreführend

Warum wir kontrollierte Studien brauchen

vom Recherche-Kollektiv Plan G:
6 Minuten
Frauen sitzen diskutierend um einen Tisch.

„Wer heilt, hat Recht“ – hört sich erst mal plausibel an, oder? In Sachen Gesundheit können der Augenschein und Erfahrungswerte aber schnell auf die falsche Spur führen.

Erkältungen sind elend. Die Nase ist zu, das Lieblingsessen schmeckt nicht mehr und der Kopf dröhnt auch. Kein Wunder, dass viele Menschen in dieser Situation unbedingt etwas tun wollen: Am liebsten ein Mittel einnehmen oder anwenden, das die Beschwerden schneller verschwinden lässt.

Aber was passiert eigentlich, wenn man nichts macht? Richtig: Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass es in einer Woche schon viel besser geht. Denn das ist der natürliche Verlauf der meisten Erkältungen. Und was würde passieren, wenn man im Verlauf der Erkältung etwas Homöopathisches einnimmt oder die Hausärztin überredet, ein Antibiotikum zu verschreiben? Auch dann wäre die Erkältung nach einer Woche deutlich besser. Aber man hätte den Eindruck, die Verbesserung kommt von dem Mittel, das man eingenommen hat: Unabhängig davon, ob eine Wirksamkeit gegen die virusbedingte Erkältung überhaupt plausibel, geschweige denn nachgewiesen ist.

Anders ausgedrückt: Wenn man ein Mittel einnimmt und es geht einem danach besser, muss das nicht unbedingt an dem Mittel liegen. Denn es gibt noch zahlreiche andere Erklärungen und Phänomene, die dabei eine Rolle spielen. Wer sich dafür interessiert, wie gesichertes Wissen in der Medizin entsteht, sollte sie kennen.

Warum geht’s tatsächlich besser?

Wenn wir uns mit gesichertem Wissen in der Medizin beschäftigen, geht es oft um die Frage: Besteht ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Einnahme eines Mittels und der Veränderung, die sich danach beobachten lässt? Ganz klar: In der Medizin war und ist es sehr wichtig, Krankheitsverläufe und die Auswirkungen von therapeutischen Maßnahmen sorgfältig zu beobachten.

Verlässt man sich aber ausschließlich auf diese Beobachtungen, birgt das einige Fallstricke. Denn bei der Einnahme eines Mittels entfaltet sich nicht nur dessen (hoffentlich vorhandene) Wirkung, es passiert gleichzeitig noch viel mehr:

Der natürliche Krankheitsverlauf: Selbst ohne Behandlung heilen einige Erkrankungen von selbst aus, siehe Erkältung. Bei anderen Krankheiten ist keine spontane Heilung zu erwarten, aber der Verlauf lässt sich schlecht vorhersagen und ist bei verschiedenen Menschen sehr unterschiedlich.

Regression zur Mitte: Wann sucht man im Verlauf einer Erkrankung Hilfe? Meistens dann, wenn es einem am schlechtesten geht. Oft folgt auf eine Phase mit stärkeren Symptomen eine mit schwächeren, manchmal geht es mit den Beschwerden im Verlauf einer Krankheits mehrmals auf und ab.

Placebo-Effekte: Wenn man etwas tun kann, fühlt es sich immer gleich besser an, als wenn nur das Abwarten bleibt. Zuwendung von der freundlichen Hausärztin oder dem umsichtigen Apotheker tragen auch dazu bei, dass man sich besser fühlt. Wer erwartet, dass es ihm oder ihr nach Einnahme eines Mittels besser geht, wird das vermutlich auch erfahren. Und diese Erwartungshaltung wird noch verstärkt, wenn der Arzt versichert, dass er ein Arzneimittel verordnet, das schon sehr vielen Menschen geholfen hat.

Die Mischung aus allen diesen Phänomenen bezeichnet man auch als „unspezifische Therapieeffekte“. Sie vermischen sich mit den „spezifischen Therapieeffekten“ durch Medikamente und andere Behandlungen, treten aber auch bei einem eigentlich unwirksamen Mittel auf.

Häufig gehört – und trotzdem falsch

Wer diese Phänomene ignoriert, kann schnell einen falschen Eindruck gewinnen, wenn es um den Nutzen von Medikamenten oder anderen Mitteln geht. Aber leider passiert das ziemlich häufig – und oft hört man bestimmte Sätze (siehe unten). Aber helfen sie tatsächlich weiter, um eine gute Entscheidung in Sachen Gesundheit zu treffen? Wir machen den Check.

Die Grafik beschreibt das erste von drei Missverständnissen bei der Bewertung von Behandlungen: „Mir hat es geholfen“
Wenn es um die Bewertung von Behandlungen geht, helfen Erfahrungswerte nicht weiter.

Missverständnis #1: „Mir hat es geholfen“

Prima. Aber woher weiß man, dass es tatsächlich das Mittel war und nicht eins der oben beschriebenen Phänomene? Also zum Beispiel, dass der Hautausschlag tatsächlich wegen der Creme verschwunden ist und nicht nur zufällig zeitgleich? Und was einem bestimmten Menschen hilft, muss nicht auch zwangsläufig allen anderen helfen. Denn Menschen reagieren manchmal unterschiedlich auf bestimmte Behandlungen – deshalb sind die guten Erfahrungen der Nachbarin oder des Onkels keine Garantie dafür, dass der Hustensaft helfen wird.

Missverständnis #2: „Bewährtes Mittel“
Alte Mittel müssen nicht unbedingt die besseren Medikamente sein.

Missverständnis #2: „Bewährtes Mittel“

„Bewährt“ meint in diesem Kontext häufig: Schon viele Menschen haben sich nach der Einnahme besser gefühlt. Das ist schon mal ein kleines bisschen besser, als bei unserem Missverständnis #1 – denn immerhin gibt es Erfahrungswerte nicht nur für eine bestimmte Person, sondern für mehrere. Aber auch dann gilt: Woher wissen wir, dass nicht auch bei den vielen die oben beschriebenen Phänomene zugeschlagen haben? „Bewährtes Mittel“ oder „95% zufriedene Anwender“ hört sich in der Werbung zwar gut an, hilft für eine fundierte Entscheidung aber nicht weiter.

Die Grafik beschreibt das dritte von drei Missverständnissen bei der Bewertung von Behandlungen: „Behandeln ist immer besser als Nicht-Behandeln“
Behandeln wäre nur dann immer besser als Nicht-Behandeln, wenn es null Risiken für Nebenwirkungen gäbe und die Behandlung weder Zeit noch Geld kosten würde. In der Regel ist das nicht der Fall.

Missverständnis #3: „Behandeln ist immer besser als Nicht-Behandeln“

Das wäre nur dann richtig, wenn a) das Mittel tatsächlich zuverlässig hilft oder b) keine Nebenwirkungen hat und c) nichts kostet. Anders ausgedrückt: Bei Entscheidungen über Behandlungen ist es wichtig, Nutzen, Risiken und Kosten zu berücksichtigen. Darüber lohnt es sich also, sich besser vorher zu informieren.

Was hilft vielen?

Was sagt uns das jetzt, wenn wir zu gesichertem medizinischen Wissen – etwa zum Nutzen eines bestimmten Medikaments – kommen wollen? Ein erster Schritt: Das Mittel muss an einer größeren Anzahl Menschen getestet werden – nämlich im Rahmen von Studien. Denn nur dann kann man herausfinden, ob die Behandlung auch allgemein funktioniert und nicht nur zufällig bei einigen wenigen funktioniert hat.

Dabei werden manchmal Erfahrungswerte genutzt – die entsprechenden Studienarten heißen etwa Fallserien oder Anwendungsbeobachtungen. Dabei wird der Krankheitsverlauf von Patientinnen und Patienten zum Beispiel nach Einnahme eines bestimmten Arzneimittels dokumentiert. Für bestimmte Fragestellungen haben solche Studienarten eine Berechtigung, sie können aber keinen Aufschluss über ursächliche Zusammenhänge zwischen der Anwendung eines Mittels und dem Verlauf der Erkrankung liefern.

Kontrolle ist besser

Denn wir haben ja bereits die Einsicht gewonnen: Es reicht nicht, sich nur anzuschauen, wie sich der Zustand oder die Beschwerden nach der Einnahme eines Mittels verändert haben. Denn damit lassen sich die spezifischen und die unspezifischen Therapieeffekte nicht auseinanderdröseln. Das gilt übrigens nicht nur für erwünschte Wirkungen, sondern auch für vermeintliche Nebenwirkungen.

Wie müssen dann solche Studien aussehen, um aussagekräftig zu sein? Ein erster Schritt wäre, das Medikament, über das wir etwas wissen wollen, mit einer anderen Behandlung zu vergleichen. Ein Teil der Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer erhält also das betreffende Medikament, ein anderer Teil – die „Kontrollgruppe“ – je nach Fragestellung zum Beispiel die bisherige Standardbehandlung, ein Scheinmedikament oder wird einer Warteliste zugeteilt. Solche Untersuchungen nennt man auch „kontrollierte Studien“. Zu einer der ersten überlieferten kontrollierten Studien gibt es übrigens eine nette Geschichte: Dabei ging es im 18. Jahrhundert um die Frage, wie die Vitamin-C-Mangelkrankheit Skorbut bei englischen Seeleuten am besten behandelt werden soll.

Fazit

Hat Recht, wer heilt? Natürlich nicht. Es hat nur der Recht, wer auch belegen kann, dass die Heilung auch tatsächlich durch die verwendete Behandlung zustande gekommen ist. Und umgekehrt: Wenn es jemandem nach einer Therapie besser geht, haben die Behandelnden manchmal auch einfach nur Glück gehabt.

Um den Nutzen einer Behandlung beurteilen zu können, braucht es also aussagekräftige Studien mit einer Kontrollgruppe. Aber selbst dann kann es schwierig sein, tatsächlich einen ursächlichen Zusammenhang herzustellen.

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