Eierschleim als Technikstar? Warum frühe Fotokunst von Hühnereiern abhing

Vergessene Industriegeschichte: Die ersten Fotos wurden auf Papieren abgezogen, die Dresden für die ganze Welt produzierte – und in Eiern baden ließ.

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Braungetönter Fotodruck auf Albuminpapier von einem Tempel mit geschwungenen Dächern. Ein Rikschafahrer steht davor auf der Straße. Die Arbeit wurde um das Jahr 1890 vom Studio Lambert & Co. produziert.

Die sächsische Hauptstadt ist für ihre lange und reiche Industriegeschichte bekannt. Eine Sparte aber ist fast vergessen, obwohl sie Dresden zum Weltmarktführer machte: die Fertigung von Albuminpapier, das erstmals Fotos ganz einfach kopieren ließ. Das perfekte Produkt für die anbrechende Ära des Massentourismus und der Fotopostkarten. Die Herstellung hing allerdings von einer Zutat ab – von wirklich wahnsinnig vielen Eiern.

Singapur, 1867: Wahrscheinlich führten Familienbande den sächsischen Fotografen Gustav Richard Lambert nach Fernost. Ein Glück, denn er war der richtige Mann zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Aus seiner Heimatstadt Dresden, einem Zentrum der frühen Fotografie, brachte er das professionelle Knowhow mit und kannte auch die herausragende Qualität der dort produzierten Albuminpapiere. Diese noch junge Technik ließ Negative erstmals tausendfach kopieren – und Lambert etablierte das wichtigste und erfolgreichste Studio in Singapur. Seine Porträts, fernöstlichen Landschaften und malerischen Straßenszenen waren als Visitenkarten, als Fotopostkarten und als touristische Souvenirs so begehrt, dass in einem Jahr eine Viertelmillion davon verkauft wurden.

Im Katalog von G.R. Lambert & Co standen rund 3.000 Motive zur Auswahl, aus Singapur, aber auch aus Borneo, China und Malaysia, wohin Lambert lange Reisen unternahm, während das Studio in der Region Filialen eröffnete. Zeitweise avancierte er sogar zum offiziellen Fotografen von König Chulalongkorn von Siam, dem heutigen Thailand, und lichtete Sultan Abu Bakar von Johor ab. In Singapur wiederum hielt eine ganze Maschinerie das Geschäft am Laufen, es mussten schließlich Abzüge produziert, zum Teil koloriert, auf festen Karton montiert und nicht zuletzt verkauft werden. Besonders kritisch aber war der Nachschub an albuminiertem Papier und hier war Dresden, wo Lambert nach seiner Rückkehr nach Europa eine Niederlassung gründete, unangefochten Marktführer.

Sraßenszene im historischen Singapur um 1900 mit ganz unterschiedlich gekleideten Männern im Gespräch oder bei der Arbeit.
Straßenszene im historischen Singapur um 1900: Gustav Lambert und seine Mitarbeiter nahmen nicht nur fernöstliche Würdenträger und exotische Landschaften auf, sondern auch das alltägliche Leben der Menschen.
Historischer Druck über die einzelnen Schritte bei der Produktion von Albumin-Fotopapier. Fast auschließlich junge Frauen schlugen die Eier auf, trennten das Eiweiß ab und tauchten die Papiere in die Mischung.
Abermillionen Eier wurden in Dresdens Fabriken überwiegend von jungen Frauen aufgeschlagen, um das kostbare Eiweiß zu gewinnen, mit dem die Fotopapiere in einem aufwändigen Prozess imprägniert wurden.
Historische Aufnahme der tropischen Wildnis auf Singapur mit einer Rikscha auf einem Weg inmitten von Urwaldriesen und wuchernder Vegetation.
Ein Dokument vergangener Zeiten: Lamberts Fotos zeigen das historische Singapur auch als Tropeninsel mit wuchernder Vegetation.