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Evolution: Wie sich die menschliche Hand als Greiforgan und Präzisionswerkzeug entwickelte
Die Hand – geniale Erfindung der Evolution: Schon Urmenschen nutzten sie ganz unterschiedlich
Die Hand ist ein Schlüsselorgan für die Entwicklung des Menschen. Jetzt zeigen neue Analysen fossiler Fingerknochen, was unsere ausgestorbenen Verwandten mit ihren Händen alles machten – und welche Bedeutung das für die Vielfalt und Anpassungsfähigkeit der menschlichen Linie hatte

Die menschliche Hand gilt als Geniestreich der Evolution und für viele ist sie der Schlüssel zur Entwicklung des Menschen. Denn die gezielte, planmäßige Herstellung von Werkzeugen und die Erfindung weiterer Technologien sind ohne das präzise, feinfühlige Greiforgan nicht vorstellbar. Doch wie Verlief die Evolution unserer Hand, war es eine geradlinige Entwicklung vom Kletterorgan der Affen zum Präzisionswerkzeug der Menschen? Die aufwendige Analyse eines internationalen Teams an den Fingerknochen zweier Arten aus der menschlichen Verwandtschaft zeigt nun, dass es offenbar nicht so einfach war. Und offenbart eine unerwartete Vielfalt bei der Nutzung des Greiforgans.
Die Forschenden unter Leitung der Anthropologin Samar Syeda vom American Museum of Natural History hatten die Handskelette der Vormenschenart Australopithecus sediba sowie des Urmenschen Homo naledi untersucht. Als Vormenschen – populär auch Affenmenschen genannt – werden Angehörige unserer Verwandtschaft bezeichnet, die aufrecht gingen, deren Gehirnvolumen aber noch recht gering war. Die Art Australopithecus sediba existierte vor rund zwei Millionen Jahren in Südafrika, in einer Epoche also, in der es auch schon mehrere Vertreter der Gattung Homo, also die ersten Menschen, gab (deren Gehirn war weiter entwickelt und sie stellten systematisch Werkzeuge her; sie werden teils als Früh-, teils als Urmenschen bezeichnet).
Homo naledi – eine seltsame Mischung aus Affe und Mensch
Ebenfalls in Südafrika war Homo naledi zu Hause. Die bisherigen Funde werden auf ein Alter von rund 250.000 Jahren datiert, sind also vergleichsweise jung. Allerdings besaß diese Art nur ein kleines (wenn auch von den Strukturen eher menschlich wirkendes) Gehirn mit einem Volumen von rund 560 Kubikzentimetern (bei heutigen Menschen sind es 1400) und sie zeigt ein seltsames Mosaik aus sehr primitiven und modernen Merkmalen. Deshalb dürfte ihr evolutionärer Ursprung sicher viel länger zurück liegen (bevor die Funde datiert werden konnten, waren sie anhand der anatomischen Merkmale auf rund zwei Millionen Jahre taxiert worden).
Bemerkenswert ist, dass bislang keine der beiden Arten zusammen mit Steinwerkzeugen gefunden wurde. Es gibt also keine direkten Hinweise auf einen Werkzeuggebrauch. Konnte die Anatomie der Handknochen vielleicht enthüllen, ob diese Menschenverwandten vor allem mit Werkzeugen hantierten oder ob sie ihre Finger eher für etwas anderes benutzen, etwa zum Klettern?
Im CT wird das Innere versteinerter Handskelette sichtbar
Für die Studie wurden die versteinerten Fingerknochen mithilfe von hochauflösenden Mikro-Computertomographen (Micro-CT) am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig sowie an den Universitäten von Cambridge und Kent in Großbritannien durchleuchtet. Die Fossilien von A. sediba und H. naledi stellte die University of Witwatersrand in Südafrika zur Verfügung. Zum Vergleich dienten 92 Fingerknochen von heutigen Menschen, Schimpansen, Gorillas und Orang-Utans.

Die Micro-CT-Scans ließen die innere Struktur der fossilen Fingerknochen erkennen und wurden von den Forschenden mithilfe statistischer Analysemethoden bewertet. Dabei zeigten sich deutliche Unterschiede zwischen den beiden Arten. Da das Gewebe der einzelnen Knochen unter Belastung verstärkt wird, an unbeanspruchten Stellen aber dünner bleibt, lässt sich daran ablesen, wie die Hand einst benutzt wurde. Bei Australopithecus sediba ähnelte die Struktur der mittleren und der mit der Handfläche verbundenen Fingerglieder denen von Menschenaffen – ein Indiz für das Klettern in Bäumen. Ausgenommen waren der (für Affen) ungewöhnlich lange Daumen und der kleine Finger, deren innere Struktur eher an Menschen erinnerte. Für Samar Syeda weisen die Befunde darauf hin, „dass A. sediba seine Hand sowohl für den Gebrauch von Werkzeugen und andere Geschicklichkeit erfordernde Tätigkeiten als auch zum Klettern benutzte“, wie die Anthropologin in einer Pressemitteilung der Max-Planck-Gesellschaft sagt.
Die Fingerknochen des Urmenschen erinnern an heutige Felskletterer
Anders war es bei H. naledi. Hier zeigten die mit der Handfläche verbundenen Knochen eine menschliche Struktur, während die mittleren verstärkt – wie bei Affen – waren. „Dieses Muster hat uns überrascht und deutet darauf hin, dass H. naledi wahrscheinlich verschiedene Teile seiner Finger auf unterschiedliche Weise benutzte und belastete“, stellt Syeda in der Pressemitteilung fest. Diese Beanspruchung, so fiel den Forschenden auf, ähnelt einer Aktivität, die von menschlichen Kletterern bekannt ist: Dem sogenannten Crimp-Griff, bei dem die Oberfläche hauptsächlich mit den Fingerspitzen gegriffen wird. Dazu passen auch die stark gekrümmten Fingerknochen.
War H. naledi also ein Felskletterer? Ein Wesen, das zwar zum einen mit Werkzeugen hantierte, zum anderen aber auch geschickt aufragende Gesteinswände erklimmen konnte? Genau diese Hypothese hatte vor einiger Zeit der französische Paläoanthropologe Jean-Luc Voisin propagiert, wie die Zeitschrift Spektrum der Wissenschaft im Jahr 2022 berichtete. Die Analysen vom Team um Samar Syeda stützen diese Hypothese. Veröffentlicht wurde die Studie am 14. Mai in der Wissenschaftszeitschrift Science Advances. Zu den Ergebnissen passen auch Untersuchungen der menschlichen Hand, die ein Team um die Paläoanthropologin Katerina Harvati von der Universität Tübingen im Jahr 2021 vorstellte. Dabei stand der Daumen im Mittelpunkt, der bei uns heutigen Menschen sehr viel größer und stärker ist als etwa bei Menschenaffen und uns den sogenannten Pinzettengriff (auch Präzisionsgriff genannt) erlaubt: Daumen und ein Finger – zumeist der Zeigefinger – können sich annähern und wie eine Pinzette höchst feinfühlig zupacken, um Dinge zu manipulieren.
Typisch menschlich: Der sogenannte Pinzettengriff
Mit einer 3D-Scantechnologie vermaßen die Forschenden fossile Daumenknochen verschiedener menschlicher Vorfahren und ermittelten mit einem neuen biomechanischen Modell die Muskelkräfte der Daumen. Das erlaubte Rückschlüsse auf die Geschicklichkeit des Griffs.
Den Ergebnissen zufolge konnten sowohl Affen als auch Vormenschen mit ihren noch relativ kleinen Daumen nicht besonders präzise zupacken. Auch Australopithecus sediba schnitt dabei – trotz eines schon deutlich größeren, menschenähnlichen Daumens – nicht so gut ab, wie eine ebenfalls untersuchte Homo-Art, die zu derselben Zeit lebte. Demnach gebrauchte A. sediba Werkzeuge offenbar auf einem weniger hohen und komplexen Niveau, verglichen mit Homo. Später lebende, also jüngere Menschenformen wie Neandertaler, Homo sapiens und eben auch Homo naledi konnten dagegen mit ihren Daumen sehr präzise und effizient greifen.

All diese Studien fügen sich gut in die neue Sicht von der menschlichen Evolution ein, die von Paläoanthropologinnen und Paläoanthropologen inzwischen favorisiert wird. Demnach ähnelt unsere Abstammung nicht einem Stammbaum, der in gerader Linie von einem Urahnen zum heutigen Homo sapiens führte, sondern eher einem Stammbusch – manche sprechen auch von einen Flussdelta – mit vielen Arten, die zum Teil gleichzeitig lebten und zwischen denen es auch einen genetischen Austausch (also eine Vermischung) gab.
Der Vormensch war auf ein Leben am Waldrand spezialisiert
Einen wichtigen Einfluss dürften dabei unterschiedliche Ökosysteme und sich verändernde Umweltbedingungen gehabt haben. So lebten vor rund zwei Millionen Jahren in Afrika drei Homo-Arten gleichzeitig mit Australopithecus sediba. Das konnte nur funktionieren, wenn die Arten sich an unterschiedliche Lebensräume angepasst hatten. Wie die aktuelle Analyse der Handknochen bestätigt, hatte sich A. sediba auf die Randzonen von Wäldern spezialisiert, wobei ihm die Fähigkeit gut zu klettern half. Ältere, von anderen Forschenden vorgenommene Analysen von Rückständen an den Zähnen hatten belegt, dass diese Vormenschen sich vorwiegend von Waldpflanzen ernährten, von Früchten, Blättern, Rinde sowie von Gräsern, die in feuchter, schattiger Umwelt gedeihen. Die Nutzung von Werkzeugen dürfte dabei geholfen haben, war aber auf nicht so hohem Niveau erforderlich. Die parallel existierenden Homo-Arten dagegen scheinen sich auf Lebensräume der trockenen Savanne spezialisiert zu haben – wobei die Herstellung und Verwendung komplexerer Werkzeuge vermutlich ein überlebenswichtiger Vorteil war.
Und wie ist es mit Homo naledi, der ja gleichzeitig mit den ersten Homo-sapiens-Gruppen lebte? Die primitiv wirkende Kreatur mit ihrem kleinen Gehirn hätte es in der offenen Savanne sicher nicht mit dem modernen Menschen aufnehmen können. Doch sie war mit ihren Kletterfähigkeiten auf einen Lebensraum mit steilen Felswänden und zerklüfteten Höhlenabgründen spezialisiert und hatte dort vermutlich eine Nische gefunden. Noch heute beginnt nur 20 Kilometer entfernt von der Fundstelle der Homo-naledi-Relikte eine solche Landschaft: Die Megaliesberge.
Eine Vielfalt der Umwelten trieb die Evolution voran
Die Anpassung an unterschiedliche und sich verändernde Umwelten scheint eine treibende Kraft der menschlichen Evolution zu sein. Und auch der moderne Mensch, der Homo sapiens, dürfte davon profitiert haben. Eine im April dieses Jahres publizierte Modellrechnung von Forschenden der japanischen University of Tsukuba kommt zu einem verblüffenden Ergebnis: Demnach förderte vor allem eine regionale Vielfalt der Umwelten die Evolution der Kooperation zwischen Gruppen von Menschen. Denn sie erforderte besondere Fähigkeiten der Kommunikation, Abstimmung und Konfliktlösung entlang der Gebietsgrenzen der Gruppen. Und da der Homo sapiens auf so einzigartige Weise kooperiert wie keine andere Menschenart, könnte in dieser Vielfalt ein entscheidender Impuls gelegen haben, der dem modernen Menschen zu einer weltweiten Dominanz verhalf.