Takahē: Artenschützerïnnen sorgen dafür, dass dieser Vogel überlebt

Gleich zweimal für ausgestorben erklärt und noch immer da – Neuseelands Takahē ist zäh. Artenschutzprogramme sollen den skurrilen Rallenvogel für die Zukunft bewahren.

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Ein blau-grüner Vogel mit rotem Schnabel läuft leicht geduckt durch hohes Gras.

Die Männer waren nach Fiordland gekommen, um Robben zu jagen. Die zerklüftete Küste am südwestlichen Ende der Südinsel Neuseelands – des Southland oder Te Waipounamu – bot beste Bedingungen. Auf Anchor Island hatten sie ihre Basis eingerichtet, mitten im größten Fjord der Gegend. Tamatea, so nennen die Māori diesen Fjord; europäische Siedler gaben ihm den Namen Dusky Sound.

Aber an diesem Tag im Jahr 1849 war etwas anders: Die Hunde der Robbenfänger hetzten einen klobigen Vogel mit strubbelig blau-grünem Gefieder, roten Augen und massigem Schnabel – eine Südinsel-Takahē. Wie ein großes Teichhuhn sah sie aus. Und wenngleich sie ihre leuchtend roten, kräftigen Beine flott durchs Gelände trugen, endete sie wenig später im Kochtopf.

Dunkler Vogelkopf, der große rote Schnabel leuchtet hell vor dunklem Hintergrund.
Der wuchtige rote Schnabel ist ein auffälliges Merkmal der Takahē.

Die Überreste sicherte sich Walter Mantell. Bereits zwei Jahre zuvor hatte der britisch-neuseeländische Naturforscher Knochen eines ähnlichen Vogels gefunden und präpariert. Dabei handelte es sich um die nahe verwandte – und mittlerweile tatsächlich ausgestorbene – Nordinsel-Takahē. Der wissenschaftliche Name Porphyrio mantelli erinnert an ihren Entdecker Mantell. Lebende Exemplare der seltenen Südinsel-Takahē hatten aber bis dahin weder er noch andere Forscherïnnen ausfindig gemacht. Jetzt aber konnte er dem Knochenfund zumindest ein Federkleid hinzufügen.

Ein blau-grüner Vogel mit rotem Schnabel und kräftigen roten Beinen steht in hohem Gras.
Mit ihren kräftigen, leuchtend roten Beinen kann die Takahē ein beachtliches Tempo erreichen.

Das scheinbare Ende der Südinsel-Takahē

Zwei Jahre später ergatterte Mantell Haut und Gefieder einer zweiten Südinsel-Takahē, erlegt am Fjord Te Awa-o-Tū oder Thompson Sound, etwa 70 Kilometer nordöstlich von Anchor Island. Mit diesem Fund erklärte er das Schicksal der Takahē endgültig für besiegelt: „Es ist unwahrscheinlich, dass weitere lebende Exemplare gefunden werden.“

Takahē sind die einzigen Vögel, die gleich zweimal für ausgestorben erklärt wurden – 1851 und 1898.

Andrew Digby

Darum war es überraschend, dass 1898 ein Hund an der Küste unweit des Sees Te Anau eine weitere Takahē anschleppte. „Das war für lange Zeit die letzte Takahē, die Menschen zu Gesicht bekamen“, erzählt Andrew Digby, wohl einer der besten Kenner des seltenen Vogels. Deshalb gelte das Datum als das Jahr, als die Takahē ausgerottet wurde. „Weil sie ja aber bereits 1851 zum ersten Mal für ausgestorben erklärt wurden, sind die Takahē die einzigen Vögel, die gleich zweimal ausstarben.“

Blick auf Gras und Büschen bewachsene Küstenregion, umgeben von tiefblauem Wasser.
Der ursprüngliche Lebensraum der Takahē sind die küstennahen Hügel des Fiordlands im Südwesten der neuseeländischen Südinsel.

Heute allerdings ziehen sie wieder in wachsender Zahl durch Neuseelands Graslandschaften, und das ist auch Digbys Verdienst. Der gebürtige Brite ist promovierter Astronom. Im Jahr 2003 ging er in die USA und arbeitete in der Abteilung für Astrophysik am American Museum of Natural Historyin New York.

Drei Jahre später zog es ihn nach Neuseeland – der Liebe wegen. „Allerdings gab es hier kaum astronomische Forschung“, erinnert sich Digby. Er musste sich etwas anderes suchen. „Ich habe deshalb eine Weile als Meteorologe gearbeitet und Vorhersagemodelle erstellt.“

Gleichzeitig faszinierte ihn die außergewöhnliche neuseeländische Tierwelt mehr und mehr. Digby erzählt: „Schon als Kind fand ich Tiere und vor allem Vögel spannend.“ Er engagierte sich ehrenamtlich im Artenschutz und traf dabei auf Mitarbeiterïnnen der neuseeländischen Naturschutzbehörde, des Department of Conservation(DOC). „Irgendwann habe ich gefragt: ‚Was muss ich machen, um einen Job bei euch zu bekommen?‘“, sagt Digby. „Sie haben gesagt: ‚Mach eine Doktorarbeit.‘ Also habe ich das Rufverhalten des Zwergkiwis Apteryx owenii erforscht.“

Heute unterstützt Andrew Digby für das DOC Artenschutzprogramme, um stark bedrohte neuseeländische Vogelarten zu erhalten; Vogelarten wie den Eulenpapagei Kākāpō oder eben die Takahē.

Andrew Digby sitzt zwischen Gräsern auf dem Boden und hält mit der linken Hand den Kopf, mit der rechten Hand die Füße eines Kākāpō.
Vogelschützer Andrew Digby untersucht einen Kākāpō.
Ein grün-gemusterter Papageie sitzt auf dem Boden, umgeben von Gräsern, Zweigen und Gestrüpp.
Wie viele Vögel Neuseelands kann der Eulenpapaei Kākāpō nicht fliegen. Deshalb hält er sich bevorzugt am Boden auf, kann aber auch gut klettern.

Skurriler Rallenvogel

Die Südinsel-Takahē (Porphyrio hochstetteri) ist die größte Ralle weltweit. Sie wird etwa 60 Zentimeter groß und knapp vier Kilogramm schwer. Eigentümlich wie ihr Äußeres sind auch ihre Rufe: Die Laute klingen wie eine Mischung aus quietschendem Türscharnier und Eselgebrüll.

Früher durchstreiften Takahē die weiten Grasflächen Neuseelands im Sommer von den Küsten bis in die Berge. Dort fraßen sie Gräser und deren Samen, vor allem Tussockgräser der Gattung Chionochloa. Aber auch Seggen und Farne standen – und stehen bis heute – auf ihrem Speiseplan. Die Wintermonate verbrachten die Tiere in niedrig gelegenen Wäldern, wo sie Schutz gegen den mitunter beißenden Wind suchten.

Ein Takahē-Altvogel und zwei Junge mit dunklen Dunen stehen im hohen Gras. Die Jungen haben schwarze Schnäbel.
In den ersten Wochen nach dem Schlupf füttern die Elterntiere ihre ein bis zwei Jungen mit Insekten und Gräsern.

Fliegen kann die Takahē nicht – wie viele der eigentümlichen Vögel Neuseelands. Die struppigen Kiwis, der ausgestorbene Riesenlaufvogel Moa oder der Kākāpō (Strigops habroptilus) – jahrtausendelang waren sie auf dem Boden sicher. Süd- und Nordinsel des heutigen Inselstaates Neuseeland lösten sich bereits vor 80 Millionen Jahren vom Super-Kontinenten Gondwana. Hunderte Vogelarten konnten sich darum unbehelligt von Säugern mit Hunger auf Eier und Vogelfleisch entwickeln.

Mit den Menschen jedoch erreichten Ratten die Inseln, europäische Siedler brachten Anfang des 19. Jahrhunderts Katzen, Hunde und Hermeline mit. „Die Vögel auf Neuseeland haben sich in einer Welt ohne Fressfeinde entwickelt, sie haben nie gelernt, sich zu wehren“, sagt Andrew Digby. Die neuen Beutegreifer hatten leichtes Spiel und dezimierten in kürzester Zeit die Zahlen etlicher Vogelarten. Der Takahē setzten sie so sehr zu, dass sie sie 1898 ausrotteten – so schien es zumindest.

Ein blau-grüner Vogel mit rotem Schnabel ragt zwischen verholzten Kräutern hervor.
In freier Wildbahn sind Takahē scheu und verstecken sich in hohem Gras oder in Gebüschen.

Überlebt in unwegsamer Wildnis

Nur einer zweifelte am Ende der Takahē: Dem neuseeländischen Arzt Geoffrey Orbell waren Berichte von Menschen zu Ohren gekommen, die in den abgelegenen Murchison Mountains, einer Berggruppe im heutigen Fiordland-Nationalpark, seltsame Rufe gehört und Fußabdrücke großer Vögel entdeckt hatten.

Ein übergroßes, flugunfähiges Sumpfhuhn mitten auf dem Berg, das ist schon skurril.

Andrew Digby

Am 20. November 1948 machte sich Orbell mit weiteren Männern auf die Suche. Und tatsächlich: Der Expeditionstrupp traf oberhalb des Lake Te Anau auf eine Population der zähen Vögel. „Die Tiere haben auf diesem kleinen Gebirgszug in 2.000 Metern Höhe überlebt“, sagt Andrew Digby: „Das ist erstaunlich.“ Schließlich ist es dort kalt, die Vegetation karg und die Landschaft rau. Rallenvögel erwarte man eher in sumpfigem Gelände bei milderen Temperaturen. „Ein übergroßes, flugunfähiges Sumpfhuhn mitten auf dem Berg, das ist schon skurril.“

Dass die Takahē unter den unwirtlichen Bedingungen überleben konnten, verdanken sie zu einem großen Teil ihrem leuchtend roten Schnabel. Im Vergleich zum Kopf ist er gewaltig groß, aber gleichzeitig schmal. Mit diesem kräftigen Werkzeug gelangen die Vögel an den nahrhaften Kern der Tussockgräser. Die Pflanzen schützen ihr zartes Inneres durch eine harte Hülle, die nicht einmal junge Takahē selbstständig knacken können. Andere grasfressende Vögel schaffen das überhaupt nicht. Damit hatten die Rallenvögel eine exklusive Nahrungsquelle in einer Gegend, in die sich Beutegreifer nur selten verirrten.

Der Kopf eines blauen Vogel mit großem rotem Schnabel schaut zwischen grünen Grashalmen hervor.
Der kräftige, leuchtend rote Schnabel der Takahē ist ihr wichtigstes Werkzeug. Sie entfernen damit die harte Hülle der Tussockgräser und legen das zarte nahrhafte Innere frei.

Mitte des 20. Jahrhunderts wuchs bei den Neuseeländern das Bewusstsein dafür, welch außergewöhnliche Tier- und Pflanzenwelt ihr Land beherbergt. 1987 schuf die Regierung das DOC, Te Papa Atawhai in der Sprache der Māori. Das Ziel de Behörde: „Das natürliche und historische Erbe Neuseelands erhalten.“ Andrew Digby sagt: „Die Māori haben ein Wort dafür: Taonga. Das bedeutet Schatz, aber auch schützenswert.“ Dazu gehören die bedrohten Vogelarten wie der Kākāpō und die Takahē, beide haben Schutz mehr als nötig: 1981 zählten Artenschützerïnnen nur noch 120 Individuen der Rallenvögel. Noch deutlich schlechter geht es den Papageien: Die Zahl der Kākāpō war bis 1995 auf 51 Tiere geschrumpft. Gut 20 Jahre später gab es dank umfangreicher Maßnahmen zwar bereits wieder 154 diese Vögel; das sind aber noch immer zu wenig Tiere für einen stabilen Bestand.

Umfangreicher Schutz für Neuseelands Taonga

Das DOC weitete deshalb Schutzbemühungen für ihre Taonga aus. Fallen und Jagdtrupps töteten räuberische Säugetiere. Nach und nach entstanden so raubtierfreie Schutzzonen im Southland. Zudem finanziert die Regierung aufwändige Artenschutzprogramme, das Takahē Research und das Takahē Recovery Programme.

Mit Erfolg. Nach anfänglichen Rückschlägen steigen die Zahlen mittlerweile langsam an. Das liegt vor allem daran, dass sich Takahē auch in Menschenobhut gut vermehren. Von jedem einzelnen dieser Vögel kennen Andrew Digby und seine Kollegïnnen die genetische Ausstattung. „Wir können Takahē in Zuchtzentren gezielt verpaaren, Inzucht minimieren und die genetische Vielfalt erhalten“, sagt der Vogelschützer. Solche Zuchtzentren gibt es über die gesamte Nord- und Südinsel verteilt. Das bekannteste ist das Burwood Takahē Centre im Zentrum von Southland, in dem das DOC seit 1985 erfolgreich Takahē nachzieht.

Die Stationen sind gleichzeitig Genbanken. Sie ermöglichen es den Naturschützerïnnen, regelmäßig einjährige Jungvögel auszuwildern und die Trupps in freier Wildbahn zu stabilisieren – falls einzelne Gruppen verschwinden. Solche Rückschläge gibt es immer wieder: Im Jahr 2007 war die Takahē-Population in den Murchison Mountains auf fast 200 Vögel angewachsen. Doch dann dezimierte eine Hermelinplage die Zahl der Tiere innerhalb weniger Monate auf die Hälfte. Katastrophen wie diese können das Aus für sämtliche Bemühungen bedeuten.

Ein Mann hält eine Takahē, während eine Frau an dem Rücken des blau-grünen Vogels einen Sender befestigt.
Artenschützerïnnen statten Takahē mit Sendern aus. So können sie die Vögel auch in unwegsamem Gelände lokalisieren.
Ein Mann steht am grasbewachsenen Hang eines Gebirges und hält mit seiner rechten Hand ein Empfänger-Gerät in die Luft. Neben ihm steht ein Hund mit orangefarbener Schutzweste.
Schroffe Felsen, karges Grasland, undurchdringliche Wälder – nur mithilfe der Sender können die Artenschützerïnnen die wilden Takahē aufspüren.

Schutzgebiete für die Takahē

Heute gibt es wieder mehr als 400 Takahē, etwa die Hälfte von ihnen lebt in menschlicher Obhut. Die größte Takahē-Population – immerhin gut ein Drittel aller Vögel – zieht noch immer frei durch die Graslandschaften in den Murchison Mountains. In den letzten Jahren sind weitere Schutzgebiete für wilde Takahē entstanden, zum Beispiel im Kahurangi-Nationalpark im Norden der Südinsel.

Forscherïnnen der DOC beobachten die freilebenden Populationen sorgfältig. Dafür rüsten sie einzelne Tiere mit Sendern aus, um Familien in den bis zu 100 Hektar großen Revieren lokalisieren zu können.

Karte von Neuseelands Südinsel, auf der verschiedene Gebiete farbig markiert und Verbreitungsgebiete der Takahē eingezeichnet sind.
Der Verwaltungsbezirk „Southland“ liegt im Südwesten der Südinsel Neuseelands. An der Westküste zieht sich das „Fiordland“ entlang. In den orange markierten Gebieten leben Takahē wild und weitestgehend autark, während Artenschützerïnnen sie in den Zuchtzentren (braun) pflegen und gezielt vermehren. (Karte erstellt nach https://www.doc.govt.nz/our-work/takahe-recovery-programme/get-involved/where-takahe-live/)

Noch ist die Takahē aber nicht gerettet. Die Rote Liste der IUCN führt sie als gefährdet, wenngleich mit stabilem Populationswachstum von etwa zehn Prozent pro Jahr. Einzelne Rückschläge können die Erfolge schnell wieder zunichte machen. Erst 2021 dezimierten erneut Hermeline eine der wilden Populationen in Fiordland empfindlich.

Trotzdem sind die Zahlen ein Hoffnungsschimmer. „Vögel wie Kākāpō und Takahē sind einzigartig, so etwas gibt es kein zweites Mal auf der Erde“, sagt Andrew Digby. Die Neuseeländerïnnen sind stolz auf ihre Taonga und lassen das die Welt wissen. Die Vögel sind deshalb nicht nur von kulturellem Wert, sondern gleichzeitig charismatische Botschafter für den globalen Artenschutz.

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