- RiffReporter /
- Umwelt /
Kolumne: Second Hand bei Vinted: Nachhaltigkeit, CO₂-Fußabdruck und Versandemissionen
Kolumne: Wie nachhaltig ist Vinted wirklich? Second Hand zwischen Ideal und Realität
Second Hand-Mode ist so beliebt wie nie zuvor. Über die Plattform Vinted kann ich Kleider, Hoodies oder Hosen aus aller Welt kaufen. Doch wann wird es unökologisch?

Die Klima- und Umwelt-Kolumne erscheint alle zwei Wochen - kritisch, nahbar, lösungsorientiert! Hier schreiben Elena Matera und Lisbeth Schröder im Wechsel.
Ich trage meine Schuhe, bis sie auseinanderfallen. Kleidung tausche ich meist mit Freundinnen, und statt mir eine neue Tasche zu kaufen, stopfe ich meine Sachen lieber in einen alten Stoffbeutel. Kurz gesagt: Konsum ist nicht gerade meine Leidenschaft. Doch seit Kurzem habe ich ein neues Hobby: Shoppen. Auf Vinted finde ich alles Mögliche: eine Bluse für Interviews, eine Krone fürs Open-Air-Festival, eine schwarze Hose fürs Feiern. Alles gebraucht, alles günstig – und alles mit dem guten Gefühl, nachhaltig zu handeln. Schließlich ist Second Hand doch besser fürs Klima, die Umwelt, das Gewissen und überhaupt. Oder?
Ein Gespräch mit einer Freundin brachte mich zum Nachdenken. Sie sehe es nicht ein, dass ihre Bestellung zum Beispiel von Italien nach Deutschland transportiert werde. Und tatsächlich: Wie nachhaltig ist Second Hand Mode eigentlich, wenn sie einmal quer durch Europa reist?
Das Geschäft mit der getragenen Kleidung
Vinted ist eine der Plattformen, die in den letzten Jahren extrem expandiert ist: Was 2008 als kleines Unternehmen in Litauen gegründet wurde, agiert heute in über zwanzig Märkten auf der ganzen Welt. Während ich früher Second Hand-Mode nur in verstaubten Läden kaufen konnte, kann ich nun online durch Kleiderschränke aus Deutschland, Italien und Frankreich stöbern, jetzt kommen die Niederlande dazu. Durch einen Klick wird das Inserat übersetzt, manche Größen aus dem Ausland muss man umrechnen, bei Gefallen kurz seine Zahlungsdaten eingegeben – zack, ist der Verkauf abgeschlossen. Wenige Tage später trudelt das Paket ein.
Das Geschäft ist am Boomen: Laut Statista wird der weltweite Marktwert von Secondhand- und Wiederverkaufskleidung auf 256 Milliarden US-Dollar geschätzt. Bis 2029 soll dieser Wert um über 100 Milliarden US-Dollar zunehmen. Vinted ist ein Puzzlestück, das zu diesen Werten beiträgt.
Einmal durch ganz Europa
Wie viel Emissionen verbraucht aber ein Paket? Wie viel müsste man folglich kaufen, um auf die selben Emissionen wie bei einem Neukauf zu kommen? Vinted teilte dazu auf Anfrage mit, dass sie solche Zahlen nicht erhoben haben. Allerdings hat das Unternehmen eine Studie mit der Kohlenstoff-Tracking-Plattform Vaayu durchgeführt. Demnach sparte ein Kauf über Vinted anstelle eines Neukaufs im Durchschnitt 1,8 Kilogramm CO2 ein. Wenn man einen Tag auf Fleisch verzichtet, ist das ähnlich viel.
Das klingt wenig. Aber ganz ehrlich: Es bleibt ja nicht nur bei einem Paket. Ich habe dieses Jahr 17 Teile gekauft. Weg mit den muffigen Tretern – endlich habe ich verschiedene Paar Schuhe, die ich unterschiedlich kombinieren kann. 17 Kleidungsstücke sind mehr als das Doppelte, was ich mir normalerweise an neuer Kleidung in einem ganzen Jahr hole. Auch von Freundinnen kenne ich diesen „Vinted-Effekt“. Sie shoppen viel mehr auf der Plattform als sonst, weil es zu ihren Überzeugungen passt und so schön günstig ist. Und weil es quasi alles gibt: Nicht wenige Verkäufer:innen bieten so unfassbar viel Zeug an, dass man sich fragt: Finanziere ich mit meinem Faible für Second Hand ungewollt den Kaufrausch anderer mit? Ist das wirklich noch Second Hand-Mode?
Wann wird es schwierig?
Rechnen wir mal nach: Laut Umweltbundesamt entstehen vom Anbau eines neues T-Shirts bis zur Lieferung 5,67 Kilogramm CO2-Äquivalente. Um ein Paket zu versenden, entstehen laut DHL 500 Gramm CO2. Grob kann man sagen, dass ich rund elf Pakete kaufen kann, bis ich den Fußabdruck eines neuen T-Shirts hinterlassen würde. Aber diese Zahlen beziehen sich auf den nationalen Versand. Für die genaue Berechnung müsste kalkuliert werden, welche Strecke genau zurückgelegt wird und ob mit Flugzeug, Zug oder LKW. Auch Serverkosten müssten mit einberechnet werden. Diese machen laut Vinted aber nur einen Bruchteil ihrer Emissionen aus.
Es ist auch logisch, dass die Teile über Vinted einen deutlich kleineren Fußabdruck hinterlassen als ein Neukauf: Denn die Stoffe für ein neues T-Shirt wandern laut der Landeszentrale für Umweltaufklärung um den ganzen Globus: Die Baumwolle wird etwa in Burkina Faso angebaut, in der Türkei zu Stoffen verwebt, in Bangladesch vernäht und in Europa verkauft.
Second Hand ist grundsätzlich die klimafreundlichere Wahl – keine Frage. Doch echte Nachhaltigkeit endet nicht beim Klick auf „Kaufen“. Auch wir als Nutzer:innen brauchen mehr Entscheidungsspielraum. Viele fordern: Vinted sollte die Möglichkeit bieten, gezielt nach Angeboten aus dem eigenen Land zu filtern – etwa nur Kleidung aus Deutschland anzeigen zu lassen. Das wäre ein sinnvoller nächster Schritt; beim Portal „etsy“, das Selbstgemachtes anbietet, gibt es das seit Langem.
Denn wer weiß, wie weit unsere Kleidung in Zukunft reisen wird? Heute Italien, Frankreich oder die Niederlande – morgen vielleicht noch weiter.
Am Ende bleibt für mich die Erkenntnis: Das Vinted-Shopping ist in Maßen nachhaltiger, als auf neue Mode zu setzen. Aber es gibt ja auch noch andere Alternativen: Beim Flohmarkt um die Ecke finde ich seit Jahren schöne Kleidung. Und Klamotten tauschen ist ja auch noch eine Option. Neugierig auf mehr?
Entdecken Sie die weiteren Ausgaben der konstruktiven Klima- und Umwelt-Kolumne!