Reibung und Auftrieb

Nach zwei Wochen sendet die COP26 wichtige Signale zum Klimaschutz

11 Minuten
Der Politiker steht an einem Rednerpult vor einem dunkelblauen Vorhang und zwei Flaggen. Das Wasser einer Lagune umspült seine Beine. Im Hintergrund ist eine Gebäuderuine zu sehen. Das Bild ist von einer Drohne aus einigen Metern Höhe aufgenommen.

Die Klimakonferenz in Glasgow hat zum ersten Mal nicht nur abstrakte Ziele, sondern konkrete Maßnahmen im Klimaschutz beschlossen – auch wenn es insgesamt und in vielen Details noch nicht reicht. Das 1,5-Grad-Ziel lebt noch, bleibt aber auf der Intensivstation, sagt ein Beobachter. Und der weltweite Kohleausstieg ist eingeläutet.

Die Ansprache des Honorable Simon Kofe, Minister für Justiz, Kommunikation und Äußere Angelegenheit des Inselstaats Tuvalu, beginnt zumindest ganz konventionell. Er wendet sich per Video an die Delegierten der Klimakonferenz COP26 in Glasgow (hier auf der Facebook-Seite seines Ministeriums). Der Bildausschnitt zeigt seinen Oberkörper mit Jacket, weißem Hemd und Krawatte, im Hintergrund die Flaggen der Vereinten Nationen sowie seines Heimatlands.

Der Minister spricht über die Klimakrise, die alle Staaten der Welt erfassen wird und fordert, die Konferenz im fernen Schottland müsse das Ende der Emissionen im Jahr 2050 sicherstellen. Und dann, nach dreieinhalb Minuten Ansprache, beginnt die Kamera vom Oberkörper des Politikers wegzuzoomen, und man erkennt erst, dass er seine Rede irgendwo in der Natur hält, und dann – dass er bis über die Knie mit seiner feinen Anzughose im Wasser steht. Es ist ein symbolisches Bild wie vor mittlerweile zwölf Jahren die Kabinettssitzung der Regierung der Malediven auf dem Meeresboden.

Die Frage in den nächsten Tagen und Monaten wird nun sein: Hat Kofes Ansprache mehr genutzt als die Sitzung unter Wasser? 2009 war der Gipfel in Kopenhagen in letzter Sekunde gescheitert. Die Konferenz in Glasgow galt als wichtigstes Treffen seit Paris, wo 2015 immerhin ein globales Abkommen geschlossen wurde. In einer ersten Reaktion auf die Beschlüsse der COP26 sprach UN-Generalsekretär António Guterres von Fortschritten. Aber die Welt „klopft noch immer an die Tür zur Klimakatastrophe“. Wie viele andere ist er der Meinung, den Worten müssten endlich Taten folgen.

Besonders die Vertreter vieler kleiner Staaten des globalen Südens dürften deswegen die Zähne zusammengebissen haben, als sie am späten Samstagabend dem Kompromiss der Abschlusserklärung zustimmten. Die Vertreterin der Marshall-Inseln, Tina Stege, hatte vorher erklärt, das Abkommen gehe nicht weit genug, aber es bedeute Fortschritt. Und der Verhandlungsführer von Guinea, Alpha Kaloga, sagte zu einem Reporter der Süddeutschen Zeitung: „Wir müssen in den Verhandlungen immer viel höflicher sein, als wir eigentlich sein wollten.“

Sequenz aus sechs Bildern eines Videos. Der Politiker steht an einem Rednerpult vor einem dunkelblauen Vorhang und zwei Flaggen. Zuerst sieht man nur seinen Oberkörper, dann zoomt die Kamera weg. Eine Drohne zeigt den Politiker aus einigen Metern Höhe. Das Wasser einer Lagune umspült seine Beine. Im Hintergrund ist eine Gebäuderuine zu sehen.
Die Ansprache des Honorable Simon Kofe, Minister für Justiz, Kommunikation und Äußere Angelegenheit des Inselstaats Tuvalu macht sofort klar, dass es für sein Land und eine ganze Reihe weiterer Nationen, vor allem kleine Inselstaaten, bei der Klimakrise schlicht um das Überleben geht. Es könnte ein symbolisches Bild werden wie vor mittlerweile schon zwölf Jahren die Kabinettssitzung der Regierung der Malediven im Taucheranzug.

Kohle und 1,5 Grad – die Gesamtbilanz der COP26

Das wichtigste Ziel der Konferenz war, die Tür zum Erreichen des sogenannten 1,5-Grad-Ziels nicht zuzuschlagen. Die Erderhitzung im Jahr 2100 soll schließlich im Vergleich zur Zeit vor der Industrialisierung bei diesem Wert gebremst werden, wobei nach dem jüngsten Bericht des Weltklimarats IPCC bereits 1,1 Grad Celsius erreicht sind. „Diese COP ist die letzte Chance, das 1,5-Grad-Ziel in Reichweite zu halten“, erklärte im Vorfeld Niklas Höhne vom New Climate Institute in Köln.

Was die Staaten der Welt nun in Glasgow beschlossen haben, zählen Beobachter daran gemessen so gerade eben als Erfolg. „Glasgow hat das 1,5-Grad-Limit wiederbelebt, es befindet sich jedoch immer noch auf der Intensivstation“, sagte Höhne. Andere betonten den eindeutigen Arbeitsauftrag, der von der COP26 ausgegangen sei. „Wir verlassen Glasgow mit der Klarheit, was wir tun müssen, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen“, sagte Patricia Espinosa, Leiterin des internationalen Klimasekretariats in Bonn. Und Bill Hare von Climate Analytics ergänzte: „Die COP26 hat die politische Verpflichtung auf das 1,5-Grad-Ziel verstärkt.“ Insbesondere die konkreten Maßnahmen für die Zeit bis 2030 fehlten noch, in der die Emissionen viel stärker als bisher angekündigt sinken müssen. „Glasgow hat diese Lücke noch nicht geschlossen, aber es hat einen Prozess der Dringlichkeit in Gang gesetzt.“

Außerdem hat die Konferenz Haken an einige offene Punkte gemacht. Die Einigung steht zwar im Abschlussdokument teilweise sozusagen auf sehr dünnem Papier, weil immer wieder Formulierungen ausgestrichen, ausradiert und neu geschrieben wurden. Aber nun gibt es sie schriftlich, und alle 197 Länder haben zugestimmt.

Exemplarisch zeigt sich das beim Umgang mit Kohlekraftwerken. Da hatte es während der Konferenz zunächst viel Aussicht auf Fortschritt gegeben. In der ersten Woche erklärten 28 Länder sowie elf Banken und Finanzinstitutionen ihren Beitritt zur Allianz Powering Past Coal. Das war mit Zusagen verbunden, zum Beispiel die Nutzung von Kohle zur Stromerzeugung zu beenden – in der Ukraine etwa bis 2035. Aus Polen sind nun einzelne Regionen und Versorger dabei. Es fehlen aber weiter große Staaten wie China, USA, Australien und Indien. Außerdem verpflichten sich 34 Länder und etliche Entwicklungsbanken, überhaupt keine Projekte mehr zu fördern, die fossile Brennstoffe nutzen. Deutschland ist hier als Nachzügler noch beigetreten.

Doch in den Entwürfen der Abschlusserklärung wurde der Kohleausstieg Schritt für Schritt weicher gekocht. Zunächst erschien dort nur der Aufruf, aus „unabated coal power“ auszusteigen – „ungeminderte Kohlekraft“ bedeutet, dass Meiler, deren CO2-Ausstoß aufgefangen und zum Beispiel unterirdisch gelagert wird (das nennt man CCS), am Netz bleiben könnten. Die englische Formulierung der Passage benutzte in den Entwürfen zudem das Verb „phase out“, also abbauen. Daraus wurde in letzter Minute und offenbar auf Druck Chinas und Indiens „phasedown“, also verringern.

Dennoch werten es Beobachter als Erfolg, dass überhaupt zum ersten Mal der Kohleausstieg in einem völkerrechtlichen Dokument dieser Art erwähnt wird. „Im Rückblick könnte dieser Klimagipfel eines Tages als Wendepunkt zum Ausstieg aus der Kohle weltweit gesehen werden“, sagt Christoph Bals, Geschäftsführer von Germanwatch. „Der Druck auf Industrieländer wie Deutschland, bis 2030 aus der Kohle sowie Subventionen und internationaler Finanzierung für fossile Energien auszusteigen, wird nach dieser Weltklimakonferenz immer stärker werden.“ Und Lukas Hermwille vom Wuppertal-Institut ergänzt: „Die eingefügten Abschwächungen sind letztlich für die Kohle nicht mehr als eine Rettungsleine aus Spinnenseide.“

Auch Jennifer Morgan, Chefin von Greenpeace International erklärt: „Sie haben ein Wort geändert, aber sie können nicht das Signal ändern, das diese COP sendet: Das Zeitalter der Kohle geht zu Ende.“

Vier zentrale Aufgaben hatten Fachleute vor Beginn für diese Klimakonferenz identifiziert: Hat es hier den erhofften Fortschritt gegeben?

Erste Aufgabe: Mehr Klimaschutz

In Glasgow haben die Staaten zumindest vereinbart, im Lauf des kommenden Jahres nachzulegen. Wie stark die Emissionen bis 2030 sinken müssen, steht nun im Abschlussdokument – um 45 Prozent gegenüber den Werten von 2010, das heißt um die Hälfte gegenüber dem momentanen Stand und fast 60 Prozent unter das Niveau, auf das die Welt laut der vorliegenden Pläne zurzeit zusteuert. Darum sollen die Länder, deren jeweilige nationale Pläne sie nicht auf einen Pfad mit diesem Ziel bringen, schon Ende 2022 neue Pläne vorlegen. Das sind praktisch alle Länder. Und danach soll es jährliche Treffen auf Regierungsebene geben, um die Ambitionen für 2030 zu steigern.

Drei wichtige Staaten hatten zuvor in Glasgow Erklärungen zu ihren Plänen veröffentlicht. Zum einen hat Indien verkündet, bis zum Jahr 2070 klimaneutral wirtschaften zu wollen. Das klingt zunächst enttäuschend, weil eine große Zahl anderer Staaten verspricht, dieses Ziel 2050 oder noch früher zu erreichen. Aber Indien hat einen weiteren Weg als viele andere zu gehen, und viele Fachleute loben die Ankündigung darum.

Zum anderen haben die USA und China überraschend eine gemeinsame Erklärung herausgegeben, in der sie zusätzliche Anstrengungen versprechen. Sie wollen zudem in einer regelmäßig tagenden Kommission in Kontakt bleiben. Das war angesichts der Rivalität der Großmächte auf vielen anderen Gebieten unerwartet. Beide Staaten deuten an, ihre Ziele für 2030 kurzfristig noch einmal anzupassen. Als Ziel der Anstrengungen wiederholen sie jedoch nur die Formel zu den Temperaturgrenzen aus dem Pariser Abkommen, die eine Begrenzung auf 1,5 Grad als wünschenswert darstellt. Die Erklärung von Rom – unmittelbar vor der COP von der G-20-Staatengruppe verabschiedet, zu der beide Nationen gehören – war hier einen halben Schritt weiter gegangen und hatte das 1,5-Grad-Ziel immerhin betont.

Solche Ankündigungen, zusammen mit einigen möglichen Fortschritten bei Einzelthemen (siehe „Zweite Aufgabe“), haben die Hochrechnungen für die Erderhitzung im Jahr 2100 etwas sinken lassen. Der Climate Action Tracker (CAT), an dem unter anderem Niklas Höhnes und Bill Hares Organisationen beteiligt sind, weist nun eine Aufheizung von 2,4 Grad aus, wenn alle vorliegenden Zusagen für 2030 erfüllt werden. Das ist noch deutlich zu viel, aber immerhin 0,3 Grad weniger als die Hochrechnung aus dem Mai 2021 besagte; der jährliche Emissions Gap Report des Umweltprogramms der Vereinten Nationen, UNEP, hatte zu Anfang der Konferenz von Glasgow die gleiche Zahl genannt. Werden auch alle hoffnungsfrohen Ankündigungen zur Klimaneutralität für 2050 erfüllt, dann könnte die Temperaturzunahme laut CAT auf 1,8 Grad begrenzt bleiben. Hier betrug die Vergleichszahl vor Glasgow 2,0 Grad.

Bild einer Halle mit vielen Sitzgelegenheiten und Besucher:innen. Über dem Treiben schwebt eine überdimensionale Erdkugel.
Wie bei jeder COP gab es auch in Glasgow eine sogenannten Greenzone, in der sich Delegierte und Vertreter:innen aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft zu informellen Gesprächen treffen konnten.

Zweite Aufgabe: Fortschritte bei Einzelthemen

Der britische Premierminister Boris Johnson hatte für die Konferenz ein Mantra ausgegeben, das Fortschritte bei „coal, cars, cash, and trees“ forderte. Dabei hat vor allem der erste Begriff – Kohle – den britischen COP-Präsidenten Alok Sharma an den Rand seines Könnens getrieben.

Zum Thema Autos gab es eine Erklärung, dass Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor nicht mehr verkauft werden sollen – in großen, „führenden" Märkten ab 2035 und weltweit ab 2040. Unterschrieben haben das 34 Staaten, dazu Regionen wie Kalifornien, Quebec, Gangwon-Do in Südkorea und Schottland sowie elf Autohersteller, darunter General Motors, Ford und Mercedes-Benz. Andere Produzenten und Deutschland als Staat haben sich aber genauso geweigert wie Frankreich, Italien, Japan, China und die USA. Beobachter fühlten sich „unterwältigt“.

Beim Thema Bäume haben mittlerweile 141 Staaten versprochen, die Wälder zu schützen. Auf ihrem Territorium liegen mehr als 90 Prozent der Waldflächen. Sie wollen die Rodungen bis 2030 stoppen und ins Aufforsten kommen sowie die Zerstörung von Naturflächen beenden. Außerdem werden fast 20 Milliarden Dollar dafür bereitgestellt. So sollen Treibhausgas-Emissionen eingespart werden, die etwa einem halben Jahresausstoß auf momentanem Niveau entsprechen. Die überwältigende Mehrheit davon entfällt auf nur drei Staaten: Brasilien, Demokratische Republik Kongo und Indonesien. Umweltschützer sehen das als Erweiterung bestehender Versprechen, bleiben aber zögerlich, bis sie tatsächlich Taten sehen. Im Mitunterzeichner-Staat Brasilien zum Beispiel hat Präsident Bolsonaro der Agrarlobby bisher weitgehend freie Hand gelassen, ihre Felder und Weiden in den Regenwald hinein auszuweiten.

Daneben gab es noch ein Abkommen zum Thema Methan, dem Hauptbestandteil von Erdgas. Die Emissionen sollen bis 2030 um 30 Prozent sinken. . Allerdings fehlen wichtige Unterschriften von China, Indien oder Russland. Auch zur Luftfahrt, Modeindustrie oder Stahl- und Zementherstellung gab es Ankündigungen in Glasgow, deren Wert sich noch erweisen muss und die teils bereits heftig kritisiert werden.

Schließlich erwähnt das Schlussdokument im gleichen Absatz, in dem die Kohle vorkommt, die verbreiteten Subventionen auf den Verbrauch fossiler Energieträger. Sie sollen abgeschafft werden, mit der Einschränkung, dass es dabei um „ineffiziente“ Zahlungen geht. In Deutschland könnten darunter das Dienstwagen-Privileg, die steuerliche Bevorzugung von Diesel-Kraftstoff oder Vergünstigungen im Braunkohletagebau fallen.

Insgesamt 14 Vereinbarungen haben die Gastgeber vorgelegt und dafür wechselnde Zustimmung erhalten; Deutschland beteiligt sich laut Angaben des Umweltministeriums an 13 davon. Je konkreter die Absprachen werden, desto mehr zieren sich die Staaten indes. Aber die Vielzahl an Initiativen findet Anerkennung und verbessert den Prozess der Umsetzung. „Die britische Regierung hat es geschafft, eine Reihe von Vorreiter-Allianzen zu wichtigen Klimaschutzthemen zu organisieren“, lobt Wolfgang Obergassel vom Wuppertal-Institut. „Es ist ein wichtiger Fortschritt, dass damit erstmals auf einer Klimakonferenz auf höchster Ebene über konkrete Klimaschutzmaßnahmen diskutiert wurde und nicht nur über abstrakte Emissionsreduktionsziele.“

Dritte Aufgabe: Genug Geld für ärmere Staaten

Die einzige wirkliche Erfolgsmeldung auf diesem Themenfeld ist womöglich: Am Geld ist der Gipfel nicht gescheitert. Aber viele Vertreter ärmerer Staaten erheben bittere Anklage. Schließlich haben die Industriestaaten ihre Zusagen gebrochen, ab 2020 jedes Jahr bis 2025 glatte 100 Milliarden Dollar für Klimaschutz und Anpassung zur Verfügung zu stellen. Schon vor der Konferenz war klar geworden, dass die Summe wohl erst 2023 erreicht wird, aber immerhin soll für die Jahre 2021 bis 2025 im Durchschnitt genügend Geld pro Jahr da sein. In Glasgow seien die Bedürfnisse der verletzlichsten Menschen der Welt auf dem Altar des Egoismus reicher Länder geopfert worden, twitterte Mohamed Adow vom südafrikanischen Thinktank Power Shift Africa.

Auch das Abschlussdokument bedauert den Fehlbetrag – das ist eine diplomatisch formulierte Rüge – und drängt auf Erfüllung der jetzigen Zusage. Immerhin ruft die Vereinbarung die Industriestaaten auf, im Rahmen der Finanzierung die Mittel für die Klimaanpassung im globalen Süden zu verdoppeln; bisher ging der Löwenanteil des Gelds in Projekte, um Treibhausgas-Emissionen zu senken. Konkrete Zahlen fehlen jedoch, außerdem bleibt ungeregelt, wie es nach 2025 weitergehen soll. Die Gespräche sollen 2022 beginnen und 2027 beendet sein, so die einzige Entscheidung dazu. Zusagen während der Konferenz, Geld in zwei Hilfsfonds zu überweisen, beliefen sich auf eine knappe Milliarde Dollar; 150 Millionen davon kamen aus Deutschland.

„Hätten die Industrieländer ihre Hausaufgaben gemacht und [ihre] 100-Mrd.-Finanzzusage umgesetzt, wäre bei COP26 viel mehr drin gewesen“, twitterte David Ryfisch von Germanwatch.

Fortschritt beim Thema Loss&Damage, also dem Ausgleich für verlorene oder beschädigte Infrastruktur, hat es auf der COP26 auch kaum gegeben. Bis 2024 soll besprochen werden, ob hier Geld fließt. Zunächst einmal ist nur technische Hilfe zugesagt worden, um mit Extremwetterereignissen fertig zu werden. „Mit den wachsenden Kosten der ökonomischen Folgeschäden bleiben die betroffenen Länder also weiterhin allein“, urteilt Jan Kowalzig von Oxfam. „Diese kolossale Ungerechtigkeit ist der hässliche Fleck auf dem Ergebnis von Glasgow.“

Vierte Aufgabe: Regelwerk zum Pariser Abkommen komplettieren

Ein wichtiger Erfolg ist es, dass die Buchhaltungsregeln für Treibhausgas-Emissionen, die im Pariser Abkommen offengeblieben waren, nun endlich fertig und beschlossen sind. Damit werden Emissionen und Reduktionen besser vergleichbar; Beobachter loben das als vertrauensbildende Maßnahme. „Das Geröll dieser Rechtsverhandlungen ist aus dem Weg“, sagte Umwelt-Staatssekretär Jochen Flasbarth (SPD) im Heute-Journal, jetzt sei der Weg frei für die Umsetzung.

Besondere Aufmerksamkeit galt während der ganzen Konferenz den sogenannten Marktmechanismen nach Artikel 6. Er sieht vor, dass Staaten bei Klimaschutzmaßnahmen kooperieren und sich dann einigen können, wem die eingesparten Treibhausgase gutgeschrieben werden. Hier hatten Staaten wie Brasilien gefordert, dass beide Beteiligten die selbe Reduktion verbuchen dürfen. Das hat die Konferenz in Glasgow aber klar zurückgewiesen. „Alle Länder müssen ohne Ausnahme eine Doppelzählung von Emissionsminderungen vermeiden“, sagt Lambert Schneider vom Öko-Institut. „Mit dem neuen Regelwerk müssen alle übertragenen Emissionszertifikate bilanziert werden, ähnlich wie bei einem Bankkonto.“

Der Preis für diese Festlegung ist, dass in Zukunft noch weiter mit sogenannten Zertifikaten gehandelt werden darf, die Klimaschutzmaßnahmen weit in der Vergangenheit bescheinigen. Das Kyoto-Protokoll von 1997 hatte erstmals solche Mechanismen geschaffen. Bei vielen dieser Bescheinigungen bestehen aber ernste Zweifel, ob dafür wirklich so viele Tonnen CO2 zusätzlich eingespart wurden wie angegeben. Wie groß dieses Problem für den Klimaschutz der Zukunft werden kann, ist unklar. Es könnte um mehrere Milliarden Tonnen Kohlendioxid gehen – das wäre die Größenordnung von einem Achtel oder Zehntel Jahresausstoß. Womöglich fürchten aber potentielle Käufer auch, dass man ihnen den Erwerb solcher Schrott-Zertifikate vorwirft und sie damit ihren eigenen Ruf untergraben.

Positiv sei in dem Zusammenhang, sagt David Ryfisch von Germanwatch, dass fünf Prozent der Einnahmen aus den Zertifikaten unter dem neuen Mechanismus an den Anpassungsfonds fließen und weitere zwei Prozent der Zertifikate gelöst werden und damit dem Klima zugute kommen.

Was macht die Konferenz zum Erfolg?

Vor der COP26 hatten viele Fachleute davon gesprochen, von Glasgow müsse ein Signal ausgehen, dass ein Jahrzehnts der rapiden Treibhausgas-Einsparungen bevorsteht. Viele Formulierungen im Abschlussdokument könnte man in der Tat so lesen. So ist die nächste Überprüfung der nationalen Klimaziele nicht nur wie gefordert auf 2023, sondern sogar auf 2022 vorgezogen worden, anstatt wieder fünf Jahre zu warten.

„Um das 1,5 Grad-Ziel noch zu erreichen, wird die Welt die Taktzahl, in der sie die Fortschritte des Pariser Abkommens überprüft, deutlich erhöhen“, sagte Svenja Schulze (SPD), geschäftsführende Bundesumweltministerin, in einer Presseerklärung. Künftig solle zudem nicht nur alle fünf Jahre, sondern jährlich weltweit überprüft werden, wie groß die Lücke zum Erreichen des 1,5-Grad-Ziels noch ist.

„Diese Klimakonferenz hat die Heftigkeit der Klimabedrohung endlich anerkannt, aber noch lange nicht gebannt“, erklärte Annalena Baerbock, Parteivorsitzende der Grünen, in einer ersten Reaktion im Heute-Journal: „Die Industriestaaten stehen zuvorderst in der Verantwortung.“ Und dann sagte die Politikerin noch einen Satz – zu den Koalitionsverhandlungen und mit begrenztem physikalischen Sachverstand –, der auch als Fazit der COP26 dienen könnte: „Bekanntermaßen: Wo Reibung entsteht, kommt dann ja irgendwann auch der Auftrieb.“

Noch ist unklar, ob dieser Auftrieb auch wirklich den ärmsten Staaten hilft, wo Minister wie Simon Kofe ihre Ansprachen in der Lagune halten. ◀

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