„Statt Klima und Natur zu schützen, werden im großen Maßstab wertvollste Ökosysteme zerstört“

Eine Studie prangert fatale ökologische Folgen der Klimaschutz-Aufforstungen in Afrika an, die auch von der Bundesregierung finanziert werden. Studienleiterin Kate Parr über die Ergebnisse ihrer Untersuchung und ihre Forderungen an die Geldgeber der Baumpflanz-Aktionen

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Graslandschaft, nur Gras, keine Bäume oder etwas anderes

Vielen gilt es als Patentrezept im Kampf gegen die Doppelkrise aus Klimawandel und Naturverlust: Das Anpflanzen von Bäumen auf großer Fläche. Die einfache Idee dahinter: Bäume speichern Kohlenstoff und helfen dadurch im Kampf gegen den Klimawandel. Gleichzeitig sind Wälder der Lebensraum für viele Tier- und Pflanzenarten. Damit sollten Aufforstungen auch einen Beitrag gegen die Krise der Biodiversität leisten. „Ökologie funktioniert nicht ganz so simpel“ sagt Kate Parr.

„Es gibt Lebensgemeinschaften, die auf das Ökosystem Wald spezialisiert sind, und es gibt welche, für die viele Bäume in ihrem Lebensraum eine Bedrohung darstellen“, sagt die Tropenökologin von der Liverpool University. „Wir brauchen intakte, gesunde Wälder, aber wir brauchen auch andere gesunde Ökosysteme wie Savannen und Grassteppen, um uns gegen Klimawandel und Artenverlust zu wappnen.“

Gemeinsam mit Kolleginnen hat Parr gerade ein besonders drastisches Beispiel falsch verstandenen natürlichen Klimaschutzes aufgedeckt. In ihrer im renommierten Fachjournal „Science“ erschienen Analyse kommen die Wissenschaftlerinnen zu dem Ergebnis, dass durch die laufenden Aufforstungsprojekte in Afrika natürliche Savannen- und Graslandschaften und damit Lebensraum für Arten wie Löwen, Gnus oder Nashörner in einem riesigen Ausmaß zerstört werden. Besonders brisant: Viele europäische Regierungen, darunter auch die deutsche, finanzieren diese Projekte mit guter Absicht.

Wir sprachen mit Kate Parr über die Ergebnisse ihrer Studie und die Forderungen der Wissenschaft an die Politik.

Porträtfoto von Parr in der Savanne
Kate Parr ist Professorin für Tropenökologie an der Universität Liverpool.

Frau Parr, was sind die wesentlichen Ergebnisse ihrer Untersuchung?

Durch Baumanpflanzungs-Projekte, die eigentlich der Wiederherstellung zerstörter Ökosysteme dienen sollen, wird in Afrika großflächig das Gegenteil erreicht. Es werden im großen Maßstab Bäume gepflanzt, wo sie nicht hingehören, nämlich in Savannen und Graslandschaften. Statt Klima und Natur zu schützen, werden so im großen Maßstab wertvollste Ökosysteme zerstört, weil diese fälschlicherweise als Wald klassifiziert werden.

Das Ausmaß der von Ihnen festgestellten ökologisch falschen Baumpflanz-Programme ist erstaunlich – Sie sprechen von einer Fläche, die der Größe Frankreichs entspricht. Wie kann so etwas passieren, wenn doch auch viele anerkannte Organisationen und Regierungen beteiligt sind?

Wir sind nicht die ersten, die auf das Problem aufmerksam machen. Wir haben allerdings das erste Mal konkret die Dimension ermittelt. Und auch wir waren überrascht. Wir haben vermutet, dass einiges schiefläuft, aber wir hatten keine Ahnung wie groß das Ausmaß des Problems ist. Es ist gewaltig – furchteinflößend.

Welche Ursachen sehen Sie dafür?

Es gibt einen ganzen Mix. Oft fehlt es bis in Regierungen hinein an einem ökologischen Bewusstsein und am Verständnis dafür, wie die Nicht-Waldökosysteme in diesen Ländern funktionieren und wie wichtig sie sind. Und dann steckt sehr viel Geld in den Baum-Programmen. Regierungen und private Stiftungen geben hohe Millionensummen dafür aus. Das schafft Anreize, an solchen Projekten teilzunehmen – selbst, wenn es nicht wirklich passt. Viele Organisationen sind quasi aus dem Nichts entstanden, um von den Programmen profitieren zu können. Es herrscht eine regelrechte Wildwest-Mentalität bei der Aufforstung.

Sie haben herausgefunden, dass einige Länder Afrikas mehr Fläche zur Wiederaufforstung angemeldet haben, als es überhaupt Wald dort gibt …

Das zeigt, dass es ein hohes Interesse gibt, auch mit in Landschaften teilzunehmen, die zwar ein paar Bäume haben, aber kein Wald sind. Die gängige Definition lautet, dass eine Fläche mit einer Kronenbedeckung von nur 10 Prozent ein Wald ist. Damit gelten auch Savannen und Grasland als Wald. Das sind sie aber nicht. Es sind Offenland-Lebensräume, die durch zu viele Bäume zerstört werden.

Eine typische Savanne mit gras und einzelnen Bäumen
Savannen sind keine Wälder: Trotzdem werden dort waldtypische Renaturierungsmaßnahmen im großen Stil umgesetzt.

Die Wiederherstellung von Ökosystemen ist notwendig und wichtig, aber sie muss auf eine Weise stattfinden, die für jedes Ökosystem angemessen ist.

Kate Parr, Tropenökologin

Welche Folgen hat das Anpflanzen von Bäumen in Lebensräumen wie den Savannen und Grassteppen?

Wie in allen Ökosystemen finden dort komplexe Prozesse und Interaktionen statt. Je mehr Bäume es gibt, desto weniger Wasser gelangt beispielsweise in die Flüsse und der hydrologische Zyklus ist beeinflusst. Oder: Sobald es viele Bäume gibt, wird eine große Fläche beschattet. Dadurch geht der Lebensraum für viele lichtliebende Pflanzen verloren. Savannen und Grasland beherbergen eine unglaublich reiche Flora mit nur dort vorkommenden Arten. Mit ihnen verschwinden die typischen Insekten, die Vögel … Natürlich trifft die Umwandlung der Gebiete auch die für die Savannen Afrikas so charakteristischen Arten wie Gnus, Löwen und Nashörner.

Sprechen Sie sich generell gegen den Ansatz der sogenannten naturbasierten Lösungen aus – also der Verbindung von Klima- und Naturschutz durch die Renaturierung von Lebensräumen?

Keineswegs. Die Wiederherstellung von Ökosystemen ist notwendig und wichtig, aber sie muss auf eine Weise stattfinden, die für jedes Ökosystem angemessen ist. Es ist ja Teil des Problems, dass Ressource an der einen Stelle falsch verwendet werden, während sie auf der anderen Seite fehlen. In Afrika gibt es natürlich viele Gebiete, die dringend einer Renaturierung bedürfen. Auch Waldökosysteme natürlich. Wenn in Sambia etwa Bäume gefällt wurden, um Holzkohle zu gewinnen, dann macht das Sinn, dort Bäume neu zu pflanzen. Aber diesen Ansatz als Allheilmittel zu sehen, ist völlig falsch.

Kommt ihre Warnung vor fehlgeleiteten Aufforstungen noch rechtzeitig?

Viele Projekte laufen, während wir sprechen. Andere sind noch in Planung. Es gibt eine große Intransparenz darüber, was genau vor Ort geschieht. Deshalb ist es schwierig, den aktuellen Stand präzise einzuschätzen. Aber klar ist: Das Ausmaß ist enorm und wir müssen uns beeilen. Diese Dinge passieren jetzt, sie passieren schnell und sie passieren überall in Afrika und darüber hinaus. Solche Projekte sind weltweit auf dem Vormarsch.

Was fordern Sie von den Verantwortlichen vor Ort, aber auch von den Geldgebern im Westen?

Wir müssen das bisherige Vorgehen auf den Prüfstand stellen. Wir sollten eine Pause einlegen und eine sorgfältige Evaluierung vornehmen. Wo läuft es gut, wo ist es falsch? Und danach sollten die Mittel für ökologisch passende Renaturierungen eingesetzt werden. Es gibt große Gebiete, in denen Maßnahmen sehr wichtig wären.

Savanne, Gräser und keine Bäume
Die Savannen Afrikas sind Kohlenstoffspeicher und wichtige Lebensräume für viele Tiere und Pflanzen.

Betreiben Regierungen und andere Geldgeber Greenwashing mit der massenhaften Anpflanzung von Bäumen als Teil ihrer internationalen Klima- und Natuschutzprogramme?

Ich weiß nicht, wie sehr sich die Regierungen über die Probleme im Klaren sind, wie weit sie wirklich informiert sind über das, was vor Ort passiert. Vielleicht würden sie nicht so große Summen in diese Projekte investieren, wenn sie wüssten, dass mit viel Geld Lebensräume zerstört werden und dabei auch für den Klimaschutz nicht viel erreicht wird – im Gegenteil: Denn die Fähigkeit zur Kohlenstoffspeicherung wird verschlechtert. Wir wissen, dass Böden Kohlenstoff verlieren, wenn wir anfangen, in Grassteppen Bäume zu pflanzen.

Haben Sie versucht, in Kontakt mit den Geldgebern solcher Projekte zu treten, um sie auf die Fehler aufmerksam zu machen?

Wir haben in der wissenschaftlichen Community den Austausch mit den Organisationen gesucht, die sich um die Aufforstung kümmern. Aber es ist sehr schwer, Gehör zu finden. Aus irgendeinem Grund lieben alle Wälder, aber Ökosysteme, die nur wenige Bäume haben, werden einfach nicht im gleichen Maße wertgeschätzt. Auch Regierungen, großen Nichtregierungsorganisationen und politische Entscheidungsträger sind nicht sehr daran interessiert, mit uns Experten für diese Nicht-Waldlebensräume zu sprechen.

Das deutsche Bundesentwicklungsministerium ist ein wichtiger Geldgeber für AFR100. Über die nächsten Jahre fließen 83 Millionen Euro aus dem Entwicklungsetat. Wären Sie bereit, dort im Gespräch Ihre Kritikpunkte zu diskutieren?

Selbstverständlich. Wir wären glücklich, wenn wir mit dem Ministerium oder der für die Durchführung der Projekte zuständigen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) ins Gespräch kommen würden, um gemeinsam einen besseren Weg nach vorn zu finden. Ich weiß, dass wir mit unserer Arbeit Kontroversen auslösen und wir einige Leute verärgern werden. Aber es ist für Klima und Natur entscheidend, dass wir hier keinen dramatischen Fehler begehen.

Was gibt Ihnen Hoffnung?

Hoffnung zu haben, ist angesichts des Ausmaßes der Bedrohung nicht einfach. Aber wir haben diese Riesenchance zur Renaturierung von Lebensräumen auf großer Fläche. Die sollten wir nutzen. Noch ist Zeit, viele der schädlichen Aktivitäten zu stoppen, Wald- und Nicht-Waldlebensräume zu trennen und eine sensible, angemessene Renaturierung voranzubringen.

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