„Für das Meer bräuchte man bewegliche, dreidimensionale Vorstellungen von Schutzgebieten“

Die Politikwissenschaftlerin Alice Vadrot forscht zu internationalen Meeres-Abkommen. Im Interview erklärt sie, warum die Verhandlungen über den Schutz der Artenvielfalt in den Ozeanen schwierig werden.

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Blaues Meer mit Felsen und weißer Gischt.

Bei der derzeit laufenden Biodiversitätskonferenz COP 15 in Montréal wird als ein zentraler Punkt das Ziel verhandelt, 30 Prozent der Land- und Meeresgebiete bis zum Jahr 2030 zu Schutzgebieten zu erklären. Bei den Ozeanen ist das politisch und rechtlich aber nicht so einfach. Denn die Hohe See, also das Meer jenseits von 200 Seemeilen vor der Küste, ist internationales Territorium. Die Politikwissenschaftlerin Alice Vadrot von der Universität Wien, die zu Meeres-Abkommen forscht, spricht im Interview mit Sonja Bettel über die schwierige Situation.

brauner Felsen mit großer Möwe und Meer
Ein schwieriger Punkt bei den COP 15-Verhandlungen: Wer soll den Schutz der Meere festlegen und überwachen?

Sonja Bettel: Frau Vadrot, wie beurteilen Sie das Ziel der Biodiversitätskonferenz COP 15, bis zum Jahr 2030 30 Prozent der Meeresoberfläche zu schützen?

Alice Vadrot: Ein Problem ist, dass sich der Zuständigkeitsbereich der CBD, der Convention on Biological Diversity (Konvention über die biologische Vielfalt), eigentlich auf die nationalen Gewässer beschränkt. Es gibt aber einen Artikel in dem Abkommen, der so interpretiert werden kann, dass es auch für die internationalen Gewässer zuständig ist. Also beispielsweise wenn klar wird, dass Aktivitäten in nationalen Gewässern eine negative Auswirkung auf internationale Gewässer haben. Die Frage ist, ob sich das 30 Prozent-Ziel auf internationale Meeresgebiete beziehen soll oder nur auf nationale.

SB: Inwiefern ist das ein Problem?

AV: Die CBD führt seit 2010 den sogenannten EBSA-Prozess, in dem es um die Identifikation schützenswerter Gebiete in internationalen Gewässern geht. Es wurden bereits einige Gebiete, ich glaube über 140, in einem sehr komplizierten Prozess wissenschaftlich identifiziert. Also im Prinzip müsste man nur einen Schritt weitergehen und sagen: Gut, also stellen wir diese Gebiete unter Schutz und verwalten sie entsprechend. Die Vorarbeiten der CBD im EBSA-Prozess deuten darauf hin, dass das möglich wäre. Aber das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen, UNCLOS, hat eigentlich das Mandat für die internationalen Gewässer, und die CBD anerkennt das in ihrem Text auch. Das heißt, im Grunde genommen hat die CBD nicht das Mandat, in internationalen Gewässern Schutzgebiete zu etablieren. Die Seerechtskonvention der Vereinten Nationen müsste diese Implementierung durchführen.

Wenn ich mir die politischen Realitäten anschaue, ist das nicht sehr wahrscheinlich.

Steilküste am Meer mit braunen Felsen und Buschwerk
200 Seemeilen von einer Küste entfernt beginnt die Hohe See, die allen Staaten frei zur Verfügung steht.

Wenn sie jetzt nichts vorzuweisen haben, hat die internationale Umweltpolitik ein Legitimationsproblem.