Sciencefiction-Roman „Adam und Ada“: KI und der Traum von ewiger Jugend

Der Berliner KI-Experte Christian Kellermann zeigt die Versprechen einer KI, die den menschlichen Körper entschlüsselt, aber auch missbraucht werden könnte.

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Der Sciencefiction-Roman „Adam und Ada“ des KI-Experten Christian Kellermann, erschienen beim Hirnkost-Verlag

"Ich will ewig jung bleiben“, sagt Henri Soderberg, der fiktive Big-Tech-Guru in Christian Kellermanns Debütroman „Adam und Ada“. Um die künstliche Intelligenz in die Hand zu bekommen, die „Gottes eigenen Code knacken“ könnte, muss er die Mikrobiologin Ada MacAllan in sein Unternehmen Soderberg Inc. holen.

Doch die Protagonistin des Romans hat erdgebundenere Ziele: Sie will ihre Tochter Iris retten, die extrem unter einer Flechte in ihrem Gesicht leidet. Mit transhumanistischen Träumen hat Ada, die wichtigste Forscherin der Firma AI-X, wenig am Hut. Wird es Soderberg gelingen, sie auf seine Seite zu ziehen?

Dient KI zur Gesundheitspflege oder für Übermenschenträume?

Und da ist er schon: Jener Grundkonflikt, dessen Ausgang auch in der Realität entscheidet, ob künstliche Intelligenz zum Segen für die ganze Menschheit wird oder nur zum Machtwerkzeug weniger Privilegierter. Kellermann gelingt es, diesen Spannungsbogen in einen packenden Technik-Thriller zu übersetzen.

Der Autor ist dem Thema gewachsen. Er beschäftigt sich als Forscher mit den Folgen von KI, vor allem auf den Arbeitsmarkt, unter anderem als „Senior Researcher“ am „Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz“ in Berlin, wo er lebt.

Die Handlung des Romans spielt in naher Zukunft und wesentliche Techniken, die darin vorkommen, sind mindestens in fortgeschrittener Entwicklung: künstliche Intelligenz, Quantencomputer und Proteinforschung.

Ein virtueller Assistent für den gesunden Lifestyle

„Adam“ hingegen ist echte Sciencefiction, ein Algorithmus, der mithilfe von Biosensoren in den Körpern von Millionen Menschen molekulare Details wie den Sauerstofflevel, sowie andere Vitalparameter auswertet und daraus individuelle Empfehlungen für Trainingseinheiten oder Ernährung ableitet. Zum Beispiel befiehlt Adam per Textbotschaft in Adas Laufbrille, die Schrittfrequenz zu erhöhen, oder setzt Zeitfenster fürs Kaffeetrinken. Entwickelt wurde Adam von AI-X, Adas Arbeitgeber. Sie nutzt die Technologie selbst.

Adam und Ada sind ein harmonisches Paar, bestärkt er sie doch in ihrer Sportsucht, mit der Ada ihre Versagensängste betäubt. Dabei ist Ada fachlich eine Überfliegerin. Sie entwickelte eine KI, die die dreidimensionale Form von Proteinen prognostiziert und verhalf damit AI-X zu einem Durchbruch.

Reales Vorbild für AI-X dürfte die Londoner Google-Schwester „Deepmind“ sein. Diese Firma hat im Jahr 2021 klar gemacht, dass der Traum von einer KI, die den menschlichen Körper versteht, wahr werden könnte. Einer KI, die gesundheitliche Probleme, sprich Krankheiten, worunter manche auch das Altern zählen, im Handumdrehen „löst“.

Die KI „Alphafold“ zeigt die Macht von KI, die Medizin zu revolutionieren

Deepminds KI „Alphafold“ wurde mit riesigen Mengen mikrobiologischer Daten darauf trainiert, die 3D-Form von Proteinen vorherzusagen. Das ist ein gewaltiger Fortschritt für Biologen, weil die Form der allermeisten Eiweißmoleküle vor Alphafold unbekannt war (Riffreporter berichtete).

Die räumliche Gestalt von Proteinen zu kennen ist äußerst erkenntnisreich, bestimmt sie doch die Funktion der Eiweißstoffe, die im Körper allgegenwärtig sind und unterschiedlichste Rollen spielen, etwa Sauerstoff durchs Blut transportieren oder als Antikörper Viren bekämpfen.

Wer die Form von Proteinen kennt, kann gezielt Krankheiten bekämpfen, auf ähnliche Weise, wie sich für ein bekanntes Schloss ein passender Schlüssel fertigen lässt. Der Biochemiker Matthew Higgins von der University of Oxford etwa nutzt Alphafold, um einen Impfstoff gegen Malaria zu entwickeln.

Der KI fehlt es an Präzision

Alphafold hat binnen nur weniger Jahre die 3D-Strukuren von 200 Millionen Proteinen vorhergesagt. Doch die KI hat entscheidende Schwächen. Eiweiße verändern oft ihre Form, wenn sie mit anderen Proteinen oder chemischen Stoffen zusammenkommen und wechselwirken. An wechselwirkenden Stellen kann Alphafold die Proteinform nur ungenau bestimmen.

Die letzte Präzision, um alle biochemischen Vorgänge zu verstehen, fehlt also. „Gottes Code“, wie der fiktive Big-Tech-Guru Henri Soderberg es nennt, bleibt weitgehend im Dunkeln.

Das ist auch ein Problem für seine Gegenspielerin Ada MacAllan: Deren Chefin Yu verlangt von Ada, mehr als nur graduell besser zu sein als die Konkurrenz. Sie will Perfektion, also einhundert Prozent Präzision in der Vorhersage der Proteinstruktur.

Damit fordert Yu aus Adas Sicht das Unmögliche. Denn, um die Lücken zu schließen, braucht die KI Informationen darüber, wie sich wechselwirkende Proteine verformen. Wie die heutige KI, ist die KI des Jahres 2028 nur so gut, wie die Daten, mit denen sie trainiert wird. Sie muss in den Trainingsdaten die wesentlichen Muster erkannt haben, die im Tanz der Proteine vorkommen. Diese kann sie dann neu kombinieren, um Vorhersagen über Eiweißmoleküle zu treffen, die in den Daten nicht aufgetaucht sind.

KI ist nur so gut, wie die Daten, mit denen sie trainiert wird

Zwar besitzt AI-X ein Biolabor, das neue Trainingsdaten erzeugen kann. Doch das reicht lange nicht. Ada bräuchte umfassende mikrobiologische Live-Daten aus lebenden menschlichen Körpern. Daten, die nicht existieren. Zumindest glaubt Ada, diese Informationen gebe es nicht.

Zwei Ereignisse bringen die verfahrene Situation ins Rollen und treiben Ada in ein Abenteuer, das die Mikrobiologin in einen stillgelegten Bahntunnel zwingt, der in Kellermanns Roman unter dem Atlantik von New York nach Lissabon führt.

Adas Tochter Iris stirbt fast bei dem Versuch, ihre Flechte mit Bleichmittel unsichtbar zu machen. Das Ereignis macht Ada erst bewusst, wie existenziell Iris unter der Hautkrankheit in ihrem Gesicht leidet. Nur perfekte Körper überstehen den Sturm in den sozialen Medien. Von nun an ist Ada motiviert, Iris’ Flechte, die diese von ihr geerbt hat, zu heilen, mit Hilfe ihrer KI.

Trotz mancher Längen spannend

Dieses Ziel macht Ada anfällig für einen Anwerbungsversuch durch Henri Soderberg. Er habe die „Zutaten“ und brauche eine „Werkmeisterin“, lockt er sie. Soderberg deutet an, dass er ein perfekt ausgestattetes Geheimlabor im Atlantiktunnel betreibt. Kann Ada mit ihm zusammen den Code der Proteine komplett entschlüsseln? Ada will aber Soderberg nicht zum alleinigen Herrn über das ewige Leben machen. Sie steckt in einem Dilemma.

Kellermanns Roman bleibt stets packend, trotz mancher erzählerischer Längen (etwa 50 Seiten weniger wären angemessener) und wissenschaftlicher Details, die teils etwas technisch präsentiert werden. Dort liest sich der Text fast wie ein Fachbuch. Die Story trägt jedoch darüber hinweg und lässt den Leser Seite um Seite blättern.

Eine Aura der Unmöglichkeit umwabert die Wunder der KI

Dann ist da noch dieser fiktionale Tunnel unter dem Atlantik, der angesichts des sonstigen Realismus der Geschichte beim Lesen ein Störgefühl erzeugt, zumal Kellermann ihm einen ganzen Erzählstrang widmet. In blauer Schrift gedruckt gibt es eine zweite Zeitebene, die den Bau des in den 1920er Jahren beschreibt, bei dem tausende Arbeiter sterben. Der verantwortliche Ingenieur ist ein Vorfahr von Ada MacAllan.

Die Konstruktion einer kontrafaktischen Realität (nicht nur die Zukunft wird erfunden, sondern auch ein Teil der Vergangenheit), erscheint auf den ersten Blick unnötig und der Leser ist geneigt, die blau gedruckten Abschnitte zu überspringen. Aber die unwirkliche Erzählebene gibt zu denken. Sind die toten Tunnelarbeiter eine Anspielung darauf, dass die Entwicklung einer Gesundheits-KI mit ähnlicher Ignoranz gegenüber unbeabsichtigten menschlichen Opfern vorangetrieben werden könnte?

Es gibt eine weitere Interpretation. Dass es den Tunnel in der Realität nicht gibt, liegt natürlich an der äußerst schwierigen Realisierbarkeit. Die Idee entstammt dem Sciencefiction-Roman „Der Tunnel“ von 1913, geschrieben von Kellermanns Urgroßonkel Bernhard Kellermann. Indem der Nachfahre dieses utopische Element in seine Romanwelt einpflanzt, taucht er das ganze, ansonsten machbar erscheinende, Szenario in eine Aura der Unmöglichkeit.

Das nicht nur im Silicon Valley für machbar gehaltene Vorhaben, mit Hilfe der KI den gesamten biologischen Code zu entschlüsseln, mag uns angesichts der rasanten Fortschritte der künstlichen Intelligenz greifbar nahe erscheinen. Aber womöglich ist es nur Sciencefiction.

Christian Kellermann: „Adam und Ada“, 405 Seiten, Hirnkost Verlag, Berlin, Hardcover, 24 Euro.

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