Nach Facebook: Veto, Meta!
Mark Zuckerberg hat Facebook in Meta umbenannt und damit einen Herrschaftsanspruch über die Zukunft erhoben. Das ist gefährlich.
Mark Zuckerberg hat Facebook in Meta umbenannt und damit einen Herrschaftsanspruch über die Zukunft erhoben. Seine Vision ist zwar schwammig und er ist spät auf den Zug aufgesprungen. Mit Milliarden-Investitionen will sich der IT-Unternehmer nun aber die Vorherrschaft über die digitale Zukunft sichern. Massiver gesellschaftlicher Schaden droht, wenn das Metaverse nicht frei und offen bleibt.
Schon seit einigen Monaten spricht Mark Zuckerberg vom Metaverse. Bereits Ende Juli hat er die Gründung einer Metaverse Product Group bekannt gegeben. Er investiert Milliarden in neue Technologien, um seine Vision der Zukunft umzusetzen. Knapp 10.000 Facebook-Mitarbeiter arbeiten inzwischen an Technologien für die virtuelle und erweiterte Realität.
Aber was meint Zuckerberg überhaupt mit dem Metaverse? Er hat den Begriff nicht erfunden, er stammt vielmehr aus dem Science Fiction Roman Snow Crash von Neal Stephenson von 1992. Stephenson definiert das Metaverse als ein Zusammenkommen der physischen Welt mit der virtuellen sowie der erweiterten Realität in Form einer gemeinsamen Online-Welt. Auch der Film „Ready Player One“ wird von vielen als eine Vision des Metaverse beschrieben, weil dort das Virtuelle als ein wichtiger Bestandteil der physischen Realität beschrieben wird, das unser soziales Leben aufwertet. Der Film gilt als die erste positive Adaption der Virtuellen Realität in der Popkultur, weil er das Potenzial für ein gutes Leben in der virtuellen Realität greifbar macht.
Zuckerbergs schwammige Vision
Was Zuckerberg unter dem Metaverse versteht, ist aber nach wie vor unklar. Er hat „The Verge“ bereits im Juli ein langes Interview gegeben, in dem der Redakteur vergeblich versucht hat, Konkretes über die Vorstellungen des IT-Unternehmers vom Metaverse zu erfahren. Der Facebook- (jetzt Meta-)Chef hat vor allem ausschweifend und nebulös geantwortet. Und sich widersprochen.
Das Metaverse solle Menschen zusammenbringen, und zwar über verschiedene Computing- Plattformen hinweg. Es solle immersiv sein, man solle das Gefühl haben, wirklich vor Ort zu sein. Aber es müsse nicht unbedingt per Virtual Reality Headset zugänglich sein, sondern auch per Computer, Spielekonsole oder per Smartphone. Das Metaverse komme der Teleportation am nächsten, es habe mit Hologrammen zu tun. Es sei aber auch „verkörpertes Internet.“
Wie das alles zusammenpassen soll, diese Frage ließ Zuckerberg offen – bis heute. Das, wovon er am häufigsten spricht, ist virtuelle Realität, auch in der aktuellen Keynote, in der er die Umbenennung von Facebook in Meta bekannt gab. Das ist auch keine Kunst, denn virtuelle Realität gibt es schon. Sie ist die Technologie aus der ganzen Aufzählung von Augmented Reality über Hologramme bis zur Teleportation, die technisch am ausgereiftesten sind.
Der neue Name Meta verstärkt den Eindruck, dass Zuckerberg eben doch gerne der Herr über das Metaverse wäre.
Von daher sind Zuckerbergs Visionen hier nicht gerade originell oder neu. Soziale virtuelle Realität existiert massentauglich schon seit einigen Jahren – virtuelle Räume also, in denen sich Menschen in Form von Avataren treffen können. Facebook hat dazu vor allem ein erschwingliches Headset beigetragen – die Oculus Quest – was virtuelle Welten für mehr Menschen zugänglich gemacht hat. Freilich nicht ohne Hintergedanken: Es dauerte nicht lange, bis Zuckerberg verkündete, das Headset könne nur noch von Facebook-Nutzer:innen genutzt werden, die sich mit ihrem Account anmelden. Das war der erste Schritt der Vermessung der virtuellen Realität: Facebook will unsere Daten.
Nachdem es bereits seit 2014/15 einige entsprechende Apps wie Altspace VR, Recroom oder VR Chat gab, zog Facebook 2017 schließlich nach und gründete seine eigene Social-VR-Welt: Facebook Spaces. Besonders erfolgreich war sie nicht. 2019 wurde sie wieder eingestellt. Die „Massen“ – falls man in Zusammenhang mit VR überhaupt davon sprechen kann – sammelten sich bei der Konkurrenz, bei VR Chat, der schnell zur erfolgreichsten Social-VR-Welt avancierte. Nun gibt es Facebook Horizon, eine VR App im Beta-Stadium, in der man offenbar seinen eigenen Homespace haben kann (der in der aktuellen Keynote wirkt wie der Oculus-Startbildschirm – ein hippes aber steriles Wohnzimmer mit beeindruckendem Ausblick) und auch arbeiten. Das Feedback aus der ersten Runde von Pressegesprächen für US-Journalisten im neuen VR-Workspace fiel allerdings gemischt aus.
Facebook springt spät auf den Zug auf
Diese Formen des Zusammenseins in der sozialen virtuellen Realität fühlen sich in der Tat sehr real an: man ist zusammen im gleichen Raum, obwohl die materiellen Realitäten der Beteiligten womöglich viele tausend Kilometer auseinander sind. In solchen Welten haben sich schon Paare gefunden und Fernbeziehungen über den Atlantik hinweg geführt – ganz ohne zu merken, dass sie eine Fernbeziehung haben. Weil es sich nah und echt anfühlt.
Nur: Facebook war bisher in diesen Welten immer eher spät dran. Zuckerberg wollte das ändern, indem er 2014 Oculus für zwei Milliarden Dollar kaufte. Und in der Tat gilt zwar das Headset Oculus Quest als ein Gamechanger als eines der ersten so genannten Standalone Headsets, die nicht an einen Computer angeschlossen werden müssen und trotzdem eine recht passable Bildqualität haben. Ohne die Kabel zum Computer lässt es sich viel freier im Raum bewegen. Zudem ist das Headset für 400 bis 500 Euro recht erschwinglich.
Das Gefühl, sich real mit Menschen treffen zu können, trotz Lockdowns und Ausgangssperren.
Nachdem Facebook verkündete, dass neue Quest-Headsets nur noch mit einem Facebook-Account in Betrieb genommen werden dürfen, gab es jedoch Proteste. In Deutschland wird die Quest 2 aus kartellrechtlichen Gründen gar nicht verkauft. Auch die Quest 1 erschwert es zunehmend, die alten Anmeldedaten beizubehalten, der Konzern versucht die Nutzer:innen dazu zu drängen, sie mit ihrem Facebook-Account zu verbinden.
Das passt nicht so recht zur nun demonstrativ zur Schau getragenen Offenheit. Er wolle man das Metaverse nicht für sich vereinnahmen, sagt Zuckerberg im Verge-Interview mehrmals, es solle eine gemeinsame Anstrengung vieler verschiedener Unternehmen sein. Das allerdings war weitgehend einem vielbeachteten Aufsatz des Investors Matthew Ball nachgeplappert, an dem auch Zuckerberg nicht vorbeikommt. Gleichzeitig platziert Zuckerberg sein Unternehmen aggressiv in der Diskussion um diese Zukunft, die ihm selbst noch unklar zu sein scheint. Der neue Name Meta verstärkt den Eindruck, dass Zuckerberg eben doch gerne der Herr über das Metaverse wäre. Das Wort „gemeinsam“ kommt in der aktuellen Keynote auch nicht mehr vor.
Ist Fortnite ein frühes Metaverse?
Was Facebook bisher in diesem Bereich gemacht hat, ist virtuelle Realität. Zuckerberg und auch viele andere sagen aber, das Metaverse gehe darüber hinaus, der Kern sei eine Verbindung der realen mit der digitalen Welt. Nur wie konkret?
Immer wieder wird das Spiel Fortnite als ein Beispiel genannt, das einen Vorgeschmack auf das Metaverse geben könnte. In dem Spiel, das von verschiedenen Geräten aus zugänglich ist, spielen Gruppen von Spieler:innen zusammen. Sie können sich mit einer virtuellen Währung Ausstattung für ihren Avatar kaufen und Dinge gemeinsam gestalten.
Auch wenn Fortnite auf dem Desktop-Computer für ein Metaverse erstaunlich zweidimensional ist, hat es vielen vor allem in der Pandemie das Gefühl gegeben, sich real mit Menschen treffen zu können, trotz Lockdowns und Ausgangssperren. Einige Musiker, deren Konzerte abgesagt werden mussten, traten dort auf und nutzen den Vorteil einer virtuellen Welt, eine Show unabhängig von der Physik zu machen – was teilweise ziemlich abgefahrene Effekte mit sich brachte. Mit Erfolg: Der Rapper Travis Scott hat im April 2020 beispielsweise 12,3 Millionen Menschen versammelt, die alle gleichzeitig im Spiel waren. Die zweidimensionale Immersion scheint also zumindest ein Stück weit zu funktionieren.
Augmented-Reality-Brillen sind bei weitem nicht ausgereift, noch ist es nicht möglich, die Technologie entsprechend zu miniaturisieren.
In der Pandemie haben sich einige Konferenzplattformen gegründet, die in der virtuellen Realität stattfinden, aber auch per Desktop zugänglich sind. Mit Mozilla Hubs klappt das beispielsweise ganz gut, und tatsächlich ist die Immersion auch vom Desktop-Computer aus noch sehr viel besser als die jeder Video-Konferenz. Durch das räumliche Audio und die Möglichkeit, sich frei im Raum zu bewegen und sich spontan einem Grüppchen in der Kaffeepause anzuschließen –anstatt gezielt einen Breakout-Room wählen zu müssen und dann in diesem gefangen zu sein.
Nichts Neues in Facebooks Virtueller Welt
Auch in der aktuellen Keynote auf der Facebook Connect 2021, in der Zuckerberg die Umbenennung seines Unternehmens in Meta bekannt gab, wird klar, dass die Vision vor allem eines ist: unklar. Wieder beginnt er in einem Raum, der aussieht wie das, was es schon lange gibt: virtuelle Realität. Zuckerberg führt steif durch den Raum, so dass unklar bleibt, ob er eigentlich er selbst oder sein Avatar ist, trifft sich schließlich mit anderen zu einem Spiel in einem „Space“, der keine anderen Qualitäten hat als viele der Räume, die kreative Nutzer:innen bereits in VR Chat gebaut haben.
Später wechselt er zum Büro der Zukunft, in dem er eine Lösung für hybrides Arbeiten sieht: Menschen könnten zusammen sein, andere könnten als Hologramm dazustoßen. Nur vergisst er zu erwähnen, dass die Hologramm-Technologie noch bei weitem nicht massentauglich oder für eine größere Nutzung geeignet ist. Das im Video gezeigte hybride Büro besteht ohnehin lediglich aus einer Augmented-Reality-Einblendung von Bildschirm und Büro in das häusliche Arbeitszimmer eines Mannes, der mit einer halbvollen Kaffeetasse an seinen Schreibtisch schlurft.
Kaum startet er die Einblendung, läuft draußen am Fenster eine offenbar mittels Augmented- Reality eingeblendete Kollegin vorbei und winkt ihm zu. Es bleibt völlig unklar, wie echt sie ist – sie könnte ebenso gut teil einer beweglichen Tapete sein. Aber Zuckerberg schwärmt von den „zufälligen sozialen Interaktionen“, die er der Menschheit zurückbringen will, wenn diese nun nicht ins Büro zurückgeht, sondern sich einen technischen Ersatz dafür sucht.
Zuckerbergs Traum ist nicht schön
Technisch ist das nicht nur bis jetzt nicht möglich, es ist nicht einmal theoretisch möglich. Damit die Kollegin ihn im Vorbeilaufen am Fenster sehen kann, müsste sie mindestens ein Headset auf dem Kopf haben. Und wer die bisher existierenden Augemented-Reality-Brillen ausprobiert hat, weiß, wie enttäuschend klein der Ausschnitt der Welt ist, den sie mit Einblendungen ergänzen – und wie fragil die Einblendungen sind. Sie brechen weg, sobald man den Kopf dreht, die Immersion wird immer wieder zerstört.
Augmented-Reality-Brillen sind bei weitem nicht ausgereift, noch ist es nicht möglich, die Technologie entsprechend zu miniaturisieren. Dazu kommen Datenschutz- und Privacy-Probleme angesichts von smarten Brillen, die künftig die Welt vermessen sollen mit allerlei Sensoren und obendrein natürlich fotografieren und filmen können.
Viele kritisieren nun, Zuckerberg lenke mit seiner Umbenennung von den existierenden Problemen des Konzerns ab, angefangen von der gesellschaftlichen Polarisierung, die unter anderem durch die Algorithmen des Netzwerks verstärkt wird, über Falschmeldungen und Hasskommentare bis hin zu Enthüllungen ehemaliger Mitarbeiter, die zeigen, wie wenig den Konzern das alles kümmert und wie wenig ernst er diese gesellschaftliche Verantwortung nimmt.
Facebook wehrt sich seit Jahren mit Händen und Füßen dagegen, seine Plattform offen zu gestalten.
Vor diesem Hintergrund ist Zuckerbergs „schöner Traum“ vom Metaverse nicht mehr nur unrealistisch und unklar, er verkauft nicht mehr nur Technologien über, die bei weitem nicht das können, was er verspricht – sondern der Traum an sich ist auch nicht mehr schön. Er ist vielmehr ein Grund zum Gruseln. Denn wer will ein Metaverse, das von einem Unternehmen verwaltet wird, das schon daran scheitert, ein zweidimensionales soziales Netzwerk verantwortungsbewusst zu gestalten?
Im Metaverse potenziert sich der Schaden durch Facebook
Selbst wenn seine Vision eines Tages technisch aufgeht, ist das die schlechtere Nachricht für die Gesellschaft: Meta wird uns nicht nur auf Schritt und Tritt überwachen, es wird medienübergreifend wissen, was wir tun, wen wir treffen, wen wir lieben, wo wir arbeiten, welche psychischen Leiden wir haben und vieles mehr. All diese Daten werden helfen, das Verkaufen zu optimieren – personalisierte Werbung wird in Zuckerbergs Metaverse eine neue Dimension erreichen. Schon jetzt vermisst Facebook/Meta den öffentlichen Raum mit smarten Brillen unter anderem seines Projekts Aria. Und das ohne gesellschaftlich zu diskutieren, ob wir das wollen, ohne Opt-Out-Option.
Vor allem aber wird Zuckerbergs Metaverse nicht offen sein. Facebook wehrt sich seit Jahren mit Händen und Füßen dagegen, seine Plattform offen zu gestalten. Interoperabilität ist von Facebook/Meta ungefähr so weit entfernt wie der Mars von der Erde. Zuckerberg wird alles dafür tun, auch sein Metaverse so geschlossen wie möglich zu halten – weil er die Macht haben will, weil er es steuern und weil er Gewinn daraus ziehen will.
Aber wenn die Algorithmen von Meta künftig nicht mehr nur steuern, was wir auf Facebook zu lesen bekommen, sondern auch, wen wir in welcher Realität treffen oder von welchen Events wir erfahren, wenn der Konzern mit einem Metaverse in alle Dimensionen unseres Lebens vordringt, droht die Gesellschaft noch größeren Schaden nehmen.
Eine Ahnung davon, was Zuckerberg und sein Unternehmen anrichten kann, haben wir nach Jahrzehnten des sozialen Netzwerks Facebook, das Hassrede beförderte, das Falschmeldungen groß machte und das die Polarisierung der Gesellschaft vorangetrieben hat zu Genüge bekommen. In einem Metaverse, in dem es um Immersion geht, in dem wir uns fühlen sollen wie in unserem "echten Leben" – weil es unser echtes Leben ist – drohen sich die Auswirkungen eines solchen Gebarens zu potenzieren.