Invasive Art: Kolumbien will Narco-Nilpferde mit dem Skalpell loswerden

Flusspferde wiegen bis zu drei Tonnen und machen alles platt, was ihnen unter die Hufe kommt. Nun startet das Umweltministerium mit der bisher größten Sterilisierungsaktion der Hippos, die einst von Drogenboss Pablo Escobar ins Land geschmuggelt wurden. Doch ob das reicht?

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Ein riesiger Flusspferd-Kopf schaut inmitten von seiner eigene Schwimm-Welle aus dem Wasser. Im Hintergrund ist ein grünes Ufer unscharf zu sehen.

Kolumbiens berühmtester Drogenboss Pablo Escobar wurde vor 30 Jahren bei einer Verfolgungsjagd erschossen. Doch er hat ein Erbe hinterlassen, mit dem Kolumbien noch heute kämpft: Flusspferde. Escobar schmuggelte in den 80ern vier Exemplare – drei Weibchen und ein Männchen – für seinen Privatzoo auf der Hacienda Nápoles ein.

Die Hippos vermehrten sich prächtig

Als der Staat nach dem Tod von Escobar die Hacienda übernahm und die anderen Tiere auf Zoos in Kolumbien verteilte, kümmerte er sich nicht um die Hippos. Sie waren zu schwer, um sie zu transportieren. Man hoffte wohl, dass sie sterben würden. Ein Fehler.

Denn sie brachen aus und vermehrten sich ungebremst im Einzugsgebiet des Río Magdalena, des größten Flusses Kolumbiens. In dessen feuchten Auen und tropischem Klima fühlen sie sich pudelwohl. Längst haben sie sich weit über die Hacienda Nápoles hinaus ausgebreitet. Auf ungefähr 48.000 Hektar.

Aus den vier Tieren sind mittlerweile wohl über 200 geworden (die genaue Zahl ist unbekannt). Es ist die größte Population außerhalb Afrikas. In Kolumbien haben sie keine natürlichen Feinde und haufenweise zu fressen. In Südamerika werden sie sogar früher geschlechtsreif. Anders als in Afrika gibt es keine Dürren, die sie dezimieren – sondern ganzjährig angenehmes Klima für sie.

Eine Gefahr für die Natur…

2022 hat das Umweltministerium Hippopotamus amphibius auf die Liste der invasiven Arten gesetzt. Ein Problem sind sie schon länger. Die Hippos zerstören das einheimische Ökosystem im zweitartenreichsten Land der Welt nach Brasilien.

Mit ihrer Körpermasse verändern sie mit jeder Bewegung das System von Fluss und angrenzenden Feuchtgebieten – was wiederum Einfluss auf den Fischbestand hat. Sie fressen jeden Tag ein Zehntel ihres Körpergewichts in Form von Pflanzen.

Mit ihrem Kot überdüngen sie das Gewässer, sind ein Problem für Sauerstoffgehalt und Algenbestand. Deshalb sterben Fische. Sie verdrängen einheimische bedrohte Arten wie die Rundschwanzseekuh (Manati) aus ihrem Lebensraum.

… und die Menschen

Auch für die Menschen sind sie eine Gefahr: Sie zerstören die Lebensgrundlage der Fischer, trampeln Ernten nieder und rücken immer weiter an Siedlungen heran. Im Dorf Doradal spazieren sie über die Straße, zum Entzücken der Bewohnerïnnen, die mit Hippo-Tourismus zudem Geld verdienen.

Doch das ist nicht ungefährlich. Mit ihren Wackelöhrchen sehen sie gutmütig aus. Aber wenn Hippos nicht happy sind, sind sie lebensgefährlich. Flusspferde sind eine aggressive und territoriale Art. Immer öfter greifen sie Menschen an, zum Beispiel Fischer oder Flussanwohnerïnnen. Aber auch Kühe und Kälber der Bauern.

Im April stieß zum ersten Mal ein Auto mit einem Nilpferd zusammen. Zuvor hatte es mindestens schon einen Unfall mit einem Motorradfahrer gegeben. Sie spazieren häufig an der Autobahn zwischen Bogotá und der zweitgrößten Stadt Medellín. Ein Wunder, dass nicht schon mehr passiert ist. Anders als in Afrika gab es in Kolumbien bisher noch keine Toten.

Abschuss? Aufschrei!

Viel zu lange hat der Staat weggeschaut und alle Aussagen von Expertïnnen ignoriert. Erste Versuche zum Abschuss endeten in einer PR-Katastrophe: Als 2009 zwei Profi-Jäger das erste Tier erlegten, posierten sie und die sie begleitenden Soldaten mit dem erlegten Nilpferd. Das Foto rief empörte Hippo-Fans auf die Barrikaden, die das Tier „Pepe“ getauft hatten.

Der Bestand wäre da noch einfach einzudämmen gewesen – es waren damals nicht einmal drei Dutzend Tiere. Doch wegen des Aufschreis der selbsternannten Tierschützerïnnen war das Thema vom Tisch – und das Problem wuchs weiter.

Als Forscherïnnen 2021 in einem Aufsatz in der Zeitschrift Biological Conservation zum Abschuss als einzig wirksamem Mittel rieten, folgten auf die Medienberichte Morddrohungen, berichtete Biologin und Mit-Autorin Nataly Castelblanco. Bis heute ist die öffentliche Meinung das größte Hindernis gegen den systematischen Abschuss.

Ein riesiges rosa Beton-Nilpferd mit buntem Röckchen und Armbändern in afrikanischem Stil hebt die rechte Hand zum Gruß und lacht. Es steht auf einem trommelähnlichen, türkisen Podest. Hinter dem Hippo ist wie ein Zaun ein Halbrund, das aus künstlichen Elefanten-Stoßzähnen besteht. Im Hintergrund ist ein Tor zu sehen, das an einen Safari-Park erinnert. Ein Jeep und ein Auto nähern sich dem Tor. Überm Tor und daneben auf der Wiese stehen Schilder mit der Aufschrift „Hacienda Nápoles“.
Und ewig grüßt das Hippo: Die pinke Statue steht am Eingang der Hacienda Nápoles. Das riesige Anwesen des Drogenbosses Pablo Escobar samt seinem Privatzoo wurde nach seinem Tod zu einem Themenpark. Dort könne Touristïnnen auch noch einige Flusspferde sehen.

Ab ins Ausland ist nicht einfach

Und was ist mit Umsiedeln? Auch das ist schwierig. Die halbwilden Tiere zu den Artgenossïnnen nach Afrika in die freie Wildbahn abschieben, geht nicht. Weil die kolumbianischen Flusspferde nur von vier Tieren abstammen, ist ihr Genpool gefährlich. Zudem könnten sie aus der Neotropis Krankheitserreger nach Afrika einschleppen. Ein „ungerechtfertigtes Risiko“, schrieb das Institut Sinchi.

Sie in Schutzgebiete und Zoos abzuschieben, ist auch problematisch. Anfang des Jahres hieß es, 70 Tiere würden ins Ausland umziehen: 60 nach Indien ins Greens Zoological Rescue and Rehabilitation Center in Gujarat; zehn nach Mexiko in den Ostok-Gnadenhof in Sinaloa. Dafür braucht es komplizierte Genehmigungen gemäß dem Washingtoner Artenschutzübereinkommen – damit sich die kolumbianische Katastrophe nicht andernorts wiederholt.

Der Prozess kann noch Jahre dauern – und ist irre teuer. Alleine der Spezial-Cargo-Flug kostet eine Million Dollar. Bezahlen soll das die US-Produktionsfirma RPM, die sonst die Miss-Universe-Wahl organisiert. Sie hat laut dem Gouverneur der Region Antioquia, wo sich die Hacienda Nápoles befindet, eine entsprechende Vereinbarung unterzeichnet. Ob es dazu aber kommt, ist noch offen.

Verhütung für Flusspferde – eine Mammutaufgabe

Es gab zwar Versuche mit Verhütungsspfeilen mit dem Mittel GonaCon und Sterilisierungen – aber nie genug und systematisch. Bis März 2023 wurden gerade einmal 13 Hippos sterilisiert und fünf in Zoos gebracht – bisher nur innerhalb Kolumbiens. Ein Weibchen bekommt alle zwei Jahre ein Junges. In Kolumbien nach manchen Quellen sogar jährlich.

Deshalb sollen die Hippos jetzt unters Messer. Diese Woche wird das erste Flusspferd sterilisiert. Insgesamt sollen es dieses Jahr 20 werden. Kosten: rund 9.300 Euro pro Tier. Nächstes Jahr sollen 40 weitere Flusspferde folgen, kündigte Umweltministerin Susana Muhamad an.

Auf der Suche nach den Hippo-Hoden

Das Verfahren ist so kompliziert und gefährlich, dass nur ein Hippo am Tag dran kommt. Bei den Weibchen werden die Eierstöcke entfernt, bei den Männchen die Hoden.

Die muss man erst mal finden: Sie sind äußerlich weder zu ertasten noch zu sehen. Ihre Haut ist so dick, dass man die Hoden nicht einmal mit Ultraschall sieht, schilderte Tierarzt Juan Pablo Villegas vor Jahren der BBC (wobei Forscherïnnen des Leibniz-Institut für Zoo- und Wildforschung für Tiere in Zoos 2013 erstmals eine Methode mit Ultraschall zur Kastration einsetzten).

In freier Wildbahn ist alles komplizierter. Wenn die Tiere im Wasser sind, kann man das Geschlecht nicht erkennen – und dort sind sie die meiste Zeit. Um dieses herauszufinden, muss man sie erst einmal betäuben. Um die 30 Menschen sind an so einem Eingriff beteiligt, der bei Männchen sechs bis sieben Stunden dauert und bei Weibchen noch länger. Dazu ein Kran.

Als Risiken nennt das Umweltministerium: Komplikationen, die zum Tod führen, allergische Reaktionen auf die Betäubung, Flucht. Dazu kommt die Gefahr für die Menschen, die an der Aktion beteiligt sind.

Wissenschaftlerïnnen raten ab von Sterilisierung

Das Humboldt-Institut und das Institut für Naturwissenschaften der Universidad Nacional hatten in einer vom Umweltministerium beauftragten Studie zu drei anderen Methoden gegen die invasive Art geraten: Bejagen, Umsiedeln und Einsperren. Wobei der Abschuss mit Abstand am einfachsten, billigsten und effizientesten sei. Von der Sterilisierung als Methode rieten sie ab – zu teuer und ineffizient.

Schon als 2022 die Hippos zur invasiven Art erklärt wurden, stand in der Resolution (S. 6): Wenn Sterilisierung als Mittel erfolgreich sein soll, muss man alle (!) Männchen kastrieren. Doch damit nicht genug. Man muss sie anschließend einsperren, damit sie nicht weiter in der Umwelt wüten, und sie bis an ihr Lebensende durchfüttern. In Gefangenschaft haben Hippos eine Lebenserwartung von 65 Jahren.

Die Wissenschaftlerïnnen vom Humboldt-Institut und der Universidad Nacional mahnten in der Studie dringend an, einen Hippo-Management-Plan zu erstellen und umzusetzen. Sonst würde die Nilpferd-Population in zwölf Jahren auf tausend ansteigen.

Ein Hippo-Management-Plan muss her

Das Umweltministerium hat die Studie auf Drängen der Öffentlichkeit endlich im April veröffentlicht – fast sechs Monate nach Erhalt. Der Management-Plan steht noch aus. Die Sterilisierungs-Aktion ist jetzt ein erster Schritt. Umweltministerin Susana Muhamad hat nur vage erwähnt, dass es auch „ethische Euthanasie“ geben werde. Einen Abschussplan hat sie nicht vorgelegt.

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