Weltmacht China: Wie die „dreckige Seidenstraße“ die Welt verändert und neue Abhängigkeiten schafft

Bei der Belt-and-Road-Initiative geht es nicht nur um Waren-Export und Rohstoff-Import. Mit dem gewaltigen Infrastruktur-Projekt baut China auch seine Macht aus.

vom Recherche-Kollektiv Weltreporter:
6 Minuten
Links ist das Cover des Buches Dreckige Seidenstraße zu sehen, rechts der Autor Philipp Mattheis in Bangkog

Philipp Mattheis hat jahrelang für das Korrespondenten-Netzwerk Weltreporter aus China berichtet. In seinem neuen Buch „Die dreckige Seidenstraße. Wie Chinas Wirtschaftspolitik weltweit Staaten und Demokratien untergräbt" wirft er einen Blick von außen auf das Land. Im Interview erklärt er, wie das gigantische Infrastrukturprojekt der Belt-and-Road-Initiative weltweit neue Abhängigkeiten schafft – wirtschaftlich und politisch.

Philipp, in Deinem Buch analysierst Du die weltweiten Folgen der chinesischen Belt-and-Road-Strategie, im Westen eher bekannt als „neue Seidenstraße“. Der Seidenstraße hast Du im Titel das Adjektiv „dreckig“ vorangestellt. Was ist denn das Schmutzige daran?

Das Schmutzige oder Dreckige daran ist, dass die massive Kreditvergabe im Rahmen dieser neuen Handelsroute in ganz vielen Beispielen einfach an den Bedürfnissen der Leute vor Ort vorbeigeht. Es ist ein Top-Down-Ansatz. Die Verteilung dieser gigantischen Summe – Thinktanks sprechen von Gesamtinvestitionen zwischen 800 Milliarden und 1,2 Billionen Euro – war an keinerlei Standards geknüpft, weder an Umwelt- noch an Sozialstandards noch an die realen Bedürfnisse.

Hast Du ein Beispiel dafür?

Ein sehr drastisches Beispiel ist der Hafen von Hambantota in Sri Lanka. Da geht es um ein Projekt von ein paar Hundert Millionen US-Dollar. Der Hafen war nie rentabel und ist es bis heute nicht. Bis heute fragt man sich: Warum braucht es diesen Hafen? Diese Investition hat dazu geführt, dass Sri Lanka so überschuldet war, dass man sich mehr oder weniger darauf geeinigt hat, dass China diesen Hafen für 99 Jahre pachtet oder konfisziert. Er ist jetzt quasi in chinesischem Besitz. In diesem Zusammenhang wurde dann sehr viel von einer Schuldenfallen-Diplomatie gesprochen: dass Peking mit Absicht Länder mit diesen Krediten lockt und in die Schuldenabhängigkeit treibt, um dann politischen Einfluss auszuüben.

Sandige Großbaustelle in einem Hafen. Im Vordergrund ist ein Wasserbecken zu sehen, im Hintergrund Hebekräne.
Die „Colombo Port City“ in Sri Lanka ist eines der Großprojekte der „Neuen Seidenstraße“ Pekings. Der Bau begann 2011 – seitdem ist nicht viel passiert.

Sind diese Vorwürfe Deiner Ansicht nach berechtigt?

Das glaube ich nicht, denn man sieht aktuell, dass es für Peking einfacher gewesen wäre, wenn die Projekte sich rentieren und die Länder ihre Schulden zurückzahlen könnten. Viele der Empfänger dieser Milliardenkredite geraten in Rückzahlungsschwierigkeiten – und das ist nicht im Sinne Pekings. Meiner Ansicht nach steckt dahinter schlicht Fehlplanung. Peking hat eben keine Bedingungen an dieses Geld geknüpft, sich nicht gefragt, was vielleicht schieflaufen könnte. China hat einfach gesagt: Wir wollen dieses Projekt bauen, wir wollen diesen Kredit dafür vergeben und wir wollen, dass unsere Staatsunternehmen diese Projekte umsetzen.

Auch wenn keine genauen Vergabekriterien definiert sind: Welche Gegenleistung hat sich China denn erhofft?

Ganz einfach gesagt, geht es darum, chinesische Waren zu exportieren und sich Märkte zu erschließen, Rohstoffe und Energie nach China zu importieren, diese Transportwege abzusichern und effizienter zu machen. Deswegen sind eine Priorität neue Häfen, neue Eisenbahnlinien, Pipelines – das sieht man ganz deutlich bei den Investitionen auf dem afrikanischen Kontinent. Dort hat man den Hafen von Mombasa und eine Zugstrecke gebaut, die irgendwann mal in den Kongo verlängert werden sollte, um dann Kobalt und andere wichtige Metalle einfacher nach China verschiffen zu können. Ein zweiter wichtiger Punkt ist Energiesicherheit – und der dritte ist der Gewinn von Softpower. Das hat zwar in vielen Fällen nicht so umfänglich gut funktioniert, wie China sich das gewünscht hat, aber der politische und kulturelle Einfluss Chinas ist durch diese Geschäftsbeziehungen dennoch gewachsen.

Wer ist denn für diese Softpower besonders empfänglich?

Ich würde behaupten, dass eine gewisse Korrelation mit autoritären Regimes besteht. Je korrupter eine Regierung und desto besorgter sie ist, ob sie sich an der Macht halten kann, desto positiver ist das Image Chinas. In Afrika hatte ich zum Beispiel den Eindruck, dass Politiker und Ökonomen, mit denen ich geredet habe, ein recht positives Bild vom chinesischen Geld hatten. Aber wenn man mit Menschen vor Ort spricht oder sich Umfragen, zum Beispiel vom Pew Research Center anschaut, hat sich der Eindruck eher verschlechtert. Das liegt manchmal an ganz einfachen Dingen. Ein Grundproblem ist, dass es sich meistens um Raumschiff-Investitionen handelt: Ein chinesisches Staatsunternehmen wird mit dem Bau einer Brücke oder eines Bahnhofs beauftragt und bringt dann alles mit: eigene Restaurants, eigene Wäschereien – für die Bevölkerung selbst bleiben dann nur schlecht bezahlte Jobs. Vor allem bei den einfachen Leuten hat sich Chinas Image nicht verbessert.

Weil die Projekte an ihren Bedürfnissen vorbeigehen?

Aus einer westeuropäischen Perspektive vergisst man, dass der Bedarf an solcher Infrastruktur extrem hoch ist. Zunächst einmal ist es für viele Menschen großartig, wenn eine neue Zugstrecke gebaut wird. Die Bahnverbindung von Mombasa nach Nairobi war fast hundert Jahre alt, also auf jeden Fall überholungsbedürftig. Aber es geht dann bei der Umsetzung unfassbar viel schief. Bei einem neuen chinesischen Zug denkt man ja zunächst mal an ein Hochgeschwindigkeitsprojekt, aber stattdessen zuckelt dort eine Bimmelbahn, die auch nur auf achtzig Kilometer pro Stunde kommt. Dazu kamen noch regulatorische Hürden, Probleme beim Verladen der Waggons. Und natürlich spüren auch die Bewohner, wenn der Staat dann irgendwann überschuldet ist.

Über Kreditvergabe übt China politischen Druck aus – doch der ist schwer zu greifen.

Geht dieser Ausbau der Softpower durch Investitionen so weit, dass sich tatsächlich auch das politische Machtgefüge verändert?

Das lässt sich schwer greifen. Aber man sieht schon, dass beispielsweise Länder, die auf der neuen Seidenstraße liegen und viel Geld von China bekommen haben, bei UN-Abstimmungen, etwa über die Uiguren, im Sinne Chinas abstimmen. Wir wissen nicht, ob es in Verträgen bestimmte Geheimklauseln gibt, aber die Korrelationen sind doch recht deutlich. Islamische Länder wie Saudi-Arabien und Staatschefs wie Erdoğan, die sonst für den Schutz von Muslimen eintreten, bleiben im Fall der Uiguren extrem still. Und auch mit Blick auf Taiwan übt China Druck über die Wirtschaft aus. Das sieht man aktuell am Beispiel Honduras, das diese Woche auf Druck Pekings die diplomatischen Beziehungen nach Taiwan abgebrochen hat – im Gegenzug für Investitionen.

Die Gefahr einer zu großen wirtschaftlichen Abhängigkeit ist seit der Pandemie und verstärkt auch nach dem Ukraine-Krieg auf die politische Agenda gerückt. Lässt sich das Rad noch zurückdrehen?

Gerade in Deutschland hat man bis 2020 darauf gesetzt, dass die Welt friedlich bleibt und einfach immer mehr zusammenwächst. Das hat sich definitiv verändert. Zurückdrehen lässt sich das nur, wenn man in Kauf nimmt, dass unser Wohlstand drastisch sinkt. Und gerade als Anhänger der Energiewende muss man sich bewusst machen, dass China bei all den Rohstoffen, die dafür gebraucht werden, am Hebel sitzt. Ohne China wird es, zumindest so wie man es sich jetzt vorstellt, nicht gehen. Trotzdem muss man natürlich versuchen, diese Abhängigkeiten zu reduzieren – das macht Peking ganz genauso.

Für Dein Buch bist du fast über den gesamten Globus gereist. Konntest Du überall problemlos recherchieren?

Nach China kann ich wegen meines Buches über die Uiguren wahrscheinlich ohnehin nicht mehr einreisen, das wäre auch als Privatmensch wegen des neuen Spionagegesetzes zu gefährlich. Und in anderen Ländern sind viele der chinesischen Projekte abgezäunt, man kann sich das nur von weitem angucken. Der Hafen von Hambantota in Sri Lanka zum Beispiel ist tatsächlich von Soldaten bewacht. Ich habe dann mit Anwohnern gesprochen und versuche so, der Geschichte so nah wie möglich zu kommen. Richtig unangenehm war es einmal an der chinesisch-kasachischen Grenze. Dort führt eine Zugstrecke von Chonqing in China bis nach Duisburg, mehrmals wöchentlich werden vom größten Container-Terminal der Welt Waren befördert. Und dort wurden wir einfach so von Grenzsoldaten mehrere Stunden festgehalten.

Inwieweit konntest Du vor Ort auf Expertise von Kolleg*innen zurückgreifen?

Tatsächlich konnte ich immer wieder auf das Netzwerk der Weltreporter zurückgreifen – und das war sehr nützlich. Die Kolleg*innen dort haben mir sehr gute Briefings gegeben, mich an die richtigen Leute vermittelt, mir Fixer, Producer und Übersetzer empfohlen. Wenn man als Journalist in ein Land fährt, in dem man noch nie war, ist es einfach sehr nützlich und tut gut, wenn dort jemand ist, der einem weiterhelfen kann. Selbst in Almaty in Kasachstan habe ich einen ehemaligen Weltreporter-Kollegen getroffen.

Gibt es Orte, auf die Du aus Zeit- oder anderen Gründen verzichten musstest?

Es gibt Orte, an denen ich auf jeden Fall gerne mehr Zeit verbracht hätte: In Afrika war ich zum Beispiel zum ersten Mal in meinem Leben, der Kontinent ist viel zu komplex, um ihn erfassen zu können, und ich möchte mich dort auf jeden Fall intensiver umsehen. Und Südamerika taucht gar nicht in dem Buch auf. Dabei hat China auch dort großen Einfluss. Aber aus Zeit- und Effizienz-Gründen habe ich mich auf wichtige Regionen beschränkt. Dafür konnte ich auf einige Recherchen während meiner Zeit als China-Korrespondent zurückgreifen.

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