Die Kartoffel als Bindungsgemüse

Herbst ist Kartoffelzeit. Und die Kartoffel ist weit mehr als nur ein Bindemittel in zahlreichen Speisen. Sie kann auch bei der Partnerwahl entscheidend sein.

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Wenn mein Vater kochte, gab es fast immer Kartoffeln. An den Freitagabenden gab es Reste-Essen, das Kochen lag ihm nicht. Er mischte das, was im Laufe der Woche übrig geblieben war, in einer Pfanne zusammen. Als Basis schnitt er Zwiebeln klein und gab dann gekochte Kartoffeln hinzu, die er mit Ei und Käse vollendete. Ich mochte dieses Gericht, so wie ich die Zeit mit ihm liebte. Als Kind sah ich den berufstätigen Vater nur am Abend. Das gemeinsame Essen bot die Chance für unbeschwerte Momente. Und dann gab es diese leckeren Kartoffeln. Unter der Käsehaube zogen sie sich auf der Gabel wie ein Schweizer Fondue vom Teller in den Mund. Noch heute schmecken diese Momente nach Kindheit.

Ich vergaß diese Kartoffeln nie. Es war das erste Gericht, das ich im Studium selber zubereiten konnte. Ich kochte sogar in meiner Studienbude Kartoffeln vor, nur um sie abends zu Bratkartoffeln verarbeiten zu können. Schnell bemerkte ich, dass mit rohen Kartoffeln das Ergebnis nicht dasselbe war. Sie zergingen nicht im Munde, sie waren zäh, verbanden sich nicht mit Käse und Ei. So musste ich lernen, die Erdäpfel genau so lange zu kochen, dass sie nicht zu weich und somit mehlig und nicht zu hart und folglich noch roh waren. Für mich, der ich Fotografie und nicht das Kochen studierte, eine echte Herausforderung.

Doch heute muss ich sagen, es war eine Lehrzeit, die sich gelohnt hat, denn was ich damals nicht wusste, war, wie die Kartoffel mein Leben prägen würde.

Ich erfuhr es viele Jahre danach, als es mir meine Freundin ins Ohr flüsterte. Wir lagen zu zweit in einem Doppelbett und hatten uns darüber gewundert, wie es sein kann, dass eine so teure Matratze sich so ausbeult. Darauf zu schlafen, fühlte sich nicht gut an. „Weißt du, was sich allerdings richtig gut anfühlt?“ fragte sie mich. „Nein, “ antwortete ich und wartete gespannt, ob ich ein Lob für meine Qualitäten als Liebhaber bekommen würde. Hätte mir gefallen.

„Die Kartoffeln“, sagte sie, „die du für mich gekocht hast, als wir uns zum ersten Mal abends getroffen haben.“ Ich war total überrascht. „Ja, damit hast du mich von deinen Qualitäten als Mann überzeugt. Die waren total lecker. Sogar die Kinder lieben die Kartoffeln, so wie du sie zubereitest. Wir werden mehr kaufen müssen!“

Ich war gerührt. Die fünfjährige Tochter meiner Freundin hatte einige Tage zuvor darauf bestanden, dass es zum Abendessen Björn-Kartoffeln geben solle, denn die seien ja total lecker. Sie war sogar so versessen darauf, dass sie um die Reste mit ihrer Mutter würfelte. Sie hatte eine Sechs gewürfelt und gewonnen. „Haha, ich darf alles aufessen“, sagte die Tochter, “du kriegst nix mehr!“ Normalerweise aß sie kaum etwas. Dabei hatte ich, was die Kartoffeln anging, schon die Technik gewechselt. Ich hatte als Koch dazugelernt. Und das kam so:

Kartoffel-Wal. Fotografie aus der Serie „Amadeus Garden“ von Björn Göttlicher

Es gibt Kartoffeln, die regen die Phantasie an. Sehen Sie den Wal?

Ich war häufig in Madrid gewesen. Sei es, um als Fotograf Bilder der Sehenswürdigkeiten zu machen, sei es für einen Auftrag eines deutschen Magazins. Doch „Huevos Rotos“ hatte ich erst mit meiner damaligen Freundin kennengelernt. Sie war eine Ärztin und liebte es, gut zu essen. So zeigte sie mir allerlei schicke Restaurants der spanischen Hauptstadt. In einem davon traf mich der Blitz – bildlich gesprochen. Fast war es mir peinlich, es zugeben zu müssen, aber das beste Gericht der Stadt, Kartoffeln mit Schinken, Gemüse, Käse und obendrauf Ei, hatte ich nie probiert.

Ich schämte mich, fühlte mich wie ein Hochstapler! Es lag in erster Linie daran, dass ich Madrid zwar erkundet hatte, doch mehr als Strassenfotograf. Außer einmal, bei einer Reportage für ein deutsches Frauenmagazin. Gemeinsam mit einem Redakteur aus London hatten wir die Schauspielerin Penelope Cruz gesucht, der er als schönster Frau der Welt einen Artikel widmen wollte. Damals gingen wir in ein argentinisches Steak-Restaurant, wo es sensationell zartes Rindfleisch gab. Aber keine Kartoffeln.

Kartoffel mit Teufelshoernern vor schwarzem Hintergrund.
Kartoffel-Maske. Aus der Serie „Amadeus Garden“ von Björn Göttlicher

Ich hab nichts gegen Fleisch, aber auf ein Gericht aus Kartoffeln würde ich vorziehen. Dazu ein gut gekühltes Bier aus einer kleinen Flasche. Schnell erkannte ich, dass das Konzept von „Huevos Rotos“ für mich alles veränderte. Ich hatte den Heiligen Gral des Kartoffelkochens entdeckt. Das Konzept von „Huevos Rotos“ basiert auf rohen Kartoffeln. Die hatten sich bei der Herstellung von Bratkartoffeln als unpraktisch erwiesen, doch als ich herausbekam, wie man sie zubereitet, war es um mich geschehen. Eine Renaissance des Kochens stand mir bevor und ich begann, selbst zu experimentieren.

Als erstes brauchte man eine Pfanne mit reichlich Öl. Gutes Olivenöl, erste Pressung, am besten aus Andalusien oder Aragon. Die Kartoffeln werden geschält und in kleine Stücke geschnitten, dann vorsichtig ins heiße Öl schieben. Dabei muss man aufpassen, sich nicht am heißen Öl zu verbrennen. Mit einem siebartigen Löffel werden die brutzelnden Kartoffelstücke gewendet, bis sie schön braun und cross sind. Dann herausgenommen und auf einem Teller mit Küchenpapier vom Öl befreit. In einer Pfanne mit wenig Öl werden dann die Beilagen gebraten: Schinken, Fleisch, Gemüse, je nach Wahl.

Ich hatte den Heiligen Gral des Kartoffelkochens entdeckt.

Sind die Beigaben fertig, kommen die gesalzenen Kartoffeln wieder hinzu. Am Ende kommt ein Ei drauf und Käse. Fertig! Kinder lieben die Kartoffeln auf diese Art sogar gänzlich ohne Beilagen. Als gesalzene Bratkartoffeln, man könnte sie Pommes nennen, das ist nur eine Frage der Form. Aber die sind wiederum nur Beilagen, nicht mein Thema.

Werden die Kinder älter, dürfen wieder die Beilagen rein, die sonst nur die Erwachsenen essen. Da kann sich jeder aussuchen, was er möchte. Mein Sohn erklärte mir neulich stolz, er hätte jetzt zum ersten Mal selber Kartoffeln á la Björn zubereitet, und es hätte ihm unbändigen Spaß gemacht. Er ist jetzt 16. So bekommt die Angelegenheit eine völlig neue Ebene. Kartoffeln werden zum Thema für Generationen.

Spriessende Kartoffel auf schwarzem Grund.

Alles verändert sich. Die Esser werden älter oder wieder jünger, nur die Kartoffel bleibt gleich. Was wiederum nicht stimmt, denn ein Gang über einen Markt ist immer ein Abenteuer, wenn man nach neuen Arten sucht. Die Bamberger Hörnla machen ebenso süchtig wie die unzähligen kleinen Kartoffeln auf den Kanarischen Inseln, für die extra Mojo Verde und Mojo Picón erfunden wurde. – Saucen, die ich selber zubereiten möchte, um sie jeden Tag essen zu können.

Man kann Kartoffeln im Ofen schmoren lassen oder sie zu Brei zerstampfen und mit etwas Butter, Milch und Muskatnuß abschmecken. Das wussten schon unsere Großmütter. Ich frage mich immer wieder, was haben die Europäer gemacht, bis ihnen im 16. Jahrhundert die Spanier dieses Produkt aus Lateinamerika mitbrachten?

Die Küche muss furchtbar eintönig gewesen sein. Im lateinamerikanischen Spanisch heißt Kartoffel „Papa“. Das Wort hat mehrere Bedeutungen: Seine Heiligkeit, der Papst in Rom. Ebenso aber der Vater, der Papa, mit Akzent auf dem A. Oder eben die Kartoffel. Völlig logisch, dass sie jung und Alt Freude macht. Und am besten ist es, man kann sie im Garten selber anbauen. Für die Kinder und Enkel.

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