„Wenn Frauen heute denselben Job haben wollen wie ein Mann, müssen sie mehr performen.“

Interview mit Saralisa Volm, Autorin von „Das ewige Ungenügend“, über Sexualität, Kunst und den richtigen Umgang mit Instagram.

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Porträt der Autorin Saralisa Volm

Saralisa Volm ist eine deutsche Schauspielerin, Filmproduzentin, Regisseurin und Kuratorin. Sie schreibt als freie Autorin unter anderem für die SZ und Die Zeit. 2023 veröffentlichte sie im Ullstein Verlag das Buch „Das ewige Ungenügend – Eine Bestandsaufnahme des weiblichen Körpers.“ In diesem feministischen Werk geht es um ihre Erfahrung mit Bulimie, Vergewaltigung und die ständige Bewertung als Frau.

Fotograf mit Fragen: In einer Werbung vom Ullstein-Verlag wurde ein Zusammenhang hergestellt zwischen Ihrem Buch und Ihrer Vulva. Stellen Sie fest, dass Sie als Autorin von ihrem Verlag in eine Richtung gedrängt werden?

Saralisa Volm: Ehrlich gesagt überhaupt nicht. Es wird gesprochen über Schönheitsideale, über Filter und häufig werde ich zu Essstörungen befragt. Aber da hört es schon auf. An den Orgasm Gap trauen sich wenige. Dabei ist es eines der Themen des Buches. Es geht um Sexualität und um meine Vulva. Da gibt es ein Kapitel, das sich mit Sexualkunde-Unterricht befasst und der mangelnden Fähigkeit, beim Sex zu kommunizieren. Der Überbegriff dafür ist sexuelle Bildung. Als der Ullstein-Verlag für eine Werbung einen Ausschnitt aus diesem Kapitel gewählt hat, habe ich mich gefreut. Sich an das Thema nicht ran zu trauen, finde ich schade. Mein Buch verhandelt auch andere Themen, wie sexuelle Gewalt, Abtreibung oder Zwangsehen. Alles Dinge, über die die Leute weniger gerne sprechen als über Botox und Instagram-Filter.

Fotograf mit Fragen: Genau. In ihrem Buch geht es darum, dass Frauen sich für ihre Sexualität schämen sollen. Um sich dem männlichen Blick zu entziehen, gibt es den Hidschab, die Burka und schreckliche Rituale wie die Klitorisbeschneidung. In meinem Alltag bekomme ich ein anderes Frauenbild. Ich erlebe die Frau als gebildet, selbständig und als Menschen, die mich als Mann vor Herausforderungen stellen. Was lebe ich meiner siebenjährigen Tochter vor?

Saralisa Volm: Ein wohlfeiles Argument, das gerne benutzt wird, ist, „ich kenne ja nur solche Leute“ oder „ich erlebe Frauen so und so“. Das ist super. Und diese anekdotische Empirie ist notwendig, um uns zurechtzufinden. Aber manchmal ist es wichtig, zu schauen, was sagt uns denn das große Ganze außerhalb unserer Bubble. Es ist wahnsinnig schön, den eigenen Kindern vorzuleben, dass Frauen gleichberechtigt sind und so kleine emanzipierte Inseln in unserer Gesellschaft zu schaffen. Das ist phantastisch, weil Vorbilder uns prägen. Trotzdem gilt es, das Wissen zu vermitteln, dass es nicht allen Frauen so gut geht und dass es unsere Aufgabe ist, weitere Frauen zu befreien. Und nicht nur Frauen.

Fotograf mit Fragen: Sie formulieren als ein Ziel der Gleichberechtigung, dass mittelmäßig begabte Frauen ihr Ding machen sollen. Das klingt wenig anspruchsvoll. Ist die entspannte weibliche Mittelmäßigkeit als Anspruch nicht ein bisschen dünn?

Saralisa Volm: Wieso sollte das zu wenig sein? Es ist doch das, was alle die ganze Zeit über machen. Es kann nicht sein, dass man nichts leisten muss, nur weil man mit übermäßigen Privilegien geboren ist, und deshalb den Posten bekommt. Wenn eine Frau denselben Job haben will wie ein Mann, muss sie deutlich mehr performen bei gleichzeitig höherer Verantwortung in Sachen Care-Work. Das ist doch absurd. Wirkliche Gleichberechtigung würde bedeuten, eine Frau erhält die gleichen Produktionsmittel und kann mit derselben mediokren Arbeit überleben.

Es ist wichtig, den eigenen Kindern vorzuleben, dass Frauen gleichberechtigt sind und so kleine emanzipierte Inseln zu schaffen. Trotzdem müssen wir ihnen vermitteln, dass es nicht allen Frauen so gut geht.

Intensiv gestylte Frau fotografiert sich auf einem weißen Bett
Gestylte Frau fotografiert sich auf einem Bett

Fotograf mit Fragen: Die Performance-Künstlerin Marina Abramovic sagte in Interviews, Kinder und Kunst seien nicht vereinbar. Liebe, Familie und Kinder, all das wolle eine Frau nicht opfern. Wie lässt sich ein System verändern, damit Frauen selbsterfüllt das sein können, was sie wollen?

Saralisa Volm: Ich glaube, das ist genau der Punkt. Wieso ist es für Frauen so schwer, das zu vereinbaren? Weil wir an Frauen höhere Ansprüche stellen. Wir sagen, wenn du Künstlerin bist, kannst du auf keinen Fall Kinder haben und bist gezwungen, mehr zu leisten. Du musst es wollen und dich aufopfern, sonst erkennen wir dich nicht an. Wir erwarten von Frauen und anderen marginalisierten Gruppen eine deutlich höhere Leistungsbereitschaft und eine größere Leistung. Das andere Thema, über das wir sprechen müssen, ist, wie verteilen wir Care-Work? Es ist noch immer so, dass Väter kaum in Elternzeit gehen und im Haushalt weniger Aufgaben übernehmen. So bleibt an den Frauen wesentlich mehr Arbeit hängen, wenn man sich für einen gemeinsamen Haushalt und Kinder entscheidet. Das müssen wir ändern, genauso wie den Pay Gap. Es ist nur möglich, Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen, wenn ich dasselbe verdiene wie ein Mann. Wenn ich als Frau mehr Geld zur Verfügung habe, kann ich auch mal sagen „hey Kids, entspannt, ich hab heute keine Zeit zum Kochen, wir gehen was essen“.

Fotograf mit Fragen: Sehen Sie es als die Hauptaufgabe der Kunst heute, auf Missstände hinzuweisen? Sind die Feministinnen der 80er Jahre nicht Vorreiterinnen im Kampf für mehr Rechte von Frauen, in Demokratien und den Rechten für Minderheiten?

Saralisa Volm: Absolut. Und es sind nicht nur die Frauen aus den 80ern, sondern die Künstlerinnen und Menschenrechtsaktivistinnen aus den 70ern, genauso wie die Frauen, die das Wahlrecht erkämpft haben. Wir stehen längst nicht mehr am Anfang, sondern es ist wie bei den Bildern. Es gibt eine Ikonografie, eine geistesgeschichtliche und politische Tradition. Einerseits beruhigend, andererseits niederschmetternd, wenn man sieht, wie lange solche Prozesse brauchen. Es ist aber ermutigend, zu sehen, dass es eine große Verbindungslinie gibt, zu der man sich dazugehörig fühlt.

Fotograf mit Fragen: Sie haben ja selbst einmal ein Kunstprojekt initiiert. Welche Erfahrungen haben Sie da gemacht?

Saralisa Volm: Wir haben eine Ausstellung gemacht, die ich mit kuratiert habe. Dabei ging es um Mutterrollen im Bild. Es war krass, wie wenig Beispiele man findet für andere Darstellungen der Rolle der Mutter in der zeitgenössischen Kunst. Es hat zwei Jahre gedauert, bis wir da eine Ausstellung zusammen hatten. Wäre es uns um ein idealisiertes Mutterbild gegangen, wären wir schneller zum Punkt gekommen. Aber es war wichtig, dass wir das getan haben.

Fotograf mit Fragen: Erlauben Sie ihren Kindern Tik Tok und Instagram?

Saralisa Volm: Der Punkt ist ja erstmal, was man auf Instagram macht. Wie in der realen Welt auch, tummelt sich dort ja alles, was es so gibt. In dem, was ich mir auf Instagram anschaue, spielt das eine untergeordnete Rolle, denn ich folge keinen Fitness- oder Fashion-Influencern. Natürlich erlaube ich auch meinen Kindern eine strukturierte Mediennutzung. Da gibt es auch öfters mal Streit, aber da muss man sich überlegen, was schauen die sich an, was interessiert die. Ich verbiete meinen Kindern ja auch nicht, über die Straße zu gehen und die Werbung an den Litfasssäulen zu sehen. Es ist Teil unserer Realität, dass wir Social Media und moderne Medien haben. Es kommt darauf an, wie wir damit umgehen. Das ist eine der größten Herausforderungen, vor denen wir stehen. Wir sollten es nicht so sehen als etwas, das uns mit Informationen überschwemmt, sondern wir können da selbst Informationen reingeben und kuratieren. In meinem Instagram-Account werden sehr viele Fragen zum Thema politische Gerechtigkeit verhandelt und es geht um Kunst und um Film. Ich finde, es ist ein phantastisches Tool.

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