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Wie eine Pflicht-Radfahrt in der Führerscheinausbildung den Verkehr sicherer machen könnte
Warum in der Fahrschule eine Stunde auf dem Fahrrad Pflicht sein sollte
Weniger Konflikte, weniger Unfälle, mehr Verständnis füreinander: wie eine kleine Änderung in der Führerschein-Ausbildung den Straßenverkehr sicherer machen könnte. Die Mobilitätskolumne.

Manchmal fühlt sich mein Leben aufregender an, als mir lieb ist. Immer dann nämlich, wenn ich mit dem Rad im Straßenverkehr unterwegs bin.
Wird das Auto, dessen Motor ich gerade hinter mir aufbrummen höre, mich gleich viel zu knapp überholen? Wird jemand die Tür eines der hier rechts geparkten Autos aufreißen und mich zu Sturz bringen? Wenn ich jetzt etwas weiter links fahre, um diesem Risiko zu entgehen: Werde ich dann gleich angehupt und bei nächster Gelegenheit geschnitten oder beschimpft?
Wird die Person, die gerade von links mit unvermindertem Tempo auf mich zurast, noch bremsen, oder verzichte ich besser auf meinen Vorrang, wenn mir mein Leben lieb ist? Wird mich vor der Bäckerei ein „nur für fünf Minuten“ auf dem Radstreifen geparktes Auto zu einem Ausweichmanöver auf eine vielbefahrene Fahrspur zwingen? Und wenn ja, werden die Autofahrenden dahinter das rechtzeitig mitbekommen?
Dass die alltägliche Fortbewegung nicht nur für mich, sondern für Radfahrende fast überall in Europa mit so viel unerfreulichem Nervenkitzel verbunden ist, liegt zum Teil an schlechter Infrastruktur. Es liegt aber auch am Verhalten anderer Verkehrsteilnehmer*innen – und zwar insbesondere dem von Autofahrenden. Klar, auch Fußgänger*innen und Radfahrende verhalten sich manchmal rücksichtslos. Nur steuern die nun mal kein 1.500-Kilo-Gefährt, das mich jederzeit schwer verletzen kann.
Ein Parkplatz, ein Hometrainer – eine Lösung?
Warum also überholen zum Beispiel die meisten Autolenker*innen Radfahrende viel zu knapp? Das ist ja nicht nur mein subjektiver Eindruck, sondern durch diverse Studien belegt.
Ich vermute: Vielen Autofahrenden ist schlicht nicht klar, wie sehr sie Radfahrende durch solches Verhalten bedrängen und gefährden.
Wie lässt sich dem entgegentreten?
Einen ungewöhnlichen Ansatz zeigt ein Video aus der mexikanischen Stadt San Luís Potosí: Auf einem Parkplatz treten Männer auf einem Standfahrrad in die Pedale, während ein gelber Bus knapp neben ihnen vorbeifährt. Das Video entstand bei einem Workshop der Stadtverwaltung, der Buslenker*innen für die Perspektive von Radfahrenden und Fußgänger*innen sensibilisieren soll. In der Fahrrad-Community wird es immer wieder gepostet, mit Kommentaren wie „Das brauchen wir hier auch!“
Dem stimme ich zu – aber ich würde noch weiter gehen.
Die Auto-Perspektive kennen alle, die Fahrrad-Perspektive nicht
Als ich den Führerschein gemacht habe, musste ich in der Ausbildung einmal bei Nacht und einmal auf einer Autobahn fahren. In Zeiten, in denen Städte und Gemeinden eine Mobilitätswende und einen höheren Radverkehrsanteil anstreben, braucht es analog dazu auch eine verpflichtende Radfahrt in der Führerschein-Ausbildung.
Hierzulande wissen fast alle Menschen, wie sich der Straßenverkehr aus der Auto-Perspektive anfühlt: Die große Mehrheit der Erwachsenen hat den Führerschein, und selbst wer keinen hat, fährt hin und wieder in einem Auto mit. Zu Fuß unterwegs sind auch alle manchmal, zumindest für kurze Strecken. Die Fahrrad-Perspektive hingegen kennen längst nicht alle.
Ich bin sicher: Wüssten alle Autofahrenden, wie sich der alltägliche Straßenverkehr aus der Fahrrad-Perspektive anfühlt, gäbe es weniger Konflikte und weniger Unfälle zwischen Auto- und Radfahrenden.
Klar, es gibt Menschen, die aus körperlichen Gründen kein herkömmliches Fahrrad fahren können. Sie könnten die Radfahrt auf E-Bikes, Spezialfahrrädern oder als Passagier*innen eines Transportrads absolvieren.
Seit 40 Jahren den Führerschein – und völlig falsch informiert
Ein Anfang wäre schon mal gemacht, wenn zumindest alle Autolenkenden die Verkehrsregeln für den Radverkehr kennen müssten.
In Hamburg habe ich einmal einen Autofahrer, der mich mit einem ultraknappen Überholmanöver fast zu Sturz gebracht hätte, ein paar Meter weiter an der roten Ampel angesprochen. Er erklärte mir allen Ernstes, ich hätte auf der Straße nichts verloren, sondern müsse auf dem Gehsteig fahren. Dass Letzteres sogar verboten ist, glaubte er mir nicht. Sein ultimatives „Argument“: „Ich habe seit 40 Jahren den Führerschein!“
Eine Kollegin aus Norddeutschland hat mir kürzlich erzählt, ihre beiden Kinder hätten gerade erst den Führerschein gemacht – und im Kurs nichts vom seit immerhin fünf Jahren geltenden Mindestabstand beim Überholen von Radfahrenden gehört. Mir macht das Angst. So wird sich nie etwas ändern.
Ich finde, in der Fahrschule muss besprochen werden, welche Regeln für Radfahrende gelten und wie sich Autolenkende ihnen gegenüber richtig verhalten. Es braucht regelmäßige Auffrischungen, damit Autofahrende die aktuellen Verkehrsregeln und nicht nur die von vor 40 Jahren kennen. Bewusstseins-Kampagnen der Behörden zu Verkehrsregeln mit Fahrrad-Bezug müssen sich ebenso an Auto- wie an Radfahrende richten; Medienberichte ebenso.
Und dann: Bitte die verpflichtende Fahrradfahrt in die Führerschein-Ausbildung.
Dieser Text gehört zu einer regelmäßigen Kolumne des Recherche-Kollektivs Busy Streets. Weitere Mobilitätskolumnen finden sie hier.