Die Jungfrau vom Filstal: Ein Fels für Freaks der Einsamkeit. Und ein Bad für schwere Beine

Von den Westalpen nach Württemberg. Die Schweizer Jungfrau-Region ist überlaufen und teuer. An der Jungfrau von Überkingen hingegen genießt man einsame Felssteige und kann sich talwärts im Thermalbad aalen.

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Helle Kalkfelsen schimmern in einer Steilwand zwischen Bäumen in bunter Herbsttracht hindurch.

Im Berner Oberland, am Bergtrio bestehend aus Eiger, Mönch und Jungfrau scheint Europas gebirgigstes Land seine Superlative noch einmal steigern zu wollen. Noch aberwitzigere Bergbahnen, noch mehr Viertausender-Gipfel, noch mehr Touristen. Und Höchstpreise natürlich, immer schon.

Mit einem Sparpreis-Ticket, wenig teurer als ein dürftiger Imbissteller hoch oben auf dem Jungfraujoch kosten würde, fahre ich zurück nach Bayern. Beseelt von der grandiosen zurückliegenden Gipfelwelt, ergebe ich mich klaglos der Morbidität deutscher Schienenstrecken: Weil die Zugtrasse gen München repariert werden muss, muss ich über Stuttgart ausweichen.

Rund eine Stunde vorm Umsteigehalt dort beginnt die WLAN-Verbindung zu funktionieren; endlich kann ich recherchieren, wie die Schweizer Jungfrau zu ihrem zauberhaften Bergnamen kam. Ich tippe auf Drachenblut, Hexenritt und heroische Taten, bin jedoch einigermaßen enttäuscht, als ich herausfinde: Der Gipfel ist aber nur nach dem (Jung-)Frauenkloster benannt, dem bis ins 16. Jahrhundert die Alm auf der dem Aletschgletscher abgewandten Bergseite gehörte.

Anders als der Altschnee auf dem Hitze-gebeutelten Aletschgletscher (südlich der Jungfrau) gehen Internet-Suchtouren selten auf schnelle Art zu Ende. Bergsteigerische Wissbegierde treibt mich von der Suchkombination „Jungfrau Schweiz“ zu „Jungfrau Deutschland“.

Rasch trachte ich danach, die Ergebnisse vor meiner in Karlsruhe zugestiegenen Sitznachbarin zu verbergen. Denn die Trefferliste offeriert mir eine höchst peinliche Mischung aus Sex- und Sterndeutungs-Optionen.

Noch bevor mir Schamesröte ins Gesicht steigen kann, meldet sich die Nachbarin in schwäbischem Singsang zu Wort:

Übersichtskarte Süddeutschland.
Der Jungfaufels ragt östlich von Stuttgart im unteren Filstal auf; nächstgelegener Bahnhalt ist Geislingen an der Steige.

Bisher erschienen in der Serie „Alpen-Miniaturen“:

Baden-Württemberg geizt nicht mit Jungfrauen

Als mein Zug hinterm badischen Bruchsal erneut Fahrt aufnimmt, um bald die württembergische Metropole zu erreichen, klärt mich „meine Bahn-Begleiterin“ kundig über die ihr Bundesland betreffenden Suchergebnisse auf:

Die drei oberrheinischen Jungfrauen, die seien nicht aus Stein, sondern aus Holz; es handle sich um Altar-Schnitzereien am Schwarzwaldrand. Die Steinernen Jungfrauen? Diese ragten nördlich von Ulm in den Himmel – recht bizarr ragten die in die Landschaft. Die Jungfrau vom Filstal schließlich, westlich von Ulm gelegen:

Des isch ned so a Ausflugszihl, abr unte, im Tal, do gibt’s a feins Thermalbad!

Buntes Landschaftsschema aus Papier, flankiert von Messer und Gabel aus Metall.
Eine prä-kulinarische Schau auf die Jungfrau-Region – unterbreitet vom Tischset in der Gspaltenhornhütte des Schweizer Alpen-Clubs.
Inmitten leuchtenden Grüns und flankiert von dunklen, bewaldeten Berghängen liegt ein Ort inmitten eines weiten Tales.
Blick aufs untere Filstal und den sogenannten Alb-Trauf – den Nordrand der schwäbischen Alb; die hier abgebildete Gemeinde Hausen gehört zu Bad Überkingen, das unterhalb vom Jungfraufels liegt, von dem aus die Aufnahme entstand.
Vor einem in steilem Eis stehenden Sérac steht eine für Gletscherverhältnisse eher leicht bekleidete, angeseilte Hochtouren-Geherin.
Die Jungfrau der Westalpen (4.158 Meter) lässt sich als kundige, akklimatisierte und Steigeisen-bewehrte Gletscher-Geherin relativ leicht besteigen – verglichen mit anderen Viertausender-Gipfeln des Berner Oberlandes.
Felsüberhang mit herbstlichen Bäumen im Hintergrund.
Um vom Wandfuß den Gipfel des württembergischen Jungfraufelses zu erreichen (720 Meter), muss man sich mit Überhängen auskennen.
Offizielles Naturschutzgebiets-Schild, grün umrandetes auf dem Kopf stehendes Dreieck mit dem Schema eines Weißkopfseeadlers, umrahmt von sich herbstlich verfärbenden Eichenblättern.
Fast der gesamte Rand des Plateaus, auf dem Überkingens Ortsteil Oberböhringen liegt und unterhalb dessen der Jungfraufels ins Filstal blickt, steht unter Naturschutz.
Blech-bemützter Holzpflock, dessen weißes Schild mit dem roten Ypsilon sowie der blauen Inschrift „Albtrauf-Runde“ versehen ist.
Das gekippte rote Ypsilon markiert die vom Schwäbischen Albverein konzipierte Albtrauf-Runde. Plastische Eindrücke davon, was die „Traufe“ der Schwäbischen Alb geomorphologisch ausmacht, gibt das Titelbild des vorliegenden Beitrags.
Helle Kalkfelsen schimmern in einer Steilwand zwischen Bäumen in bunter Herbsttracht hindurch.
Den besten Blick auf die Felsen über Bad Überkingen gibt es von der sogenannten Boller Steige. Diese liegt zwischen dem Kloster Ave Maria und Aufhausen.