Gentechnik: Die Kontrolleurin gibt auf

Europa hat strenge Regeln für Gentechnik in Lebensmitteln. Andere Länder handhaben das lockerer. Die EU kann nicht kontrollieren, ob jemand schummelt. Ein Zukunftsszenario.

vom Recherche-Kollektiv die ZukunftsReporter:
12 Minuten
Die Zeichnung zeigt die Kontrolle von Lebensmitteln auf Gentechnik. Ein e Kontrolleurin lehnt den Import eines Containers mit Hänchen ab,

Stellen wir uns einmal vor, die Genschere Crispr-Cas setzt sich weltweit in der Landwirtschaft durch, auf dem Acker und auch im Stall. Nur die Europäer bewahren ihre ablehnende Haltung gegen den Einsatz von Gentechnik bei Lebensmitteln. Es wird nicht leicht werden, diese strengen Regeln jeden Tag durchzuhalten. Möglichkeiten zur Kontrolle fehlen, in Europa werden sie bisher nur unzureichend entwickelt. Ein Zukunftsszenario der ZukunftsReporter.

An manchen Tagen hasst Claudia Grothe ihren Job. Heute ist einer davon. Neben der Lebensmittelkontrolleurin steht ein chinesischer Schiffsoffizier, der mit den Dokumenten in seiner Hand wedelt und in gebrochenem Deutsch auf sie einredet. Doch Claudia Grothe lässt sich nicht beirren. Die vier Container mit Suppenhühnern aus China müssen entsorgt werden. Das Produkt ist für den europäischen Markt nicht zugelassen. Der Offizier zeigt noch einmal auf das Haltbarkeitsdatum, auf das Zertifikat der chinesischen Behörden und das Gütesiegel, das die makellose Kühlkette garantiert. Grothe hört die Kühlaggregate am Container brummen, doch deswegen kann sie keine Ausnahme machen. Sie kennt das Emblem der chinesischen Firma, das auf den Frachtpapieren prangt. Das Unternehmen ist bekannt dafür, dass es Gentechnik anwendet, und ihr Gegenüber kann das Gegenteil nicht nachweisen. Deshalb schüttelt Grothe mit dem Kopf. „Sorry, it‘s genetically modified food, not allowed in Germany“, sagt sie auf Englisch, als ob der Wechsel zu einer anderen Sprache bei ihrem Gegenüber mehr Verständnis erzeugen würde.

Verständnis finden ihre Entscheidungen ohnehin nie. Der Offizier muss die Container zurück auf das Schiff nehmen, sonst wird die Kontrolleurin die Fracht zur Müllverbrennung bringen lassen. Deshalb hasst Claudia Grothe ihren Job: Wer will schon dafür verantwortlich sein, dass 80 Tonnen frische Suppenhühner auf dem Müll landen? Ihr Gegenüber hat verstanden, dass sie sich nicht einschüchtern lässt. Er gibt ein Kommando, das Grothe schon kennt. Ein Kran greift die Container und stellt sie zurück aufs Schiff. „Russland“, sagt der Chinese noch, bevor er sich abwendet. Er wird das Fleisch in Russland verkaufen, denn dort ist die Schiffsladung willkommen.

Seit China wie fast alle anderen Exportnationen die Lebensmittelproduktion für Gentechnik geöffnet hat, ist der Job im Hafen für die Kontrolleure noch härter geworden. Die Suppenhühner aus den chinesischen Legebetrieben wurden normal gefüttert und trotzdem fallen sie unter die strenge Gentechnikregelung der EU. Denn das Erbgut der Hennen, die die Eier legten, aus denen die Hühnchen schlüpften, wurde verändert. Dadurch können Eier mit männlichem Nachwuchs aussortiert werden, bevor er geschlüpft ist. So verhindern die Chinesen, dass Millionen männliche Küken lebendig geschreddert werden, nur weil ein Legehennenbetrieb mit ihnen nichts anfangen kann. Mit der Genschere Crispr-Cas sind solche Manipulationen einfach geworden. Europa lehnt diese Form der Gentechnik ab, so wie auch Pflanzen nicht mit Gentechnik gezüchtet werden dürfen. 150 Kontrolleure untersuchen seitdem allein am Hamburger Hafen die Ladung der Frachtschiffe auf illegale Einfuhren.

Claudia Grothe macht diesen Job seit drei Jahren, doch sie wird kündigen, denn sie empfindet die Tätigkeit als nutzlos. Gestern hat sie zehn Container mit Schnittblumen beschlagnahmt, deren spezielle Farbgebung durch Gentechnik entstanden ist. Die Behörde kann angesichts der Umsätze des Hafens nur Stichproben machen. Für jeden Container, den Claudia Grothe öffnet, gehen 200 Container ohne Kontrollen durch das Hafenterminal. Und wenn die Produkte erst einmal im Handel sind, kann niemand mehr nachhalten, ob sie mit Gentechnik produziert wurden oder nicht. Das Risiko für die Händler ist gering. Seitdem eine Überwachungsbehörde vor Gericht gescheitert ist, weil ihr Gutachter die genetische Veränderung im Produkt nicht nachweisen konnte, sind die Händler immer dreister geworden. Die Genschere Crispr-Cas hat den Kontrollen das Rückgrat gebrochen. Sie erlaubt, dass Pflanzen und Tiere gentechnisch verändert werden, ohne dass jemand im Produkt sehen kann, ob die Manipulation natürlich entstanden oder durch die Genschere hergestellt wurde.

Ob Obst, Gemüse oder Getreide – fast alle Produkte auf dem Weltmarkt sind mittlerweile gentechnisch verändert. Grothe kann nicht sagen, ob die notwendige Anpassung an den Klimawandel der wirkliche Grund war, warum die Züchter so schnell umgestellt haben. Die Wärme und die Dürre hatten die Erträge der gewöhnlichen Getreidearten verringert. Vielleicht war es auch einfach nur die größere Gewinnspanne. Viele Supermarktketten bieten inzwischen offensiv Obst, Fleisch und Gemüse aus europäischer Produktion an. Das soll frei von Gentechnik sein, denn Europa hat immer wieder die Zulassung der GVO verweigert oder erschwert.