Weiter Weg zum europäischen Weltraum-Horchposten

Ingenieure nehmen bei Koblenz ein neues Weltraumradar in Betrieb, um damit Satelliten, ausgediente Raketenteile und andere Schrottteile zu überwachen. Doch die Daten dürfen vorerst nur Forscher in Deutschland nutzen.

vom Recherche-Kollektiv Die Weltraumreporter:
14 Minuten
Luftbild einer grünen Hügellandschaft, auf die mit Tiefladern gerade zwei weiße Container und zwei weiße Kuppeln gebracht werden.

„Die schießen damit Satelliten vom Himmel“, sagt der Taxifahrer zu Beginn meiner Recherchereise. Ich bin im August 2015 auf dem Weg zu einem Institut, an das man kaum anders gelangen kann als mit einem Auto. Das Taxi steuert auf das Forschungszentrum zu, in der Voreifel südlich von Bonn. Auf einem Hügel krönt das weltweit größte Radom, ein 50 Jahre alter und 49 Meter großer Golfball, der auf einem dreigeschossigen runden Gebäude aufsitzt. Die weiße Hülle verbirgt also keine Laserkanone vor neugierigen Blicken – wie der Taxifahrer glaubt –, sondern die Starkstromtechnik eines Weltraumradars vor Wind und Wetter.

Doch wegen des Golfballs bin ich eigentlich gar nicht hierher gekommen. Vor allem komme ich wegen eines nagelneuen und viel kleineren Weltraumradars, das gerade erst entworfen wird. Ich bin gekommen, mehr über das German Experimental Space Surveillance and Tracking Radar, kurz Gestra, zu erfahren. Entwickelt hat es das Fraunhofer-Institut für Hochfrequenzphysik und Radartechnik in Wachtberg.

Gestra soll die Arbeit des Radars unter dem gewaltigen Golfball ergänzen, aber zu sehen gibt es für mich noch nichts. 2015 werde ich stattdessen in das alte Radomgebäude geführt. Die Kuppel ist gerade grunderneuert worden und gehört zum Imaging and Tracking Radar, kurz Tira. Was den Taxifahrer wohl misstrauisch gemacht hat, ist seine militärisch geprägte Vergangenheit: Unter der wasserdichten Haut verbirgt sich ein 34 Meter großer Parabolspiegel, der als einer der schnellsten der Welt gilt. In nur 15 Sekunden dreht sich das Ungetüm um sich selbst, um schnell vorbeiziehende Ziele beobachten zu können. Im Jahr 1970 Jahren hier aufgestellt, um frühzeitig Interkontinentalraketen zu erkennen, ging es bald zunehmend darum, Satelliten im All abzutasten und Bilder von ihnen zu machen. Nach dem Ende des Kalten Krieges kamen immer mehr zivile Aufgaben im niedrigen Erdorbit hinzu. Hier wurde die russische Raumstation Mir vor ihrem Wiedereintritt abgebildet, genauso wie der 2012 ausgefallene europäische Umweltsatellit Envisat oder die chinesische Station Tiangong-1. Als der japanische Satellit Adeos 1996 ausfiel, wies Tira nach, dass sein Solarpaneel abgerissen war.

Tira ist auch deshalb bis heute so beliebt, weil es im Orbit enger geworden ist. Alte Raketenstufen, ausgefallene Satelliten, von Astronauten verlorene Schraubenschlüssel kreisen dort, aber auch winzige zu Kugeln gefrorene Reste aus Treibstofftanks, geplatzten Batterien oder gar die Hinterlassenschaften getesteter Anti-Satelliten-Waffen. Das Büro für Weltraumrückstände der ESA schätzt, dass dort oben 34.000 Objekte in Handballgröße oder größer kreisen, fast eine Million haben die Größe eines Tischtennisballs. Und sie sind so schnell unterwegs, dass sie jederzeit einen Satelliten durchlöchern können.

Luftbild eines eingezeunten Geländes mit der Zufahrtsstraße. Auf dem Gelände steht die Radomkuppel Tira, die einem Golfball ähnelt. Vier Tieflader transportieren gerade jeweils zwei viel kleinere Kuppeln und zwei Container ab.
Ende Juni 2020 ist das neue Gestra-Radar aufgeladen und macht sich auf den Weg zu seinem Aufstellort.
Eine orange gepunktete Radaraufnahme vor schwarzem Grund, die entfernt an eine Raumstation erinnert. Es ist die chinesische Station Tiangong-1, aufgenommen vom Weltraumradar Tira.
Chinesische Raumstation Tiangong-1 im Radarbild des Tira-Weltraumradars
Auf einer Landstraße fahren Schwerlasttransporter. Im Vordergrund eine der weißen Kuppeln des Gestra-Radars, die die Ladefläche rund zwei Meter seitlich überragt.
Transport des Gestra-Radars auf die Schmidtenhöhe bei Koblenz

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