Kommunikation im Krisenmodus: Systemische Krisen brauchen sozial nachhaltige Antworten

Extremereignisse wie Pandemie, Extremwetter oder Energiekrise belasten unsere Gesellschaft. Wie Wissenschafts- und Klimakommunikation darauf reagieren kann, zeigte ein Expert:innen-Gespräch der Volkswagen-Stiftung in Hannover.

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Wissenschaftskommunikation konzentriert sich zunehmend nicht nur auf ökologische, sondern auch soziale Fragestellungen, um systemische Krisen nachhaltig anzugehen.

Systemische Krisen wie die Klimakrise, das Artensterben und Pandemien wirken sich nicht nur auf unsere wirtschaftlichen und finanziellen, gesundheitlichen und politischen Systeme aus, sondern auch auf unsere Gesellschaft als Ganzes. So rücken in der wissenschaftlichen Debatte zunehmend Fragen der gesellschaftlichen Resilienz und sozialen Nachhaltigkeit in den Mittelpunkt.

Wie soziale Nachhaltigkeit als Voraussetzung für gesellschaftlichen Veränderungswillen erreicht werden kann und welche Rolle Wissenschafts- und Klimakommunikation hierbei spielt, darüber sprachen Kommunikationsexpertin Prof. Dr. Cornelia Betsch, Soziologin Dr. Pia-Johanna Schweizer, Ökologe Prof. Dr. Markus Reichstein und Anthropogeograph Prof. Dr. Matthias Garschagen auf einer Veranstaltung der Volkswagen-Stiftung in Hannover. Moderiert wurde die Diskussion von der freien Journalistin Birgit Kolkmann.

Wissenskommunikation in Krisenzeiten

Für die Wissenschaftskommunikation bestehe die große Herausforderung darin, dass Krisen wie die Klimakrise, die Biodiversitätskrise und Pandemien stark zusammenhingen, erklärte Matthias Garschagen, der den Lehrstuhl für Anthropogeographie an der Ludwig-Maximilians-Universität München innehat. „Wir haben nicht mehr den Luxus, erst eine Krise anzugehen und dann die nächste.“ Es gelte die unterschiedlichen Realitäten anzuerkennen, um auch auf politischer Ebene schneller zu Lösungen zu kommen.

Während der Corona-Pandemie sei das Vertrauen in die Wissenschaft gestiegen, beobachtete Cornelia Betsch, Professorin für Gesundheitskommunikation und Direktorin des Institute for Planetary Health Behaviour an der Universität Erfurt. Wissenschaft und Politik hätten gelernt, mit Unsicherheiten verschiedener Szenarien umzugehen und dabei unterschiedliche Interessen zu integrieren. Dies sei ein „sehr großer Lernerfolg“.

Pia-Johanna Schweizer, Forschungsgruppenleiterin Systemische Risiken am Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit in Potsdam, drückte die Hoffnung aus, dass bei künftigen Herausforderungen schneller Diskrepanzen zwischen wissenschaftlichen Empfehlungen, die Teilaspekte betreffen, sowie den komplexen Lebensrealitäten in der Gesellschaft geschlossen werden. Um die verschiedenen Krisen zu bewältigen, brauche es eine gezieltere Kommunikation.

Als positives Beispiel für schnelles Lernen und Handeln in der Vergangenheit führte Markus Reichstein, Direktor der Abteilung Biogeochemische Integration am Max-Planck-Institut für Biogeochemie, die Hitzewelle im Jahr 2003 an, die in Frankreich zu über 10.000 Hitzetoten führte. Dort habe man rasch einen nationalen Hitzeschutzplan aufgestellt und sich erfolgreich angepasst. Auch beim Waldsterben und Ozonloch habe die Politik wissenschaftliche Erkenntnisse erfolgreich genutzt, um negative Entwicklungen zu stoppen.

Die Herausforderungen der Corona-Pandemie mit ihren systemischen Auswirkungen seien allerdings „sehr viel komplizierter“ gewesen. Es gehe daher jetzt auch darum, systemische Risiken in systemische Chancen zu verwandeln. Beispielsweise stelle sich die Frage, wie sich mit innovativen Technologien wie etwa Solaranlagen positive Dynamiken entwickeln lassen. Schon jetzt sei in vielen Ländern Photovoltaik die wirtschaftlichste Stromerzeugung.

Wissensintegration durch Partizipation

Schweizer machte darauf aufmerksam, dass es in Polykrisen darum gehe, gesellschaftliche Resilienz aufzubauen. Dazu müsse man klären, was dies konkret bedeute: „Wie sieht denn die Vorstellung des guten Lebens in der Bevölkerung aus?“ Die Antworten darauf seien je nach Bevölkerungsgruppe unterschiedlich. Dabei gehe es auch darum, bereits formulierte Ziele wie die globalen Nachhaltigkeitsziele (Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen, kurz SDGs) mit konkreten Umsetzungen in spezifischen Kontexten mit Leben zu füllen. In lokalen Beteiligungsprojekten etwa zu Flutfolgen könne man Handlungsfähigkeiten in der Bevölkerung aufbauen.

In der Klimakrise gelte es Anpassungsziele zu formulieren, konkretisierte Garschagen. Es werde „sehr schmerzhaft“ sich als Gesellschaft einzugestehen, dass der Status Quo auch beim Erreichen des 1,5-Grad-Ziels nicht bewahrt werde. Für Ereignisse wie Hitzewellen könne man die Eintrittswahrscheinlichkeiten inzwischen gut ausrechnen. Aber es sei für die Wissenschaft noch immer eine Herausforderung die Risiken auf das einzelne Haus oder Grundstück herunterzubrechen. Ziel sei es, dazu hochaufgelöste Klimamodelle mit sehr hochaufgelösten Klimafernerkundungsdaten zusammenzubringen. Wenn das gelingt, „wird das auch Einfluss auf Grundstückswerte und Investitionen haben“, zeigte sich der Anthropogeograph sicher.

Die regionalen, global ungleich verteilten Klimafolgen aufzuzeigen sei ein „wichtiger Meilenstein“, ergänzte Schweizer. Die große Herausforderung bestehe darin, die unterschiedlichen Lektionen zu lernen und zusammenzuführen. Dabei gelte es Risikopartizipation und Risikokommunikation so zu gestalten, dass verschiedene Wissensbestände integriert werden können.

Als positives Beispiel der Wissensintegration führte Betsch die Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit an, die ganz unterschiedliche Aspekte angehe, angefangen bei der Gesundheitsversorgung über den Energieverbrauch bis hin zur Müllproduktion von Gesundheitseinrichtungen. „Die Kraft der vielen wird jetzt etwas bewirken“, zeigte sie sich überzeugt. Auch auf internationaler Ebene sei das Thema inzwischen präsent.

Staatliches und individuelles Handeln

Staatliches und individuelles Handeln sollte nach Vorstellung der Expert:innen Hand in Hand gehen: Reichstein betonte, dass Deutschland zeigen könne wie man innovativen Klimaschutz betreiben, Arbeitsplätze schaffen und als Standort attraktiv werden könne. Deutschland könne auch andere Länder mit Erfolgsbeispielen mitziehen. Die öffentliche Hand könne hier stärker eine aktivierende Rolle einnehmen, mahnte Garschagen an.

Auch Einzelne könnten zur notwendigen gesellschaftlichen Veränderung beitragen, so Reichstein, beispielsweise mit einer Ernährungsumstellung hin zu einem deutlich geringeren Fleischkonsum – etwa wie früher nur am Sonntag. Mit einer pflanzenbasierten Ernährung könne die Erderwärmung um 0,5 Grad gesenkt werden. Garschagen ergänzte dazu, dass im Zuge einer pflanzenbasierten Ernährung auch große Landflächen, die bisher für die Futtermittelproduktion benötigt wurden, für Wiederaufforstung oder Agroforste freigesetzt werden könnten.

Die Kommunikationsexpertin Betsch verwies darauf, dass man einen reduzierten Fleischkonsum erleichtern könne, indem man die Umgebung entsprechend verändere, etwa durch andere Speisekarten – Stichwort Nudging. Dabei warnte sie davor, dass Verzichtsdebatten etwa zu Ernährung, Energie und Mobilität nicht zu den notwendigen Veränderungen führen würden. Positive Visionen und konkrete Lösungsbeispiele seien wichtig, um diese zu skalieren.

Wie Klimakommunikation gelingen kann

Eine Folge der Corona-Pandemie sei, so Betsch, dass die Menschen müde seien, dystopische Geschichten aufzunehmen: „Wir sind an einem Zeitpunkt, an dem wir uns damit beschäftigen müssen, wie wir als Gesellschaft zusammenkommen können.“ Was jetzt fehle, sei die Entwicklung einer gemeinsamen positiven Vision. Dabei könne Popkultur helfen. Überdies sei der interpersonelle Dialog, also der Dialog von Mensch zu Mensch, entscheidend. Soziale Normen orientierten sich danach, was die anderen machen. Hinter Ablehnung stecke auch Angst, der man im Zuhören begegnen könne.

Reichstein sieht „ein großes Problem“ der aktuellen Klimakommunikation darin, dass sie große Teile der Bevölkerung nicht erreiche. Eine ähnliche Problemlage habe sich auch in der Corona-Pandemie gezeigt. Zum einen stelle sich die Frage, welche positiven Anreize gesetzt werden können, um die Veränderungsbereitschaft zu erhöhen. Zum anderen gehe es auch darum, wie man das Thema der sozialen Gerechtigkeit adressiere, was zuletzt in der Debatte um das Heizungsgesetz nicht geklappt habe. Die Akzeptanz für finanzielle Einschnitte wäre höher, wenn diese „in einer als fair wahrgenommenen Art und Weise für alle“ erfolgen würden. Das eigentliche Thema sei daher, „wie wir einen gesellschaftlichen Konsens über Blasen hinweg kriegen“, um bestimmte Klimaschutzmaßnahmen auch mutiger durchzusetzen.

Man werde nicht umhinkommen, bei Klimaschutz- und -anpassungsmaßnahmen auch in den Immobilienbestand hineinzugehen, führte Garschagen weiter die Überlegungen zur Heizdebatte aus. Bei der Sanierung öffentlicher Gebäude könne die öffentliche Hand vorangehen. Um mehr Bewegung zu erzielen, müsse man aber auch in bestimmte, auch Lobby-getriebene Kommunikationsblasen „stechen“. „Das kritische Element ist die Zeit: Wir spazieren so vor uns hin, wir sollten eigentlich rennen, weil wir Angst um unser Leben haben. Das verstehen wir noch nicht so richtig“, sagte der Geograph.

Der Blick auf den Nachbarn: Fragen zur sozialen Nachhaltigkeit

Schweizer verwies auf die Arbeiten von Elinor Ostrom zur Allmende-Problematik. Sie hätten gezeigt, dass dort, wo Menschen sich begegnen, Verantwortlichkeit und Zurechenbarkeit von verschiedenen Maßnahmen auch getroffen werden können. Der Blick auf den Nachbarn befördere den Willen, beispielsweise ebenfalls eine Solaranlage oder eine Wärmepumpe zu installieren. Damit gehe es in der Debatte nicht nur um ökologische, sondern auch um soziale Nachhaltigkeit.

Das Entscheidende sei, so stimmte Reichstein zu, wie mit solchen selbstverstärkenden Dynamiken sogenannte „soziale Kipppunkte“ zum Positiven erreicht werden könnten. „Soziales Lernen“ in der Klimawandelminderung und -anpassung, ergänzte Garschagen, sei einer der großen Hebel in der Großen Transformation, da künftig vieles fundamental anders gemacht werden müsse als bisher. Daher müsse das soziale Lernen künftig noch sehr viel stärker gezielt gefördert werden. Was unter Nachbar:innen klappe, würde auch unter Ländern funktionieren.

Es gebe allerdings in der Gesellschaft „ein großes systemisches Risiko“, so Garschagen: Er sorge sich, dass man es nicht schaffe „systemisch als Gesellschaft am gleichen Strang in die richtige Richtung zu ziehen“. Der Konsensus hin zur Mitte, der Nachkriegsdeutschland ausgezeichnet habe, schwinde nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Ländern. An Reichstein gerichtet sagte er, die Herausforderung durch multiple Krisen sei weniger als systemische Chance, denn als Weckruf wahrzunehmen.

Dieser Veranstaltungsbericht wurde im Auftrag der VolkswagenStiftung erstellt.

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