Ungenügender Hochwasserschutz: „Diese Kultur des Risikobewusstseins haben wir hierzulande nicht“

Die Ökologin Sonja Jähnig vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei spricht im Interview mit RiffReporter über den aktuellen Stand von Hochwasserschutz-Maßnahmen - und dem fehlenden Willen, Hochwasserschutz und Gewässerschutz als wichtige, große Aufgabe zu begreifen.

vom Recherche-Kollektiv Klima & Wandel:
5 Minuten
Halbtotale: Hochwasser im Rhein im Mai 2024. Ein  angeschlossenes Fahrrad steht an einem Geländer - umgeben vom Rheinwasser.

Ganz grundsätzlich: Welche Art Maßnahmen werden im Hochwasserschutz eingesetzt?

Man unterscheidet zwischen technischem und naturbasiertem Hochwasserschutz. Zum technischen Hochwasserschutz gehören Bauwerke entlang des Gewässers wie Deiche. Der naturbasierte Hochwasserschutz arbeitet mit dem, was die Natur bereitstellen kann. Wir versuchen den Flüssen mehr Raum in ihren natürlichen Überschwemmungsgebieten zu geben, etwa über den Anschluss von Auen und die Bereitstellung von anderen Flächen, die überflutet werden können. Dazu gehört auch, Böden zu entsiegeln, um urbane Räume Richtung Schwammstadt zu entwickeln.

Wie ist es aktuell um den naturbasierten Hochwasserschutz in Deutschland bestellt?

Nach den großen Hochwasserschäden des Jahres 2013 hatten Bund und Länder ein Nationales Hochwasserschutzprogramm (NHWSP) beschlossen, um den natürlichen Hochwasserrückhalt zu koordinieren und zu beschleunigen. Damit könnten die Hochwasserstände auf weiten Strecken um 10 bis 50 cm gesenkt werden. Hauptsächlich wurden aber leider technische Lösungen geplant. Der Hochwasserschutz soll zu zwei Dritteln durch neue Polder und nur zu einem Drittel durch naturnahen Hochwasserrückhalt wie Deichrückverlegungen erreicht werden. Naturnahe Maßnahmen dürften aber nachhaltiger und langfristig wirtschaftlich effizienter sein.

Das ist mehr als zehn Jahre her. Wie viel von dem, was auf dem NHWSP-Papier steht, ist bereits umgesetzt?

Es geht leider nur sehr zögerlich voran. Von den 168 raumbedeutsamen Teil- und Einzelmaßnahmen des NHWSP befinden sich 66 in der Konzeptionsphase (39 Prozent), 46 (27 Prozent) sind in der Vorplanung, 18 (11 Prozent) in der Genehmigungs- bzw. Vergabephase und 26 (15 Prozent) in der Bauphase (LAWA 2023). Es sind sehr wenige, die aktuell umgesetzt werden.

Potraitaufnahme von Sonja Jähnig mit weißer Bluse und grau-kleinkariertem Blazer.
„Die Kommunikation müsste hin zur Frage, welche Chancen mit Blick auf Hochwasser bestehen“, fordert Ökologin Sonja Jähnig vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei.
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