Expertengruppe hält Forschung mit Hirnorganoiden für ethisch verantwortbar

Künstliches Hirngewebe aus dem Labor kann weder denken noch lernen und entwickelt kein Bewusstsein. Aber Forschende können damit Krankheiten simulieren und die Entwicklung des Gehirns studieren. Seit zehn Jahren liefern diese Hirnorganoide neue Erkenntnisse. Die Leopoldina sieht keinen Grund, die Forschung zu begrenzen.

vom Recherche-Kollektiv die ZukunftsReporter:
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In einer Petrischale (flaches Glasgefäß mit Glasdeckel) schwimmen winzige Hirnorganoide in einer Nährlösung.

Die Wissenschaft stellt den Menschen ständig neue, unbequeme Fragen, zum Beispiel diese: Dürfen Forscher im Labor Nervengewebe züchten, wie es auch im menschlichen Gehirn vorkommt? Dieser Gedanke erzeuge zunächst gruselige Assoziationen, sagt Bettina Schöne-Seifert. „Aber ich bin der festen Überzeugung, dass man sich über diese Entwicklung freuen sollte“, ergänzt die Professorin für Ethik der Medizin in Münster. Man könne damit mehr Licht in schwierige und schwer zugängliche Gebiete der Gehirnforschung bringen und beispielsweise die Entstehung von neurodegenerativen und psychiatrischen Erkrankungen untersuchen. Schöne-Seifert gehört zu den AutorInnen einer Stellungnahme der Akademien der Wissenschaften Leopoldina zur Forschung am Gehirn.

Erstes Hirnorganoid 2013 erzeugt

Vor zehn bis 15 Jahren klang der Gedanke, dass menschliche Gehirnzellen im Labor wachsen können, nach einer verrückten Idee. Im Sommer 2013 präsentierte dann der Wiener Stammzellforscher Jürgen Knoblich die ersten Hirnorganoide. In dieser Zeit formte sich ein neuer Begriff in der biologischen Forschung: Organoide. Er bezeichnet dreidimensionale Gewebestrukturen, die durch Umwandlung von Stammzellen entstehen und außerhalb des menschlichen Körpers gezüchtet werden. Die Forschenden waren fasziniert, denn Organoide entwickeln selbstgesteuert die typische Anordnung der Zellen eines Organs, teilweise können sie auch deren Funktion im Körper imitieren. Organoide gibt es inzwischen für fast alle Gewebetypen des Menschen.

„Es ist eine revolutionäre Methode, die völlig neue Ansätze für die Forschung eröffnet“, sagt Jürgen Knoblich. Heute verwenden hunderte Labors weltweit Hirnorganoide als Modellsystem für Krankheiten, zum Test von Medikamenten oder sie erforschen, wie sich das Gehirn eines Menschen entwickelt.

Die Hirnorganoide bilden zwar die wichtigsten Zelltypen: Neuronen und Gliazellen, aber dennoch ist der etwa erbsengroße Zellhaufen sehr weit von einem menschlichen Gehirn entfernt. Es sind keine Mini-Gehirne. Sie können weder ein Bewusstsein entwickeln noch können sie in irgendeiner Form denken, lernen, empfinden oder erinnern. Im Labor fehlen dem Zellverbund Blutgefäße. Er wird schlecht mit Nährstoffen versorgt, manche Bereiche sterben deshalb ab. Wenn die Organoide mehrere Monate oder Jahre alt werden, verlieren sie zunehmend die Ähnlichkeit mit einem Gehirn.

Graues Foto vom Elektronenmikroskop: Eine Aufnahme eines Hirn-Organoids. Man erkennt die geordneten Strukturen, die die Nervenzellen ausbilden.
Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme, die die Oberflächenstruktur menschlicher Hirnorganoide zeigt. Die Zellfortsätze und Zellkörper bilden eine geordnete, regelmäßige Oberflächentextur.
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