Gute und schlechte Nachrichten aus der Corona-Wissenschaft

Auf einem Online-Symposium präsentieren Covid-19-Forscher wichtige Neuigkeiten zu Pandemie, Impfungen, Medikamenten und schweren Verläufen. Zeitgleich beschließt die Politik eine Lockerung des Shutdowns.

11 Minuten
Screenshot, einer Online-Diskussion, an der sich 16 Forscherinnen und Forscher aus aller Welt beteiligen

Der Systembiologe Michael Meyer-Hermann hat berechnet, dass die dritte Pandemie-Welle längst in Deutschland angekommen ist, Biontech-Chef Ugur Sahin verspricht große Mengen weiterhin wirksamer Impfstoffe. Und mehrere US-Forscher*innen präsentieren spannende Neuigkeiten zu SARS-CoV-2 und der Art, wie das menschliche Immunsystem auf den Erreger reagiert. Nun wachsen die Hoffnung auf bessere Corona-Medikamente und das Verständnis, warum manche Menschen lebensbedrohlich an Covid-19 erkranken.

Es ist der 3. März 2021. Punkt 15 Uhr hellt sich der Monitor auf, die Musik verstummt. Michela Di Virgilio eröffnet das Symposium „Immunology & Inflammation“. Das virtuelle Treffen zum Thema Covid-19 wird veranstaltet vom Berliner Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC) und soll fünf Stunden dauern.

Fünf Stunden, die ein vertrauenswürdiges Rundum-Update in Sachen Corona-Pandemie versprechen. Fünf Stunden, nach denen ich die aktuelle Krise ein gutes Stück klarer sehen werde. Fünf Stunden, in denen Deutschlands Ministerpräsident*innen mit der Kanzlerin um die neuesten Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung ringen – und erstaunlicherweise trotz steigender Inzidenzwerte die Kontaktmöglichkeiten zwischen den Menschen erleichtern. Fünf Stunden, in denen die Politiker*innen den Wissenschaftler*innen eigentlich hätten zuhören sollen.

Denn auf dem Symposium erfährt man schlechte Nachrichten, was die voraussichtliche Entwicklung der Pandemie in Deutschland betrifft. Man freut sich aber auch über gute Nachrichten in Sachen Impfstoffforschung. Man lernt eine Menge darüber, wie das menschliche Immunsystem das SARS-Coronavirus bekämpft. Und man erhält neue Details, warum einige Menschen lebensbedrohlich erkranken und so viele andere nicht.

Egal ob Nobelpreiskandidat oder Doktorandin, beim Online-Symposium sind alle gleich

Alleine vor meinem Rechner sitzend, bin ich bei weitem nicht der Einzige, der aufmerksam der Immunbiologin und Leiterin der MDC-Arbeitsgruppe Genomdiversifikation und -integrität Di Virgilio lauscht. Rund 2000 Zuhörer*innen aus der ganzen Welt schalten sich im Laufe des Nachmittags zu. Sie folgen den Erkenntnissen von weltbekannten Referent*innen, allesamt Top-Expert*innen der aktuellen Corona-Pandemie, des Virus SARS-COV-2 oder unseres Immunsystems.

Das Publikum besteht aus Wissenschaftler*innen und Wissenschaftsjournalist*innen. Und – egal wie renommiert sie sind – das Online-Format macht sie alle gleich. Wer möchte, darf im Chat Fragen stellen und die Fragen anderer bewerten. Die höchstbewerteten Fragen werden später vorgelesen und beantwortet. Es ist ganz egal, ob sie von der unbekannten Doktorandin aus Irgendwo stammen oder vom Nobelpreisanwärter aus Boston bei dessen Namensnennung der angesprochene Referent angenehm überrascht die Augenbraue hebt.

Die Immunologin und Genetikerin Michela Di Virgilio steht vor einer Tafel mit Skizzen der DNA und Zeichnungen formelartiger Strukturen, die Bestandteile des Erbguts darstellen sollen.
MIchela Di Virgilio moderierte das Online-Symposium Immunology & Inflammation und gehörte dem wissenschaftlichen Organisationskomitee an. Am Max-Delbrück-Centrum in Berlin leitet sie eine Arbeitsgruppe zur Erforschung der Genetik von Immunzellen.

Susan Weiss von der University of Pennsylvania, USA, weist darauf hin, wie lange sich die Wissenschaft bereits mit den krönchenartigen Viren beschäftigt, die mit Hilfe ihrer „Spikes“ an menschliche Zellen andocken. „Das erste Coronavirus-Symposium fand im Jahr 1980 in Würzburg statt“, erinnert sich die Virologin, die von Anfang an dabei ist. „60 Personen kamen damals zusammen.“ Sie diskutierten über eine unauffällige Gruppe harmloser Schnupfenerreger.

Das Forschungsfeld der Coronaviren wächst explosionsartig

Dass sich im Tierreich aber auch potenziell gefährlichere Varianten verbergen könnten, die bedrohliche Pandemien auslösen würden, sobald sie den Sprung zum Menschen schafften, sei schon lange klar gewesen, sagt Weiss. Realität wurde es erstmals im Jahr 2002 mit dem Auftreten des ersten Coronavirus vom Typ SARS. Seitdem wächst das Forschungsfeld gewaltig, und in der aktuellen SARS-CoV-2-Pandemie ist es regelrecht explodiert.

Praktisch also, dass nun einige der Spitzenforscher*innen aus verschiedenen Teilgebieten der Coronawissenschaft online zusammenkommen, ihre Arbeit erklären, nach draußen tragen, neueste Daten präsentieren und miteinander diskutieren.

„Höchstwahrscheinlich rennen wir gerade in die dritte Welle hinein.“ (Michael Meyer-Hermann)

Den Anfang macht Michael Meyer-Hermann. Der Systembiologe vom Braunschweiger Helmholtz Zentrum für Infektionsforschung ist hierzulande führend im Bereich der mathematischen Modellierung von Infektionskrankheiten. „Das Immunsystem mit Hilfe der Mathematik verstehen“: So beschreiben er und sein Team ihre Arbeit selbst. Derzeit modellieren sie vor allem, wie sich die Pandemie in Deutschland entwickelt hat und unter bestimmten Voraussetzungen fortentwickeln könnte. Weil ihm das so gut gelingt, berät er die Politiker*innen, tritt im Fernsehen auf und engagiert sich in der NoCovid-Initiative, die mit ihren durchdachten, wissenschaftlich fundierten Vorschlägen viel Zustimmung erfährt.

Politik und Wissenschaft als Parallwelten

„Ich sehe keine Beschränkung bei der Produktion unseres Corona-Impfstoffs“ (Ugur Sahin)

In zehn Monaten von der Idee zum fertigen Impfstoff

„Wo bleiben die neuen Medikamente?“ (Christian Drosten)

Auch unvollkommene Antikörper wirken erstaunlich gut

In einem dreidimensionalen Modell sieht man links den Rand eines kugeligen Virus, auf dessen Oberfläche ein herausstehendes Molekül sitzt. Dieses Spike-Protein hat an ein Protein gebunden, das zu einer großen Zelle gehört, die sich rechts in der Grafik befindet.
Modell eines Coronavirus SARS-CoV-2 (links), das mit seinem Spike-Protein an die passende Oberflächenstruktur einer menschlichen Zelle andockt. Im nächsten Schritt, wird das Virus in die Zelle eindringen.

Ist schweres Covid-19 eine Autoimmunkrankheit?

Die Coronawissenschaft zeigt, die Erforschung von Anwendungen kann nicht ohne Grundlagenforschung auskommen