Corona-Impfung: Wer braucht eine Auffrischung und wer ist noch geschützt?

Die Suche nach einem Blutwert für die Immunität gegen Corona gestaltet sich schwierig.

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Im Labor hält eine Hand mit einem Einmalhandschuh ein Glasflaschen mit MRNA-Impfstoff gegen Corona-Viren in die Kamera.

In Israel können sich Menschen über 60 Jahre seit Anfang August ein drittes Mal gegen Corona impfen lassen. Im Land stecken sich wieder sehr viel mehr Menschen mit dem Sars-Coronavirus-2 an und werden in die Krankenhäuser eingewiesen als noch im Frühsommer. Die Sorge wächst, Personen, die vor mehr als sechs Monaten ihre zweite Impfung bekommen haben, könnten inzwischen nicht mehr ausreichend vor einer Infektion sein – vor allem mit der neuen Delta-Variante. Auch in Deutschland sollen laut Beschluss der Gesundheitsminister Alte und besonders Gefährdete eine dritte Impfung bekommen können. Die Berliner Charité hält für ihre älteren Mitarbeitern ebenfalls seit Monatsbeginn eine Auffrischungsimpfung gegen Sars-CoV-2 bereit.

Der Gedanke hinter dieser zusätzlichen Impfung: Der dritte Kontakt mit dem Spike-Protein des Virus aktiviert die Abwehrzellen erneut, die Antikörperproduktion fährt wieder hoch, das Immunsystem legt noch mehr Gedächtniszellen an, die im Idealfall über Jahre bis Jahrzehnte Antikörper gegen das Coronavirus herstellen. Allerdings fehlt es bisher an einer konkreten wissenschaftlichen Grundlage für den Zeitpunkt einer Drittimpfung. Weshalb die STIKO Auffrischungsimpfungen bisher nicht empfiehlt. STIKO-Chef Thomas Mertens äußerte sich kritisch gegenüber dem „Aktionismus der Politik“. Schließlich verschwinde ein Impfschutz nicht von einem Tag auf den anderen, sondern nehme schleichend ab.

Gesucht: ein Messwert für die Immunstärke

Keiner weiß zurzeit, wie hoch der Antikörper-Spiegel sein muss, um eine Covid-19-Erkrankung zu verhindern. Keiner weiß, wie die gesamte Verteidigungsmannschaft aus Angriffs- und Gedächtniszellen sowie Antikörpern bestückt sein muss, um das Virus schon an seiner Eintrittspforte, den Schleimhäuten der oberen Atemwege, komplett abzuwehren. Oder es zumindest so weit in Schach zu halten, um im Körper schwerwiegende Schäden nach der Ansteckung zu verhindern.

Wegen der weltweit zunehmenden Berichte über Impfdurchbrüche – Menschen stecken sich an oder erkranken, obwohl sie bereits zwei Impfungen gegen Corona erhalten haben – wächst jedoch die Verunsicherung. Wie wirksam sind die Impfstoffe tatsächlich und wie lange hält der Schutz überhaupt an?

Die drei ExpertInnen, Christine Dahlke (Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf), Maike Hofmann (Universitätsklinikum Freiburg) und Leif Erik Sander (Charité, Universitätsmedizin Berlin), die das Science Media Center am 4. August während einer Veranstaltung zum Thema „Booster-Impfung und Delta-Variante“ befragte, waren sich einig: In der aktuellen Phase der Pandemie bräuchten wir am dringendsten einen Mess- oder Grenzwert der Immunstärke, den ÄrztInnen einfach per Blutuntersuchung im Labor bestimmt könnten. Solch einen Biomarker für Immunität gibt es bereits für andere Virusinfektionen, etwa die Grippe oder die Röteln.

Bei Röteln kann man den Immunschutz einfach messen

Vor einer geplanten oder zu Beginn einer Schwangerschaft lässt die Gynäkologin/der Gynäkologe bei unklarem Impfstatus beispielsweise per Blutuntersuchung überprüfen, ob die werdende Mutter vor einer Infektion mit Röteln-Viren geschützt ist. Denn eine Ansteckung während der Schwangerschaft könnte dem Kindes schwer schaden. Liegt der Antikörper-Spiegel gegen das Virus über einem Grenzwert, ist die Frau und damit auch der Embryo sicher vor einer Infektion geschützt. Ist das nicht der Fall, müsste die Frau (erneut) geimpft werden.

Bei der Grippe macht man sich diesen Schutz-Wert auch bei der Testung der Saison-Impfstoffe zunutze, die die Impfstoffhersteller jährlich neu an die kursierenden Influenza-Typen anpassen müssen. Erreicht eine solche Vakzine in einer klinischen Studie den notwendigen Antikörper-Pegel, ist davon auszugehen, dass sie die Grippe wirksam verhindert und zugelassen werden kann. Für solch eine Studie genügen deutlich weniger TeilnehmerInnen und sie lassen sich rascher durchführen, als Untersuchungen, die überprüfen, ob und in welchem Ausmaß ein Impfstoff im „wahren Leben“ vor einer Ansteckung oder Erkrankung schützt. Weil es einen solchen Grenzwert für die neuen Corona-Impfstoffe noch nicht gibt, mussten die Zulassungsstudien mit je etwa 40.000 TeilnehmerInnen laufen.

Studie an Rhesusaffen zeigt: Je mehr Antikörper, desto stärker die Abwehr

Jetzt nähern sich Wissenschaftlerteams mit ihren Untersuchungen einem solchen Schutzwert langsam an. Zwei Faktoren erschweren diese Suche: Die Labore benutzen unterschiedliche Verfahren, um die Antikörpermengen zu messen. Und das Immunsystem ist überaus komplex.

Denn der Körper sichert sich mehrfach gegen Viren ab: Neutralisierende Antikörper im Blut und auf den Schleimhäuten sind nicht die einzigen Werkzeuge, mit denen die Abwehr verhindert, dass das Virus an eine Zelle bindet. Andere Antikörper markieren das Virus. Wieder andere Abwehrzellen machen es dann unschädlich. Auch wenn der Spiegel all dieser Antikörper absinkt und die Person möglicherweise wieder anfälliger für eine Infektion wird, gibt es noch die Gedächtniszellen. Wenn erneut Viren eindringen, werden sie rasch aktiv, vermehren sich und verhindern, dass die Erreger sich ausbreiten und Beschwerden auslösen können.

Trotz der vielschichtigen Abwehraktionen steht der Gehalt an neutralisierenden Antikörpern im Blut nach einer Impfung aber offenbar dennoch in einem direkten Verhältnis zur allgemeinen Abwehrstärke gegen ein Virus. Zu dieser Schlussfolgerung kommen zumindest Kizzmekia S. Corbett und andere US-amerikanische ForscherInnen von den Nationalen Gesundheitsbehörden NIH in einer aktuellen Studie im Fachmagazin Science. Sie impften Rhesusaffen und stellten fest, dass das Immunsystem die Virusvermehrung in den oberen und unteren Atemwegen der Tiere umso stärker blockiert, je höher der Spiegel an neutralisierenden – also gegen das Spike-Protein des Virus gerichteten – Antikörper im Blut war.

Bei Durchbruchinfektionen niedrigere Antikörper-Spiegel

Doch wie groß muss die Menge an Antikörpern beim Menschen sein, um eine Covid-19-Erkrankung zuverlässig zu verhindern? Ein britisches Forscher-Team verkündete Ende Juni in einem Preprint, einen Antikörper-Grenzwert für den Schutz gegen das neue Virus gefunden zu haben. Dafür verglichen die Statistikerin Merryn Voysey und ihre KollegInnen von der Universität Oxford den Gehalt an neutralisierenden Antikörpern im Blut von Menschen, die zweimal mit dem AstraZeneca-Impfstoff Vaxzevria gegen Covid-19 geimpft waren. 1404 ProbandInnen hatten keine Infektion mit Symptomen bekommen, 171 der untersuchten Personen erkrankten, obwohl sie zweimal geimpft waren.

Mit Hilfe eines Modells, das auch die unterschiedlichen Ansteckungsrisiken der Altersgruppen berücksichtigt, berechneten die WissenschaftlerInnen, welche Antikörper-Mengen sie mit welcher Schutzwirkung in Zusammenhang bringen konnten. Bei 40923 gegen das Virus gerichteter Antikörper-Einheiten je Milliliter Blut lag die Schutzwirkung vor einer Erkrankung bei 80 Prozent. War die Antikörper-Menge um das Zehnfache niedriger, sank der Schutz auf 50 Prozent. Vor schweren Krankheitsverläufen schützten jedoch schon wesentlich geringere Antikörper-Mengen.

Die ForscherInnen konnten ihre Neutralisationstests im Oxforder Labor noch nicht mit der jetzt grassierenden Delta-Variante durchführen. Die Durchbruchinfektionen passierten in einer Phase, als in Großbritannien noch andere Varianten dominierten. Für die neueren Varianten müssten die ForscherInnen solche Schutz-Korrelate neu bestimmen.

Und: Die WissenschaftlerInnen bekamen in ihrer Untersuchung nicht heraus, welche Menge an Antikörpern es braucht, um eine Infektion der Zellen in den Atemwegen völlig zu blockieren. Bei Infektionen der oberen Atemwege sei es grundsätzlich schwierig, ein Eindringen von Krankheitserregern in die Körperzellen komplett zu verhindern, sagt Leif Erik Sander dem SMC Anfang August 2021. In einer israelischen Studie mit Angestellten im Gesundheitswesen wiesen ForscherInnen etwa bei 39 von 1497 vollständig Geimpften eine Infektion mit Sars-CoV-2 nach. Sie verlief in der Regel ohne oder nur mit milden Symptomen.

Wir müssten uns wohl an den Gedanken gewöhnen, dass eine gegen Covid-19 geimpfte Person positiv getestet werden kann, so Leif Erik Sander gegenüber dem SMC. Die Impfung helfe aber schon dabei, die Virusverbreitung zu verringern. Auch Sander hofft auf den Immunitäts-Biomarker, ist jedoch skeptisch, ob es tatsächlich gelingen wird, einen solchen zuverlässigen Messwert rasch zu finden.

Schnelltest für Corona-Immunität

Gäbe es einen solchen Biomarker für Immunität, könnten ÄrztInnen bei ihren PatientInnen testen, wann eine Auffrischung wirklich nötig ist.

Aktuell stützen sich die Befürworter einer Impf-Auffrischung auf die Meldungen von Durchbruchinfektionen. Wir befinden uns immer noch in einer sehr dynamischen Phase der Pandemie. Das Virus verändert sich und weltweit gibt es extrem viele Infektionen. Vor diesem Hintergrund klingen auch die Meldungen zu „Infiziert trotz Impfung“ erst einmal hoch. Setzt man sie aber ins Verhältnis zur Gesamtzahl der Infektionen, ist der Anteil der geimpften Infizierten gering und der Anteil der geimpften, schwer an Covid-19-Erkrankten verschwindend gering. Anfang Juli etwa meldete das Robert Koch Institut rund 4000 Durchbruchinfektionen mit Krankheitssymptomen bei vollständig Geimpften. Im selben Zeitraum erkrankten insgesamt rund 975.000 Menschen an Corona.

Dass die Zahlen im Verhältnis sehr niedrig sind, könnte auch daran liegen, dass wir uns erst im „Jahr 1“ nach Beginn der Impfkampagne gegen Covid-19 befinden. Die Häufigkeit der Durchbruchinfektionen könnte zunehmen, wenn mehr Zeit seit den ersten Impfterminen vergangen ist, weil die Schutzwirkung langsam nachlässt und das Virus sich weiter verändert.

Auffrischung bei nachlassendem Schutz

Dass der Schutz mit der Zeit nachlassen kann, kennen wir auch von anderen Impfungen. Für die Pneumokokken-Impfung empfiehlt die STIKO beispielsweise eine Auffrischung für empfindliche Bevölkerungsgruppen ab sechs Jahre nach der letzten Immunisierung. Die Grippe-Impfung wird jährlich neu angeboten, weil in jeder Saison andere Influenza-Typen kursieren. Und bei Älteren oder immungeschwächten Menschen ist die Körperabwehr nach dem Pieks ohnehin meist weniger stark in Gang gekommen als bei Jüngeren.

Da Sars-CoV-2 uns in den nächsten Jahren nicht verlassen wird, vertieft sich das kollektive immunologische Gedächtnis nicht nur durch Impfungen, sondern auch durch natürliche Booster-Ereignisse. Das sind Ansteckungen, von denen die Betroffenen meist nichts merken. Ihre Immunabwehr reagiert aber sehr wohl auf den erneuten Kontakt. Dabei erweitert sich das Antikörper-Repertoire ganz nebenbei auch um solche Immunglobuline, die die speziellen Merkmale neuer Virusvarianten erkennen.

Die Recherchen zu diesem Beitrag wurden über die Riff freie Medien gGmbH aus Mitteln der Klaus Tschira Stiftung gefördert.

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