Europas Ur-Dolomiten liegen heute zwischen Köln und Trier. Ein Riff-Report aus Rheinland-Pfalz

Wie Italiens berühmte Berge, entstanden Deutschlands Dolomiten aus einst Äquator-nahen Korallenriffen. Deren Erdgeschichte lässt sich am Rand eines Eifel-Städtchens so leicht ergründen, dass geologisch Interessierte nicht nach Südtirol oder ins Trentino zu reisen brauchen.

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Vor einem von blauem Himmel umkränzten Bergpanorama ragt eine helle Felswand auf, in der eine wurstförmige Versteinerung mit inneren Querstreben zu sehen ist.

Sich live für ein Wochenende mit der Dolomiten-Geologie zu befassen, kann im Falle Norditaliens schmerzhaft werden. Erstens weil es dazu aus den meisten Regionen Deutschlands einer langen Bahn-Anreise bedarf (malträtiert das Sitzfleisch). Zweitens verebbt ein Alpen-Kurztrip meist in eher schnöden Tallagen weit unterhalb berühmter Paradegipfel, sodass wahre „Geo-Höhepunkte“ schier unerreichbar bleiben (tut in der Seele weh).

Gerolsteiner Dolomit ist erdgeschichtlich sozusagen europäischer Altmeister

Wie gut, dass Europas „Dolomiten-Grandsigneur“ nicht im ladinischen, sondern im moselfränkischen Sprachraum zu verorten ist. Also nicht etwa zwischen dem Alpenstrom namens Etsch und der Provinz Belluno, sondern ungefähr in der Mitte zwischen Mosel und unserem Nachbarland Luxemburg.

Der Dolomit in Rheinland-Pfalz ist rund 360 Millionen Jahre alt, während die Dolomiten Norditaliens etwa hundert Millionen Jahre weniger auf dem erdgeschichtlichen Buckel haben. Dieser Umstand allein mag entschädigen, wenn für einen „Geo-Kurztrip“, des Zeit- oder Geld-Budgets wegen, eben nicht Wolkenstein (Südtirol), sondern „nur“ Gerolstein und die Eifel infrage kommen.

Allein das Wissen darum, Europas Ur-Dolomiten anzusteuern – schön und gut! Aber was lässt sich an Gerolsteins Hausberg sehen und erleben?

Felsen und Fossilien vom Feinsten – was man angesichts urbaner Geschichts-Zeugnisse nicht erwarten mag

Übersichtskarte Deutschland zwischen Göttingen und München
Übersicht unserer „Alpen-Miniaturen“. Im vorliegenden Teil 4 geht es um Dolomiten mitten in Deutschland. Verweise auf die bereits erschienenen „pseudoalpinen“ Reisetipps Nummer 1 bis 3 finden sich am Ende dieses Beitrags.

Der Felsenpfad macht die architektonische Wüste der Stadt vergessen

Als die einst Äquator-nahen Korallenriffe kontinental längst gen Norden gedriftet und zu heutiger Größe verwittert waren, vor und während des Zweiten Weltkriegs, war Gerolstein ein wichtiger Eisenbahn-Knotenpunkt.

Das wurde der Stadt zum Verhängnis, weil die Alliierten sie in mehreren Angriffswellen zu achtzig Prozent zerstörten. Die ernüchternden Fakten also gleich vorweg: Gerolstein gehört zu den Lokalitäten, deren architektonisches Nachkriegs-Inventar, aus heutiger Sicht, besonders absonderlich und zusammengewürfelt anmutet.

Wanderschilder an einem Holzpfosten, hinter dem rotgoldenes Herbstlaub in der Sonne leuchtet.
Die Natur außerhalb Gerolsteins macht die (pardon!) Hässlichkeit der Stadt schnell vergessen.

Deswegen halten sich per Zug angereiste Erdgeschichts-Fans, die aus dem immerhin sehr schmucken Buntsandstein des Bahnhofsgebäudes heraustreten, am besten stracks an die Hinweis-Schilder zum „Eifel-Steig“. Der Verlauf dieser Mehrtages-Route deckt sich bis zum östlichen Stadtrand mit dem sogenannten Felsenpfad. Und letzter ist auch für Ungeübte leicht an einem halben Tag zu bewältigen.

Überwältigend ist: Auf dem Pfad wird schon an den ersten Felswänden auf Augenhöhe das Getier einstiger Tropenmeere greifbar.

Kalkschründe zwischen sonnenbeschienenem Herbstwald.
Nachdem rund 80 Höhenmeter auf dem „Felsenpfad“ überwunden sind, gelangt man an den Fuß dieser Felsformation. Sie trägt den Namen „Die Hustley“. Wie bei der berühmten Loreley steht die Silbe „-ley“ für Fels – ist aber stets weiblichen Geschlechts.

Ein wahres Dolomiten-Wunder

Wo am Klettergarten Hustley der Felsenpfad einen Rechtshaken vollführt, schreitet man links am Wandfuß entlang – und sollte unbedingt bis zum Ende dieses „Sackpfades“ weiterlaufen. Denn im hinteren Pfadabschnitt steckt die Wand voller Fossilien (Titelfoto).

Das darf durchaus als Dolomiten-Wunder gelten. Verliefen hier doch die typischen Umwandlungsprozesse des Gesteins anders als üblich. Üblicherweise verwischt nämlich eine solche Metamorphose die Spuren früheren Lebens. Warum?

Kalkstein ist mehr oder weniger reines Kalziumkarbonat. Dolomit hingegen zeichnet sich durch seine „Karbonat-Mischung“ aus. Sie kommt dadurch zustande, dass in noch feuchtem Milieu das Kalzium über Jahrmillionen hinweg sukzessive durch Magnesium ersetzt wird. Was schade ist für Fossilienjäger: Bei der Kristallisation der Kalzium-Magnesium-Mischkarbonate gehen die Kalkstrukturen von Korallen oder Schwämmen fast immer verloren.

In den Gerolsteiner Dolomiten kommt die Karbonat-Mischung jedoch streckenweise „kalziumlastiger“ daher. Deswegen finden sich noch intakte Riff-Strukturen.

Vulkane haben die einstigen Riffe „aufgemischt“

Auf dem Plateau des einstigen Tropenriffs wachsen Kiefern, Lärchen, Wacholder. Hier trennt sich der Eifelsteig vom „Felsenpfad“. Im Verlauf des letzteren gelangt man zur Pfad-Station namens Geoacker. Dieser „Acker“ zeugt davon, wie versteinerter Tropen-Meeresboden vulkanisch auf aberwitzige Weise zersprengt wurde.

Als Magma beim Eindringen in uralte Bodenschichten auf Grundwasser traf, kam es zu höllischen Wasserdampf-Explosionen. Zurück blieben trichterförmige Krater – sozusagen nach innen gerichtete Vulkane, deren Kegel quasi eine negative Höhenmeter-Zahl aufweisen.

Die Vulkan-Eifel ist das Maar-Eldorado

Diese sogenannten Maare ragen also nicht in den Himmel, sondern wölben sich in den Grund, weswegen sie sich oft zu natürlichen Reservoirs für Wasser wandelten. Mehr als zweihundert „Maar-Seen“ sind heute in der Vulkaneifel dokumentiert.

Typische Überbleibsel des Vulkanismus umrahmen den Geoacker: Eine dicke, schräg liegende Schicht aus Schlacke, Asche und Lapilli.

Riff-Autor Martin Christof Roos lehnt an einer schräg aus dem Boden ragenden „schwarzen Aschenleiste“, breit wie ein Haus und hoch wie er selbst.
Aha-Effekt im Riff-Report aus Westdeutschland: Derart explizite vulkanische Relikte fand der Reporter bislang nur auf Kapverden, Kanaren und Sizilien.

Nach Geoacker und Papenkaule, einem weiteren Krater, erreicht der Felsenpfad seinen mit 520 Metern Meereshöhe höchsten Punkt. Danach wendet er sich dem großen, aussichtsreichen Felsabsturz über Gerolstein zu. Der dortige Rastplatz trägt den Namen Munterley und erhebt sich 120 Höhenmeter über Gerolstein (360 Meter über Meereshöhe gelegen).

Die sinkende Sonne eines kühlen Herbsttags taucht eine Felskanzel und deren Indian-Summer-Tracht in ein mildes, romantisches Licht.
Das Kreuz markiert die Munterley. Das Wort wurzelt in einer lokal-mundartlichen Verballhornung des französischen „Montre Ley“, übersetzbar etwa mit „Schau-Fels“. Die Munterley taugt nicht nur für Blicke in die geographische, sondern auch in die politisch-militärische Geschichte: Lange und wiederholt war die Eifel französisches Staatsgebiet.

Nach Abschluss des Felsenpfads – zurück im Tal – lässt sich im Naturkundemuseum ein absurdes Zeugnis der Kriegszerstörung Gerolsteins besichtigen: Ein demoliertes Sägeblatt, dessen „Zahnlücken“ von den zahllosen Bombardierungen herrühren.

Denn die Bäume in weitem Umkreis steckten nach dem Zweiten Weltkrieg voller Splitter, an denen sich die Eisenblätter der Sägewerke buchstäblich die Zähne ausbissen. Sägeblatt und das Stück eines solchen „Splitter-Stamms“ stellt das laut Wikipedia größte und älteste Eifel-Geomuseum aus.

Den Reporter interessieren die Fassadenflecken mehr als die Trilobiten im Museum

Auch wenn die nördlich ausgerichtete Fassade des für Gerolstein einmaligen Altbaus schwarze Schlieren aufweist: Ein wahres Schmuckstück stellt dieses Museum dar! In Augenschein nehmen lässt sich drinnen eine berühmte Sammlung von Trilobiten – sowie in Erfahrung bringen, dass sich die grotesken Fassadenflecken stets aufs Neue bilden. Was mit dem Dolomitsockel unterm Gebäude zu tun habe.

Was die Aufsichtsperson dieses Eifel-Museums nicht weiß, jedoch ein eingefleischter Trentino-Bergsteiger sehr wohl vermuten kann: Schwarzfärbungen rühren oft von Mikroben her, die nordseitigen, feuchten Dolomitfels lieben und oft zu Konstellationen wachsen, die wie Ausdrucksformen des abstrakten Expressionismus wirken:

Schroffe Dolomiten-Wände mit schwarzen Flecken und Schlieren.
Abstrakter Expressionismus? Nördlich der Punte di Campiglio (2.969 Meter, Brenta-Dolomiten Italien) fällt auf rund vierhundert Höhenmetern eine Felswand ab, die von Mikroben-Bewuchs auf attraktive Art „bekleckert“ ist.

Felsenkunst in bizarrster Gestalt entsteht in den Dolomiten allein schon durch die Physik der Verwitterung. Ausgesetzte Türme, schroffe Pfeiler, schrundige Abbrüche: Östlich der italienischen Etsch findet man sie ebenso wie nördlich der Mosel.

Dafür, dass all dies Bizarre zum Charakter alter Dolomitenberge gehört, gibt es eine physikalische Erklärung. Sie hat mit den unterschiedlichen Kristallgrößen der Karbonate zu tun. Beim Übergang von halbwegs reinem Kalziumkarbonat (Kalkgestein) zum Kalzium-Magnesium-Mischkarbonat (Dolomitgestein) sorgt das neu gebildete Magnesiumkarbonat für zunehmende Zerrüttung: Die „Magnesium-Kristalle“ nehmen sozusagen weniger Raum ein, verglichen mit Kalziumkarbonat, sodass im Inneren des zu Dolomit konvertierenden Gesteins zunehmend Spannungen entstehen.

Auf diese Weise bilden sich Risse und Spalten, die der Erosion durch Wasser und der sogenannten Frostsprengung enormen Vorschub leisten. Für uns Bergliebhabende ist das nicht schlimm, sondern schön: Denn genau wegen all des Zerklüfteten lieben wir die Dolomiten.

Felstürme im Gegenlicht
Morgensonne überm Dolomiten-Wall namens Torre di Brenta, Trient/Italien (Gipfelhöhe 3.014 Meter).
Felsentürme im Gegenlicht.
Abendsonne überm Dolomiten-Pfeiler namens Auberg, Eifel/Rheinland-Pfalz (Gipfelhöhe 440 Meter).
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