Vibrionen in der Ostsee: Was Sie über die Hitze-liebenden Bakterien wissen sollten

„Killerkeime“ sind sie nicht. Aber manchen Menschen können sie sehr gefährlich werden. Wir haben Expert:innen zu Fakten, aktuellen Zahlen und Gerüchten befragt

vom Recherche-Kollektiv Ozean & Meere:
7 Minuten
Der Ostseestrand im Sommer, im Wasser planschen Menschen

Um bis zu drei Grad stiegen während der Hitzewellen im Sommer 2022 die Ostsee-Temperaturen in 50 Zentimeter Tiefe im Vergleich zum langjährige Mittel. Auch diesen Sommer werden sich einige Küstengewässer sehr wahrscheinlich auf über 20 Grad aufheizen. Bei Urlauber:innen kommt da Mittelmeerstimmung auf. Doch nicht nur sie mögen warmes Wasser. Auch Vibrionen.

1. Was sind Vibrionen?

„Vibrionen gehören zur natürlichen Bakterienflora der Ostsee“, erklärt Ulrich Bathmann, bis zu seinem Ruhestand im Jahr 2022 Direktor des Leibniz-Instituts für Ostseeforschung Warnemünde. Sie sind kommaförmig und vertragen nicht viel Salz: maximal um die 2,5 Prozent. Ihr Name leitet sich ab vom lateinischen „vibrare“ für zittern oder zucken – aufgrund ihrer Bewegungen unter dem Mikroskop.

Von insgesamt rund 130 Arten gelten etwa ein Dutzend als humanpathogen. Berüchtigt, aber bei uns kaum mehr vorhanden, ist Vibrio cholerae O1/O139, der Auslöser der Cholera. Vier potentiell gesundheitsschädliche nicht-Cholera-Vibrionen kommen in der Ostsee und nahen Brackwasser-Gewässern wie der Schlei oder der Kieler Förde vor: Vibrio vulnificus, Vibrio parahaemolyticus, Vibrio alginolyticus, Vibrio cholerae non-O1/non-O139.

Das Bild zeigt Vibrionen unter dem Mikroskop. Sie sehen aus wie grüne Bohnen mit einem Schwanz und Härchen
Vibrionen unter dem Mikroskop. In der Ostsee waren sie schon immer, doch bei Wassertemperaturen über 20 Grad vermehren sie sich rasant. Damit steigt das Risiko, sich mit den Bakteirien zu inifizieren

2. Wie treffen sie auf Menschen?

„Die meiste Zeit des Jahres bleiben sie unauffällig“, sagt Ulrich Bathmann. „Steigt die Wassertemperatur allerdings mehrere Tage über 20 Grad, vermehren sie sich rasant und bleiben auch mehrere Wochen aktiv, selbst wenn das Wasser abkühlt.“ Die Strömung treibt die Bakterien durchs Meer. Schwimmen Mensch und Bakterium in den gleichen Wellen, können die mikroskopisch kleinen Bakterien über Wunden in den Körper eindringen.

3. Für wen sind Vibrionen gefährlich, für wen nicht?

Schon Ekzeme, kleine Hautrisse oder frisch gestochene Tattoos reichen Vibrionen als Eingangstor in den menschlichen Körper. „Das kann beim Schwimmen oder beim Barfuß-Waten passieren, etwa wenn man auf eine Muschel tritt und sich schneidet“, erklärt Axel Kramer, Leiter des Greifswalder Instituts für Hygiene- und Umweltmedizin. Größere Wunden erhöhen das Risiko einer Infektion.

Bei Menschen mit fittem Immunsystem kann sich eine befallene Wunde entzünden, vielleicht sogar eitern oder anschwellen. Bei Kindern lösen die Bakterien manchmal eine Mittelohrentzündung aus. Doch wer gesund ist, steckt die Attacke meist locker weg.

Nicht so Menschen mit weniger fittem Immunsystem oder Vorerkrankungen wie Diabetes mellitus. Bei ihnen pocht meist wenige Stunden nach der Infektion ein lokaler Entzündungsschmerz auf, der angesichts der sichtbaren Wunde übertrieben stark erscheint. Der Körper reagiert mit Fieber oder Schüttelfrost, bei manchen bildet sich ein Hautausschlag. Wird die Infektion nicht schnellstmöglich mit starken Antibiotika behandelt, kann sich die Entzündung innerhalb weniger Stunden im gesamten Körper ausbreiten.

Der Krankheitsverlauf kann so dramatisch schnell vonstattengehen, dass die Patienten innerhalb von 24 Stunden versterben.

Axel Kramer, Leiter des Greifswalder Instituts für Hygiene- und Umweltmedizin

Das Bild zeigt den Ostseestrand an der polnischen Küste an einem Sommertag
Sommer an der polnischen Ostseeküste: Der Salzgehalt ist hier niedriger als im Westen. Doch bei überwarmem Wassser florieren die Vibrionen hier wie da
Das Foto zeigt Matthias Labrenz vom Institut für Ostseeforschung in seinem Labor.
„Wir sollten besser wachsam sein“ – das sagt Meeresmikrobiologe und Vibrionen-Experte Matthias Labrenz vom Leibniz-Institut Warnemünde

Die Ostsee ist ein natürliches Gewässer, und wer da badet, sollte sich bewusst sein, dass er oder sie darin nicht das einzige Lebewesen ist. Null Risiko gibt es in der Natur nun mal nicht.“

Gudrun Petzold, Gesundheitsministerium Schleswig Holstein

Der „Vibrio map viewer“ zeigt auf Basis modellierter Daten, wie gut die Bedingungen für das Bakterienwachstum in der Ostsee sind. am 17.8.2022, nach vielen sehr heißen Tagen, changierte das Risiko an der deutschen Küste zwischen sehr schwach (dunkelblau), hoch (grün) und sehr hoch (grün/gelb)
Der „Vibrio map viewer“ zeigt auf Basis modellierter Daten, wie gut die Bedingungen für das Bakterienwachstum in der Ostsee sind. Am 17.8.2022, nach vielen heißen Tagen, changierte das Risiko an der deutschen Küste zwischen sehr schwach (dunkelblau), hoch (grün) und sehr hoch (grün/gelb)
Man sieht eine Seeegraswiese unter Wasser. die auf einem Sandboden wächst
Können Seegraswiesen und Muschelbänke die Vibrionen-Belastung in Küstennähe auf natürliche Weise senken? Expert:innen von sieben Ostsee-Anrainerstaaten untersuchen das gemeinsam