Werden Erfindungen und technischer Fortschritt das Klima noch retten können?

Für jedes Problem gibt es eine Lösung – oder? Nicht nur, aber auch in Sachen Klimaschutz verweisen Medien, Politik und Wissenschaft gern auf technologischen Fortschritt und die Segnungen der Ingenieurkunst. Das mag Optimismus verbreiten – aber wird dies auch den Herausforderungen der Klimakrise gerecht? Eine Analyse

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Das Institut mit dem Fusionsreaktor „Wendelstein 7-X“ setzt auf Kernfusion als eine Möglichkeit der Energiegewinnung.

Autos tanken E-Fuels, Fleisch kann synthetisch hergestellt werden, Energie kommt aus dem Fusionsreaktor. Klingt toll, oder? Und, hey, es gibt schon Sprit aus CO2-fressenden Algen!

Bei vielen Wortmeldungen in der Debatte um den Klimawandel könnte man meinen, Klimaschutz sei vor allem ein Problem für Ingenieure und Techniker. Oft heißt es: Für jedes Problem gebe es eine Lösung – man müsse sie nur entwickeln, hochskalieren, fertig. Und weil Technik- und Wissenschaftsjournalisten gern über neue vermeintliche Lösungen berichten und das Publikum positive Geschichten mag, kann ein Kreislauf des Überoptimismus in Gang kommen.

Solutionismus und die Rede von „technologieneutralen“ Lösungen

Für den Glauben, alle Probleme seien technisch lösbar, gibt es im Englischen ein griffiges Wort: solutionism. Ein Vertrauen in die Allmacht der Technik zeigt sich bei vielen Themen, besonders stark bei komplizierten Herausforderungen wie der potenziell zivilisationsbedrohenden Klimakrise.

Geprägt wurde der Solutionismus-Begriff durch den weißrussisch-amerikanischen Autoren Jewgeni Morosow in seinem Buch To Save Everything, Click Here. Er nahm darin das Silicon-Valley-Denken aufs Korn, wonach man für jedes politische, wirtschaftliche oder ökologische Problem eine digitale Lösung liefern könne. Dabei werden jedoch regelmäßig die sozialen, wirtschaftlichen oder ökologischen Probleme ignoriert, die mit theoretisch möglichen Technik-Lösungen einhergehen. Der deutsche Begriff „Technologiegläubigkeit“ kommt dem Solutionismus wohl noch am nächsten.

Als FDP-Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger einen Erfolg in einem US-amerikanischen Fusionsexperiment als „historischen Tag für die Energieversorgung der Zukunft“ feierte, erwähnte sie nicht, dass der praxisnahe Einsatz von Fusionsenergie noch immer in weiter Ferne liegt. Das Center for Research on Environmental Decisions (CRED) an der Columbia University in New York warnt ausdrücklich vor einer „Solutionismus-Falle“: Kommunikatoren riskierten Rückschläge, wenn sie Lösungen befürworten, die weder dem Ausmaß, noch dem Zeitrahmen des Problems entsprechen. So könnte etwa ein Hinweis auf Kernfusion, die noch lange nicht einsatzbereit ist, Menschen demotivieren, sich für realistischere klimaschonende Energieoptionen einzusetzen.

Auch der bei Politikern oder Lobbyisten beliebte Begriff „technologieneutral“ ist mit dem Denken des Solutionismus kompatibel: Er kann als taktisches Abwehrargument gegen Einschränkungen einer bestimmten klimaschädlichen Technik eingesetzt werden oder auch gegen die gezielte Förderung neuer, klimaschonenderer Technologien. Dahinter steht die – oft unausgesprochene – Vorstellung, dass sich die angeblich beste Technik schon irgendwie ohne staatliche Eingriffe durchsetzen werde.

„Paradigmatische Kurzsichtigkeit“ sogar in der Nachhaltigkeitsforschung

Auch unter Forschenden ist Solutionismus keine Seltenheit. Eine Literaturanalyse von Adi Kuntsman und Imogen Rattle von der britischen Manchester Metropolitan University ergab, dass selbst in der traditionell technisch-skeptischen Szene der Nachhaltigkeitsforschung der Glaube an die digitalen Technologien (digital solutionism) verbreitet ist.

Aus Datenbanken der Fachliteratur filterten die Forscher 78 Beiträge aus den Jahren 2008 bis 2017, die sich mit der Rolle digitaler Techniken in Bezug auf Nachhaltigkeitsfragen befassten: Kein einziger Artikel sprach sich für weniger digitale Lösungen aus, um den Rohstoff- und Energieverbrauch zu reduzieren. Falls auf Gefahren oder Bedenken bezüglich der Umweltschädlichkeit digitaler Kommunikation hingewiesen wurde, unterbreiteten die Wissenschaftler lediglich Vorschläge, wie man es mit präziseren Tools, weiterer Forschung, kritischem Denken oder besserer Bildung besser machen könne.

Kuntsman und Rattle kommen zu dem Schluss, die analysierte Fachliteratur mit ihrer „schwindelerregenden“ Bevorzugung digitaler Lösungsansätze sei von einer „paradigmatischen Kurzsichtigkeit“ geprägt. Die Ausblendung des Suffizienz-Gedankens basiere auf dem Glauben an die Kraft der Technologie und des technologischen Fortschritts, in dem jede neue Erfindung das Versprechen trage, die Welt besser zu machen. Dass auch soziale Veränderungen Lösungen herbeiführen können, werde ausgeblendet. Hingegen werde der Mythos einer „nachhaltigen Informationsgesellschaft“ aufrechterhalten und gleichzeitig der Mythos des Digitalen als Retter bedient.

Rebound-Effekt: Wenn Technik auf Menschen trifft

Technik spielt im Nachhaltigkeitsdiskurs eine zentrale Rolle seit die ehemalige norwegische Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland 1987 ihre Vorstellungen von einer nachhaltigen Entwicklung in einem Bericht für die UN festhielt. Den IT-Technologien beispielsweise wird in dem Report mit dem Titel Unsere gemeinsame Zukunft bescheinigt, die Produktivität, Energie- und Ressourceneffizienz sowie die Organisationsstrukturen von Industrien verbessern zu können. Der Bericht zeigte sich optimistisch, dass man mit technologischem Fortschritt Umweltschäden mildern könne, die durch Wirtschaftswachstum verursacht werden.

Kritiker meinen, dieser einflussreiche Bericht habe die Nachhaltigkeitsidee mit Technikgläubigkeit verheiratet. Im Grunde handelte es sich aber um einen politischen Kompromiss: In reicheren Ländern kann durch die Formel die unbequeme Grundsatzdebatte umgangen werden, wie wenig nachhaltig die gesamte Wirtschafts- und Lebensweise ist und ob Einschränkungen des Wohlstands – oder dem, was viele Leute darunter verstehen – notwendig sind.

Dass Solutionismus zu kurz greift, zeigen die inzwischen zahlreichen Erkenntnisse zu sogenannten Rebound-Effekten. Darunter versteht man das Phänomen, dass von (energie)sparenden Geräten letztlich eine größere Zahl zum Einsatz kommt – und in der Gesamtbetrachtung die höhere Effizienz eines einzelnen Gerätes verblasst. Nur zwei bekannte Beispiele: Zwar wurden Verbrennungsmotoren in den vergangenen Jahren viel effizienter – doch das führte weniger zu einem Rückgang des Spritverbrauchs als dazu, dass Autos größer und schwerer wurden und die sogenannten Stadtgeländewagen boomen. LED-Glühbirnen verbrauchen viel weniger Energie – doch viele Verbraucher lassen sie heute einfach länger brennen.

Auch IPCC und Bundesregierung setzen auf unausgereifte Technologien

Dass für ein dauerhaftes und deutliches Senken von Energieverbrauch und Treibhausgas-Ausstoß vielleicht weniger Verbrauch und weniger Technik sinnvoll sein könnte – die Diskussion und das Nachdenken darüber wird gern vermieden. Meist wird auch ausgeblendet, wie störanfällig viele Technologien sind – und dass höhere Komplexität das Problem weiter verstärkt.

Dystopische Denkansätze könnten hier korrigierend wirken. Beispielsweise mutmaßt der Autor James Bridle in seinem Buch New Dark Age: Technology and the End of the Future, dass künftige Technologien zu den ersten Opfern das Klimawandels gehören könnten. Störungen in der Stromversorgung etwa könnten durch zunehmende Wetterextreme deutlich häufiger werden.

Klimaforschung und -politik setzen inzwischen zu einem Gutteil auf Solutionismus: Die Internationale Energie-Agentur (IEA) oder auch der Weltklimarat IPCC kalkulieren in ihre Energie- oder Emissionsszenarien seit Jahren fest ein, dass mittels technischer Lösungen künftig erhebliche Mengen an Treibhausgasen wieder aus der Atmosphäre gezogen werden – in Wahrheit sind sie aber noch weit von der großtechnischen Einsatzreife entfernt. Auch die Bundesregierung plant CCS-Techniken (Carbon Capture and Storage) für das Erreichen der deutschen Klimaziele ein – dabei sind Machbarkeit und Sicherheit ebenso unsicher wie die gesellschaftliche Akzeptanz.

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