Verkehrswende: Warum wir uns endlich von der autozentrierten Stadt lösen müssen

Deutsche Städte sind bislang vor allem auf Autos ausgerichtet: Das ist weder klimafreundlich noch gerecht. Warum es Zeit ist, den Verkehr ökologisch und sozial zu gestalten.

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Man sieht eine Kreuzung am Potsdamer Platz in Berlin. Autos fahren auf der Fahrbahn.

Als Schülerin musste ich jeden Tag mit meinem vollbepackten Rucksack eine sechsspurige Kreuzung am Bahnhof Dammtor in Hamburg überqueren, um zum Unterricht zu kommen. Und jeden Tag musste ich rennen. Der Grund: Die Ampelschaltung war so getaktet, dass man selbst in zügigem Schritttempo nicht über die Straße kam. Wer nicht gerannt ist, stand mit mehreren Fußgänger:innen eng an eng auf der schmalen Mittelinsel. Die Autos rasten dann dicht an einem vorbei. Als Kind fand ich das beängstigend. Bis heute hat sich der Zustand an der Kreuzung nicht geändert.

Dass Städte vor allem auf Autos ausgerichtet sind, ist nichts Neues. Ein Blick auf eine x-beliebige Straße in einer deutschen Stadt zeigt, wie ungleich der Raum im Straßenverkehr derzeit verteilt ist: Die Fahrbahn für die Autos ist breit und meist zweispurig, rechts und links säumen parkende Autos die Straßen. Für Fußgänger ist meist nur ein schmaler Gehweg vorgesehen, für Radfahrer, wenn sie Glück haben, ein Radweg.

Eine sozial gerechte Verkehrswende ist nötig

Erst vergangene Woche kritisierte der Expertenrat für Klimafragen die Klimapolitik der Ampelregierung, gerade was den Verkehr angeht. Im Verkehrssektor steigen die Emissionen kontinuierlich an – ein wesentlicher Grund ist der Individualverkehr.

Doch eben dieser Fokus auf das Auto ist weder klimafreundlich noch gerecht. Eine Studie zeigt: Je höher das Einkommen und der Bildungsabschluss, desto autobasierter und weiter werden die individuellen Wege. Das autodominierte Verkehrssystem verwehre zahlreichen Menschen, die sich kein privates Auto leisten können oder kein Auto fahren wollen, systematisch gesellschaftliche Teilhabe und mache sie weniger mobil.

Gerade Menschen mit Migrationshintergrund besitzen laut der Studie etwa viel seltener ein Auto, dafür aber eher eine ÖPNV-Jahres- oder Monatskarte. Sie gehen häufiger zu Fuß, legen so insgesamt viele kürzere Wege zurück. Insgesamt seien Menschen mit Migrationshintergrund zudem eher flexibel und technikaffin in ihrem Mobilitätsverhalten und nutzten beispielsweise mehr Sharing-Angebote.

Dadurch, dass sie kein Auto besitzen, bewegen sie sich langsamer und weniger fort und werden somit von einer Gesellschaft, die um das Auto herum strukturiert ist, benachteiligt. Ihre Perspektive wird in der Verkehrswende bislang kaum berücksichtigt.

Grundschulkinder und Menschen über 80 legen die meiste Wege zu Fuß zurück

Nicht nur zahlreiche Menschen mit Migrationshintergrund besitzen kein Auto. Vor allem zwei Gruppen legen laut einer Mobilitätsstudie des Bundesverkehrsministeriums die meisten Wege zu Fuß zurück: Grundschulkinder und Menschen über 80.

Beide Gruppen nutzen nicht das Auto, weil sie entweder zu jung sind oder nicht mehr in der Lage sind, im Auto sicher zu fahren. Kinder und Senior:innen sind somit ebenfalls stark vom Nahverkehr abhängig, aber auch von sicheren Wegen, auf denen sie sich frei bewegen können. Doch weder Senior:innen oder Grundschulkinder tauchen in den öffentlichen Diskussionen zur Verkehrswende auf oder werden gezielt gefragt: Was macht eine lebenswerte Stadt für sie aus? Ihre Perspektive zu hören, wäre mehr als interessant.

Frauen gehen mehr zu Fuß als Männer

Auch Frauen nutzen im Gegensatz zu Männern viel seltener das Auto und gehen viel öfter zu Fuß oder nutzen den Nahverkehr, da sie meist mehr Wegeketten zurücklegen, also eine Abfolge von Wegen gehen: die Kinder zur Kita bringen, weiter zur Arbeit mit dem Bus fahren, nach dem Job auf dem Heimweg einkaufen gehen, pflegebedürftige Personen begleiten.

Einfach alle Autos zu elektrifizieren ist keine Lösung. Wir brauchen insgesamt weniger Autos auf den Straßen, eine soziale und ökologische Verkehrspolitik und eine gerechte Neuverteilung des Verkehrraums. Das bedeutet: mehr Platz für Fußgänger:innen und Radfahrer:innen, mehr Sharingangebote, einen Ausbau des Nahverkehrs und vor allem mehr Respekt unter den Verkehrsteilnehmer:innen. Immer wieder beobachte ich, wie Autofahrer:innen beim Abbiegen scharf an Fußgänger:innen vorbeifahren, drängeln und hupen. Übrigens beobachte ich das Verhalten auch oft bei Radfahrenden. Auch daher ist es wichtig, dass es breite und separate Radwege gibt, damit jede:r seinen Platz hat.

Damit eine gerechte Verkehrspolitik gelingen kann, müssen endlich die verschiedenen Perspektiven eingebracht werden und eben nicht nur von autofahrenden Männern: von Frauen, Kindern, Senior:innen, People of Color, Menschen mit Behinderungen und Menschen in Armut.

Vorbild: die 15-Minuten-Stadt

Positive Beispiele für klimagerechte Städte gibt es immer mehr. So entwickelt sich etwas Paris nach und nach zu einer 15-Minuten-Stadt. Das Ziel ist es, dass die Menschen in der Großstadt alle Angebote – ob Arbeit, Supermarkt, Kita oder Arztpraxis – in 15 Minuten erreichen können. Hinzu kommen Grünflächen, mehr Radwege, aber auch Bänke zum Ausruhen und mehr. Allerdings liegt der Fokus hier vor allem auf den Bezirken im Kern der Stadt und noch nicht in den Außenbezirken.

Ein weiteres Vorbild ist Wien. Hier wird in der Stadt- und Verkehrsplanung intensiv auf Barrierefreiheit geachtet, auf Platz auf den Bürgersteigen, aber auch darauf, dass die Menschen eine Kreuzung während einer Grünphase überqueren können. Auch weitere Städte entwickeln zunehmend autofreie Zonen, mehr Grünflächen, mehr Aufenthaltsqualität für Fußgänger:innen, sichere Radwege und Fahrradstraßen, zum Beispiel Oslo, Kopenhagen oder Amsterdam.

Es ist Zeit, dass wir uns endlich von der autozentrierten Gesellschaft verabschieden – für klimafreundlichere und vor allem für gerechtere Städte. Und auch für Kinder, die auf ihrem Schulweg nicht mehr über sechsspurige Kreuzungen sprinten müssten.

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Redaktion: Marianne Falck

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