Deutschland will im Endspurt Verschärfungen beim Weltnaturschutzabkommen erreichen

Die Leiterin der Naturschutzabteilung im Umweltministerium, Christiane Paulus, über den Klimagipfel COP26 und die schwierigen Verhandlungen für ein Biodiversitätsabkommen

vom Recherche-Kollektiv Countdown Natur:
8 Minuten
Christiane Paulus an einem großen Verhandlungstisch

Deutschland will bei den anstehenden Schlussverhandlungen über ein neues Weltnaturschutzabkommen dafür eintreten, dass der bisherige Entwurf deutlich verschärft wird. Vorbild soll das Pariser Klimaabkommen sein.

Die Leiterin der Naturschutzabteilung im Bundesumweltministerium, Christiane Paulus, sieht dafür auch Rückenwind durch die Beschlüsse des Glasgower Klimagipfels. Im Interview mit „Countdown Natur“ erläutert sie, was die Ergebnisse des Klimagipfels für den weltweiten Naturschutz bedeuten, analysiert den Stand der Verhandlungen für das neue Biodiversitätsabkommen und benennt Knackpunkte.

Frau Paulus, wenige Monate nach der Weltklimakonferenz findet im April der Weltbiodiversitätsgipfel im chinesischen Kunming statt. Viele Staaten und Naturschutzorganisationen haben sich von den Klima-Beschlüssen in Glasgow Unterstützung auf dem Weg zu einem weitreichenden Abkommen zum Schutz der biologischen Vielfalt versprochen. Gibt es diesen Rückenwind von Schottland nach Kunming?

Ich glaube auf jeden Fall, dass Glasgow in dieser Hinsicht ein Meilenstein war. Immer mehr setzt sich der Gedanke durch, dass wir die Klima- und Biodiversitätskrise nicht mehr nur als Zwillingskrise sehen, sondern dass wir sie als “one crisis, two emergencies“ betrachten, als eine einzige Krise mit zwei akuten Notfällen.

Gemeinsamer Schutz von Klima und Natur manifestiert sich am deutlichsten in sogenannten nature-based solutions, also dem Schutz von Lebensräumen wie Tropenwäldern, Mooren, Seegraswiesen und Mangroven, die sowohl artenreiche Refugien der biologischen Vielfalt wie auch wichtige Kohlenstoffsenken sind. Ist dieser Gedanke in Glasgow vorangekommen?

Mangrovenbäume in einer blauen Lagune.
Mangroven sind zugleich wichtige Lebensräume und Kohlenstoffspeicher.

Eindeutig Ja. Beispielsweise ist die Leaders` Declaration on Forest and Land Use ein großer Fortschritt, weil sie deutlich weiter gefasst ist als das, was zuvor 2014 in bei den Vereinten Nationen verabschiedet wurde. Diese Walddeklaration umfasst 90 Prozent aller Waldgebiete der Erde und adressiert auch noch die Problemfelder von Landnutzung und der Verschlechterung der Bodenqualität. Auch die in Glasgow im Global Forests Finance Pledge auch von Deutschland eingegangene Verpflichtung, bis 2024 zwölf Milliarden Dollar für waldrelevante Klimafinanzierung zur Verfügung zu stellen, markiert einen großen Fortschritt.

In der von Ihnen angesprochenen Walddeklaration wird 2030 als Enddatum für die Abholzung der Wälder genannt. Nach den bisherigen Erfahrungen lesen einige Kritiker das als Freifahrschein für eine Fortsetzung der Kahlschlagspolitik bis dahin. Sie nicht?

Das verstehen wir auf keinen Fall so. Der Trend soll ab sofort umgekehrt werden und 2030 beendet sein.

In der Abschlusserklärung des Glasgow-Gipfels wurde ausgerechnet der Hinweis auf die zentrale Bedeutung von nature-based solutions für die Lösung der Klimakrise gestrichen. Konterkariert das nicht die vielen Bekenntnisse zugunsten eines gemeinsamen Ansatzes von Klima- und Biodiversitätsschutz bei der Konferenz?

Die Streichung des Begriffes „naturbasierte Lösungen“ ist sehr bedauerlich. Einige Vertragsparteien lehnen ihn leider ab, obwohl er das, was wir erreichen müssen, so treffend auf den Punkt bringt. Die dahinterliegenden Anliegen sind über die deutliche Sprache zu Klima- und Biodiversitätsschutz in der Erklärung dennoch abgedeckt.

Frankreich und Großbritannien wollen jeweils ein Drittel ihrer Ausgaben für Klimaschutz zugunsten von Naturschutzprojekte aufwenden. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat angekündigt, die internationale Klimafinanzierung bis 2025 auf sechs Milliarden Euro zu erhöhen. Wie hoch wird der Anteil naturbasierter Lösungen daran sein?

Über die Umsetzung dieser Zusage entscheidet die neue Bundesregierung. Dies schließt die Frage ein, welcher Anteil der Klimafinanzierung naturbasierten Lösungen zugutekommen wird.

Und bisher?

Das Bundesumweltministerium trägt mit der IKI – der Internationalen Klimaschutzinitiative – einen wichtigen Baustein zur internationalen Finanzierung von Klima- und Biodiversitätsschutz bei. Über die verschiedenen Bereiche hinweg kamen in den vergangenen Jahren pro Jahr 20 bis 30 Prozent der Neuzusagen biodiversitätsrelevanten Projekten zugute, die im Wesentlichen naturbasierte Lösungen nutzen. Es gibt IKI-Projekte, bei denen der Schutz der Biodiversität im Zentrum steht und viele Projekte enthalten Komponenten sowohl zum Biodiversitätsschutz als auch zum Klimaschutz. Das ist, was wir wollen: das Thema nicht mehr getrennt in einzelnen Silos denken.

Das Wichtigste ist, dass wir einen Mechanismus zur Steigerung der Ambitionen schaffen – analog zum Pariser Abkommen: Es muss klar sein, dass, wenn wir dieses Mal wieder auf dem negativen Aichi-Pfad sind und die Ziele nicht erreichen, wir dann nachschärfen können.
Moorlandschaft mit Kiefernbäume und Tümpeln.
Moore bedecken nur drei Prozent der Landfläche, gehören aber zu den größten Kohlenstoffspeichern.

Haben Sie Beispiele dafür?

Es geht darum, die positiven Eigenschaften intakter Ökosysteme für den Klimaschutz, die Anpassung an den Klimawandel und den Schutz der biologischen Vielfalt zu nutzen. Dazu gehören der Schutz und die Wiederherstellung von Wäldern, Mooren und Böden, die Etablierung entwaldungsfreier Lieferketten, die Ausweitung von Schutzgebieten für bedrohte Tierarten oder die Schaffung von Einkommensmöglichkeiten aus dem Ökotourismus. Sehr wichtig ist uns aber auch, das Konzept der nature-based solutions nicht nur auf auf Klima und Natur zu begrenzen, sondern deutlich zu machen, dass dabei auch die Interessen der betroffenen Menschen vor Ort berücksichtigt werden müssen.

Im Frühjahr soll ein neues Biodiversitätsabkommen beschlossen werden. Für den für den globalen Naturschutz hat es eine ähnliche Bedeutung wie das Paris-Abkommen für den Klimaschutz. Wie beurteilen Sie den vorliegenden Entwurf dafür?

Die bisher formulierten Ziele sind bereits gut, aber ihre wirksame Umsetzung ist mit dem, was vorliegt, noch nicht ausreichend sichergestellt.

Grasvegetation auf dem Meeresboden, darüber ein Fischschwarm.
Unbekannte Kohlenstoffspeicher: Seegraswiesen im Mittelmeer in der Nähe von Almeria.

Was kritisieren Sie genau?

Wir brauchen nachvollziehbare Monitoring-Methoden, ein gutes Berichtswesen und einen Mechanismus, der sicherstellt, dass wir im Prozess der Umsetzung nachschärfen können, wenn wir merken, dass wir auf dem Weg sind, unsere gesteckten Ziele zu verfehlen. Das sind Knackpunkte.

Die beim Vorgängerabkommen vereinbarten globalen Ziele für einen nachhaltigeren Umgang mit der Natur – die sogenannten Aichi-Ziele – wurden krachend verfehlt. Wie wollen Sie eine Wiederholung verhindern und lässt sich hier etwas vom Pariser Klimaabkommen lernen?

Das Wichtigste ist, dass wir die Ziele mit konkreten Umsetzungsmaßnahmen hinterlegen und einen Mechanismus zur Steigerung der Ambitionen schaffen – analog zum Pariser Abkommen: Es muss klar sein, dass, wenn wir dieses Mal wieder auf dem negativen Aichi-Pfad sind und die Ziele nicht erreichen, wir dann nachschärfen können. Das war beim letzten Mal nicht so angelegt – und wir haben erlebt, dass uns das auf die Füße gefallen ist, weil wir nicht nachfordern und nachschärfen konnten. Zugleich sehen wir beim Klima, dass sich die Ambition steigern lässt, wenn die Staaten ihre nationalen Ziele nachbessern müssen. Dadurch wird ein Druck und ein Momentum erzeugt, den wir auch in der Konvention über die Biologische Vielfalt dringend brauchen.

Wir müssen das Ziel von 30 Prozent Schutzgebieten auf der Erde auch qualitativ hinterlegen. Es kann nicht sein, dass es rein bei der Zahl bleibt und dann praktisch ausgewiesen werden kann, was jedem Staat passt.

Ein solcher Nachschärfmechanismus würde einem Naturschutzabkommen die Zähne geben, die viele an ihm vermissen. Halten Sie das für erreichbar?

Wie genau er aussehen wird, muss ausgehandelt werden. Einen ähnlichen Mechanismus muss es aber auch bei der Konvention über Biologische Vielfalt, CBD, geben, in deren Rahmen das globale Rahmenabkommen verhandelt wird. Das ist ein großer Punkt, der auf viel Widerstand stößt, weil es ihn in der CBD bisher nicht gegeben hat. Aber er ist für uns ganz zentral, um in der Zielerreichung besser zu werden.

Ein Schlüsselziel, über das gerade verhandelt wird, ist die Unterschutzstellung von jeweils 30 Prozent der Land- und der Meeresfläche auf der Erde. Dafür scheint es viel Zustimmung zu geben. Gibt es einen Haken?

Bislang geht es bei der Ausweisung und Sicherung von Schutzgebieten um ein rein quantitatives Ziel. Wir sehen aber die Notwendigkeit, dieses Ziel auch besser qualitativ zu hinterlegen. Es kann nicht sein, dass es rein bei der Zahl bleibt und einem quantitativen Ansatz und dann praktisch ausgewiesen werden kann, was jedem Staat passt.

Wir wissen, dass es schwierige Verhandlungen werden. Wir sind jedenfalls gut aufgestellt und alle arbeiten hart daran. Aber noch ist offen, was herauskommt.
Morgenebel steigt aus dichtem Wald auf.
Bedrohter Lebensraum: Tropenwälder werden weltweit abgeholzt, um Holz zu gewinnen, Weide- und Anbauflächen zu schaffen oder Rohstoffe abzubauen.

Welche Kriterien sollten angelegt werden?

Es muss klar sein, dass die Schutzgebiete für die Biologische Vielfalt wichtige Gebiete sind und dass sie gut gemanagt und betreut werden. Das ist bislang noch nicht ausreichend berücksichtigt, da müssen wir noch nachschärfen.

Die Verhandlungen über das neue Biodiversitätsabkommen gehen im Januar in die Endphase. Erstmals seit dann fast zwei Jahren kommen dazu in Genf die Unterhändler der Vertragsstaaten wieder persönlich zusammen. Wie zuversichtlich sind Sie, dass am Ende – voraussichtlich Anfang Mai – ein Abkommen stehen wird, das den weiteren Verlust unserer natürlichen Lebensgrundlagen stoppen kann?

Das persönliche Treffen wird jetzt sehr wichtig für die Frage, ob es gelingt, ein hohes Ambitionsniveau zu bekommen. Die Chancen, etwas zu erreichen, steigen dadurch, denn der Druck ist von Angesicht zu Angesicht höher als in virtuellen Meetings. In Genf sind über mehr als zwei Wochen täglich 12 Stunden Verhandlungen vorgesehen – genug Verhandlungszeit haben wir also. Wir wissen aber auch, dass es schwierige Verhandlungen werden. Wir sind jedenfalls gut aufgestellt und alle arbeiten hart daran. Aber noch ist offen, was herauskommt.

Im Projekt „Countdown Natur“ berichten wir mit Blick auf den UN-Naturschutzgipfel über die Gefahren für die biologische Vielfalt und Lösungen zu ihrem Schutz. Die Recherchen zu diesem Beitrag wurden von der Hering Stiftung Natur und Mensch gefördert. Sie können weitere Recherchen mit einem Abonnement unterstützen.

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